Europas Identität – Eine Einführung

von Hubert Tintelott im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Das Bemühen um Fortschritte bei der Europäischen Integration ist seit langem ein Anliegen, welches das ZdK immer wieder durch Erklärungen und Stellungnahmen aufgreift. Eine der zentralen Forderungen war dabei immer die Forderung nach demokratischeren und transparenteren Entscheidungsprozessen. Die Direktwahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament war ein entscheidender Schritt im Hinblick auf diese Zielsetzung. Das Europäische Parlament hat sich in den letzten Jahren wachsende Entscheidungskompetenzen erkämpft. Mit einer Verabschiedung des Lissabonner Vertrages würden dem Parlament weitere Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte zugesprochen. Eine baldige Ratifizierung dieses Vertrages durch die noch fehlenden EU-Staaten ist auch aus diesem Grund dringend einzufordern. Doch die wachsenden Kompetenzen des Europäischen Parlamentes werden im Institutionengefüge der EU vor allem auch dann Beachtung finden, wenn den Parlamentariern durch eine hohe Wahlbeteiligung der Rücken gestärkt wird. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken erinnert in seiner vom Hauptausschuss beschlossenen Erklärung daran, dass Teilnahmemöglichkeiten an freien demokratischen Wahlen in Europa ein Privileg sind und das Wahlrecht die Möglichkeit bietet, Europa aktiv mit zu gestalten. Diese Möglichkeit sollte von allen Bürgern wahrgenommen werden. Gerade wenn wir als Christen Europa aktiv mit gestalten wollen, sollte die Teilnahme an den Europawahlen für uns eine Selbstverständlichkeit sein.

Doch so sehr vielen von uns die Bedeutung Europas und der europäischen Institutionen für die Bewältigung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen in einer globalen Welt bewusst ist, so wenig dürfen wir übersehen, dass in einer breiten Öffentlichkeit bei den Bürgern doch eine gewisse Europamüdigkeit oder sogar Europaverdrossenheit festzustellen ist. Die erreichten Ziele, wie Sicherung des Friedens und der Freiheit und eines hohen Maßes an sozialer Gerechtigkeit, werden für selbstverständlich erachtet, und man beklagt die Unübersichtlichkeit der Entscheidungsprozesse, eine übermäßige Bürokratisierung und eine Normenflut. Immer häufiger erlebt man auf europäischer Ebene auch, dass einseitig nationale Interessen zu Lasten der europäischen Interessen verfolgt werden.

Gerade die aktuellen Entwicklungen im Umfeld der Finanz- und Wirtschaftskrise haben je-doch gezeigt, wie wichtig es für Europa ist, mit einer Stimme zu sprechen und das europäische Gemeinwohl nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Bedeutung der europäischen Institutionen wird neu gesehen und der Europäische Integrationsprozess kann dadurch neue Impulse bekommen.

Doch unabhängig von so aktuellen politischen Entwicklungen ist es im Hinblick auf den europäischen Einigungsprozess notwendig, auch die Frage nach einer europäischen Identität zu stellen, die notwendig ist für den inneren Zusammenhalt in Europa. Identität wächst aber nicht allein durch den politischen Zusammenschluss verschiedener europäischer Staaten und den Aufbau gemeinsamer Institutionen, Identität wächst auch nicht allein durch eine gemein-same Währung oder die gleiche Farbe des Passes. Identität wird auch nicht allein begründet durch einen Binnenmarkt mit freiem Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr, dies alles hat zweifelsohne seinen Stellenwert, aber Identität wird ganz wesentlich eben auch begründet durch gemeinsame Werte, eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Kultur. Die Bedeutung der Kultur als Identität schaffendes Element stellt die vom Hauptausschuss unter dem Titel "Europas Identität – Der Beitrag der christlichen Kultur zu Europas Vielfalt und Einheit" verabschiedete Erklärung in den Mittelpunkt. Wenn wir von europäischer Kultur sprechen, darf jedoch auch die Bedeutung der Religion nicht übersehen werden. Ohne ihre religiösen Wurzeln und insbesondere ihre christlichen Wurzeln ist die Kultur Europas nicht zu verstehen, heißt es in der Erklärung und im Anschluss daran wird dann der Beitrag der Religion auf die einzelnen Kulturbereiche in Erinnerung gerufen.

Europa ist nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle Einheit. Dieser Einheit müssen wir uns wieder stärker bewusst werden und dazu sind viele Schritte nötig und möglich. Es braucht eine stärkere Beachtung des Themas Europa in den Lehrplänen, es braucht vermehrte Austauschprogramme von Jugendlichen und Erwachsenen, es braucht eine kreative Gestaltung und Ausweitung der Partnerschaften zwischen Schulen und Gemeinden über Landesgrenzen hinweg. Doch auch wir sind gefordert: Diözesen, Pfarreien und kath. Verbände sind aufgerufen, in Europa partnerschaftliche Verbindungen mit kirchlichen Strukturen in anderen Ländern zu knüpfen und die vorhandenen zu stärken und auszubauen.

Die vom Sachbereich "Kulturpolitische Grundfragen" und vom Sachbereich "Europäische Zusammenarbeit" in einer Arbeitsgruppe erarbeitete und vom Hauptausschuss am 29. März 2009 verabschiedete Erklärung will einen Anstoß geben, sich der gemeinsamen
Kultur als Identität schaffendes Element in Europa stärker bewusst zu werden.

"Europa ist komplex, doch diese Komplexität ist Folge der nationalen und regionalen Vielfalt, die charakteristisch für Europa ist und die wir bewahren wollen", heißt es in der Erklärung und sie fährt dann fort: "Europa ist aber auch eine kulturelle und politische Einheit – sie kann und soll es werden." Dazu will die Erklärung einen Beitrag leisten.

Hubert Tintelott, Sprecher des Sachbereichs 10

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