Programmatische Vorstellung vor der Präsidentenwahl

von Alois Glück, Landtagspräsident a. D., im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Schwestern und Brüder,
meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste!

In den letzten Wochen habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, was kann das Zentralkomitee der deutschen Katholiken leisten, was muss es leisten und was kann es nicht leisten?

Was kann es leisten- nach innen? Zum Beispiel: Was bedeutet die Mitgliedschaft im Zentralkomitee, in der Vollversammlung. Welche Wirkung geht von der Mitgliedschaft auf die einzelnen Gemeinschaften aus? Welche Rolle hat das ZdK in der Kirche in Deutschland und im Gefüge der Weltkirche? Welche Wirkungen gehen von ihm aus?

Was kann das ZdK leisten – nach außen: In Gesellschaft und Staat?

Und was können wir auch nicht leisten – auch das ist wichtig, sich realistisch damit auseinander zu setzen - weil es uns vielleicht überfordert, weil es nicht unsere spezifische Aufgabe sein kann? Es ist wichtig, dass wir uns darüber verständigen, damit wir uns nicht verzetteln oder uns nur mit uns selbst beschäftigen.

Ich bin nun seit mehr als 20 Jahren Mitglied im Zentralkomitee und in der Vollversammlung. Solche Fragen habe ich mir in der Vergangenheit nicht gestellt.

Durch den Katholikentag in München 1984 bin ich mit dem ZdK in Verbindung gekommen. Der damalige Präsident und Bayerische Kultusminister Prof. Hans Maier hat mich angeworben für den Vorsitz im Trägerverein. Dadurch wuchs wieder die Beziehung zum Zentralkomitee.

Nach der Mitarbeit in der katholischen Jugend, von 1958 an zunächst ehrenamtlich und dann von 1964 bis 1971hauptamtlich, hatte ich von der kirchlichen Laienarbeit eine Auszeit genommen. Über den Katholikentag führte der Weg dann wieder zurückgekehrt in die Strukturen.

In den folgenden Jahren habe ich im ZdK mitgearbeitet, bin gewissermaßen in den Zug gestiegen, ohne mich vertieft mit der Geschichte, der Entwicklung und Prägung oder den aktuellen Aufgabenstellungen auseinanderzusetzen. Warum erwähne ich das?

Bei vielen Gesprächen anlässlich der Frühjahrsvollversammlung in Berlin habe ich den Eindruck gewonnen, dass viele von uns in ähnlicher Weise dabei sind. Man kommt irgendwie hinein in die Vollversammlung, mehr oder minder bewusst. Man setzt sich dann mehr oder minder bewusst damit auseinander. Ich habe darüber hinaus den Eindruck gewonnen, dass sich im ZdK eine Vielfalt entwickelt hat, ein Spiegelbild der Vielfalt in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft. Das ist gut so. Damit sind aber auch unterschiedliche Erwartungen an das Zentralkomitee verbunden. Und darüber müssen wir miteinander beraten. Ich werde dazu bald einen Verfahrensvorschlag machen.

Das Zentralkomitee hat nicht nur eine lange Tradition, sondern auch eine große Wirkungsgeschichte.

Ich will aus Zeitgründen nur einige wenige Beispiele nennen, aber ich halte es für wichtig, dass wir sie uns vergegenwärtigen, dass wir um sie wissen, weil uns das auch ein Stück Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gibt. Wichtige Impulse für den Katholizismus in Deutschland und für die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Deutschland wurden gegeben zum Beispiel durch:
- die Katholikentage. Hier hat sich der Katholizismus in Deutschland den Fragen der Zeit wieder gestellt und Position bezogen.
- Das ZdK zählt zu den Pionieren der Ökumene: Das Ökumenische Pfingsttreffen 1971 und ökumenische Kongresse sowie die Ökumenischen Kirchentage 2003 sind Beleg dafür. Es waren Initiativen aus der Laienbewegung heraus. Der Ökumenische Kirchentag in München im nächsten Jahr ist gegenwärtig ein besonders wichtiges Projekt der Ökumene, wieder von Laien getragen.
- Aus dem ZdK kamen wichtige, ja prägende Impulse und Initiativen für die Würzburger Synode, ebenso für die entwicklungspolitische Arbeit der Katholischen Kirche in Deutschland.
- Dazu zählt auch die Initiative zur Gründung von Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa.
- Das Maximilian-Kolbe-Werk und die Maximilian-Kolbe-Stiftung sind wichtige Initiativen des Brückenschlags nach Polen.

Das sind nur einige wenige Beispiele. Dabei hat sich natürlich die Struktur und die Arbeitsweise des ZdK von den ersten Initiativen kirchlicher Laienarbeit auf der Basis des neu geschaffenen bürgerlichen Rechts im Jahre 1848 über die Wiederbegründung nach der Pause der Nazizeit bis hin zur Würzburger Synode und neuen innerkirchlichen Entwicklungen immer wieder verändert, eben im Prozess und in Bezug zu den Veränderungen in unserer Kirche und in der Gesellschaft.

Prof. Hans Joachim Meyer hat auf die Aufgabenbeschreibung im Statut hingewiesen. Ich will nochmals zwei Sätze zitieren, weil sie mir besonders wichtig sind für unser Selbstverständnis. Einmal: "Es (das ZdK) ist das von der Deutschen Bischofskonferenz anerkannte Organ im Sinne des Konzilsdekrets über das Apostolat der Laien (Nr. 26) zur Koordinierung der Kräfte des Laienapostolats und zur Förderung der apostolischen Tätigkeit der Kirche.
Die Mitglieder des Zentralkomitees fassen ihre Entschlüsse in eigener Verantwortung und sind dabei von Beschlüssen anderer Gremien unabhängig."

Zum Selbstverständnis des ZdK gehört, dass kirchliches Engagement und gesellschaftliches Engagement für uns keine Gegensätze sind. Bei der gemeinsamen Studientagung von Bischofskonferenz und ZdK zur Zukunft der Kirche in Deutschland im April diesen Jahres in Würzburg gab es einen fruchtbaren Erfahrungsaustausch über die gemeinsamen Perspektiven für die Zukunft der Kirche in Deutschland. Auf dieser Basis wollen wir mit den Bischöfen für die künftige Entwicklung unserer Kirche gemeinsam arbeiten. Ich möchte dass mir Mögliche tun, um auf dieser Grundlage die Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz vertrauensvoll und fruchtbar zu gestalten. Dafür bietet sich besonders an, dass wir die Gemeinsame Konferenz im Sinne auch gemeinsamer Beratung und gemeinsamer Arbeitsplanung möglichst ausbauen und damit wirksam und fruchtbar gestalten können.

Es gibt, und dass ist nicht zu leugnen, in unserer Kirche viele Spannungen und Verspannungen. Aber der Weg unserer Kirche durch die Zeit, der Weg des pilgernden Gottesvolks ist von Anfang an geprägt von Konflikten, vom Ringen um den richtigen Weg, um die notwendige Entwicklung und die notwendige Bewahrung der grundlegenden Wahrheiten unseres Glaubens. Ich sehe in solchen Konflikten ein Wirken des Heiligen Geistes.

Wo es keine Meinungsverschiedenheit mehr gibt, keine Vielfalt, sondern nur noch Einförmigkeit, gibt es keinen lebendigen Geist, keine geistige Kraft. Das gilt für unsere Kirche genauso wie für Kultur und Politik. Die entscheidende Frage ist, wie wir Meinungsverschiedenheiten in unserer Kirche austragen. Ob das Ringen um die Wahrheit und um den richtigen Weg vom Geist der Liebe, vom Respekt vor dem Anderen und seiner Gewissensfreiheit, vom Anspruch des christlichen Menschenbildes geprägt ist oder vom Geist der Unversöhnlichkeit, der Ausgrenzung, des Anspruchs, dass nur die eigene Position die allein katholische ist. Es ist eine wichtige und notwendige Aufgabe, auch in der gegenwärtigen Situation unserer Kirche diese Kultur des Dialogs und der Kontroverse gut zu gestalten, dafür eine gute Kultur zu haben, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Auch weil die Glaubwürdigkeit unseres Anspruchs an die politische Kultur und die Qualität der Auseinandersetzung in der Gesellschaft wesentlich davon abhängt, wie wir unter uns, in unserer Kirche Spannungen und Konflikte austragen.

Josef Kardinal Ratzinger hat in dem Interviewband mit Peter Seewald "Salz der Erde“ formuliert: "Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt." Diese grundsätzliche Anerkennung der unterschiedlichen personalen Beziehung zu Gott und der Gestaltung aus dem Glauben bedeutet nicht Beliebigkeit, begründet aber eine grundsätzliche Offenheit für unterschiedliche Wege des Glaubensvollzugs.

Eine Kirche, die selbstbewusst missionarisch ist, geht offen auch in Milieus, die ihr zunächst fremd sind. Ich sehe in unserer Kirche zu viel Ängstlichkeit gegenüber der modernen Welt, zu viel Abwehr, zu viel Tendenz, in den eigenen Schutzräumen zu bleiben. Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Eine missionarische Kirche wird aber ohne die Erfahrung und Mitwirkung der Laien und deren Möglichkeit mitzugestalten, wenig wirksam sein.

Ich stimme ganz dem zu, was Caritas-Präsident Prälat Dr. Peter Neher bei der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes anlässlich seiner Wiederwahl formuliert hat: "In den kommenden Jahren werden die Weichen gestellt, ob wir eine Kirche werden, die sich auf den heiligen Rest beruft, oder ob wir eine Kirche sind, die weiter mitten unter den Menschen präsent ist."

Die Entwicklungen dieser Zeit sollten wir nicht als Bedrohung, sondern als Aufgabe sehen. Ganz im Sinne des Leitwortes des Hamburger Katholikentages "Sein ist die Zeit", was auch heißen sollte: "Diese Zeit ist Gottes Zeit".

Als Laien wollen wir nicht die Aufgaben und Kompetenz des Priesteramtes, des Bischofsamtes. Wir sind aber mitverantwortlich für die Situation und die Entwicklung unserer Kirche. Das ist auch ein Anspruch an uns selbst, dass sollten wir uns auch vor Augen halten, wenn wir über Notwendigkeiten der Veränderungen und Weiterentwicklungen unserer Kirche debattieren, unter manchen Situationen leiden, unsere Erwartungen aber gelegentlich auch nur einseitig an die Träger der kirchlichen Ämter adressieren. Nicht nur "die Kirche" muss sich immer wieder verändern und weiterentwickeln, dies gilt ebenso für die Inhalte, Strukturen und Arbeitsweisen des Laienkatholizismus in Deutschland.

Unser besonderer Auftrag als Laien ist neben dem Engagement in der Kirche das Engagement in Gesellschaft und Staat. Ich sehe, in dem Schwerpunkt nicht die Ausschließlichkeit aber durchaus den Schwerpunkt des Zentralkomitees. Dabei ist aber mein Eindruck, dass wir in unserer Kirche Beratungs- und Klärungsbedarf haben über die Bedingungen des Engagements von Katholiken im öffentlichen Leben, in der sowohl persönliche Überzeugungen wie auch offizielle kirchliche Positionen in einer offenen Gesellschaft und bei der Trennung von Staat und Kirche nicht einfach eins zu eins übersetzt werden können. Es ist natürlich einfacher, in den Schutzräumen der eigenen Gesinnungsgemeinschaft zu bleiben, als sich in die öffentliche Debatte, die geistigen Auseinandersetzungen, auch den Wettbewerb unterschiedlicher Wertvorstellungen und Überzeugungen einzubringen – notwendigerweise auch mit der grundsätzlichen Bereitschaft zum Kompromiss. Wenn Engagement mit der Notwendigkeit des Kompromisses innerkirchliche Ausgrenzung zur Folge hat, ist dies keine Ermutigung. Wer Weltgestaltung als Auftrag der Christen bejaht, muss sich auch diesen Wirklichkeiten stellen.

Ich widerspreche denen, die meinen, dass christliche Werte in dieser Zeit ohnehin keine Chance hätten. Im Gegenteil: Wir haben heute mehr Chancen als vor zehn oder auch fünf Jahren, mit solchen Positionen und Argumenten gehört zu werden. Das ist eine Folge allgemeiner Verunsicherungen, der Erkenntnis, dass Konsum und Lebensstandard noch nicht sinnstiftend sind, der Erfahrungen der Grenzen bisheriger Entwicklungen und der Zusammenbrüche von Verheißungen. Noch nie waren so viele Menschen auf der Suche nach Sinn und Orientierung unterwegs wie gegenwärtig.

Dazu zählt, dass Religion wieder einen neuen Stellenwert hat, nicht als rückständig und gestrig gilt. Ebenso ist Wirklichkeit, dass es einen organisierten aggressiven Atheismus gibt. Wir müssen uns in die aufbrechenden geistigen Auseinandersetzungen stärker einbringen. Zum Themenkreis Religion gehört auch die Bedeutung des Islam in Deutschland, in Europa und weltweit. Ich plädiere dafür, dass wir uns als ZdK mit dieser Realität intensiver befassen. Wie viel wissen wir über den Islam? Sind wir in der Lage, unsere eigenen Positionen klar zu formulieren und reichen unsere Kenntnisse über den Islam, um überhaupt in ein Gespräch, in einen Dialog oder auch in eine kontroverse Diskussion einzutreten?

Liebe Schwestern und Brüder, wirksam können wir nur sein, wenn wir für die Zeichen der Zeit offen sind.

Der Historiker und frühere US-Außenminister Henry Kissinger hat zum Jahreswechsel 2006/2007 formuliert: "Die Welt befindet sich an der Schwelle gleichzeitiger Umbrüche, die es so in der Geschichte noch nicht gab." Mittlerweile sind große Ereignisse und Aufgaben wie die Finanzkrise und der Klimawandel hinzugekommen. Allmählich wird Allgemeingut, dass die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus in jedem Fall anspruchsvoller und anstrengender sein werden als die vergangenen zehn oder zwanzig Jahre.

Es wird für viele Menschen immer offensichtlicher, dass ein "Weiter so" unserer Art zu leben eine Sackgasse ist. Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig.

Was ist eine zukunftsfähige Kultur, was sind ihre Merkmale und ihre Handlungsfelder? Diese Fragestellung beschäftigt mich persönlich seit etwa zwei Jahren sehr intensiv. Die Krisen werfen neue Fragen auf und führen zu neuen Chancen. So hat die Finanzkrise zu einer neuen Wertedebatte geführt. Beispiel: "Vertrauen" wird plötzlich entdeckt als die wichtigste Währung im Finanzsystem, weil ohne Vertrauen und vertrauenswürdiges Verhalten, weil die ganze moderne Welt auf Dauer nicht existieren kann und viele andere Beispiele. Es beginnt eine Debatte über den Unterschied von Lebensstandard und Lebensqualität. Die tieferen Ursachen dieser Krise sind ja Wertvorstellungen, Leitbilder und Lebensstile. Wir sollten die Krisen, den Zwang zur Neuorientierung, der da ist, ob es den Leuten gefällt oder nicht, auch als Chance begreifen. Eine Chance der Mitwirkung und des Mitgestaltens.

Die Soziale Marktwirtschaft und der Sozialstaat sind wesentlich geprägt worden durch die Prinzipien der Katholischen Soziallehre. Was ist unser notwendiger Beitrag in diesem gegenwärtigen Ringen um neue Ordnungen, im eigenen Land und unter den Bedingungen der Globalisierung und der weltweiten Vernetzungen?

Wir werden uns mit diesen neuen Entwicklungen, ihren Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Gefahren auseinandersetzen müssen, wenn wir nicht nur Zuschauer sein wollen. Klagende vielleicht, Moralisierende, aber eben nur Zuschauer und es wäre fatal, wenn wir dabei primär eine Angstkultur womöglich pflegten, nur die Risiken und nicht auch die Chancen der neuen Entwicklungen sehen würden.

Welche Tagesordnung zeichnet sich aus meiner Sicht, natürlich auch eine subjektive Sicht, für die nächsten Jahre ab – eine Tagesordnung, der wir uns als Bürger und als Christen stellen müssen, weil wir damit konfrontiert werden? Was kann das ZdK dazu beitragen? Darüber sollten wir gemeinsam beraten; ich will hier nur Themen als Anregung und als Impuls formulieren, nicht als Anspruch, dass es so sein muss, oder dass es schon das Arbeitsprogramm von morgen und übermorgen wäre.

Die großen Jahrhundertthemen wie Klimaveränderungen, künftige Energieversorgung, Ernährung der Weltbevölkerung, Konflikte um Wasser und Rohstoffversorgung stehen schon auf der Tagesordnung. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika "Caritas in veritate" und erst diese Woche in der Konferenz der EVO über die Ernährung der Weltbevölkerung dazu Positionen bezogen und wichtige Impulse gegeben.

Es ist absehbar, dass wir in den nächsten Jahren zu schweren Verteilungskonflikten in unserer Gesellschaft kommen und die zukünftige Ausgestaltung und auch Weiterentwicklung des Sozialstaates eines der ganz zentralen Themen wird. Wir müssen uns aber auch damit auseinandersetzen, wie wir in unserer Leistungskraft an der Spitze der leistungsfähigen Länder der Erde bleiben können. Jedenfalls müssen wir das so lange, als wir den Wunsch haben, auch im Lebensstandard und in der Lebensqualität einschließlich Sozialstaat in der Weltspitze dabei zu sein. Das eine gibt es nicht ohne das andere und der Maßstab wird sich nicht daraus ergeben, ob wir uns einigen können, sondern was die leistungsfähigen Länder dieser Erde an Maßstäben setzen.

Zu den großen Aufgaben dieser Zeit, auf jeden Fall innerpolitisch, zählen die Auswirkungen der demographischen Entwicklung. Dies verändert unser Land von innen her. In den sozialen Strukturen in den sozialen Netzen. Das Thema "Generationengerechtigkeit" wird neu aufbrechen. Momentan ist die junge Generation ruhig, sie wird aber auf Dauer nicht ruhig sein und es sind schwierige Konsequenzen für die ältere Generation damit verbunden. Wer soll sich dann über ein solches Thema, dass notwendigerweise eine Gesamtschau braucht, annehmen, wenn wir es nicht in unseren Kirchen tun, die wir nicht als Verbände organisiert sind, die auf ihre jeweiligen Teilbereich der Bevölkerung orientiert sein müssen. Und schließlich, zu den wichtigen Entwicklungen und Aufgaben zählt auch die Herausforderung oder die Aufgabe der Integration, des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung auf einer gemeinsamen Wertebasis. Es ist ein weithin verdrängtes Thema, für die Politik eine Gradwanderungen. Aber die Zukunft, der innere Friede in unserem Land und vieles andere wird ganz wesentlich davon abhängen, wie Integration gelingt.

Das Zentralkomitee hat in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Würde des Menschen am Lebensende geleistet. Es gilt, hieran weiterzuarbeiten. Mich treibt um, dass in Deutschland Millionen von Menschen mehr leiden müssen, als nach heutigem Stand nötig wäre, weil die Anwendung der Erkenntnisse von Schmerztherapie und Palliativmedizin auf einem kläglichen Stand sind. Es genügt nicht, zur so genannten "aktiven Sterbehilfe" nein zu sagen; viele suchen diesen Weg weil sie Angst haben vor einer langen Wegstrecke des Leidens. Wir müssen uns engagieren für den flächendeckenden Ausbau des Angebots, etwa der Hospizbewegung und des Einsatzes der Palliativmedizin, in den Krankenhäusern, aber vor allen Dingen in der Fläche. 70 % der Menschen möchten im vertrauten Lebenskreis sterben. Das ist eine der wichtigen humanen Aufgaben unserer Zeit. Die Kirche, unsere Kirche, unsere sozialen Organisationen haben viele wichtige Pionierarbeiten geleistet, die heute anerkannter Standard und Aufgabe einer modernen Gesellschaft sind. Hier ist eine der ganz wichtigen Aufgaben.

Liebe Schwestern und Brüder, für alle diese Aufgaben unserer Zeit habe wir etwas einzubringen. Das Menschenbild, das wir als das christliche Menschenbild bezeichnen. Es ist aus meiner Sicht - auch als Ergebnis jahrelanger Befassung damit - der unverzichtbare Kompass. Ein Bild von Menschen, das keine Unterscheidung kennt nach Alter, Rasse, Leistungsfähigkeit oder irgendwelchen Kriterien, dass unabhängig ist von der Religionszugehörigkeit ist der unverzichtbare Kompass für eine humane Zukunft. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Ankersatz unserer Verfassung hat seine Quelle in der jüdisch-christlichen Tradition, in diesem Menschenbild. Gehen wir offen und selbstbewusst damit um, indem wir Konkretes entwickeln. Dazu zählten die Prinzipien und die Erfahrungen der Christlichen Soziallehre. Wir brauchen eine neue Qualität der Kultur der Verantwortung, der Verantwortung für uns selbst, der Verantwortung für die Mitmenschen, für das Gemeinwesen, und - das ist in meinen Augen die größte ethische Herausforderung unserer Zeit - Verantwortung für die Nachkommen. Um es in einem Vergleich zu sagen, woher nimmt ein Volk die Kraft, sich so zu verhalten, wie Eltern, die um der Zukunft ihrer Kinder willen auf das eine oder andere verzichten. Nur mit Faktenwissen ist das nicht leistbar. Es geht nur auf der Basis von Wertvorstellungen und es wird auch dann schwierig genug sein.

Neben den "Pflichtaufgaben eines Präsidenten" für das Leben und die Abläufe in der Organisation Zentralkomitee der deutschen Katholiken und für die Außenvertretung sehe ich eine Aufgabe auch darin, Anregungen und Impulse zu geben, den Raum für die offene Debatte zu sichern und dann zu entsprechenden Schlussfolgerungen für gemeinsames Handeln zu kommen.

Darum werde ich vorschlagen, dass sich zunächst das Präsidium in einer Klausurtagung mit dem ganzen Themenkreis der Situation und der zukünftigen Aufgabenstellungen des Zentralkomitees befasst und dann, ich hätte es gerne noch im ersten Quartal des nächsten Jahres, der Hauptausschuss. Dann könnten wir bei der Frühjahrsvollversammlung im April in München diese Beratungen weiterführen und auch nach geeigneten Strukturen suchen, wie wir bei einer großen Versammlung und in der Gesamtgemeinschaft dies konstruktiv weiterverfolgen können.

Am Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Vielleicht haben Sie sich gefragt, warum ich nun doch bereit bin, zu kandidieren, nachdem ich früher abgelehnt hatte. Nach vier Jahrzehnten im öffentlichen Leben mit einem sehr hohen Preis für die Familie, aber auch in meinem Lebensalter wollte ich nicht noch einmal so eine große Aufgabe übernehmen. Als sich die Erwartungen immer mehr auf mich konzentrierten, war ich auch damit konfrontiert, dass ich die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, immer betont habe, um nicht zu sagen gepredigt habe. Und ich verdanke der Mitarbeit in der Laienarbeit und den damit verbundenen Begegnungen sehr viel. Das hat meinen Lebensweg geprägt. Für die Entscheidung, ja zu sagen, war aber vor allem ein Satz von Martin Buber bedeutsam, der mir bei vielen Entscheidungen eine wichtige Orientierung war:
"Gott spricht zu den Menschen durch die Ereignisse und den Menschen, die er ihnen in den Weg schickt."

In diesem Sinne sah ich mich in die Pflicht genommen.

Damit möchte ich alle meine Kräfte und Fähigkeiten für diese Aufgabe einbringen.
Ich bitte Sie um Ihr Vertrauen für die Wegstrecke, die gemeinsame Wegstrecke der nächsten vier Jahre.

Alois Glück Landtagspräsident a. D.

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