Thematischer Impuls von Bischof Joachim Wanke

Rede von Bischof Joachim Wanke, Vorsitzender der Pastoralkommission der DBK, im Rahmen des gemeinsamen Studientags von DBK und ZdK in Würzburg -es gilt das gesprochene Wort.

In der Einladung zu dieser Begegnung zwischen Bischöfen und Vertretern des ZdK wurde die Erwartung geäußert, die Gespräche sollten sich „in der Perspektive der gemeinsamen Hoffnung aus dem Glauben über die Einsichten austauschen, zu denen die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee gefunden haben und mögliche gemeinsame Perspektiven ... beraten“. Und weiter hieß es wörtlich: „Allen Teilnehmenden liegt eine Klärung am Herzen, wie die katholische Kirche in Deutschland in 15 Jahren aussehen soll.“

Das ist für die wenigen Stunden des gemeinsamen Austausches ein hochgestecktes Ziel. Aber das Mühen darum lohnt sich. Geht es doch in der Tat um „das Werk des Herrn“, um das wir uns alle „immer eifriger mühen sollen“, wie Paulus (1 Kor 15,58) mahnt.

1. Was ich als grundlegende Perspektive für unsere Kirche in Deutschland benennen möchte, sage ich mit den Worten unseres Papstes (in seinem Brief an die Bischöfe vom 10. März 2009): „In unserer Zeit, in der der Glaube in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den Menschen Zugang zu Gott zu eröffnen.“ Und noch einmal einige Sätze weiter: „Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott zu führen, ist die oberste und grundlegende Priorität der Kirche...“

Unsere Bischofskonferenz hat in den letzten Jahren den Gedanken einer neuen missionarischen Präsenz des Evangeliums in Deutschland nachdrücklich herausgestellt. Das hat ein zustimmendes Echo bei vielen Gläubigen gefunden. Ja, es ist wieder „Zeit zur Aussaat“, um diese biblische Metapher zu gebrauchen. Es braucht Glaubende, die gegenüber anderen in Glaubensdingen ihr Herz auftun und bezeugen, „zu welcher Hoffnung sie berufen sind“. Es braucht eine Kirche, die bereit ist, in gewandelter Zeit wieder neu „Missionskirche“ zu werden – wobei das in Bayern und im Rheinland anders aussehen wird als in Thüringen und Sachsen. Alles, was diesem Ziel dient, muss in unseren Diözesen Vorrang haben. Darüber immer neu Verständigungen herbeizuführen, zwischen Amtsträgern und allen Gläubigen, zwischen Pfarrseelsorge und katholischer Verbandsarbeit, zwischen Theologie, Bildungsarbeit und caritativen Diensten – eben in der Breite derer, denen an einer Präsenz des Evangeliums hier in Deutschland
auch in Zukunft gelegen ist, nicht zuletzt auch in ökumenischer Verständigung, das ist alle Mühe wert.


2. In dieser Grundoption ist freilich implizit eine weitere mitgegeben: Es braucht eine innere Annahme der Situation, in die Gott unsere Kirche mit ihrer Seelsorge hineinführt. Ich sage sofort dazu: Diese Annahme besagt nicht Angleichung oder gar Kapitulation vor dem Zeitgeist, was immer das auch sei. Wer anerkennt, dass wir in einer offenen, geistig-pluralen Gesellschaft leben, anerkennt damit noch nicht den Pluralismus, den manche in dieser Gesellschaft bis hin zum Exzess der Vergleichgültigung jedweder Suche nach Wahrheit und Lebenssinn treiben.

Ich meine vielmehr eine Bereitschaft, sich auf diese offene, liberale, aber auch fragende und suchende Gesellschaft einzulassen, auf die Menschen, so wie sie heute sind, nicht wie sie nach unseren christlichen Vorstellungen sein sollten. Es braucht eine innere Empathie für Zeitgenossen, die tief in ihrem Herzen von den Herausforderungen der Moderne, etwa der ungeheuren Ausweitung unseres Wissens und unserer Fertigkeiten fasziniert, aber auch verunsichert sind. Das sieht zum Teil im Osten anders aus als im Westen. Aber insgesamt ist das geistige Umfeld, in dem wir das Evangelium auszurichten haben, in Ost und West gleich: Es gilt standzuhalten einer Ratlosigkeit, die fragt, was der verkündigte Gott des christlichen Glaubens mit dem eigenen Leben und der Entwicklung unserer Gesellschaft zu tun haben könnte.

Die Lebensoptionen sind heutzutage so plural und vielgestaltig geworden, das Herkommen und die Traditionen so brüchig, dass Menschen bis in die Mitte unserer Gemeinden hinein die bisher tragenden Selbstverständlichkeiten des Christlich-Katholischen anfragen und für sich neu begründen müssen. „Hier stehe ich – und ich könnte auch ganz anders!“ Das ist in Kurzfassung die Diagnose einer Befindlichkeit, die den Pluralismus der Gegenwart treffend kennzeichnet. Diese Situation anzunehmen, sich ihr zu stellen und in diesem nicht mehr vom christlichen Glauben dominierten Umfeld das Evangelium neu präsent zu machen, das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir als Kirche stehen.

3. Was hat das für Konsequenzen für den Weg unserer Kirche? Ich nenne drei Aufgaben, denen sich unsere Kirche mit ihren derzeit immer noch beachtlichen quantitativen und qualitativen Ressourcen verstärkt stellen muss:

(1) Wir brauchen ein Vertiefung und „Verheutigung“ unserer Gottesverkündigung. Das ist eine intellektuelle Herausforderung, in der sich angesichts heutiger Welt- und Lebenserfahrungen der Menschen Theologie und Bildungsarbeit unserer Kirche bewähren müssen, aber auch eine Herausforderung für die öffentliche Verkündigung, die Katechese und den Religionsunterricht. Es gilt, angesichts gegenwärtiger Infragestellungen des Glaubens verantwortet „Gott denken“ zu können, sonst droht die Gefahr, dass wir uns ins Sektenhafte verabschieden. Damit verbunden ist eine pastoral-praktische Herausforderung: Vermehrt werden in Zukunft „Wege erwachsenen Glaubens“ notwendig, die Einzelne und kleine Gruppen in eine mündige, auskunftswillige und auskunftsfähige Form des Christseins heute einweisen, bis hin zu einer Einübung dieses Christseins im modernen Lebensalltag. Die Pfarrge-meinden werden dabei ein wichtiger „Glaubensort“ bleiben, aber für zu-nehmend viele Menschen eben nicht der einzige.

(2) Unsere Kirche wird christlich-katholisch profilierte Orte der Diakonie brauchen, auch wenn die öffentliche Hand vieles nicht mehr so wie früher finanziell fördern kann. Weniger könnte dann auch mehr sein. Aber ohne solche Orte, an denen „das Sakrament des Bruders und der Schwester vor den Kirchentüren gespendet wird“ (wie Hans Urs von Balthasar einmal gesagt hat), kann Kirche nicht auskommen. Das können Schulen, Kindergärten, Bildungseinrichtungen sein, das können kleinere Initiativen Einzelner und Gruppen auf der Basis bürgerschaftlichen Engagements sein, aber eben auch überkommene oder neue Orte der Leib- und Seelsorge, in denen Kirche den Dienst der Fußwaschung im Sinn des Herrn leistet. Ich bin dankbar, dass die Bereitschaft, Orte der Diakonie auch als Orte der Pastoral neu zu entdecken und zu stärken, beim DCV und anderen Trägern katholischer Sozialarbeit, aber auch in den größer werdenden Pfarreien am Wachsen ist.

(3) Und schließlich brauchen wir mittelfristig, gerade angesichts des Streites um die rechte Weise der Feier der Eucharistie, eine Vertiefung der liturgischen und spirituellen Kompetenz – beim Klerus und (!) beim Gottesvolk. Wenn es zum Wesensvollzug der Kirche gehört, dass sie feiert, was sie bekennt, und dass sie betet, was sie glaubt, wird das Grundwasser einer liturgischen Frömmigkeit und spirituellen Bildung an Bedeutung gewinnen. Denn daraus wird gespeist, was ich in den beiden oben genannten Aufgaben ansprach.

Es gibt eine wachsende Sehnsucht nach dem Heiligen in der Gesellschaft, auch wenn atheistische Gereiztheiten und Tendenzen zum Blasphemischen ebenso (oder gerade deswegen?) zu registrieren sind. Der christliche Glaube wird sich in Zukunft stärker qualitativ präsentieren und weniger quantitativ. Auch heute gilt das Wort: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dennoch anderen Positionen gegenüber als dialogfähig zu erweisen. Die alte Selbstverständlichkeit gewinnt wieder neue Evidenz: Nur die Beter werden als Christen bestehen. Eine Kirche, die im Gottesgeheimnis fest verwurzelt ist, bleibt auch heute für die Menschen interessant. Dass dies so ist, darauf gründet meine Hoffnung – auch für unsere Kirche in Deutschland, die in eine neue Zeit hinein unterwegs ist.

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