Marktwirtschaft – nicht ohne Ethik, nicht ohne Regeln!

Zwischenruf des Sachbereichs "Gesellschaftliche Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Kurzfassung des Zwischenrufes

Plädoyer

Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist es ein zentrales Anliegen, auf die politischen und gesellschaftlichen Grundfragen unserer Zeit realistische Antworten aus dem christlichen Verständnis vom Menschen zu finden. Dabei hat die Wirtschaftsordnung eine besondere Bedeutung, denn sie ist ein Stützpfeiler unserer Gesellschaft. Dies spüren wir in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise mehr denn je.

In den ethischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft spiegeln sich die Prinzipien der christlichen Gesellschaftslehre wider. Darum geht es für Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung um die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft immer auch um die Stärkung der grundlegenden und für das menschliche Zusammenleben zentralen Ordnungsprinzipien Personalität, Subsidiarität, Solidarität und Nachhaltigkeit. Die christliche Gesellschaftslehre geht von der Einsicht aus, dass Individual- und Sozialethik zusammengehören: Die beste Ordnungspolitik versagt beim moralischen Fehlverhalten der Akteure, das beste Verhalten des einzelnen Akteurs versagt, wenn die Ordnungspolitik Fehlanreize setzt. Es geht um beides: Neben den notwendigen Verbesserungen der ordnungspolitischen Regeln bleibt die Verantwortung der Einzelnen und der Unternehmen unabdingbar.

Die Dramatik der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise hat zwei Dinge erwiesen:

- Es gibt keine gute Marktwirtschaft ohne klare Rahmenregeln.

- Auch eine geordnete Marktwirtschaft kann nicht funktionieren, wenn die einzelnen wirtschaftli-chen Akteure meinen, frei von moralischen Selbstverpflichtungen und ohne gesamtgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein handeln zu können.

Genau diese beiden Dimensionen aber gehörten von Anfang an zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. In diesem Sinn hat die Soziale Marktwirtschaft nicht nur in den zurückliegenden 60 Jahren ihre Wirkungskraft erwiesen. Vielmehr hat das Konzept auch in der gegenwärtigen Krise die unverzichtbare Aktualität einer ethisch fundierten Wirtschaftsform unter Beweis gestellt. Die Soziale Marktwirtschaft hat maßgeblich – auch durch die soziale Partnerschaft in den Unternehmen – zum sozialen Frieden, zum sozialen Ausgleich und zur sozialen Sicherung in unserer Gesellschaft beigetragen. Sie ist leistungsstark und moralisch anspruchsvoll. Die zentrale Zukunftsfrage lautet, wie sie ihre wirtschaftliche Effizienz und ihre soziale Funktion unter den Bedingungen der ökonomischen Globalisierung entfalten und zugleich die richtigen Anreize für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung setzen kann. Ohne ethisch verantwortlich handelnde Unternehmer und Unternehmen und ohne die Einhaltung wichtiger Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft wird das nicht möglich sein.

Mit diesem Zwischenruf will das ZdK die Unternehmensethik näher in den Blick nehmen und Anstöße zur notwendigen Diskussion geben. In einer wertorientierten Unternehmensethik, unterstützt durch ordnungspolitische Rahmenbedingungen, die ethisches Handeln ermöglichen und belohnen, sehen wir den Schlüssel für Erfolg und Anerkennung der Sozialen Marktwirtschaft. Vor diesem Hintergrund plädiert das ZdK für eine Stärkung des bewährten Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft kombiniert mit einem befristeten, also zeitlich vorübergehenden, regulierenden Eingreifen des Staates mit dem Ziel der Systemstabilisierung. Mit anderen Worten: Staatliches Handeln hat den Erhalt der Sozialen Marktwirtschaft zum Ziel.



Marktwirtschaft – nicht ohne Ethik, nicht ohne Regeln!

Zwischenruf des Sachbereichs "Gesellschaftliche Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Sinkendes Ansehen der Sozialen Marktwirtschaft

Bereits vor der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise ist das Ansehen unseres Wirtschaftssystems aufgrund einer Reihe von Verstößen gegen die Regeln und Werte der Sozialen Marktwirtschaft gesunken. Zunächst waren es einzelne "Störfälle" in der Wirtschaft – wie z. B. Steuerhinterziehung im großen Stil oder Korruption als Teil der Unternehmensstrategie zur Auftragsakquisition. Mit der Krise traten immer mehr Missstände und Fehlentwicklungen zu Tage – wie z. B. verzerrte Entlohnungs- und Anreizsysteme oder das Eingehen von Risiken ohne Verantwortungsübernahme. Diese jüngsten Fehlentwicklungen sind so gravierend, dass sie eine Erosion der Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft andeuten mit eklatanten Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt: Sie zerstören Vertrauen – auch in unser politisches System – und bedrohen den sozialen Frieden. Das ZdK nimmt diese Bedrohung ernst und appelliert an alle Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, ihre Verantwortung wahrzunehmen und neue Regeln und Rahmenbedingungen einzuführen.

Große Teile der Bevölkerung, aber auch der Politik haben zunehmend das Gefühl eines generellen Verlustes der Kontrolle über das eigene Schicksal. Man fühlt sich einer übermächtigen und scheinbar regellosen Wirtschaft und Finanzwelt ausgeliefert. Die weltweite Vernetzung des Handelns (ökonomische Globalisierung) führt zur Entgrenzung der Wirtschaftsräume und der Wirkungen wirtschaftlichen Handelns durch anonyme Kapitalgesellschaften. Damit werden (lokale) Regeln ethischer (oft christlich motivierter) Konditionierung von möglichen Handlungsvarianten aufgehoben oder zumindest nachhaltig geschwächt.

Die Krise stellt uns vor neue Herausforderungen. Insbesondere muss nach einem global gültigen und durchsetzbaren Regelwerk gesucht werden. In Gestalt der Sozialen Marktwirtschaft verfügt Deutschland über ein solches Regelwerk, das Vorbild für andere Länder sein könnte. Das ZdK plädiert deshalb für eine Stärkung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft und appelliert an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, zur Verbreitung dieses Modells im globalen Zusammenhang beizutragen.

Gleichzeitig sehen wir die dringende Notwendigkeit für das staatliche Eingreifen in der Ausnahmesituation der Krise. Aus ordnungspolitischen Gründen kann dieses Eingreifen aber nur zeitlich befristet erfolgen mit dem Ziel, den Wirtschaftskreislauf wieder zu stabilisieren und so ein weiteres Ausgreifen der Krise zu verhindern. Grundsätzlich muss der Staat seine Aufgabe vor allem darin sehen, Kontrollmechanismen wirksamer zu gestalten.

Ordnung und Moral der Sozialen Marktwirtschaft

Das ZdK plädiert für das Ordnungskonzept einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft, in dem der Wettbewerbsordnung und in ihr den Unternehmen eine zentrale Rolle zukommt. Sie geht von der Erkenntnis aus, dass eine funktionsfähige Wirtschaft zu den Bedingungen menschenwürdigen Lebens zählt. Das Ziel dieser Ordnung muss daher sein, jedem Menschen die Chance zu geben, sich seinen individuellen Fähigkeiten, Neigungen und Anstrengungen entsprechend zu beteiligen. In dieser Beteiligungsgerechtigkeit, die alle Gesellschaftsmitglieder auch tatsächlich berücksichtigt, besteht der moralische Gesichtspunkt der christlichen Gesellschaftsethik. Hierbei stehen sowohl die Beiträge der Leistungsfähigen zum Gemeinwesen als auch die Integrationsfähigkeit des Gemeinwesens mit dem Ziel eines gelingenden Zusammenlebens aller im Vordergrund. Denn nur so können auf Dauer sozialer Frieden, sozialer Ausgleich und soziale Sicherung bewahrt bzw. hergestellt werden.

Im Zentrum der moralischen Orientierung steht also immer der Mensch als Person in seinen sozialen Bezügen. Die Prozesse des Wirtschaftens müssen dem Wohl der Person zugeordnet bleiben. Beteiligung aller gemäß ihren Fähigkeiten setzt deshalb auch voraus, dass die Partizipationschancen unterschiedlich starker Marktteilnehmer ordnungspolitisch gesichert werden und dass Spielregeln für eine nachhaltige Wirtschaftsweise verbindlich gesetzt werden, damit sie auch den nachfolgenden Generationen vergleichbare Beteiligungsmöglichkeiten sichern.

Die zentrale Stellung der Person prägt auch die Ethik des Unternehmers und des Managers: Kein Verantwortungsträger in der Wirtschaft ist auf seine Funktion im Unternehmen zu reduzieren; unternehmerische Entscheidungen werden von Menschen und für Menschen getroffen. Soziale Verantwortung, Vertrauen, Sorge für andere und für sich selbst bestimmen unternehmerisches Handeln notwendigerweise mit und qualifizieren es in moralischer Hinsicht.

Im Zentrum eines christlichen Verständnisses der Moral der Sozialen Marktwirtschaft steht die inhaltliche Füllung der beiden Begriffe "Solidarität" und "Gerechtigkeit", die auch den Spannungsbogen des gemeinsamen Wortes der beiden Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von 1997 ausmachen:

Dabei thematisiert die Solidaritätsfrage das Problem, wer zur Solidargemeinschaft gehört, wessen Interessen nach christlichem Verständnis also Berücksichtigung finden sollen. Im Lichte des christlichen Gebots der Nächstenliebe zeigt sich, dass zur Solidargemeinschaft alle Menschen gehören. Solidaritätsverpflichtungen enden nicht bei der eigenen Familie, nicht an den Grenzen des eigenen Landes oder Kontinents, sondern beziehen alle Menschen dieser Erde mit ein.

Gehören alle Menschen als Personen zur christlich verstandenen Solidargemeinschaft, so ergibt sich die Frage, welche Entscheidungen und Regelungen den Menschen dieser Solidargemeinschaft wirklich gerecht werden. Diese Gerechtigkeitsfrage verlangt nicht nur eine unparteiische, sondern auch eine dem Leben des einzelnen Menschen dienende Ausgestaltung der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft und der Unternehmen. Es geht um die Ermöglichung und tatsächliche Wahrnehmung von Verantwortung in sozialen Zusammenhängen. Mitbestimmung im Unternehmen, klare Zuständigkeitsregelungen und Anforderungen an die Transparenz unternehmerischer Entscheidungsprozesse können von hier aus entwickelt werden.

Dabei verlangt das Subsidiaritätsprinzip die Ordnung der Wettbewerbswirtschaft und die ihr zugrundeliegenden Regeln so zu gestalten, dass deren Befolgung für den Einzelnen akzeptabel ist und der Staat möglichst nicht im Einzelfall eingreifen muss. Der Ruf nach neuen Regeln mit dem Ziel der Möglichkeit zur stärkeren Einzelfallintervention will daher sorgfältig erwogen sein. Damit ist aber zugleich eine unerlässliche ordnungspolitische Rolle des Staates einzufordern und anzuerkennen. Denn der Markt kann eben nicht aus sich heraus eine personengerechte Entwicklung des Wirtschaftens für alle garantieren. Angesichts der Ungleichheit individueller Lebensbedingungen und Voraussetzungen für die Teilnahme an wirtschaftlichen Prozessen kommen dem Staat die Aufgaben der Sicherung, der Regulierung und der Begrenzung von Marktprozessen sowie der (begrenzten) Umverteilung ökonomischer Ressourcen zur Sicherung der Teilhabechancen für alle zu.

Unternehmensstrategien und Wertorientierung

Das ZdK fordert die Einführung von Regeln und Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass moralische Interessen begründet und unter den Bedingungen der modernen Marktwirtschaft dauerhaft (nachhaltig) zur Geltung gebracht werden können. Ein wichtiges Bewährungsfeld der Unternehmensethik ist der mögliche Konflikt zwischen Gewinn und Moral. Allerdings gibt es hier keine vorgegebene Relation: Von vornherein gilt weder "good ethics is bad business" noch "good ethics is good business". Es gibt Fälle, in denen sich eine ethisch orientierte Unternehmensstrategie auszahlt. Es gibt aber auch Fälle, in denen einseitige moralische Vorleistungen eines Unternehmens von den Konkurrenten ausgenutzt werden. Das ethisch nicht akzeptable Verhalten einzelner Akteure und die Verletzung wichtiger ordoliberaler Prinzipien z. B. die Verletzung von Walter Euckens "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" wie Geldwertstabilität, Haftung etc. – machen Änderungen der volkswirtschaftlichen oder globalen Rahmenbedingungen ("Spielregeln") unabdingbar.

Da die soziale und ökologische Marktwirtschaft als ordnungspolitisches Konzept verstanden wird und daher das wirtschaftliche Geschehen gerade nicht bis in den Einzelfall hinein kontrolliert werden kann (und auch nicht soll), müssen Gesellschaft und Politik auf die Wertorientierung der Akteure setzen. Unternehmer sollten von sich aus ein Interesse an wertorientiertem Handeln haben. Denn nachhaltige Unternehmenserfolge setzen voraus, dass sich die Unterneh-mensstrategie an einer eher langfristigen Perspektive, Verantwortungsübernahme, guter Reputation, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit etc. orientiert. Die Ausgangssituation ist bei eigentümergeführten Unternehmen anders als bei managergeführten Unternehmen. Während die einen unmittelbar verantwortlich sind, sehen sich die anderen differenzierten Verantwortlichkeiten gegenüber. Für alle Unternehmen gilt aber der Anspruch der Sozialen Marktwirtschaft, dass ethisches und gewinnorientiertes Handeln sich nicht gegenseitig ausschließen müssen. Zwar wäre es unrealistisch anzunehmen, dass sich Moral immer und in jeder Situation auszahlt, dennoch ist es oftmals so, dass Ethik als integraler Bestandteil der Gewinnmaximierungsstrategie honoriert werden und zu höheren Unternehmenswerten führen kann. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass Unternehmen ihr ethisches Handeln verringern oder ganz außer Acht lassen, sobald sich die Marktsignale entsprechend ändern. Entscheidend ist eine nachhaltige ethische Ausrichtung: Die Unternehmen tragen die Verantwortung, in jeder lokalen Entscheidungssituation den Spielraum auszuloten, wie Moral und Gewinn vereinbart werden können. Ethisches Handeln und moralische Überzeugungen müssen fest in der Unternehmenskultur verankert sein. Das bedeutet auch, dass ethische Standards aus den Unternehmen selbst heraus entwickelt werden müssen und dass bei der Einstellung von Managern nicht nur auf deren fachliche Qualifikation zu achten ist, sondern auch auf ihre Einstellung in sozialen und ethischen Fragen.

Zur sozialen Verantwortung von Unternehmern und Managern gehört es, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Menschen mit Fähigkeiten, Bedürfnissen und einem sozialen Umfeld (Familie) und nicht nur als ökonomische Ressource zu sehen sowie Fairness in den unternehmensinternen Beziehungen und hinsichtlich der Wahrnehmung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Träger je bestimmter Aufgabenverantwortung zu üben. Partizipationsorientierung und Qualitätsmanagement müssen als zwei Seiten einer Medaille begriffen und umgesetzt werden. Unternehmerisches Denken muss sich auch an langfristigen Folgen orientieren. Unternehmerische Entscheidungen müssen transparent gemacht werden, um innerhalb des Unternehmens und in den Marktinteraktionen Vertrauen hervorrufen zu können. Darüber hinaus versteht es sich von selbst, dass ökonomischer Sachverstand und dessen erfolgreiche Anwendung in den unternehmerischen Prozessen eine schlechthin unerlässliche
Voraussetzung für die Führung und das Management eines Betriebs sind – und damit als Grundlage unternehmerischer Verantwortung auch ethisch eingefordert werden müssen.

Eine solche, ökonomisch und sozial verantwortliche ethische Grundorientierung in Unternehmen wird leichter durchsetzbar sein, wenn die Unternehmensleitung (Eigentümer oder Manager) aner-kennt, dass Transparenz, kontinuierliche Information, Mitbestimmung und Mitarbeiterbeteiligung das Betriebsklima verbessern, für sozialen Frieden und soziale Partnerschaft sorgen und damit wichtige Grundvoraussetzungen für das Gelingen des Unternehmens in seiner Gesamtheit sind. Das ZdK plädiert für eine umfassende Kultur der Beteiligung in Unternehmen. Zu einer zukunftsfähigen Betriebsverfassung gehört auch eine effektiver gestaltete, auch auf den Arbeitsplatz bezogene Mitbestimmung im Rahmen einer Unternehmensverfassung. Ziel ist eine Gesellschaft von Teilhabern, die aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern Partner macht.

Förderlich für diese Art von Unternehmenskultur ist der ständige Dialog zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern. Dieser sollte geprägt sein von kritischer Loyalität, die auch den Widerspruch einschließt: Mitarbeiter müssen häufig ihre eigene Urteilsautonomie übergeordneten Werten und Normen des Unternehmens loyal unterstellen, um den Steuerungssignalen der Führung zu entsprechen. Umso wichtiger ist es, dass die Unternehmensführung eine Kultur des legitimen Widerspruchs im Sinne der Fehlervermeidung und damit Verlustvermeidung zulässt und fördert. Durch die Kontrolle und Forcierung des Einhaltens ethischer Normen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur zur langfristigen Werterhaltung und Wertsteigerung des Unternehmens beitragen. Sie leisten damit auch einen Beitrag zu einem besseren gesellschaftlichen Klima, indem sie Störfälle aufdecken bzw. diese schon im Entstehen verhindern.

Finanzmärkte als besondere Herausforderung

Der festen Verankerung ethischer Maßstäbe in die Unternehmensstrategie steht ein immer größer werdendes Hindernis im Wege: Die Eigenlogik der Finanzmärkte und die Erwartungshaltung der Anteilseigner können die Unternehmen zu einer immer kurzfristigeren Orientierung ihres Handelns und damit schlimmstenfalls auch zu unmoralischem Verhalten verleiten (Beispiel: Korruption zur kurzfristigen Gewinnmaximierung). Das ZdK betont vor diesem Hintergrund erneut die Notwendigkeit klarer Regeln für die internationalen Finanzmärkte, die Solidität und Fairness in den Marktbeziehungen, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit fördern und durch legitimierte Instanzen einklagbar sind. Schon 2003 hat das ZdK mit seiner Erklärung "Internationale Finanzmärkte – Gerechtigkeit braucht Regeln" konkrete Maßnahmen zur Vertrauensbildung gefordert:

- Stärkung der internationalen Finanzarchitektur durch eine neue, stärkere Rolle des Interna-tionalen Währungsfonds (IWF) in der Krisenvorbeugung;

- Verbesserung der Überschaubarkeit und Transparenz der internationalen Finanzströme durch verstärkte Publizitätspflichten, damit Risiken richtig und effizient eingeschätzt werden können;

- Einbau von differenzierteren Risikopuffern in die Kreditgeschäfte durch Ausbau der Finanzauf-sicht, um somit Regulierungsdefizite abzubauen;

- Verstärkung der europäischen Zusammenarbeit von Aufsichtsbehörden und Schaffung supranationaler Regulierungsinstanzen, weil sich Spielregeln für die internationalen Finanzströme nicht mehr auf nationaler Ebene vereinbaren und durchsetzen lassen.

Das ZdK erwartet von diesen Maßnahmen die Etablierung tragfähiger Standards der Selbstverpflichtung und Selbstbindung, die verhindern, dass wirtschaftliche Krisen durch kriminelle Machenschaften oder Leichtfertigkeit Einzelner verursacht werden können. Finanzmärkte müssen besser kontrollierbar werden, damit sie nicht die Realwirtschaft dominieren. Dies wird nur gelingen, wenn ethisches Unternehmerverhalten von den Akteuren auf den Finanzmärkten als langfristig tragfähigeres Konzept anerkannt und entsprechend mit höheren Renditen honoriert wird.

Die aktuelle Krise und das Fehlverhalten Einzelner zeigen auf dramatische Weise, dass die ökonomische Globalisierung der politischen Gestaltung bedarf. Positiv zu bewerten ist, dass eine Reihe von fahrlässigen und auch vorsätzlichen Fehlleistungen dank der Arbeit der Justiz und der Medien erkannt, verfolgt und mit (auch für Großkonzerne) spürbaren Strafen belegt werden. Das ZdK fordert eine öffentliche Diskussion darüber, welche ordnungspolitischen Konsequenzen zu ziehen sind, damit solche Störfälle vermieden werden können. Die Empfehlungen der "Regierungskommission für den Kodex zur guten Unternehmensführung (Corporate Go-vernance)" sollten jetzt angesichts der Krise in konkrete Gesetzgebungsmaßnahmen umgesetzt werden. Unter anderem sieht dieser Kodex größere Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsrates bei den Managerbezügen, spätere Auszahlung von erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteilen, stärkere Verpflichtung zur Offenlegung von Managergehältern vor.

Auf dem Weg zu einer ethisch gestalteten Ordnungspolitik

Eine nach ethischen Maßstäben gestaltete Ordnungspolitik für das Wirtschaftsgeschehen ist zudem auch ein bedeutender Standortfaktor. Indem ein Unternehmen sich selbst durch die Anerkennung bestimmter moralischer Prinzipien glaubwürdig und verlässlich an Normen der Vertragstreue bindet, kann es sich besser positionieren. Es kann höhere Gewinne realisieren, weil es am Markt als verlässlicher Partner gesucht und geschätzt wird. Das ZdK begrüßt sehr, dass es hier schon eine sehr erfreuliche Entwicklung zu beobachten gibt: Immer mehr Unternehmen verfolgen den Ansatz der "Corporate Social Responsibility". Auch der "United Nations Global Compact" (Globaler Pakt der Vereinten Nationen mit dem Ziel, die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten) sei hier als positiver Ansatz genannt. Gleichwohl muss die Wirksamkeit solcher Selbstverpflichtungen noch verbessert werden.

Generell gilt: Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, das Marktverhalten der Konsumenten und die gesellschaftlichen Übereinkünfte bedürfen der Gestaltung. Wichtig ist dabei die Einsicht, dass die Verantwortung der einzelnen Akteure (Individuen; Unternehmen) nicht komplett an die Regeln abgegeben werden kann. Denn auch eine wohlgeordnete Marktwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn die einzelnen wirtschaftlichen Akteure sich an moralischen Prinzipien orientieren und ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.

Die Wirkmacht sowohl der Konsumenten als Marktteilnehmer als auch der stärkeren Kennzeich-nungspflichten auf das ethisch verantwortliche Handeln der Unternehmer und Unternehmen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Sie lässt sich am Beispiel der ethischen Geldanlagen verdeutlichen: Je stärker private und institutionelle Geldanleger von ihren Gläubigern einfordern, dass sie bei der Geldanlage neben dem Renditeziel auch ethische Ziele (konkret: Einhaltung sozialer und ökologischer Standards) verfolgen, desto stärker wird dies zu einem Trend, der den Finanzmarkt in Richtung einer ethischen Orientierung verändern kann. Denn mit wachsender Sensibilität der Anleger müssen die Unternehmen ein zunehmendes Interesse daran haben, sich als nachhaltig und ethisch verantwortlich zu präsentieren.

Besondere Herausforderungen für multinationale Unternehmen

Neben dem positiven Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte bringt die ethische Ausrichtung der Unternehmen in ihrer internationalen Dimension besondere Herausforderungen mit sich:

Moral kennt keine Grenzen. Wir erwarten von deutschen Unternehmern und Unternehmen, dass sie sich bei Engagements im Ausland an den gleichen ethischen Standards orientieren wie im Inland. Dies gilt auch dann, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns dort weniger klar fixiert sind als bei uns. Dabei dürfen Unternehmen aber nicht zu Lückenbüßern für staatliches Versagen werden. Es ist in allererster Linie Aufgabe der Regierungen, die Menschenrechte und die grundlegenden Sozial- und Umweltstandards um- und durchzusetzen. Unternehmen können und sollen mit ihrem Engagement die Bemühungen der Staaten auf diesem Gebiet ergänzen, aber sie können ihnen ihre Verantwortung nicht abnehmen. Die Verantwortungsbereiche von Wirtschaft und Politik müssen daher klar voneinander abgegrenzt werden.

Wenn deutsche Unternehmen Produktionsstätten und damit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, so sehen sie sich dabei zunehmend gesellschaftlichem und politischem Druck ausgesetzt. Vom christlichen Standpunkt aus sind solche Verlagerungen differenziert zu beurteilen. Dem inländischen Arbeitsplatzverlust steht die Schaffung von Arbeits- und Lernmöglichkeiten in den oft ärmeren und daher von geringerem Lohnniveau geprägten Zielländern gegenüber. Oft leisten die Unternehmen vor Ort einen wertvollen Beitrag zur Armutsbekämpfung, der langfristig allen – auch den Industrieländern – zugute kommt. Vor dem Hintergrund dieser Abwägung fordert das ZdK

- eine Überprüfung der Subventionspraktiken. Zentral ist dabei, dass die EU an der Praxis festhält, keine Werksverlagerungen direkt zu subventionieren. Berechtigt ist hingegen die Förderung von Infrastrukturmaßnahmen zur Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse;

- die Verstärkung internationalen politischen Drucks, damit Unternehmen in den Zielländern men-schenwürdige Arbeitsplätze anbieten und sich dort langfristig engagieren. In diesem Zusammen-hang kommt den von vielen Regierungen unterzeichneten Kernarbeitsnormen (keine Zwangsar-beit, keine Kinderarbeit, Recht auf Zusammenschluss, um Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eine wichtige Rolle zu;

- die Stärkung der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung. Gerade in dem sensiblen Bereich der Standortbewertungen und Verlagerungsentscheidungen sollte das Verhalten der Unternehmensleitung von mehr Partnerschaft, Transparenz und Vertrauen gegenüber ihrer Belegschaft geprägt sein. Deshalb ist der Prozess von Information und Konsultation auf europäischer Ebene von großer Bedeutung. Schließlich haben die Beschäftigten die sich aus Standortbewertungen und -verlagerungen ergebenden Folgen zu tragen. Abwanderung ins Ausland darf nicht als Druckmittel auf heimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer missbraucht werden.

Fazit

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, wohin das Fehlen international verbindlicher Regeln und der Verlust wertorientierter Verhaltensweisen führen. Es wäre fatal, vor diesem Hintergrund die Soziale Marktwirtschaft in Frage zu stellen. Vielmehr kann eine Bewältigung der Krise nur gelingen, wenn sich alle politisch und gesellschaftlich agierenden Kräfte auf die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückbesinnen. Dies darf keine leere Worthülse bleiben, sondern muss von der Gesellschaft mit Verantwortung und gelebten Werten gefüllt werden. Das ZdK plädiert für notwendige Verbesserungen der ordnungspolitischen Regeln, damit moralische Interessen begründet und nachhaltig zur Geltung gebracht werden können.

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