Gestaltung und Aufgabe des Kapellenraums im ZdK
Kraft aus der Mitte
Vortrag von Albert Gerhards anlässlich des 50. Weihejubiläums der Heinrichs-Kapelle -es gilt das gesprochene Wort.
Vor 50 Jahren gehörte die Kapelle zur Grundausstattung einer jeden katholischen Einrichtung, zumal, wenn diese einen geistlichen Rektor hatte. Die Wiederaufbauphase war mehr oder weniger abgeschlossen, und man konnte sich einiges leisten – die große Zeit für die christliche Sakralkunst war gekommen. Es war ja auch die Phase des ausufernden Kirchenbaus. 50jährige Weihejubiläen von Pfarrkirchen sind derzeit an der Tagesordnung, allerdings nicht selten in zeitlicher Nähe zur Schließung eben jener Kirchengebäude. Vor 50 Jahren stand alles noch unter dem Zeichen scheinbar unbegrenzten Wachstums. Die großartige Inszenierung des Altaraufbaus im Müngersdorfer Stadion für den Kölner Katholikentag 1956 in Form von drei Baukränen, die eine riesige Dornenkrone trugen, steht für jene Grundhaltung, die freilich schon damals ihre Ambivalenzen zeigte. Der Architekt Rudolf Schwarz hatte dies wohl erkannt: Die Baukräne trugen eine Dornenkrone und keinen Lorbeerkranz! Innerkirchlich war mit der Wahl Papst Johannes XXIII. und dessen Konzilsankündigung ein Erwartungshorizont aufgetan, der 1960 auf dem Münchener Eucharistischen Weltkongress eine überraschende Realitätsnähe erfuhr. Hier wurde, durchaus mit Zustimmung des damaligen Bonner Professors Joseph Ratzinger, die seit Jahrzehnten von den verschiedenen katholischen Bewegungen geforderte Kirchenreform geprobt.
Die Kapelle des Zentralkomitees der deutschen Katholiken erfuhr durch den Architekten Peter Rieck eine Gestalt, die auf der Höhe der damaligen Zeit war. Der Raum zeigt in seinen Proportionen und in seiner Lichtführung bis heute seine Qualitäten. Der in den Kölner Werkschulen ausgebildete ehemalige Benediktiner Egino Weinert, von dem die künstlerische Ausstattung stammt, stand für jene verhaltene Modernität, die sich von dem in Misskredit geratenen Monumentalstil der 30er und noch der frühen 50er Jahre abzusetzen versuchte, gleichzeitig aber auch eine Absage an die Abstraktion darstellte. Abstrahiert wird in seinen Email- und Glasarbeiten oder in den Reliefs lediglich von der individuellen Prägung der dargestellten Personen, weshalb seine Arbeiten zuweilen an Illustrationen von Kinderbüchern der 50er Jahre erinnern.
Die Klarheit und Selbstverständlichkeit, mit der man noch um das Jahr 1960 zu gültigen Formgebungen kam, ging in der Folgezeit, nicht zuletzt aufgrund der sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen, weitgehend verloren. Zugleich setzte in Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils innerkirchlich ein gravierender Wandel ein, der sich in den Kirchen- und Kapellenräumen besonders markant auswirkte. Die gemeinsame Ausrichtung auf den an der Stirnwand stehenden Altar, der damit die Schwelle zum unbetretbaren Jenseits markierte, wich einem ständigen Gegenüber, das vom Priester hinter dem nun vorgerückten Altar gebildet wurde. Entsprechend den Zeitumständen traten die Aspekte der Anbetung und stillen Betrachtung gegenüber gemeinschaftlichen Vollzügen zurück. Insgesamt verloren die Kapellenräume, einst unverzichtbares geistliches Zentrum kirchlicher Einrichtungen, ihren Stellenwert. Nicht überall konnten sich die vor 50 Jahren geschaffenen Räume halten. So gibt es im ungefähr gleichzeitig erbauten Aachener Generalvikariat anstelle des ursprünglichen respektablen Kapellenraums für die damals regelmäßig angesetzten Gebetszeiten der Belegschaft inzwischen nur noch eine sakrale Nische. Manches kirchliche Bildungshaus, das in jener Zeit eingerichtet wurde, kam über eine Notlösung für die Kapelle nie hinaus. Dafür erfreuten sich die Konferenzräume einer immer üppigeren Ausstattung, von den Bierkellern ganz zu schweigen.
Nun soll hier nicht einem katholischen Kulturpessimismus das Wort geredet werden. Die Entwicklung verlief auch keineswegs gleichförmig. So gab es z. B. katholische Schulen, die ihren Sakralraum stets gepflegt und in seiner Ausstattung künstlerisch aufgewertet haben. Oft aber gerieten diese Räume, einst geistiger Mittelpunkt von kirchlichen Einrichtungen, in Vergessenheit. Dies lässt sich z. B. anhand von Krankenhauskapellen oder –kirchen aufzeigen. Kürzlich hatte ich erstmals die Gelegenheit, das Elisabeth-Krankenhaus in Köln mit der Kirche von Gottfried Böhm zu besuchen, die der große rheinische Kirchenbaumeister zusammen mit dem damaligen Rektor Johannes van Acken um 1930 erbaut hatte. Der Raum fußt auf dem Konzept der „christozentrischen Kirchenkunst“, wie van Acken es Anfang der 20er Jahre entwickelt hatte. Er ist nicht nur eine Inkunabel des Kirchenbaus der klassischen Moderne, sondern bis heute offensichtlich auch in das Gesamtkonzept einer zeitgemäßen Krankenpastoral integriert. Völlig anders verhält es sich mit dem architektonisch nicht weniger bedeutenderen Bau Dominikus Böhms, St. Kamillus in Mönchengladbach. Auch hier war die Kirche als integrierender Bestandteil des Krankenhauses erbaut worden, in dem Leib- und Seelsorge eine untrennbare Einheit bilden sollten. Die Kirche ist aber stets verschlossen und auch vom Krankenhaus aus nicht mehr zugänglich, damit also schon fast nicht mehr vorhanden.
Dies soll nur als Beispiel dienen für die Problematik der vielen verschlossenen Kirchen- und Kapellenräume, verpasste Chancen einer einst selbstverständlichen Präsenz des Religiösen im gesellschaftlichen Raum. Auf allen Ebenen der Kirche mangelt es an Einsicht, welches Kapital hier ungenutzt herumsteht. Dieser immer noch nicht erkannten und geschweige denn beseitigten innerkirchlichen Aporie steht eine in weiten Teilen der Gesellschaft feststellbare Tendenz gegenüber, Räume des Sakralen zu suchen und zu schaffen. Sie resultiert offenbar aus der wachsenden Erkenntnis, dass eine vollständig säkularisierte Welt menschenfeindlich ist. Jede Gesellschaft braucht die Unterscheidung von sakral und profan in vielfältigen Abstufungen. Wo Erfahrungsorte des Sakralen nicht mehr durch gesellschaftliche Institutionen wie Religionsgemeinschaften angeboten werden, schaffen sich die Menschen neue, nicht selten problematische „Sakralräume“, etwa durch Grenzziehungen im sozialen Bereich. Die Phänomene der Suche nach neuen Sakralräumen sind bekannt: Kapellen oder zumindest Räume der Stille in Fußballstadien wie Gelsenkirchen oder Berlin, in Polizeipräsidien (Köln) oder Verwaltungseinrichtungen der Kommunen, in Parlamenten (demnächst ja auch im Düsseldorfer Landtag) oder an geschichtsträchtigen Orten wie im Brandenburger Tor in Berlin. Immer mehr Schulen, auch nicht kirchlich getragene, richten solche Räume ein, verbunden mit spirituellen Angeboten. Längst sind die traditionellen konfessionellen Grenzen in Bezug auf Sakralräume überwunden. Im evangelischen Bereich sind offene Kirchen als Orte der Zuflucht mit Möglichkeiten des stillen Gebets und des Anzündens von Kerzen eine Selbstverständlichkeit.
Wie erklärt sich dieses Phänomen? Es hängt sicherlich mit dem schon seit über hundert Jahren beklagten „Verlust der Mitte“ zusammen, der in Folge der jüngeren Entwicklungen einer Informationsgesellschaft, einer immer noch wachsenden Globalisierung und Individualisierung, bedrängender geworden ist. Offenkundig wurde die Gegentendenz in ländlichen Gegenden der ehemaligen DDR, in denen zahlreiche Initiativen auch von Kirchenfernen entstanden, um die verfallenen Dorfkirchen wieder herzustellen und dauerhaft zu erhalten. Hier zeigt sich, dass die Kirchengemeinschaften eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben, der sie sich nicht mit dem Verweis auf schwindende Mitgliederzahlen und fehlende Finanzierungsmöglichkeiten entziehen dürfen.
Nun reicht es sicher nicht, einen Sakralraum in einer katholischen Einrichtung zu unterhalten, wenn dieser nicht auch frequentiert wird. Wenn ein solcher Raum, wie der Titel dieses Vortrags suggeriert, die Mitte darstellen soll, aus der Kraft zu schöpfen ist, dann muss dies im Selbstverständnis und in der Lebenspraxis der dort arbeitenden Menschen verankert sein. Was bedeutet ein solcher Raum für eine christlich orientierte Einrichtung? In seinem Vortrag „Bauen Wohnen Denken“, gehalten während des für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegenden Darmstädter Gesprächs von 1951, führte Martin Heidegger aus: „Wir wohnen nicht, weil wir gebaut haben, sondern wir bauen und haben gebaut, sofern wir wohnen, d. h. als die Wohnenden sind. Doch worin besteht das Wesen des Wohnens?“ Heidegger macht nun einen etymologischen Rekurs auf das Altsächsische und kommt zu der ursprünglichen Bedeutung von Wohnen: „zufrieden sein, zum Frieden gebracht, in ihm bleiben. Das Wort Friede meint das Freie…: bewahrt vor Schaden und Bedrohung, bewahrt vor: … d. h. geschont. … Das Schonen selbst besteht nicht nur darin, dass wir dem Geschonten nichts antun, das eigentliche Schonen ist etwas Positives und geschieht dann, wenn wir etwas zum Voraus in seinem Wesen belassen, wenn wir etwas eigens in sein Wesen zurückbergen, es entsprechend dem Wort fryen: einfrieden. Wohnen, zum Frieden gebracht sein, heißt eingefriedet sein ... in das Freie, das Jegliches in seinem Wesen schont. Der Grundzug des Wohnens ist dieses Schonen. Er durchzieht das Wohnen in seiner ganzen Weite. Sie zeigt sich uns, sobald wir daran denken, dass im Wohnen das Menschsein beruht und zwar im Sinne des Aufenthalts der Sterblichen auf der Erde. Doch ‚auf der Erde‘ heißt schon ‚unter dem Himmel‘. Beides meint ‚Bleibe vor dem Göttlichen‘ und schließt ein ‚gehörend in das Miteinander der Menschen‘. Aus einer ursprünglichen Einheit gehören die vier: Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen in eins.“
Um wohnen zu können, also um Mensch zu sein, bedarf es der Schonräume. Für den häuslichen Bereich ist dies schlüssig, doch für eine Gesellschaft und eine Institution? Auch diese braucht Schonräume und hatte sie lange Zeit. Es waren die Sakralräume und ihr unmittelbares Umfeld, die unter bestimmten Umständen Schutz vor familiärer Vereinnahmung oder auch vor staatlichem Zugriff boten. Das „Sacrum“ ist ein „eingefriedeter“, abgegrenzter aber zugänglicher Raum, der allein schon durch seine Existenz deutlich macht, dass nicht alles menschlichem Zugriff und menschlicher Machbarkeit unterliegt. Damit ist noch nicht ein religiöses Bekenntnis verbunden. Das zeigen die nicht konfessionell gebundenen Räume der Stille in den unterschiedlichsten Institutionen. Solche Räume werden freilich nicht nur innerhalb der urbanen Lebenswelt gesucht, sondern auch im ländlichen Raum, wie etwa die Bruder-Klaus-Kapelle in Wachendorf von Peter Zumthor belegt. Hier ist es die Aura eines besonderen Gebäudes in einer schönen Landschaft. Die Aura wird aber zunehmend geistlich aufgeladen durch einen nicht abreißenden Pilgerstrom, wobei bei vielen eine Mutation von zunächst touristischer Neugier zur religiösen Sinnsuche stattfindet, wie die zahlreichen Einträge in den ausliegenden Notizbüchern dokumentieren. Hier kommt gleichsam die Kraft aus der Peripherie.
Hier und heute geht es nun um jenen Raum, der die geistliche Mitte dieser Institution seit nunmehr 50 Jahren bildet. Als Rektor Stäps daran ging, den Raum entsprechend heutigen Vorstellungen umzugestalten, durfte ich beratend dabei sein. Bereits bei der Einweihung im Jahr 2003 durch Bischof Gebhard Fürst wurde deutlich, dass der Raum eine Gestalt gefunden hat, die beiden Anliegen eines Kapellenraums in einer katholischen Institution dient, dem des persönlichen Gebets und der gemeinsamen liturgischen Feier im kleinen Kreis. Detlef Stäps hat in zwei Aufsätzen die geistige Dimension des Raums unter den Überschriften „Die Dynamik der Gegenwart Gottes“ bzw. „Dialog von der Gegenwart Gottes“ treffend beschrieben. Das Auffallende an der derzeitigen Raumgestalt besteht ja darin, dass die gewohnte „Hierarchie“ des Raums umgekehrt ist. Der Altar befindet sich nicht mehr in der Apsis, sondern am unteren Ende des Raums und bildet zusammen mit dem Ambo an der Schwelle von ehemaliger Apsis und Kapellenraum gleichsam die beiden Brennpunkte einer gedachten ellipsoiden Form. Auffallend ist die leere Mitte dazwischen. Detlef Stäps schreibt dazu: „Das Kraftfeld zwischen den beiden Polen soll durch keine zusätzliche Ausstattung gestört werden. Es muss eine leere Mitte bleiben, die nicht von Blumen, Kreuz oder anderem gefüllt wird. Auf diese Weise bleibt eine Spannung im Raum, es bleibt eine Tür offen, durch die Gott eintreten kann. Nur zum Kommunionempfang betreten die Gläubigen das Zentrum der Ellipse, treten ein in das Zentrum der Gegenwart Gottes. Auf diese Weise zeigt sich christliche Gemeinde als offene Gemeinschaft, als Gemeinschaft, die nach innen offen ist, nicht nur nach außen. Sie weist über sich hinaus, ist offen für die transzendentale Wirklichkeit unserer Welt.“ (in: Salzkörner)
Bei der Raumgestalt der Kapelle im ZdK handelt es sich um den weiterentwickelten so genannten Communioraum, der vor einigen Jahren stark diskutiert wurde und auch von kirchenoffizieller Seite unter Beschuss geriet. Nichtsdestotrotz werden zur Zeit vor allem in Frankreich und Italien viele Räume, Gemeindekirchen und Kirchen- bzw. Kapellenräume geistlicher Gemeinschaften, in dieser Form realisiert. So richtete vor kurzem auch die französische Bischofskonferenz für ihre Zentrale in Paris einen Communioraum ein. Dieser aus dem angelsächsischen Raum kommende Typ orientiert sich geschichtlich an den Choranlagen mit dem Chorgestühl für das Stundengebet und die Eucharistiefeier. Freilich war der Altar für die Feier der Eucharistie in einem Mönchs- oder Kapitelschor außerhalb des durch die Gemeinschaft gebildeten Spannungsfeldes positioniert. Der Communioraum in seiner weiterentwickelten Form verbindet die schon seit dem Synagogenbau in den Sakralbau eingetragene Raumantinomie von Versammlung und Ausrichtung. Insofern könnte man hier von einer „gerichteten Versammlung“ sprechen. Es handelt sich um eine Synthese von Versammlungsgestalten, wie sie Rudolf Schwarz in seinem berühmten Buch „Vom Bau der Kirche“ aus dem Jahr 1938 in die Diskussion gebracht hatte. In insgesamt sieben theoretischen Raummodellen werden mögliche Versammlungsgestalten durchgespielt, die teilweise auch in konkrete Kirchenräume übersetzt wurden. Der bekannteste Kirchenraum von Rudolf Schwarz, zugleich der erste von ihm realisierte, ist die 1930 vollendete Fronleichnamskirche in Aachen. Hier wird der Gedanke des Weges, der dritte der Pläne, umgesetzt. Die Gemeinde ist im Gefolge des Priesters an der Spitze unterwegs zu einem Ziel, das außerhalb der Erfahrbarkeit liegt. Daher ist die riesige Altarwand hinter dem Hochaltar bilderlos, wird aber gerade dadurch zum Bild des unsichtbaren Gottes, der seiner Gemeinde entgegen kommt. Allein das kleine Kreuz auf dem Tabernakel deutet an, auf welche Weise sich Gott der Gemeinde zeigt.
Diese einer negativen, apophatischen Theologie entsprechende bilderlose Bildhaftigkeit ist beim Communioraum in die Horizontale gekippt und in die Mitte des Raumes verlegt. (Dies entspricht übrigens dem Raumprogramm der christlichen Zentralkirchen, der byzantinischen Kreuzkuppelkirche wie dem barocken Zentralraum: Stets blieb die Mitte des Raums unter der Kuppel frei.) Die freie Fläche im Communioraum zwischen den beiden Polen Ambo und Altar, die nur für bestimmte liturgische Vollzüge betreten wird, wird zum Ort der Epiphanie des unsichtbaren Gottes. Dies ist dann der Fall, wenn die Gläubigen an den Seiten versammelt sind und einander wahrnehmen, begegnen können. Es ist die Erfahrung, die Ordensfrauen und –männer jahrhundertelang gemacht haben und machen, wenn sie im Chorgestühl alternierend Psalmen singen. Wie bei der Stille zwischen den Vershälften der Psalmverse, beim Asteriskus, ist es die Leere zwischen den Reihen des Chorgestühls rechts und links und zwischen Altar und Ambo, die die Erfahrung der geistgewirkten Gegenwart des Göttlichen inmitten der menschlichen Versammlung vermittelt. Übrigens kann man dies seit nunmehr fünf Jahren im Chor der Bonner Münsterkirche beim Mittagsgebet täglich mitvollziehen.
Um diese Erfahrung zu realisieren, bedarf es freilich einer Modifikation überkommener Vorstellungen von Repräsentation. Diese sind im Westen der Kirche allzu sehr in christozentrischer Manier auf den Amtsträger fixiert worden. Die Liturgiereform hat mit der Einführung des „Volksaltars“ und dem dadurch fixierten Gegenüber von Priester und Gemeinde zu dieser Entwicklung ungewollt beigetragen. Dagegen hat der Osten stets das Wissen darum bewahrt, dass die Gegenwart Gottes letztlich nicht durch eine menschliche Person hinreichend repräsentiert werden kann, dass die Kirche vielmehr immer wieder neu um die Gegenwart des Geistes Gottes bitten muss im epikletischen Gebet: „Sende du deinen Geist auf die Gaben herab, dass sie uns werden Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus.“ In dem Sinne ist der Priester in erster Linie Vorbeter der Kirche und nicht Konsekrator. Er bleibt wie die ganze Gemeinde stets orientiert in Richtung des wiederkommenden Christus, des einzigen Priesters. Bei Rudolf Schwarz ist der zweite Plan, der offenen Ring, derjenige, der die Antinomie von Versammlung und Ausrichtung in eine spannungsvolle Beziehung setzt. Der Kreis hat mit dem Altar aber nur einen Brennpunkt. Der gerichtete Communioraum führt den Gedanken im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils weiter, indem er der gemeinsamen Ausrichtung beim Gebet am Altar das Gegenüber bei der Verkündigung des Wortes hinzufügt, die während der ganzen Feier durch den Ambo repräsentiert wird. Wie mein Innsbrucker Kollege Reinhard Meßner festgehalten hat, ist bei der Wortverkündigung die Repräsentanz durch eine menschliche Person eine Gegebenheit. Daher wird der Kreis oder das Oval bei der Verkündigung des Wortes Gottes und seiner Auslegung geschlossen, indem die Verkündigerin, der Verkündiger am Ambo der Gemeinde gegenübertritt. Beim eucharistischen Hochgebet wird der Altar, einerseits Tisch der Gemeinde, andererseits aber auch zur Schwelle der Kommunikation mit Gott, zum Abbild des himmlischen Altars, von dem der Canon Romanus spricht. Die um den Priester im Halbrund versammelte Gemeinde bleibt zur Stirnwand des Raums hin offen für das Kommen des Herrn. Die das Opfer Christi vergegenwärtigende aktuelle Gemeinde wird damit zum Bild der Kirche in ihrer Vollendung, zum Bild der communio sanctorum, wie sie auf dem Fenster von Egino Weinert seit 50 Jahren dargestellt ist. Die Offenheit der freien Mitte und der Blickrichtung „versus orientem“ macht bewusst, dass Gott selbst am Ende unserer irdischen Pilgerschaft beim ewigen Gastmahl die Vollendung der Heiligen ist, wie das Schlussgebet von Allerheiligen sagt. Mit der jetzigen Anordnung im Kapellenraum des ZdK wird die Gemeinde bei der Feier der Eucharistie also selbst zum Bild dessen, was sie in der Vollendung erhofft.
Durch die Klärung des Raums, die heilige Leere und die Markierung der Zentralachse durch Priestersitz, Altar, Ambo und Kreuz hat der Raum eine neue Sinnlichkeit und Geistigkeit erfahren, der auch dem einzelnen Beter, der einzelnen Beterin zugute kommt bei persönlicher geistlicher Betrachtung oder beim einfachen Bei-sich-sein. Der Bildhauer Hans Rams hat mit Priestersitz, Altar und Ambo Skulpturen geschaffen, die gleichsam als Wegmarken die Richtung angeben, aus der wir Sinn und Zukunft erhoffen. Dadurch, dass die Mitte des Raumes aufgebrochen ist, wird deutlich, dass wir die Kraft nicht aus uns selbst empfangen, sondern immer wieder von Gott als „Kraft von oben“ erbitten müssen, für unsere kirchliche Gemeinschaft wie auch für unser persönliches Leben. Ich wünsche diesem Haus, dass diese Kraftquelle auch in den kommenden 50 Jahren nie versiegen möge.
Albert Gerhards