"Seid Zeugen der Hoffnung"

Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des ZdK, im Rahmen des gemeinsamen Studientags des Ständigen Rates von DBK und ZdK in Würzburg -es gilt das gesprochene Wort.

Zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland:
Zukunftsgestaltung aus der Hoffnung. Gemeinsame Aufgabe von Laien und kirchlichem Amt

Dem II. Vatikanischen Konzil verdanken wir das Wort von der Kirche als dem pilgernden Volk Gottes. Pilgerschaft ist Tun und Bewegung. Vom Reden allein kommt niemand voran. Gleichwohl wissen Pilger wie Wanderer, dass ein gutes Gespräch stärkt und Klarheit bringt. Daher ist es manchmal gut und nützlich, innezuhalten und sich auszutauschen. Beginnen möchte ich deshalb mit unserem Dank an die Deutsche Bischofskonferenz, dass wir uns gemeinsam zu dieser Begegnung entschließen konnten. Unter Menschen, die in Freiheit und Verantwortung denken und handeln, entsteht und wächst Gemeinschaft im Gespräch und durch Gespräch. So ist Kirche als das durch die Geschichte pilgernde Volk Gottes nicht zuletzt eine Weggemeinschaft von Christen, die miteinander sprechen und aufeinander hören. Daraus wächst Verstehen und Vertrauen.

Am Anfang verweist unser Thema auf die Situation der Katholischen Kirche in Deutschland. Beschreibungen von Situationen oder Sachverhalten sind selten Triumphgesänge, denn sie erfordern einen nüchternen Blick auf die Wirklichkeit. Und diese ist meist widersprüchlich, wenn nicht besorgniserregend. Wer auf die Situation der Katholischen Kirche in Deutschland blickt, sieht gewiss viel, was von starkem Glauben zeugt – neue Aufbrüche, mutige Schritte zum Wandel und treues Bewahren des Bewährten. Aber er sieht auch Schwinden von Glauben, Rückzug aus der Gesellschaft und Festkrallen in Vergangenes und Überlebtes. Die Kraft des Glaubens und die Präsenz von Kirche nehmen unübersehbar ab. Zur Sorge um die Zukunft von Glauben und Kirche in diesem Land gibt es also viele Gründe. Es ist nicht zuletzt diese Sorge, die uns, Bischöfe und Laienrepräsentanten, hier zusammengeführt hat.

Freilich kommen wir hier nicht zusammen als Rat- und Mutlose. Und wir meinen auch nicht, Situationsanalysen allein könnten uns einen Weg zeigen. Keine noch so richtige Sachverhaltsbeschreibung nimmt uns Entscheidungen ab. Um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, brauchen wir Maßstäbe und den Willen zur Zukunft. Beides gibt uns die Frohe Botschaft Jesu Christi. Christliche Urteilsfähigkeit lebt aus dem Vertrauen auf Gott und seine Wahrheit. In jeder Situation ist der Christ ein Zeuge der Hoffnung. Überdies stehen wir nicht vor einem neuen Anfang, sondern die Kirche in Deutschland hat sich längst auf den Weg gemacht zu neuen, den gegenwärtigen Möglichkeiten und Anforderungen gemäßen Formen des pastoralen Wirkens. Die Dokumentation des Studientages der Frühjahrsvollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz „Mehr als Strukturen ... Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“ legt davon beredt Zeugnis ab. Wir sind uns auch dessen bewusst, dass in die Überlegungen und Entscheidungen auf der diözesanen Ebene die Katholikenräte bzw. Katholikenkomitees der Bistümer, wenn auch in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Konsequenzen, einbezogen wurden und einbezogen sind. Unsere Gespräche heute und morgen sind also Teil eines ständigen dialogischen Austausches.

Worin könnte also der Sinn und Wert unserer Gespräche hier in Würzburg bestehen? Wir wissen, dass die wichtigste Entscheidungsebene für die Regelung des kirchlichen Lebens im Rahmen der weltkirchlichen Ordnungen die Diözese ist. Aus geschichtlichen wie rechtlichen Gründen verbindet sich der Begriff der Ortskirche mit den Diözesen. Zugleich ist unbestreitbar, dass diese Ortskirchen eingebettet sind in einen geschichtlich gewachsenen Zusammenhang von Kultur, Politik und Wirtschaft, der sich in einem bestimmten Volk, in einer bestimmten Gesellschaft und in einer bestimmten Staatsverfassung manifestiert. Trotz europäischer Integration und trotz Globalisierung ist der nationale Bezug für das kirchliche Leben nach wie vor von überragender Bedeutung. Die Einsicht in den nationalen und damit überdiözesanen Zusammenhang hat ja auch schon früh zum Entstehen von Bischofskonferenzen geführt. Durch das II. Vatikanischen Konzil und die von ihm betonte Kollegialität des kirchlichen Amtes wurde ihr kirchenrechtlicher Status aufgewertet. So hat das Wort von der „deutschen Kirche“ oder der „deutschen Ortskirche“ durchaus eine gewisse Berechtigung. Jedenfalls liegt darin kein antirömischer oder antiweltkirchlicher Affekt, sondern dieser Ausdruck unterstreicht die gemeinsamen Aufgaben und die gemeinsamen Herausforderungen für die deutschen Katholiken als Gruppe in der Gesellschaft.

Es ist die deutsche Gesellschaft, die unser gemeinsames Aufgabenfeld darstellt. Trotz der geschichtlich gewachsenen kulturellen Vielfalt unseres Landes und trotz der fortdauernden geistigen und sozialen Folgen der jahrzehntelangen deutschen Trennung ist diese Gesellschaft eine Größe, die als ein, wenn auch spannungsreiches, Ganzes mit einer eigenen Identität charakterisiert werden kann. Darum ist Deutschland unbeschadet der Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Bistümer auch für die Kirche ein großer gemeinsamer Handlungsraum. Das gilt im Übrigen ja trotz der föderalen Struktur unserer Republik auch für die Politik, selbst dort, wo primär oder ausschließlich die Länder gefordert sind. Es ist der gesamtgesellschaftliche Diskurs, in dem die wesentlichen kulturellen und politischen Richtungsentscheidungen getroffen werden. Schon dies ist von erheblichem Einfluss auf den deutschlandweiten Handlungsraum, der auch für die Katholische Kirche von großer Bedeutung ist. Dazu kommen spezifisch katholische Faktoren wie der universitätsübergreifende Zusammenhang der akademischen Theologie, die Vielzahl von bistumsübergreifenden Institutionen und Arbeitsstellen, Projekten und Initiativen, welche von der Deutschen Bischofskonferenz oder vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken auf den Weg gebracht werden, die hohe Mobilität auch von Katholiken in einer modernen Gesellschaft und mithin auch von einem Bistum in ein anderes sowie nicht zuletzt die lange Tradition deutschlandweiter katholischer Verbände, Werke und Bewegungen. Deutschland ist also – aus gesellschaftlichen wie aus kirchlichen Gründen – ein großer gemeinsamer pastoraler Raum, mit ganz eigenen Chancen.

Zwei Grundfragen sind es, die sich uns dabei stellen: Wie lebt die Kirche als Volk Gottes in Deutschland und wie wirkt sie auch weiterhin in unserem Land als Kirche im Volk? Das eine ist vom anderen in seinen Handlungskonsequenzen nicht zu trennen. Und auch diese Handlungsfelder lassen sich als Fragen formulieren: Wie helfen wir uns in der Gemeinschaft der Kirche zu einem tieferen Glauben und zu einem gleichermaßen nüchternen wie zuversichtlichen Blick auf diese Zeit? Wie erreichen wir als katholische Christen heute und morgen die Gesellschaft und die Menschen in dieser Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen und gegensätzlichen sozialen und kulturellen Prägungen? Wie können wir diejenigen sein, die den Menschen überzeugend Mut machen und sie zur gemeinsamen Verantwortung zusammenführen? Wie kommen wir zu gemeinsamen Einsichten in das, was uns als Kirche frommt und was unserem Land Not tut? Wie nutzen wir die erprobten kooperativen und dialogischen Strukturen der deutschen Katholiken für Gespräche und Vorhaben, die uns fester zusammenbinden und uns in unserem gemeinsamen Bemühen weiter helfen? Wie entdecken wir gemeinsam die Weite und Zukunftskraft der Frohen Botschaft und teilen davon anderen mit?

Was wir erleben, ist eine fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft. Das ist sogar die Invariante in zwei scheinbar so gegensätzlichen Phänomenen wie der zeitweilig im Feuilleton behaupteten Wiederkehr des Religiösen und dem sich lautstark und unverhohlen hedonistisch artikulierenden Neuen Atheismus. Die einen basteln sich einen je eigenen Gott, die anderen bekennen sich offen zum je eigenen Lustgewinn. Zugleich zeigt uns die Finanz- und Wirtschaftskrise in geradezu dramatischer Weise, was für ein grotesker Irrtum die Vorstellung war, in einer sich immer weiter steigenden Globalisierung könne und müsse die Individualisierung immer weiter voranschreiten und jede überkommende gemeinschaftliche Identität auflösen. Entgegen vielfältiger und auch bitterer geschichtlicher Erfahrungen meinten viele, ein unbegrenzter Wettbewerb reiche aus, um hinter dem Rücken der Menschen den nötigen Zusammenhang herzustellen und die Entwicklung weiter zu treiben. Wahrheiten und Bindungen und das gemeinsame Wohl, so ging allenthalben die Rede, seien allenfalls von relativem Wert und im Grunde eine Gefahr für die individuelle Freiheit. Es ist diese Ideologie, welche viele Menschen den Willen und die Fähigkeit genommen hat, sich zum Glauben zu bekennen und den Glauben an die nächste Generation weiter zu geben. Worin sehen sie jetzt den Sinn ihres Lebens und worauf setzen sie jetzt ihr Vertrauen? Und werden wir einen Weg zu ihnen finden?

Auch Christen sind in dieser Situation ratlos und sollten sich vor zu schnellen Antworten hüten. Als erstes müssen wir aufeinander hören und so miteinander sprechen, dass in der Kirche eine Atmosphäre des Vertrauens herrscht. Das biete ich Ihnen hier an und darum bitte ich Sie in Namen aller, die im Auftrag des ZdK an diesem Gespräch teilnehmen. Zunächst werden uns selbst fragen müssen, was die Zeichen der Zeit sind und wie uns das Evangelium helfen kann, diese Zeichen zu erkennen und richtig zu deuten. Lösungen für unsere eigenen Schwierigkeiten und Wege für uns selbst und für die Gesellschaft werden wir nur finden können, wenn wir offen miteinander reden, die eigenen Ängste und Sorgen nicht verschweigen und die der anderen ernst nehmen. Das gilt ganz gewiss auch für das Verhältnis von Bischöfen und Laien zueinander. Dabei sollten wir, gerade in der jetzigen Situation, uns gemeinsam auf die geistigen und geistlichen Reichtümer der Kirche besinnen, denen schon Generationen von Menschen vertraut haben. Gewannen sie daraus den Mut, offen und vorurteilslos nach vorn zu blicken, dann gelang es ihnen auch, durch Krisen hindurch zu gehen und neue Wege zu bahnen. Auch im Gespräch mit unseren Mitmenschen muss dieser Reichtum im Mittelpunkt stehen. Es wäre unglaubwürdig, unsere offenkundigen Defizite und Fehlleistungen zu leugnen, und es wäre auch gut, wenn wir uns fragten, was wir daraus lernen können. Aber wichtiger als unsere vergangenen und gegenwärtigen Fehler und Schwächen ist die Hoffnung, die uns in Christus aufgeleuchtet ist. Nur durch sie haben wir auch die Kraft, aus der Defensive und der Selbstbezogenheit heraus zu finden, uns der Realität der Welt zuzuwenden, diese auch zu verstehen und zu beeinflussen und missionarische Kirche zu sein. Dann können wir auch Althergebrachtes und Liebgewonnenes loslassen und uns an neue unvertraute und erst noch zu meisternde Situationen wagen.

Die katholische Kirche in Deutschland hat auch deshalb eine Zukunft, weil zu ihr eine unübersehbare Zahl von Laien gehört, denen ihr Glauben für ihr eigenes Leben und für das Leben der Gesellschaft wichtig ist. Sie bilden einen großen Schatz von Erfahrung und Können wie auch von Energie und Begeisterungsfähigkeit. Zusammen mit ihren Bischöfen und Geistlichen wollen sie Volk Gottes und Kirche im Volk sein. Wir können durch unsere Gespräche heute und morgen dazu beitragen, dass dies immer besser gelingt.

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