Gemeinsame Stellungnahme zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung
des Deutschen Caritasverbandes (DCV), des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin
zu den Gesetzentwürfen
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts (BT-Drs. 16/8442),
Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz-PVVG, BT-Drs. 16/11493) und
Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz-PatVerfG, BT-Drs. 16/11360)
Die Mitglieder des Deutschen Bundestages beraten derzeit drei Gesetzentwürfe, die die rechtliche Wirksamkeit von Patientenverfügungen regeln sollen. Die Gesetzentwürfe bündeln gewissermaßen die gesellschaftliche Debatte um die Bindungswirkung von Patientenverfügungen, die seit mehreren Jahren engagiert geführt wird. An dieser Debatte haben sich auch die katholische Kirche, ihr Wohlfahrtsverband und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken intensiv beteiligt.
Wir nehmen die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 04.03.2009 zum Anlass, unsere Auffassung nochmals darzulegen und die vorliegenden Gesetzentwürfe zu bewerten.
I. Eigene Position
Die Patientenautonomie hat in der Medizinethik und im Medizinrecht eine herausragende Bedeutung. Sie kommt nicht nur dem gesunden entscheidungsfähigen Menschen zu, sondern auch dem kranken und entscheidungsunfähigen Patienten. Patientenverfügungen sind ein wichtiges Instrument, um Patientenautonomie zu sichern und um ihr Ausdruck zu verschaffen. Hierzu gibt die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland eine Handreichung zur Erstellung einer Patientenverfügung heraus. [ 1)]
In dem Begriff der Autonomie verbinden sich verschiedene Elemente. Patientenautonomie lässt sich nicht allein durch Selbstbestimmung gewährleisten. Sie setzt auch Fürsorge voraus: „Bei aller Freiheit und Selbstbestimmung ist der [Mensch], gewiss verschieden in den einzelnen Lebensphasen, auf andere verwiesen, so dass Angewiesensein auf Hilfe und Fürsorge anderer nicht von vornherein Fremdbestimmungen sind.“ [ 2)]
Die Kirchen haben sich in diesem Sinne dafür ausgesprochen, die Selbstbestimmung des Patienten und die Fürsorge für ihn miteinander zu verbinden und aufeinander zu beziehen, um die Patientenautonomie umfassend zu gewährleisten. Die Fürsorge für den Patienten findet ihren Ausdruck auch in der Lebensschutzverpflichtung des Staates. Auch diese ist in diesem Sinne nicht bloße Grenze des Selbstbestimmungsrechts, sondern dient der Patientenautonomie.
Dieses Verständnis von Patientenautonomie verlangt, alle gesetzlichen Regelungsvorschläge von Patientenverfügungen, die die Selbstbestimmung des Patienten möglichst stärken und deshalb die Reichweite wie den Grad der Bindung von Patientenverfügungen möglichst weit fassen wollen, sehr genau daraufhin zu überprüfen, ob sie sowohl dem vorab verfügten Willen als auch dem individuellen Krankheitsverlauf eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten gerecht werden, ohne dass es zu einer „negativen Selbstbindung“ kommt. [ 3)]
1. Verhältnis von vorausverfügtem und aktuellem Willen
In der Diskussion um die Bindungswirkung von Patientenverfügungen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die in der Patientenverfügung antizipativ geäußerte Willensbekundung nicht dem tatsächlichen Willen des Patienten zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme oder den Abbruch einer medizinischen Behandlung entsprechen muss. [ 4)] Entsprechend belegen Hinweise von Palliativmedizinern und wissenschaftlichen Studien die Wandelbarkeit des Patientenwillens im Krankheitsverlauf. Unter anderem ist dies darin begründet, dass Grundlage der Willensbildung nicht das existenzielle Erleben der für die Entscheidung maßgeblichen Umstände ist, sondern deren theoretische Vorwegnahme. Diese Unterschiede zwischen dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen und dem Willen des Patienten zum Behandlungszeitpunkt sprechen gegen ihre Gleichsetzung und machen die besondere Verantwortung der Bezugspersonen und Ärzte des Patienten und insbesondere seines Betreuers oder Bevollmächtigten als seine rechtlichen Vertreter deutlich.
2. Rechtliche Stellung des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten
Daher ist die rechtliche Stellung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten des Patienten auch im Kontext einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen bedeutsam. Betreuer und Bevollmächtigter sind rechtliche Vertreter des Patienten. Mit ihrer Bestellung ist die rechtliche Handlungsfähigkeit eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wieder hergestellt. Als Vertreter des Patienten obliegt ihnen die Entscheidung über die Vornahme ärztlicher Maßnahmen. Dabei haben sie Willen und Wohl des Betroffenen zu entsprechen, wie sich aus § 1901 Abs. 2 und 3 BGB ergibt. Hierfür stellt die Patientenverfügung eine entscheidende Grundlage dar. Auch der Bundesgerichtshof geht in Fällen, in denen eine Patientenverfügung vorliegt, von einer Vertreterstellung des Betreuers aus. Dieser habe die exklusive Aufgabe, in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB dem Willen des Betroffenen gegenüber Arzt und Pflegepersonal Ausdruck und Geltung zu verschaffen. [ 5)]
Die mit der Vertreterstellung verbundenen Auslegungs- und die Entscheidungsbefugnisse des Betreuers lassen eine situative Handhabung der Verfügung z. B. angesichts neuer Behandlungsmethoden oder einer geänderten Lebenssituation des Patienten zu. Betreuer und Bevollmächtigter stehen dem behandelnden Arzt als Ansprechpartner zur Verfügung. So kann gegenüber ihnen als Vertreter des Patienten eine medizinische Aufklärung erfolgen.
3. Zur Reichweitenbegrenzung
Aus der Stellung des Betreuers als Vertreter des Patienten folgert der Bundesgerichtshof eine so genannte Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen. [ 6)] Zwar habe der Arzt das Selbstbestimmungsrecht des einwilligungsfähigen Patienten zu achten und dürfe deshalb keine – auch keine lebenserhaltenden – Maßnahmen gegen dessen Willen vornehmen. Die Entscheidungsmacht des Betreuers sei mit derjenigen des einwilligungsfähigen Patienten „nicht deckungsgleich“, sondern als gesetzliche Vertretungsmacht an rechtliche Vorgaben gebunden. Die für das Strafrecht geltende objektive Eingrenzung zulässiger Sterbehilfe sei daher auch für das Zivilrecht verbindlich. Die Einstellung oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen auf Grund einer entsprechenden Patientenverfügung sei deshalb erst dann zulässig, wenn das Grundleiden des Betroffenen einen irreversiblen, tödlichen Verlauf angenommen hat. [ 7)]
Auch wir treten für eine Reichweitenbegrenzung ein. Für die katholische Kirche ist hier die Überzeugung leitend, dass über menschliches Leben nicht frei verfügt werden darf. [ 8)] Hieraus folgt keine Pflicht zur Leidensverlängerung um jeden Preis. Bei sehr schweren, weit fortgeschrittenen Krankheitsverläufen kann es geboten sein, nicht mehr alle medizinisch verfügbaren Mittel der Lebensverlängerung einzusetzen. [ 9)] Gleichwohl kann aus christlicher Sicht eine auf die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen gerichtete Patientenverfügung nicht schrankenlos gelten. Verfügungen, die auf die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen in der Sterbephase zielen, müssen jedoch beachtet werden.
Mitunter wird argumentiert, die Frage nach den Grenzen des Verfügungsrechts des Einzelnen über sein Leben stelle sich nur in der christlichen Ethik. Für das staatliche Recht sei hingegen von einem uneingeschränkten Verfügungsrecht auszugehen. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Der Staat hat auch eine objektiv rechtliche Schutzpflicht für das Leben, der er nachkommt, in dem er z. B. die Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt oder einen drohenden Suizid polizeirechtlich als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit qualifiziert. Durch sein Eintreten für das Leben in diesen Fällen macht der Staat eines der höchsten Rechtsgüter der Verfassung sichtbar. Damit wird nicht nur den Grundrechten des Einzelnen Rechnung getragen. „Das Grundrecht auf Leben ist auch eine Wertentscheidung für das Leben, für eine lebensbejahende Gesellschaft, die hier entschieden Position bezieht.“ [ 10)]
4. Zum Genehmigungsvorbehalt des Vormundschaftsgerichts
Wir haben bereits in früheren Stellungnahmen deutlich gemacht, dass wir einen weitgehenden Genehmigungsvorbehalt des Vormundschaftsgerichts für Entscheidungen über den Abbruch oder die Nichtaufnahme einer lebenserhaltenden Behandlung für sinnvoll erachten. [ 11)] Dieser Genehmigungsvorbehalt hat nicht nur eine Schutzfunktion für den Patienten. Er entlastet gleichzeitig den Betreuer, was nach Auffassung des BGH angesichts der Schwere der Entscheidung, die Betreuer und Bevollmächtigter zu treffen haben, geboten ist: „Indem das Betreuungsrecht dem Betreuer unter Umständen eine Entscheidung gegen eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung abverlangt, bürdet es ihm eine Last auf, die allein zu tragen dem Betreuer nicht zugemutet werden kann.“ [ 12)] Betreuungsvereine bestätigen, dass sich Betreuer und Bevollmächtigte in dieser Entscheidungssituation häufig überfordert fühlen und eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung befürworten. [ 13)]
5. Zu den Formvorgaben
Die Deutsche Bischofskonferenz gibt mit dem Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands die Handreichung „Christliche Patientenverfügung“ heraus, von der seit ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1999 2,9 Millionen Exemplare ausgegeben wurden. Sie empfiehlt in dieser Handreichung ausdrücklich, sich vor dem Abfassen einer Patientenverfügung ärztlich beraten zu lassen und mit Angehörigen über den Inhalt der Patientenverfügung auszutauschen. In der Handreichung wird dringend empfohlen, die Schriftform einzuhalten und die Patientenverfügung regelmäßig zu aktualisieren. [ 14)] Die Schriftform verringert die Gefahr von Missverständnissen und bietet gleichzeitig Schutz vor übereilten Entscheidungen. Betreuungsvereine bestätigen die Notwendigkeit dieser Anforderungen aus ihrer praktischen Arbeit. [ 15)] Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken regt konkretisierend an, dass eine Beratung sowohl medizinische wie juristische und ethische Aspekte der zur Regelung anstehenden Sachverhalte umfassen sollte. [ 16)] Die in einer Patientenverfügung abgegebenen Willenserklärungen müssen jederzeit schriftlich oder mündlich widerrufen oder geändert werden können. Darüber hinaus wird empfohlen, die Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht zu kombinieren, in der man eine Person des Vertrauens mit der Vertretung für den Fall beauftragt, dass man selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist. Diesem Bevollmächtigten kann man seine persönliche Sichtweise im Vorfeld darlegen, so dass er über die Patientenverfügung hinaus unmittelbare Kenntnis von der Einstellung des Betroffenen hat. [ 17)]
6. Koppelungsverbot bei Heimaufnahme
Der Deutsche Caritasverband hat sich für ein gesetzliches Verbot ausgesprochen, den Abschluss eines Heim- oder Pflegevertrages von dem vorherigen Ausstellen einer Patientenverfügung ab hängig zu machen. [ 18)] Ein derartiges ausdrückliches Kopplungsverbot soll verdeutlichen, dass die Vorwegnahme einer höchstpersönlichen Entscheidung in keiner Weise erzwungen werden darf.
II. Bewertung der vorliegenden Gesetzentwürfe
1. Zur rechtlichen Stellung von Betreuer und Bevollmächtigten in den Entwürfen Alle drei Entwürfe greifen eine Formulierung des Bundesgerichtshofs auf, indem sie festlegen, dass Betreuer bzw. Bevollmächtigte dem in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen Ausdruck und Geltung zu verschaffen haben. Unterschiedlich beurteilen die Entwürfe jedoch, ob es in jedem Fall einer Einwilligung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten in den Abbruch bzw. zur Nichtaufnahme einer lebenserhaltenden Behandlung bedarf.
Der Stünker-Entwurf geht davon aus, dass bei einer Patientenverfügung, „die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, eine Einwilligung des Betreuers in die anstehende ärztliche Behandlung nicht erforderlich [ist], da der Betreute diese Entscheidung bereits selbst getroffen hat und diese für den Betreuer bindend ist.“ [ 19)] Die Patientenverfügung gilt in diesen Fällen unmittelbar gegenüber ihren Adressaten. Ein Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Patienten wäre insoweit nicht zu bestellen. Bezogen auf die Einwilligung in die ärztliche Behandlung fungiert er wie ein Bote, der die Willenserklärung Dritter übermittelt. Kehrseite dieser unmittelbaren Geltung der Patientenverfügung ist es, dass zugleich der Schutz des Patienten, der mit der Entscheidungsmöglichkeit des Betreuers bzw. Bevollmächtigten verbunden wäre, verloren geht. [ 20)] Dieser Kritik begegnet der Entwurf damit, dass er ausdrücklich regelt, dass Betreuer bzw. Bevollmächtigter zu prüfen haben, ob die Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Daneben stellt sich aber die Frage, ob in dieser rechtlichen Konstruktion eine an und für sich notwendige ärztliche Aufklärung sinnvoll erfolgen kann. [ 21)] Der Patient ist bewusstlos, und sein Betreuer bzw. Bevollmächtigter, gegenüber denen eine medizinische Aufklärung erfolgen könnte, hat im Hinblick auf die Einwilligung in die ärztliche Behandlung keine Entscheidungsbefugnis.
Neben diesen Bedenken bleibt eine grundsätzliche Anfrage: Der Entwurf sieht den bewusstlosen Patienten in den Fällen, in denen eine valide Patientenverfügung vorliegt, gewissermaßen als einwilligungsfähig an. Seine in der Patientenverfügung getroffene Willenserklärung wird mit einer aktuellen Willenserklärung gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung wird dem unterschiedlichen Charakter einer antizipierten und einer aktuellen Willenserklärung nicht gerecht. So stellt sich die Frage, ob eine Einwilligung oder deren Verweigerung bezogen auf einen späteren vielfach lediglich gedanklich vorweggenommenen Krankheitszustand jemals so belastbar sein kann wie eine Entscheidung über medizinische Maßnahmen in einer tatsächlich erlebten Situation. Auch kann die Feststellung Schwierigkeiten bereiten, ob die notwendige ärztliche Aufklärung, die im Vorfeld prognostisch erfolgte, umfassend genug war, um den Patienten zu einer eigenen Entscheidung zu befähigen.
Daher ist der Ansatz des Bosbach-Entwurfs und des Zöller-Entwurfs grundsätzlich überzeugender, wonach Betreuer bzw. Bevollmächtigter als Vertreter des Patienten in den Abbruch bzw. die Nichtvornahme einer lebenserhaltenden Maßnahme einwilligen müssen. [ 22)] Aber auch diese Gesetzentwürfe gehen von einer sehr hohen Verbindlichkeit des in der Patientenverfügung zum Ausdruck kommenden Willens des Patienten aus. § 1901b BGB sowohl in der Fassung des Zöller-Entwurfs als auch in der des Bosbach-Entwurfs ordnen für die in der Patientenverfügung niedergelegten Wünsche und Entscheidungen des Patienten eine besondere Bindungswirkung an. Treffen diese auf die Krankheits- und Behandlungssituation des Patienten zu, sind Betreuer und Bevollmächtigte an diese gebunden und müssen ihnen Geltung verschaffen.
Die Entwürfe regeln die Bindungswirkung des mutmaßlichen Willens eines Patienten unterschiedlich. Der Zöller-Entwurf ordnet auch für einen zu ermittelnden mutmaßlichen Willen die besondere für Patientenverfügung geltende Bindungswirkung an. Nach dem Bosbach-Entwurf greift in diesen Fällen die besondere Bindungswirkung nicht. Betreuer und Bevollmächtigte haben vielmehr nach der allgemeinen Pflicht des Betreuers nach § 1901 BGB zu verfahren. [ 23)] Die Ergründung des individuell mutmaßlichen Willens des Patienten auf der Basis der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien ist schwierig. Daher ist es überzeugend, dass nach dem Bosbach-Entwurf Betreuer und Bevollmächtigte bei der Entscheidung auf der Grundlage eines mutmaßlichen Willens des Patienten nicht der besonderen Bindungswirkung des § 1901b BGB dieses Entwurfes unterliegen.
2. Zur Reichweitenbegrenzung
Der Stünker-Entwurf und der Zöller-Entwurf sehen eine Beachtung der Patientenverfügung in jedem Stadium eines Krankheitsverlaufs vor, lehnen eine so genannte Reichweitenbegrenzung
von Patientenverfügungen mithin ab. [ 24)] Im Stünker-Entwurf wird dies damit begründet, dass „es Ausdruck [des] verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechtes [ist]“, eine Entscheidung über ärztliche Maßnahmen auch im Voraus für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit zu treffen. [ 25)] Im Zöller-Entwurf wird die Meinung vertreten, dass eine Reichweitenbegrenzung „für den Lebensschutz untauglich [ist], denn sie bietet nur einen scheinbaren Patientenschutz.“ [ 26)] Entgegen dieser Auffassung sieht der Bosbach-Entwurf für seine Regelpatientenverfügung, die so genannte einfache Patientenverfügung, eine Reichweitenbegrenzung vor. Er begrenzt die Reichweite der einfachen Patientenverfügung auf die Fälle, in denen nach ärztlicher Überzeugung eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt. Zur Begründung der Reichweitenbegrenzung verweist der Entwurf auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der dargelegt hat, dass die „Eingrenzung zulässiger Sterbehilfe“ auch für das Zivilrecht verbindlich ist. [ 27)] Der Entwurf will damit zugleich dem Umstand Rechnung tragen, dass eine antizipierte Willenserklärung mit einer aktuellen Willenserklärung nicht in jeder Hinsicht vergleichbar ist. Insoweit wird in der Begründung des Entwurfs ausgeführt, „dass bei einer Verfügung, die eine Situation vorweg nimmt, die nicht existentiell erlebt ist, ein erheblicher Unterschied zu einer aktuellen Willensäußerung besteht, die angesichts einer real eingetretenen Lebensgefahr und/oder im Lichte einer umfassenden ärztlichen Aufklärung über die Möglichkeiten medizinischer Behandlung und die Folgen eines Abbruchs oder der Nichtvornahme der medizinischen Maßnahme erklärt wird.“ [ 28)]
Auch wir sprechen uns wie unter I 3. dargestellt für eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen aus. Insoweit werden die im Bosbach-Entwurf vorgesehene grundsätzliche Reichweitenbegrenzung der einfachen Patientenverfügung sowie die Reichweitenbegrenzung für Entscheidungen, die auf dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen beruhen, begrüßt.
Kritisch werden jedoch die im Bosbach-Entwurf vorgesehenen Ausnahmeregelungen bewertet. So soll die Reichweitenbegrenzung in Fällen eines lang andauernden Wachkomas nicht greifen, sofern der Patient in einer schriftlichen Patientenverfügung für diesen Fall einen Behandlungsabbruch fordert. In diesen Fällen ist jedoch kein unumkehrbarer tödlicher Krankheitsverlauf gegeben. Die Möglichkeit des Behandlungsabbruchs wird daher mit dieser Ausnahmeregelung in eine Phase vorverlegt, in der noch keine infauste Prognose zu stellen ist. Diese besondere Regelung für Wachkomapatienten lehnen wir ab. Zwar begrenzt der Entwurf die Ausnahmeregelung auf solche Fälle, in denen der Patient schon längere Zeit ohne Bewusstsein ist und trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals wieder erlangen kann. Gleichwohl handelt es sich bei sog. Wachkomatösen nicht um Sterbende, sondern um Menschen mit schweren Behinderungen. [ 29)] Eine gesonderte Regelung für diese Patientengruppe erscheint aufgrund der damit verbundenen Bewertung dieser Behinderung problematisch.
Bei der Vorstellung des Bosbach-Entwurfs haben einige Unterstützer dieses Entwurfs erklärt, diese besondere Behandlung von Wachkomapatienten nicht mittragen zu wollen. Sie haben einen entsprechenden Änderungsantrag vorgelegt, dessen Ziel es ist, die einfache Patientenverfügung eines wachkomatösen Patienten den allgemeinen Regeln für einfache Patientenverfügungen zu unterwerfen. Dieser Änderungsantrag wird von uns begrüßt.
Eine weitere Vorverlagerung des Behandlungsabbruchs vor die Phase eines unumkehrbar tödlichen Verlaufs erlaubt der Bosbach-Entwurf für Fälle, in denen eine so genannte qualifizierte Patientenverfügung erstellt ist. Diese setzt umfassende Aufklärung und Beratung voraus. Damit wird bei der qualifizierten Patientenverfügung ein besonderes Schutzkonzept verfolgt, das erreichen soll, dass die antizipierte Willenserklärung des Betroffenen einer aktuellen Willenserklärung vergleichbar ist. [ 30)] Zweifellos tragen die engen Voraussetzungen der qualifizierten Patientenverfügung mit der ärztlichen und notariellen Beratung dafür Sorge, dass der Betroffene seine Patientenverfügung aufgeklärt und beraten abfasst. Aber selbst wenn eine Verfügung nach gründlicher Aufklärung mit größtmöglicher Präzision erstellt wurde, besteht die grundsätzliche Problematik fort, die einer Gleichsetzung von Patientenverfügungen und aktuellen Willensäußerungen anhaftet. Auch wenn eine Krankheitssituation theoretisch völlig zutreffend umschrieben und gedanklich vorweggenommen wurde, ist damit noch nicht sichergestellt, dass die Beurteilung dieser Lage im konkreten Erleben nicht grundlegend anders ausfällt als vorher vermutet. Insoweit erscheint es problematisch, wenn Betreuer und Bevollmächtigte sich in diesen Fällen nicht an die vom Bundesgerichtshof beschriebene Grenze zulässiger Sterbehilfe halten müssen, die der Bosbach-Entwurf für die einfache Patientenverfügung akzeptiert. Wir plädieren daher dafür, die Reichweitenbegrenzung auch auf die qualifizierte Patientenverfügung anzuwenden.
3. Zu den Formerfordernissen
Die Gesetzentwürfe stellen unterschiedliche Formerfordernisse für Patientenverfügungen auf. Die umfassendsten Formerfordernisse sollen für die so genannte qualifizierte Patientenverfügung des Bosbach-Entwurfs gelten: Eine qualifizierte Patientenverfügung ist schriftlich abzufassen. Eine ärztliche Aufklärung über das eingetretene Krankheitsbild muss ihrer Abfassung vorausgehen. Die ärztliche Aufklärung ist zu dokumentieren und die Patientenverfügung ist zeitnah zum ärztlichen Aufklärungsgespräch notariell zu beurkunden. Zudem ist sie alle fünf Jahre zu erneuern. Für die einfache Patientenverfügung des Bosbach-Entwurfs und für eine Patientenverfügung des Stünker-Entwurfs wird Schriftform verlangt. Lediglich der Zöller-Entwurf verzichtet auf Formerfordernisse, empfiehlt allerdings, die Schriftform einzuhalten und die Patientenverfügung regelmäßig zu aktualisieren.
Wie oben unter I 5. dargelegt, halten wir die Schriftform und die Fachberatung für unbedingt erforderlich. Diese Vorgaben helfen, unüberlegte oder übereilte Verfügungen zu vermeiden und steigern die Aussage- und Beweiskraft von Patientenverfügungen.
4. Zum Genehmigungsvorbehalt des Vormundschaftsgerichts
Nach unserer Auffassung ist auch bei Entscheidungen über die Nichtaufnahme oder den Abbruch lebenserhaltender Behandlungen ein umfassender Genehmigungsvorbehalt des Vormundschaftsgerichts sinnvoll, da dies die Betroffenen schützt und die Betreuer und Bevollmächtigten entlastet.
Der Bosbach-Entwurf enthält im Vergleich zu den anderen beiden Entwürfen den weitestgehenden Genehmigungsvorbehalt. Er erklärt die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für grundsätzlich erforderlich. Lediglich in den Fällen, in denen die Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat, Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter sich einig sind, dass der Patient keine weitere Behandlung gewünscht hätte, und der Betroffene dies in einer Patientenverfügung niedergeschrieben hat, ist die Genehmigung ausnahmsweise entbehrlich. Auf diese Weise wird sowohl ein weitgehender Schutz des Patienten als auch eine begrüßenswerte Entlastung für Betreuer und Bevollmächtigte erreicht. Der Bosbach-Entwurf ist insoweit den beiden anderen Entwürfen vorzuziehen.
Anders als der Stünker-Entwurf und der Zöller-Entwurf sieht der Bosbach-Entwurf ferner vor, dass in den Fällen, in denen sich der Betreuer bzw. Bevollmächtigte und der behandelnde Arzt bei ihrer Entscheidung für eine Nichtvornahme bzw. den Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung auf den mutmaßlichen Willen des Patienten stützen, in jedem Fall das Vormundschaftsgericht angerufen werden muss. Diese Regelung des Bosbach-Entwurfs ist angesichts der besonderen Schwierigkeiten, die mit der Ergründung des mutmaßlichen Willens verbunden sind, angemessen und überzeugend.
5. Zum allgemeinen Kopplungsverbot
Das in § 1901b Abs. 5 BGB-E des Bosbach-Entwurfs vorgesehene allgemeine zivilrechtliche Kopplungsverbot wird begrüßt.
III. Abschließende Anmerkungen
Die Kontroverse über die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen darf nicht verdecken, dass sich einige wichtige Konsense in der Debatte zeigen.
Über alle Fraktionsgrenzen hinweg sprechen sich die Parlamentarier für einen Ausbau der Palliativmedizin aus. Der Antrag „Leben am Lebensende – Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende schaffen“ hat in der Bundestagsdebatte am 19.06.2008 breite Zustimmung erhalten. Dieses gemeinsame Anliegen sollte unbedingt über das laufende Gesetzgebungsverfahren hinaus weiterverfolgt werden. In diesem Zusammenhang muss trotz und gerade angesichts des Kostendrucks im Gesundheitswesen alles dafür getan werden, dass kranke, pflegebedürftige und sterbende Menschen die notwendige Versorgung, die sie brauchen und die sie wünschen, erhalten.
Sehr bedeutsam ist ferner, dass die Verfasser aller drei Gesetzentwürfe aktiver Sterbehilfe eine Absage erteilt haben. Daran wird die weitere Rechtsentwicklung zu messen sein, unabhängig davon, welcher Gesetzentwurf am Ende eine Mehrheit erhält.
Freiburg, Bonn, Berlin, den 03.03.2009
1) Christliche Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung, Handreichung und Formular der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Verbindung mit den weiteren Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, 2. Aufl., 2003.
2) Karl Kardinal Lehmann, „Wann darf ein Mensch sterben?“, Referat in der Reihe „Domvorträge“ 30.05.2005, Mainz, S. 10.
3) Vgl. dazu Andreas Lob-Hüdepohl, Patientenverfügungen und würdevolles Sterben, Arbeitspapiere des ICEP 3/2005, S. 7, der in diesem Zusammenhang vom „Risiko einer negativen Selbstbindung“ spricht.
4) Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes zum Referentenentwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 01.02.2005, S. 2; Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat dargelegt, dass der aktuelle Wille des Patienten mit der voraus verfügten Willenserklärung nicht automatisch identisch ist: Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur rechtlichen Verbindlichkeit von Patientenverfügungen vom 30.06.2006, S. 4.
5) BGHZ 154, 205, 211.
6) BGHZ 154, 205, 215.
7) BGHZ ebd.
8) Christliche Patientenverfügung a.a.O., S. 11.
9) Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Zweiter Band „Leben aus dem Glauben“, 1995, S. 307.
10) Di Fabio in Maunz-Dürig: Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 48.
11) Stellungnahme des DCV a.a.O., S.5, Erklärung des ZdK a.a.O., S 8, 9.
12) BGHZ 154, 205, 227.
13) Stellungnahme des DCV a.a.O., S. 5.
14) Christliche Patientenverfügung a.a.O., S. 18.
15) Stellungnahme des DCV a.a.O., S. 4.
16) ZdK a.a.O., S. 9.
17) Christliche Patientenverfügung, a.a.O. S. 24, ZdK a.a.O. S. 6, 7; Stellungnahme des DCV a.a.O., S. 6.
18) Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes a.a.O., S. 6.
19) Bundestagsdrucksache 16/8442, S. 14.
20) Thomas Wagenitz, „Finale Selbstbestimmung? Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Patientenverfügung im geltenden und künftigen Recht“, FamRZ 2005, S. 669, 675.
21) Thomas Wagenitz, ebd.
22) Bundestagsdrucksache 16/11360, S. 16 und 18; Bundestagsdrucksache 16/11493, S. 5.
23) Bundestagsdrucksache 16/11360, S. 18.
24) Bundestagsdrucksache 16/8442, S. 16; Bundestagsdrucksache 16/11493, S. 9.
25) Bundestagsdrucksache 16/8442, S. 16.
26) Bundestagsdrucksache 16/11493, S. 9.
27) BGHZ 154, 205, 215.
28) Bundestagsdrucksache 16/11360, S. 20.
29) ZdK S. 8.
30) Bundestagsdrucksache 16/11360, S. 15.