Damit ihr Hoffnung habt! Rückblick auf den 2. Ökumenischen Kirchentag

von Dr. Claudia Lücking-Michel im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

1. Christsein in der Gesellschaft – Christsein für die Gesellschaft

Das gleich mal vorneweg: Der 2. ÖKT in München war ein großes, bedeutendes und erfolgreiches Ereignis. Er war ohne Zweifel in diesem Jahr die wichtigste kirchliche Großveranstaltung europaweit. Die inhaltliche Herangehensweise hatten wir unter dem Arbeitstitel "Christsein in der Gesellschaft – Christsein für die Gesellschaft" zusammengefasst. Und tatsächlich: Der ÖKT bot eine einzigartige Gelegenheit, unsere christlichen Positionen in die Debatte um die vielen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens engagiert einzubringen und ebenso unsere Anliegen und Hoffnungen in die aktuellen kirchlichen und theologischen Themen einzutragen. Wir durften erleben, wie ernsthaft und respektvoll und auf welch hohem Niveau diese Diskurse geführt wurden. Wer könnte ernsthaft leugnen, von welch unschätzbarem Wert solche Erfahrungen sind für die teilnehmenden Menschen und ihr Bedürfnis nach Information, Orientierung und Bestärkung, aber natürlich auch für die Beachtung unserer Kirchen insgesamt als nach wie vor angesehene Gesprächspartner auch und gerade in unserer säkularen Gesellschaft. Und doch wäre dies allenfalls ein erster Aspekt für den Rückblick auf dieses Ereignis.


2. Kirchentag in Zahlen und Daten

Der 2. ÖKT war ein großes Ereignis. Dies gilt gleichermaßen für die Veranstaltungsgröße wie für die Vielzahl und Vielfalt der einzelnen Programmangebote wie auch für die Zahl der Menschen, die in diesen fünf Tagen wegen des 2. ÖKT nach München gekommen waren.

Mit 130.000 Dauer- und weiteren 40.000 Tagesteilnehmenden war der 2.ÖKT deutlich größer als alle Katholikentage und Kirchentage der letzten 20 Jahre. Und auch folgende Einzelzahlen unterstreichen die große Resonanz:
4.085 Jugendlich kamen allein zum Konfirmlingstag;
100.000 zusätzliche Teilnehmende waren bei den verschiedenen Angeboten im Open-Air-Programm (und das trotz teilweise strömenden Regens);
300.000 am Abend der Begegnung;
120.000 beim Schlussgottesdienst.

So ein Ereignis macht viel Arbeit: Eine große Schar von Hauptamtlichen war mit einem schier unglaublichen Überstundenbudget an der Vorbereitung beteiligt. Doch über Akzeptanz und Begeisterung für diesen Anlass sagt fast noch mehr die Zahl der Freiwilligen aus:
- 5.800 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer
- 5.600 zusätzlich als Gastgeber in Gemeinschaftsquartier-/Privatquartierteams

Insgesamt kommt man damit auf die stolze Zahl von 16.800 Mitarbeitenden in der Organisation

Schaut man auf die Altersverteilung, so ist der ÖKT trotz aller gegenläufigen demographischen Entwick-lungen ein junges Ereignis gewesen. Und mit einer Mischung von 58 % Evangelisch, 40 % Katholisch und 2 % Andere auch ökumenisch gut verteilt.

Der ÖKT war ein bedeutendes Ereignis. Nicht nur die beeindruckend hohe Zahl der Teilnehmenden und Mitwirkenden, sondern auch die vielen namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die der Einladung zur aktiven Teilnahme und Mitwirkung folgten, sind ein wichtiger Beleg dafür, welche große Bedeutung dieser Veranstaltung in allen Bereichen unserer Gesellschaft beigemessen wurde. Stellvertretend seien hier der damalige Bundespräsident Dr. Horst Köhler und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel genannt. Aber nicht nur Politikerinnen und Politiker haben mitgewirkt, ebenso viele führende Männer und Frauen aus Wirtschaft und Wissenschaft, aus Journalismus, Kunst und Sport haben in den Veranstaltungen mitdiskutiert oder auf der "Agora" Rede und Antwort gestanden.


3. Jeder erlebte seinen "eigenen" Ökumenischen Kirchentag

Die Themenvielfalt des 2. ÖKT war breit und das umfangreiche Programmheft stellte durchaus gewisse Anforderungen an die Benutzer. Doch es ist ja geradezu ein Spezifikum von Kirchen- oder Katholikentagen und also auch des ÖKT, auf die Vielfalt der Fragen und Aufgaben, die uns in Kirche und Gesellschaft aufgegeben sind, einzugehen. Ein ÖKT will kein Fachkongress sein. Er muss vielmehr der Ort für all das sein, was uns als Christinnen und Christen auch sonst – in unserem beruflichen Leben, im familiären Alltag – beschäftigt, wozu wir uns ehrenamtlich engagieren, worüber wir Genaueres wissen, uns weiterbilden und uns austauschen wollen. Deshalb hatte auch der 2. ÖKT nicht das eine, herausragende Thema und deshalb sollte auch nachträglich keines künstlich dazu hochstilisiert werden.

Dennoch lassen sich Themenfelder benennen, die sich bereits in der Vorbereitungsphase allmählich zu Schwerpunkten verdichteten und die dann auch während der Tage in München selbst das Gesamtereignis akzentuierten. Als Beleg hierfür können die großen Schlagzeilen, der Pressespiegel bzw. die Auswertung der Medien insgesamt herangezogen werden.

Da spielte sicher das Thema "Sexueller Missbrauch" und der Umgang der Kirche damit eine große Rolle; das Stichwort "Ökumene" als solches war sehr prägend. Und natürlich: Frau Käßmann – obwohl bzw. gerade weil nicht mehr im Amt – war sehr präsent. Unter den Zentren fand besonders der "Dialog mit den Wissenschaften" hohe Beachtung in den Medien.

Und nicht nur angesichts der gesamten Palette an Themen und Veranstaltungen, hat sicher jeder, der in München dabei war, seinen eigenen Kirchentag erlebt mit sehr persönlichen Höhepunkten, besonderen Erfahrungen und bereichernden Begegnungen.


4. Ein Ereignis der Ökumene

Es mag sein, dass dem 2. ÖKT nicht mehr so sehr der Zauber des Neuen innewohnte, von dem der Berliner ÖKT erfüllt war. Viele hatten vorher die Einschätzung: In Berlin war die Tatsache, dass es einen ÖKT gab, schon eine Erfolgsgeschichte an sich, für München brauchen wir darüber hinaus einen greifbaren, bedeutsamen ökumenischen "Zugewinn". Dieser Anspruch hat uns lange beschäftigt, wir haben gerungen, ausprobiert, konstruiert, was in diesem Sinn das Ergebnis von München sein könnte.

Zweifelsohne hat die Orthodoxe Vesper, die von 20.000 Menschen am Freitagabend auf dem Odeonsplatz miterlebt und mitgefeiert wurde, eine wirklich großartige Ausstrahlungskraft entfaltet. Und dies gilt in mehrfacher Hinsicht: Dieser Vespergottesdienst hat teilhaben lassen an der reichen liturgischen Tradition der Orthodoxie. Und durch die Artoklasie blieben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht unbeteiligte Beobachter, sondern waren durch die Tischgemeinschaften unmittelbar einbezogen. Auch für die orthodoxen Schwestern und Brüder selbst war diese Feier von besonderer Bedeutung, denn während sie sich sonst in Deutschland immer als kleine christliche Minderheit fühlen, waren sie hier die Einladenden. Wer von den vielen Anwesenden wird vorher den Reichtum der orthodoxen Liturgie, die Vielfalt der orthodoxen Kirchen und ihre einladende Art eine Agape im Anschluss an einen Gottesdienst umzusetzen, gekannt haben. Dabei kam zu keinem Zeitpunkt der Eindruck auf, dass diese Feier als gemeinsame Abendmahlsfeier fehlgedeutet werden könnte; sie gab aber sicherlich vielfältigen Anlass, darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft über Konfessionsgrenzen hinweg die Vielfalt der Gottesdienstformen gemeinsam lebendig werden lassen und dabei die Verbindung von Liturgie und christlicher Lebensgemeinschaft neu gestalten.

Besonders erfreulich war darüber hinaus die Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen der ACK-Deutschland, neben den bereits genannten Geschwistern aus der Orthodoxie erstmals auch die aus den Freikirchen. Bei diesem 2. ÖKT gab es nicht mehr nur zwei Gesprächspartner und dieser Umstand hat dem Gesamtereignis sehr gut getan.

Insgesamt fassen vielleicht folgende Worte eines Teilnehmers die ökumenische Situation treffend zu-sammen: "Der Enthusiasmus von Berlin ist weitgehend von einem Realitätssinn abgelöst worden, umso mehr brauchen wir das Thema der Hoffnung ...". Oder wie Präsident Glück es bei seiner Abschlussrede bildhaft gesagt hat: Die Tage in München haben gezeigt, dass die Ökumene "wetterfest" geworden ist. Die Erinnerung an kalte Füße, durchnässte Kleidung und handfeste Erkältungen werden viele noch lange mit diesem ÖKT verbinden, doch, die Leute sind geblieben bzw. gekommen und haben nicht nur, aber auch in Blick auf die Ökumene gezeigt: Wir sind hier und machen mit, auch wenn es gerade nicht vergnüglich ist. Es gibt zwar keinen sensationellen Zugewinn und neue ökumenische Verhandlungsergebnisse, aber es bleibt der beruhigende Eindruck, dass für die Teilnehmenden die ökumenische Begegnung inzwischen fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Es herrschte eine positive Unaufgeregtheit.


5. Ein Resümee?

Ökumene ist wetterfest. Sollte dies das ganze Resümee sein? Und wenn: Es wäre ja schon einmal nicht unerheblich zu wissen, dass man für den anstrengenden Weg, der ohne Zweifel noch vor uns liegt, ver-lässliche Weggefährten gefunden hat, die hart im Nehmen sind.
Unsere Hoffnung konnte es ja nicht sein, theologische Grenzfragen abschließend zu klären, sondern vielmehr die Herzen der Menschen zu erreichen, ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, was Ökumene jenseits der fraglos auch sehr wichtigen Fachdiskussionen sein kann. Brücken zu bauen, zwischen ökumenisch verbundenen Organisationen und Verbänden. Sich gegenseitig kennenzulernen und noch vielmehr voneinander zu erfahren. Wer davon träumt, die Welt zu verändern, der tut gut daran, die Einstellungen und Träume der Menschen zu verändern, sie zu ermutigen und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen. Das, so kann man sicher aus vielen Rückmeldungen und Gesprächen sagen, ist an vielen Stellen gut gelungen.
Dennoch muss uns die Frage der Klärung der noch ungelösten theologischen Fragen in der Ökumene weiter beschäftigen, und wir tun gewiss gut daran, wenn wir auch im ZdK die wachsende Ungeduld und das zunehmende Unverständnis aufmerksam wahrnehmen, weil Lösungen gerade in den Fragen, die viele Menschen unmittelbar persönlich betreffen, nicht in Sicht zu kommen scheinen. Es ist gut, wenn wir uns als ZdK in nächster Zeit intensiv den möglichen inhaltlichen nächsten Schritten in der Ökumene stellen. Die Arbeitsgruppe die dazu getagt hat, hat aus meiner Sicht dafür schon bedenkenswerte Vorschläge erarbeitet, denen wir uns baldmöglichst intensiv zuwenden sollten.
Gerade weil wir im Augenblick noch nicht wieder besetzt sind von den organisatorischen und planerischen Fragen eines nächsten ÖKTs sollten wir jetzt die Zeit nutzen, um an den theologischen Fragen weiterzuarbeiten. Wir brauchen dann den 3. ÖKT, um wieder Kraft zu tanken für die weiteren Schritte in der Ökumene.


6. Wie geht es weiter?

Damit ist das entscheidende Stichwort gefallen. Wie geht es weiter? Was ist mit einem nächsten ÖKT? Doch vorher will ich anders als all diejenigen, die am Montag nach dem Abschlussgottesdienst schon gefragt haben "wann kommt der nächste?" kurz innehalten: Der 2. ÖKT – das war kein Ereignis, das von leichter Hand geplant und problemlos durchgeführt werden konnte. Die Organisation war für alle Beteiligten eine große Herausforderung – eine Herausforderung auf allen Ebenen: finanziell, logistisch, inhaltlich, zwischenmenschlich und spirituell. Die Gastgeber vor Ort waren für Jahre beschäftigt und über viele Monate fast komplett mit dem ÖKT belegt. Gut, dass es so ein gutes Einvernehmen mit dem Erzbistum München und Freising und der Ev.-luth. Kirche in Bayern gab. Ihr Engagement für unsere gemeinsame Sache hat besonders in Bayern wesentlich zum Erfolg des 2. ÖKT beigetragen. Solche Gastgeber brauchen wir für einen nächsten Ökumenischen Kirchentag wieder.

Und auch hier unter uns sitzen viele, die mit größter Kraftanstrengung zum Gelingen dieses großen ge-meinsamen Projektes beigetragen haben. Damit sei vor dieser Runde dankbar festgehalten, wie groß das Interesse und das Engagement von Ihnen allen, Ihren Organisationen, Laienräten und kirchlichen Institu-tionen, an einer Mitgestaltung dieses 2. ÖKTs war. Vielen Dank für die Gestaltung so mancher großen Diskussionsveranstaltung im sog. Thematischen Programm oder in den verschiedenen Zentren. Vielen Dank für die Gestaltung von Gottesdiensten und für die Beteiligung im Bereich des Bühnenprogramms oder auf der Agora.

Ich habe den 2. Ökumenischen Kirchentag als einen Ort der Begegnung, des Dialogs und der intensiven Gemeinschaft erlebt. Ich bin überzeugt, dass davon Erneuerung und Reform in unseren Kirchen ausgehen. Aus diesem Grund votiere ich ohne Zögern für einen 3. Ökumenischen Kirchentag. Ich meine, dass die Nichtabhaltung eines 3. ÖKT begründungspflichtig wäre, nicht seine Planung.

Und wann soll das sein? Ich meine "so schnell wie möglich". Wobei ich Sie bitte, daraus nicht eine einfache Floskel zu machen. Die Frage nach der "Möglichkeit" wird gründlich und verantwortlich abzuwägen und zu bedenken sein. Und alle, die von außen Druck machen, schnelle Klärungen erwarten, bitte ich dringend, dieses Ringen nicht als Unernsthaftigkeit oder Unentschiedenheit zu interpretieren, sondern die Größe und Bedeutung der Frage daran zu ermessen.

Nach dem 2. Ökumenischen Kirchentag ist die Ökumene lange nicht am Ziel. Dies festzustellen ist eine Banalität. Ökumene bleibt unsere große Aufgabe. Aber ich hoffe, Sie stimmen auch meiner zweiten Fest-stellung zu, dass wir auf dem langen Weg mit dem 2. ÖKT gemeinsam einen großen Schritt vorangekommen sind.

Damit ihr Hoffnung habt!
Ich schließe mit dem bekannten Zitat von Vaclav Havel "Hoffnung ist nicht dasselbe wie die Freude darüber, dass sich die Dinge gut entwickeln. Sie ist auch nicht die Bereitschaft, in Unternehmen zu investieren, deren Erfolg in naher Zukunft absehbar ist. Hoffnung ist vielmehr die Fähigkeit, für das Gelingen einer Sache zu arbeiten. Hoffnung ist auch nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas klappen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas seinen guten Sinn hat – egal, wie es am Ende ausgehen wird."

Claudia Lücking-Michel Mitglied des Gemeinsamen Vorstandes des 2. Ökumenischen Kirchentages Vizepräsidentin des ZdK

 

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