Bericht über die Bensberger Arbeitstagung der Gemeinsamen Konferenz

Rede von Alois Glück im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich will die vielen Berichte über dieses für die katholische Kirche in unserem Land schwierigste Jahr seit langem nicht wiederholen. Es ist ein Jahr der tiefen Erschütterung und eines dramatischen Vertrauensverlustes gewesen. Hierbei war das Thema sexueller Missbrauch nur eines von mehreren Themen, die die Kirche schwer erschüttert haben. Ich bin sehr froh, dass die Debatte zu einem Paradigmenwechsel geführt hat und dass nun die Opfer im Mittelpunkt stehen und nicht mehr ein falsch verstandener Schutz der Institution Kirche handlungsleitend ist. Dankbar bin ich dafür, dass seitens der Bischofskonferenz in diesem Sommer eine zielgerichtete Überarbeitung der Leitlinien durchgeführt und inzwischen abgeschlossen werden konnte.

Eine besonders erfreuliche Erfahrung der letzten Monate war, dass vielen Menschen wichtig ist,

- dass "die Kirchen intakt bleiben" – vor allem im Hinblick auf ihren Beitrag für die Wertebildung,

- dass zwar viele engagierte Katholiken, denen ihre Kirche weiter wichtig ist, in der Krise und an der Krise gelitten haben und leiden, dass aber auch eine neue Bereitschaft entstanden ist, sich mit der Situation und notwendigen Veränderungen und Weiterentwicklungen auseinanderzusetzen.

Viele haben Hoffnung geschöpft, dass aus diesen Erfahrungen eine Erneuerung unserer Kirche möglich ist und erwachsen kann.
Ich habe mich wiederholt geäußert. Ich verweise auf den Beitrag in den Salzkörnern.

Vertrauen zurückgewinnen

Ein sehr wichtiger Schritt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist es, dass eine Institution wie die Kirche mit allem Nachdruck an ihrer Glaubwürdigkeit arbeitet, und zwar mit Worten und mit Taten.
In diesem Sinn war das Eröffnungsreferat von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch bei der Herbstvollversammlung in Fulda ein ganz wesentlicher Schritt. Ich danke dem Erzbischof für seinen mutigen, klaren und wegweisenden Vortrag. Für mich gehört diese Rede zu den wichtigsten Texten der Kirche in unserem Land in dieser Zeit.

Zu Recht sagte Erzbischof Zollitsch: "Es gibt für uns keinen anderen Weg als den der Offenheit, der Ehrlichkeit und des Zuhörens". Zu Recht sagte er: "Vertrauen wird man der Kirche dann schenken, wenn sie authentisch ist". Ich kann nur voll und ganz zustimmen: "Ein neuer Aufbruch der Kirche lebt von einer vertrauenswürdigen Nähe und verlässlicher Verbundenheit zwischen Kirche und Welt". Ich glaube, dass ich in Ihrem Namen spreche, wenn ich Erzbischof Zollitsch sage, dass er das Zentralkomitee mit all diesen Gedanken fest an seiner Seite hat, und auch mit dem Satz: "Wir sind aufgeschlossen für Veränderungen, die uns als Kirche stärker machen, weil sie uns enger mit Gott wie auch enger mit den Menschen und der Welt von heute verbinden".

Glaubwürdigkeit, so sagte ich eben, hängt von Worten und Taten ab. Mit seiner Rede hat Erzbischof Zollitsch namens der gesamten Bischofskonferenz der Glaubwürdigkeit der Kirche in Deutschland einen großen Dienst geleistet.

Zur Tagung in Bensberg

So trafen wir uns mit jeweils rund 20 Vertretern des ZdK und der Bischofskonferenz vom 4. bis 5. November in Bensberg zu unserer Gemeinsamen Arbeitstagung unter dem Titel "Der Weg der Kirche in die Zukunft".

Ich möchte von einem dreifachen Ertrag dieser Begegnung sprechen:

1. Das gegenseitige Vertrauen, das gegenseitige Wissen voneinander ist gewachsen. Der Austausch und die Beratungen waren völlig offen. Alle Themen konnten angesprochen werden. Es gab von keiner Seite einen Misston in den Beratungen. Wenn man in einer Krise ist, muss man sich erst einmal der Wirklichkeit stellen. Sofern dies in einer kurzen Tagung möglich ist, war dies in Bensberg in aller Offenheit und im freien Gespräch der Fall. Dieser Punkt ist keineswegs unwichtig, er ist vielmehr ein Grundstein für alles Weitere.

2. Der entschiedene Wille zu einem bundesweiten Gesprächsprozess wurde in Bensberg in überwältigender Weise bekräftigt. Bitte lesen Sie die Eröffnungsreferate von Bensberg nach (auf den Homepages von DBK und ZdK). Erzbischof Zollitsch hat seine Linie wiederholt und bekräftigt. Dies ist vielfach bestätigt worden. Und neben dem, was in der Bischofskonferenz intern geschehen soll und dem, was jeder Bischof in seiner Diözese gestalten will, steht als drittes ein überdiözesanes Geschehen im Beschluss der Bischofskonferenz. Wir freuen uns, dass das Zentralkomitee dafür als wichtigster Partner benannt wurde.

3. Wir haben zwei konkrete Projekte vereinbart, die zunächst von zwei Projektgruppen erarbeitet werden, die sich aus Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK zusammensetzen. Sie sollen die Themen inhaltlich konkretisieren und einen Arbeitsplan erstellen, aus dem sich das weitere Vorgehen und weitere Beteiligte ableiten werden. Wir haben also einen auch zeitlich konkreten Arbeitsplan.

Konkretisierung

Die Konkretisierung dessen, was wir vereinbart haben, soll nun in den nächsten Wochen und Monaten zügig geleistet werden. Bisher steht fest:

Unter dem Thema "Die Präsenz der Kirche in Gesellschaft und Staat" soll eine Bestandsaufnahme der kirchlichen Situation und der Gesellschaft vorbereitet werden. Daraus werden sich Beratungsthemen ergeben. Etwa: Welchen Beitrag müssen wir leisten? Was sind realistisch betrachtet unsere Möglichkeiten und unsere Grenzen? Dabei wird die soziale Thematik ebenso berücksichtigt wie Ordnungsfragen, die den Staat betreffen. Außerdem wird gefragt, wie auf vielfältige Weise die Präsenz des Glaubens in der Öffentlichkeit geklärt und vertieft werden kann. Auch aktuelle Fragen zum Staat-Kirche-Verhältnis stehen auf der Tagesordnung.

Viele Bereiche unserer gesellschaftspolitischen Arbeit können hier einfließen.

Das zweite Projekt betrifft das "Zusammenwirken von Priestern und Laien in der Kirche". Wir beziehen uns dabei auf ein Wort von Papst Benedikt XVI., das Erzbischof Zollitsch auch in seinem Eröffnungsreferat zitierte: "Es bedarf einer Änderung der Mentalität besonders in Bezug auf die Laien, die nicht mehr nur als ‚Mitarbeiter’ des Klerus betrachtet werden dürfen, sondern als wirklich ‚mitverantwortlich’ für das Sein und Handeln der Kirche erkannt werden müssen."

In diesem Sinn geht es in dieser Projektgruppe unter anderem um aktuelle Herausforderungen der Seelsorge, die spezifischen Aufgaben des priesterlichen Dienstes und das Apostolat der Laien in den Gemeinden und Verbänden.

Viele dieser Themen werden gelegentlich mit verächtlichem Unterton als "immer die gleichen alten Themen" bezeichnet. Man verzieht den Mund und sagt: "Habt ihr nichts anderes anzubieten als die alten Reizthemen?" Hierzu möchte ich sagen: Viele dieser Themen sind keinesfalls Themen von gestern, sondern sie bedrängen die Menschen heute, jetzt, in der Sonntagsmesse übermorgen. Viele dieser Themen sind nur in einem einzigen Sinn "alte" Themen: als sie schon vor Jahren, zum Teil in der Synode, als drängende Themen erkannt wurden, aber jahrelang unbearbeitet liegengelassen wurden. Sie wirken "alt", weil sie ungelöst sind. Sie sind gleichwohl hochaktuell.

Glaubwürdigkeit erzielt man nur, indem Worte und Taten übereinstimmen. Gerade darum weckt eine Rede wie die des Vorsitzenden der DBK solche Hoffnungen. Eben auch, weil er sich auch den Menschen zuwenden will, " die auf ihre Grenzen stoßen – die körperlichen, seelischen und moralischen". Wir zählen darauf, dass sich unsere Kirche immer wieder auch ändern wird.

Zugleich weiss ich und wissen wir: Die "sperrigen Themen" sind keinesfalls die Lösung aller unserer Probleme. Wir sind Realisten. Aber deswegen sollte man notwendige Reformen nicht weiter aufschieben. Umgekehrt gilt: Wir dürfen uns nicht verbeißen und unsere Perspektiven nicht auf einige wenige Themen verengen und verengen lassen. "Gott ist größer, als wir glauben" hat Anette Schavan ihr neues Buch genannt. Darum brauchen wir auch bei der Betrachtung der Stärken und Schwächen unserer Kirche immer einen weiten, einen weiteren Horizont.

Ein längerer Gesprächsprozess

So beginnt also nun ein längerer Gesprächsprozess. "Was ist das?", fragen manche. Nun, die Tatsache, dass hier ein Impuls gesetzt wurde für einen Gesprächsprozess, dessen Elemente noch nicht ganz klar sind, muss nicht negativ sein, kann vielmehr für uns als ZdK eine Chance darstellen.

Ich sehe den Begriff "Gesprächsprozess" als einen offenen Vorgang, eine Chance, die es zu ergreifen und einen Prozess, den es mitzugestalten gilt.

Deutlich wird, dass der bundesweite Gesprächsprozess drei Stränge hat:

Einen Strang werden Bischofskonferenz und Zentralkomitee gemeinsam gestalten im Sinne unserer beiden Arbeitsvorhaben. Hierzu können Gespräche, Symposien, öffentliche Veranstaltungen, Akademietagungen und vieles mehr gehören. Einen wichtigen Zwischenpunkt wird der Katholikentag 2012 darstellen.

Einen zweiten Strang wird die Bischofskonferenz alleine gestalten oder auch durch Einbeziehung anderer Partner wie etwa der großen Orden.

Einen dritten Strang schließlich werden wir gestalten können, gemäß unseren eigenen Überzeugungen vom Notwendigen und Zielführenden. Auch hierüber wird zu reden sein, und auch hierfür erbitte ich Vorschläge.

Dieser dritte Strang hätte auch viele Teilstränge, nämlich all das, was in den katholischen Verbänden auf den unterschiedlichen Ebenen und in der Vielfalt ihrer Vereinigungen geschieht. Ich rufe alle Verbände und Organisationen, alle geistlichen Gemeinschaften auf, sich zu beteiligen und eigene Veranstaltungen durchzuführen. Die Tagung in Bensberg war also ein erster, aber wichtiger Schritt in einem längeren Gesprächsprozess. Diesen Dialog gilt es nun, zielführend zu gestalten und Ergebnisse zusammenzuführen. Und der Beschluss zu den beiden verabredeten Projekten ist so etwas wie ein Auftakt. Es geht uns auch darum, den von Bischof Dr. Joachim Wanke ins Spiel gebrachten Begriff einer den Menschen dienenden Kirche in die Realität umzusetzen. Darum habe ich gemeinsam mit Erzbischof Zollitsch gesagt: "Es ist unsere Aufgabe, als Christen in Deutschland, das Evangelium zu verkünden und den Menschen zugänglich zu machen. Als hörende und pilgernde Kirche müssen wir den Aufbruch wagen, den unsere Kirche notwendig hat. Wir werden herausarbeiten, wo künftig der Dienst der Kirche für die Gesellschaft in dieser Zeit zu finden ist und wie die Zusammenarbeit von Priestern und Laien verbessert werden kann".

Jetzt handeln!

Ich komme zum Schluss. An einer anderen Krise, der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, können wir studieren, dass unter der aktuellen Schockerfahrung und dem Leidensdruck viele Forderungen erhoben und erfasst wurden, die Dinge so zu ordnen, dass sich dieses Desaster nicht wiederholen kann. Mittlerweile stellen wir fest, dass mit zeitlichem Abstand auch ständig die Bereitschaft sinkt, Notwendiges, aber Unbequemes wirklich zu tun.

Das darf uns in unserer Kirche nicht passieren!

Ich meine, für uns gibt es zwei entscheidende Bezugspunkte:

1. den Auftrag das Evangelium den Menschen zu erschließen und zu vermitteln. Alles in unserer Kirche hat sich dem zuzuordnen und unterzuordnen, die Ämter, die Strukturen, die Aufgabenverteilung und alles was dazugehört.

2. Wir müssen vom Menschen her denken. Wir müssen uns also damit auseinandersetzen, wie wir die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft der Liebe Gottes zu den Menschen, diesen jeweiligen Menschen zugänglich machen können.

In vielen Interviews in den letzten Wochen habe ich gesagt: Es gibt zwei Grundvoraussetzungen, damit ein fruchtbarer Dialog, ein fruchtbarer Diskurs und auch eine fruchtbare geistige Auseinandersetzung und Weiterentwicklung möglich ist.

1. Unser Ziel muss sein, in unserer Kirche wieder eine Gesprächskultur, eine Diskussions- und auch Streitkultur zur Entfaltung zu bringen, die diese geistige Auseinandersetzung, das gemeinsame Ringen möglich macht, ohne Ausgrenzungen und Abwertungen. Nur so kann eine innere Lebendigkeit, eine fruchtbare geistliche Entwicklung möglich sein.

2. Wir müssen Vielfalt und Einheit verbinden. Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger formulierte in seinem ersten Interviewband mit Peter Seewald: "Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt". In der Tat, wir sind unterschiedlich geprägt und strukturiert und finden damit auf oft sehr unterschiedlicher Weise Zugang zu geistlichen und geistigen Prägungen.

Wir brauchen die Vielfalt von Gemeinschaften, spirituellen Prägungen. Entscheidend ist, dass keine Ausprägung einen alleinigen Vertretungsanspruch und alleinige Deutungshoheit beansprucht, was katholisch ist, was vertretbar ist. Davon bleibt unberührt die Wahrung der Substanz des Glaubens und der zentralen Wahrheiten unseres Glaubens.

Ein geistlicher Prozess

Wir suchen also von Seiten der Laien im Zentralkomitee zunächst und vor allem die Zusammenarbeit mit den Bischöfen.

Wir sehen im Katholikentag 2012 in Mannheim einen wichtigen Kristallisationspunkt für diesen Gesprächs- und Erneuerungsprozess.

Und wir starten mit den Beratungen am heutigen Nachmittag im Zentralkomitee auch einen eigenen Vergewisserungsprozess mit dem Titel "Den Geist nicht auslöschen und die Welt nicht freiwillig räumen: ein Aufbruch aus christlicher Zuversicht."

Es geht uns also um einen geistlichen Prozess. Aber um einen geistlichen Prozess, der geerdet ist in der Wirklichkeit unserer Gesellschaft und in der Wirklichkeit der Kirche in unserem Land.

Ich hoffe, dass in diesem Sinn auch die heutige Vollversammlung ein Teil dieses längeren und fruchtbaren gemeinsamen Arbeitsprozesses ist.

Ich danke Ihnen.

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