Den Geist nicht auslöschen und die Welt nicht freiwillig räumen: ein Aufbruch in christlicher Zuversicht

Arbeitsgruppe 4, Moderation von Georg Hupfauer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Wir werden uns einer Vielzahl von Fragen stellen müssen. Im Ringen darum, unser Christsein in Kirche und Welt redlich zu verantworten, bedrängen uns manche Fragen seit langem: Wie können wir das Gebrochensein jedes Menschen ernst nehmen, ohne das bleibend Fragmentarische des Lebens und das Risiko des Scheiterns für eine niederdrückende Schuldeinrede zu missbrauchen und ihn so ge-fügig zu machen? Wie gelingt es uns, den Sinn und die Gestaltung menschlicher Sexualität als die leibliche Sprache aufrichtiger zwischenmenschlicher Beziehungen zu entziffern und gegen alle Vereinseitigungen und Verzerrungen abzugrenzen? Wie gelingt uns ein achtsamer Umgang zwischen Frauen und Männern, Ordinierten und Laien, "Traditionalisten" und "Reformern", Jungen und Alten, Eheleuten und Ehelosen usw., damit unsere Kirche wirklich von innen heraus Sakrament, also "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" sein und werden kann? Eine solche Einheit besteht nicht in einer einheitlichen Konformität ihrer Mitglieder, sondern darin, den einen Gott und die eine Frohe Botschaft in der Vielfalt an Formen und Weisen menschlichen Lebens authentisch zu bekennen und zu bezeugen.
Andere Fragen stellen sich in jüngster Zeit neu: Wie müssen wir die Pastoral unserer Kirche und Gemeinden angesichts des Wegbrechens vertrauter Strukturen neu justieren, damit ihre Sorge um Leib und Seele die Menschen, die ihrer bedürfen, wirklich erreicht? Wie können wir unsere Lebensstile und unsere Wirtschaftsweise so entwickeln und in der Gesellschaft politisch so verankern, dass sie eine weltweit zukunftsfähige Kultur gemeinsamer humaner Lebensführung fördern? Mit welchen Bündnispartnern, mit welchen christlichen Konfessionen, anderen Religionsgemeinschaften und weiteren Menschen guten Willens können wir gemeinsam für Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Geschlechtern, den Generationen und den Völkern eintreten, damit die Kirche wirklich ein solidarischer Teil der "Großbewegung zur Verteidigung der Würde des Menschen" (Centesimus annus 3) wird?


"Die Kirchen scheinen sich hier durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Weg zu stehen. Ich glaube, überall da, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von der Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen. Das gilt sowohl für das persönliche Schicksal des einzelnen kirchlichen Menschen wie auch für die Institutionen und Brauchtümer. Wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt. Die christliche Idee ist keine der führenden und gestaltenden Ideen dieses Jahrhunderts. Immer noch liegt der ausgeplünderte Mensch am Wege. Soll der Fremdling ihn noch einmal aufheben? Man muss, glaube ich, den Satz sehr ernst nehmen: was gegenwärtig die Kirche beunruhigt und bedrängt, ist der Mensch. Der Mensch außen, zu dem wir keinen Weg mehr haben und der uns nicht mehr glaubt. Und der Mensch innen, der sich selbst nicht glaubt, weil er zu wenig Liebe erlebt und gelebt hat. Man soll deshalb keine großen Reformreden halten und keine großen Reformprogramme entwerfen, sondern sich an die Bildung der christlichen Personalität begeben und zugleich sich rüsten, der ungeheuren Not des Menschen helfend und heilend zu begegnen."

P. Alfred Delp SJ: Das Schicksal der Kirchen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. von Roman Bleistein, Frankfurt a. M. 1984ff., S. 318-323

"Ohne ein gewisses Maß an Liebe findet man nichts. Wer sich nicht ein Stück weit wenigstens in das Experiment des Glaubens, in das Experiment mit der Kirche einlässt, bejahend einlässt, es nicht riskiert, mit den Augen der Liebe zu schauen, ärgert sich nur. Das Wagnis der Liebe ist die Vorbedingung des Glaubens. Wird es gewagt, so braucht man sich nichts von den Dunkelheiten der Kirche zu verbergen. Aber man entdeckt, dass es neben der Kirchengeschichte der Skandale doch auch die andere Kirchengeschichte gibt, die der freimachenden Kraft des Glaubens, die sich in so großen Gestalten wie Augustinus, Franz von Assisi, dem Dominikaner Las Casas mit seinem leidenschaftlichen Kampf für die Indios, Vinzenz von Paul, Johannes XXIII. alle Jahrhunderte hindurch fruchtbar bewährt hat. Er findet, dass die Kirche eine Lichtspur in die Geschichte getragen hat, die nicht wegzudenken ist."

Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI.): Glaube und Zukunft, München 1970, S.130

"Wir wird es denn der Kirche gelingen, die "Menschen" (Arbeiterschaft) zurückzugewinnen? Welche Mittel sind dazu unentbehrlich? Muss man in diesem Anliegen beten? Ja! Genügt das? Nein! Muss man in dieser Meinung der heiligen Messe beiwohnen, die heilige Kommunion empfangen? Ja! Genügt das? Nein! Muss man dafür fasten, sich Opfer auferlegen? Hilft es etwas, alle Tage dafür bald auf dieses, bald auf jenes Vergnügen zu verzichten? Alles das ist sehr nützlich, aber es genügt nicht! Wenn man alle Tage in dieser Meinung seine Leiden aufopferte oder sich geißelte, ließe man es aber dabei bewenden, gingen die Menschen doch verloren. […] Darüber muss man gut nachdenken! Alle Tage zur heiligen Messe gehen, die heilige Kommunion empfangen, Opfer bringen: das genügt nicht. […] Denken wir gründlich darüber nach, denn die Sache ist äußerst wichtig, und das sowohl für die Kirche als auch für die Menschen. Man muss ihnen ihre Sendung auf Erden klarmachen, ihre Berufung, das Apostolat, das sie hier unten verwirklichen sollen. Sie haben eine göttliche Berufung, eine göttliche Sendung, und dafür sind sie unersetzlich, und weder der Papst noch der Bischof noch die Priester noch die Ordensleute können ihren Platz ausfüllen. … Die Menschen haben eine Sendung zu erfüllen, … ohne die das Werk der Schöpfung und das Werk der Erlösung nicht vollendet werden können."

Kardinal Josef Cardijn: Die Schicksalsstunde der Arbeiterschaft, Essen 19632, S. 29f.

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