Den Geist nicht auslöschen und die Welt nicht freiwillig räumen: ein Aufbruch in christlicher Zuversicht
Arbeitsgruppe 1, Moderation von Eva Maria Welskop-Deffaa im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Wir sind in großer Sorge. Als Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken teilen wir die tiefe Verunsicherung, die unsere Kirche in Deutschland erfasst hat. Das Öffentlichwerden erheblicher Übergriffe auf Kinder und Jugendliche, die der Kirche anvertraut waren, ja die brutalen Fälle sexueller Gewalt, die die Opfer schwer geschädigt und nicht selten um ihren Glauben an die frohmachende Botschaft unseres Gottes gebracht haben, erfüllen uns mit Abscheu und erschüttern uns. Unsere Blicke richten sich aber nicht nur auf die Opfer, die nunmehr zu sprechen wagen, weil Schweigekartelle zusammenbrechen und ihnen allmählich Gehör geschenkt wird. Unsere Blicke richten sich auch auf die Täter und Mittäter, um in all unserem Unverständnis und unserer Empörung wenigstens zu erfassen, was sie zu solch schwerem Missbrauch ihrer Vertrauensrolle hat verleiten können.
In dieser Krise brechen viele Fragen und Probleme unserer Kirche erneut und vielleicht sogar verschärft wieder auf: Fragen nach einer verengten Sexualmoral ebenso wie nach dem überhöhten Bild von Geistlichen oder nach einer niederdrückenden Kultur des Verschweigens und Vertuschens, in der über Erfahrungen von respektlosem Umgang innerhalb des Volkes Gottes, über die Ursachen der tiefgreifenden Krise unserer Kirche oder über notwendige Strukturreformen kaum noch offen gesprochen wird.
Unsere Sorge steigt, weil auch die Gesellschaft von vielfältigen Krisen getroffen ist. Gerade die ge-genwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise offenbart einmal mehr die Notwendigkeit sinnvoller Orien-tierungen und vertrauenswürdiger Akteure, die unsere Gesellschaft, ja die Weltgemeinschaft in-sgesamt humaner zu gestalten vermögen. Eine den Menschen zugewandte, deren Nöten dienende, wirklich diakonische Kirche ist dringlicher denn je! Wie aber, wenn unsere Antworten auf die Probleme der Welt kaum noch passen? Wie aber, wenn sie zwar grundsätzlich noch überzeugen könnten, angesichts unserer eigenen kirchlichen Praxis und Widersprüche aber nicht mehr glaub- und vertrauenswürdig erscheinen? Wie also, wenn die Frohe Botschaft des Evangeliums durch Doppelmoral und Scheinheiligkeit verdunkelt wird?
"Das Schicksal der Kirchen wird in der kommenden Zeit nicht von dem abhängen, was ihre Prälaten und führenden Instanzen an Klugheit, Gescheitheit, ‚politischen Fähigkeiten‘ usw. aufbringen. Auch nicht von den ‚Positionen‘, die sich Menschen aus ihrer Mitte erringen konnten. Das alles ist überholt. […] Zwischen den klaren Schlüssen unserer Fundamentaltheologie und den vernehmenden Herzen der Menschen liegt der große Berg des Überdrusses, den das Erlebnis unserer selbst aufgetürmt hat. Wir haben durch unsere Existenz den Menschen das Vertrauen zu uns genommen. 2000 Jahre Geschichte sind nicht nur Segen und Empfehlungen, sondern auch Last und schwere Hemmung. Und gerade in den letzten Zeiten hat ein müde gewordener Mensch in der Kirche auch nur den müde gewordenen Menschen gefunden. Der dann noch die Unehrlichkeit beging, seine Müdigkeit hinter frommen Worten und Gebärden zu tarnen."
P. Alfred Delp SJ: Das Schicksal der Kirchen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. von Roman Bleistein, Frankfurt a. M. 1984ff., S. 318-323