Warum wir einen "Global Deal" brauchen

Rede von Prof. Dr. Ottmar Edenhofer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Nicht das Klima sei bedroht, sondern unsere Freiheit. Das ist es, was viele Unterneh-mensführer denken, aber nur selten klar zum Ausdruck bringen: Der globale Klimaschutz beschränkt das Wirtschaftswachstum und damit unsere Freiheit. Die globale Klima-schutzbewegung benutze das vermeintliche Klimaproblem, um die Freiheit des Menschen zu beschränken – die Freiheit, zu reisen, zu konsumieren und zu produzieren. Der Klima-schutz sei nicht mehr und nicht weniger als ein Angriff auf das Projekt einer liberalen Globalisierung. Die Freiheit der Märkte mit ihrem enormen Potenzial zur Schaffung von Wohlstand werde vor allem zu Lasten jener Länder beschränkt, die den Wohlstand der USA, Europas oder Japans erst noch erringen wollen. Was also ist bedroht – das Klima oder die Freiheit?

Die Frage ist falsch gestellt. Gefährlicher Klimawandel ist eine Bedrohung unserer Frei-heit. Kluger Klimaschutz dagegen wird die unternehmerische Freiheit fördern. Aber: Wer globalen Klimaschutz will, wird dies nur erreichen, wenn er den Entwicklungs- und Schwellenländern ein faires Angebot unterbreitet. Es geht also in der Klimadebatte um eine Neubestimmung von Freiheit und Gerechtigkeit.

Der Vierte Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) konstatiert für den Zeitraum von 1970 bis 2004 einen Anstieg der globalen von Menschen gemachten Treibhausgas-emissionen um 70 Prozent. Obwohl die Energieintensität der Weltwirtschaft (Energie-verbrauch pro Einheit Sozialprodukt) ebenso wie die Kohlenstoffintensität der Energie-produktion gesunken sind, wurden diese emissionsmindernden Effekte durch den Anstieg der Weltbevölkerung und die Steigerung der Arbeitsproduktivität (Sozialprodukt pro Kopf) bei weitem überkompensiert. Angesichts des zu erwartenden weiteren Wachs-tums der Weltbevölkerung und der Arbeitsproduktivität ist daher im Falle eines energie- und klimapolitischen "Weiter so" mit deutlich steigenden Emissionen zu rechnen. Von 2005 bis 2007 beobachten wir sogar die höchsten Wachstumsraten der weltweiten
Emissionen seit 1970. Erst wenn die Energie- und Kohlenstoffintensität schneller redu-ziert wird als Bevölkerung und Arbeitsproduktivität steigen, können auch die weltweiten Emissionen sinken. Die niederschmetternde Diagnose des Vierten Sachstandsberichts lautet deshalb: "Wir sind nicht auf dem richtigen Weg!" Geringfügige Abweichungen von einem Weiter-wie-bisher-Szenario werden nicht ausreichen, um klimapolitisch relevante Ziele zu erreichen. Es bedarf also einer beträchtlichen Kraftanstrengung, um die Welt-wirtschaft von der Kohlenstofflast zu befreien.

Zwar ist der Anstieg der weltweiten Emissionen vor allem auf das rasante Wirtschafts-wachstum Chinas und Indiens zurückzuführen. Doch sind sowohl die USA als auch Euro-pa weit davon entfernt, ihre Emissionen abzusenken. Sie wachsen dort lediglich weniger schnell. Dabei gehen mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen seit Beginn der Industriali-sierung auf das Konto Europas und der USA. Keine Industrienation der Welt hat es bis-her geschafft, ihr Wirtschaftswachstum vom Treibhausgasausstoß dauerhaft zu entkop-peln. Die wirtschaftlich am stärksten prosperierenden Länder wie China und Indien, aber auch die USA und Russland werden Elektrizität überwiegend aus Braun- und Steinkohle gewinnen. Selbst wenn es weiterhin zu einer Steigerung der Energieeffizienz kommt und China und Indien sowohl die erneuerbaren Energieträger als auch die Nuklearenergie im bisher geplanten Umfang ausbauen – für eine dauerhafte Entkoppelung von Wirtschafts-wachstum und Emissionen wird dies nicht reichen. In den kommenden 20 Jahren wird ein Großteil der globalen Energieinfrastruktur erneuert und zugebaut. Fallen die Investitions-entscheidungen jetzt zu Gunsten von Kohlekraftwerken, sind die Emissionen künftig nur mit hohen Kosten zu reduzieren. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um Fehlinvesti-tionen zu vermeiden.

Wird der gegenwärtig von den USA, China und Indien eingeschlagene Pfad der Energie-politik weiter beschritten, ist ein dramatischer Klimawandel unausweichlich. Um gefährli-chen Klimawandel zu vermeiden, müsste der Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf
2 Grad Celsius begrenzt werden. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die
globalen Emissionen bis zum Jahre 2020 stabilisiert werden und bis zur Mitte des Jahr-hunderts gegenüber dem Niveau von 1990 um deutlich mehr als die Hälfte reduziert werden. Manche Energiepolitiker und viele Energiestrategen in den großen Konzernen halten das bereits für unerreichbar.

Es ist daher verständlich, dass angesichts der gewaltigen Herausforderungen Nachrichten gerne gehört werden, die die Gefahren des Klimawandels als gering erscheinen lassen. Auch wenn diese Einsichten im Gewand ökonomischer Vernunft die Bühne betreten – sie sind grob fehlerhaft, weil sie entscheidende Effekte vernachlässigen: die fortschreiten-de Versauerung der Ozeane, das Austrocknen der tropischen Regenwälder, die Verän-derung der Monsundynamik in China und Indien, das Schmelzen der Gletscher im tibeti-schen Hochland. Hier werden Kippschalter im Erdsystem aktiviert, die kaum überschau-bare Probleme erzeugen und praktisch nicht mehr zurückgenommen werden
können. Ein Abschmelzen der Gletscher im tibetischen Hochland führt zunächst zu ver-mehrten Überschwemmungen der großen Flüsse Chinas; schließlich werden sie jahres-zeitlich bedingt austrocknen, da der kontinuierliche Abfluss der Gletscher nicht mehr möglich ist. Solche weitreichenden Schäden, die die Funktionsfähigkeit des gesamten Erd-systems beeinträchtigen, können jedoch nicht sinnvoll in Geldgrößen ausgedrückt wer-den. Zwar hat der 2006 veröffentlichte Bericht des britischen Ökonomen Nicholas Stern gezeigt, dass die Klimaschäden bis zu 20 Prozent des weltweiten Sozialproduktes betra-gen können, wenn es zu keinem effektiven Klimaschutz kommt. Von dem Versuch, die Schäden zu beziffern, die entstehen, wenn die Kippschalter aktiviert werden, hat aber auch Stern Abstand genommen. Kein Wunder – von diesem russischen Roulette wird jeder vernünftige Ökonom abraten. Deshalb dürfen die Kippschalter erst gar nicht akti-viert werden. Dann aber ist der tiefgreifende Umbau des weltweiten Energiesystems un-vermeidbar. Doch ist er auch machbar?

In den letzten Jahren haben sich vermehrt Ökonomen, Naturwissenschaftler und Ingeni-eure zu Wort gemeldet, die eine Wende im globalen Energiesystem zu akzeptablen volkswirtschaftlichen Kosten für realisierbar halten. Als wichtigste Optionen werden zum Beispiel im Bericht des Weltklimarates die Steigerung der Energieeffizienz, die Förderung der erneuerbaren Energien sowie die Kohlendioxid-Abscheidung und -Einlagerung im geologischen Untergrund bezeichnet. Letztere Option ist schon deshalb wichtig, weil sie die emissionsarme Nutzung von Kohle in China und Indien erlaubt. Die Nuklearenergie und die Substitution von Kohle durch Gas, das ein geringeres Treibhauspotenzial als
Kohle besitzt, werden vom IPCC als eher nachrangige Vermeidungsoptionen einge-schätzt. Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigen zu-dem, dass auf einen weiteren Ausbau der Nuklearenergie verzichtet werden kann, ohne dass die Kosten der Klimapolitik steigen müssen. Mittelfristig (bis 2030) bieten laut IPCC Maßnahmen zur Energieeffizienz, dazu die Verminderung von Nicht-CO2-Treibhausgasen (zum Beispiel Lachgas und Methan) außerhalb des Energiesektors und schließlich der Ein-satz von erneuerbaren Energien das größte Vermeidungspotenzial.

Im Gegensatz zu den früher vorgelegten IPCC-Berichten zeigt die Arbeitsgruppe III im Vierten Sachstandsbericht, dass die Kosten dieses Reduktionsprogramms relativ gering sind. Sie lägen bei weniger als drei Prozent des weltweiten Sozialproduktes bis 2030, wenn die Konzentration der Emissionen in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisiert wird, das mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar ist.

Für das Erreichen solcher politischen Ziele gibt es jedoch eine Mindestvoraussetzung: Die Atmosphäre darf nicht weiter kostenlos genutzt werden. Erst wenn es etwas kostet, CO2 zu emittieren, lohnt es sich betriebswirtschaftlich, über erneuerbare Energieträger oder die Kohlenstoffabscheidung nachzudenken. Ein weltweiter Markt für Emissionsrech-te wäre hierfür das geeignete Mittel.

Emissionshandelssysteme bieten gegenüber CO2-Steuern den Vorteil, dass das Emissi-onsvolumen direkt kontrolliert werden kann; dagegen bestehen Unsicherheiten über die Entwicklung des Emissionspreises. Als Vorteil der Steuer wird daher immer wieder ins Feld geführt, die Investoren könnten dann mit sicheren Preisen rechnen, was die Investi-tionsbereitschaft in erneuerbare Energieträger oder in emissionsarme Kohlekraftwerks-technologie erhöhen würde. Dieses Argument trifft jedoch nur bedingt zu. Eine CO2-Steuer kann diesen Effekt nur dann haben, wenn sie glaubwürdig ist und die Investoren keine größeren politischen Richtungsänderungen erwarten müssen. Der gleiche Effekt wird aber auch dann erzielt, wenn die Emissionsminderungen klar und überzeugend an-gekündigt werden. Entscheidend ist also die langfristige Glaubwürdigkeit der Klimapolitik. Dieses dringliche Problem muss, unabhängig von der Wahl des Instruments, gelöst wer-den.

Will man das Zwei-Grad-Ziel erreichen, so bedeutet dies, dass die globalen CO2-Emissionen von heute durchschnittlich 4,9 Tonnen CO2 pro Kopf der Weltbevölkerung auf 1,5 Tonnen pro Kopf im Jahr 2050 abgesenkt werden müssen.

Für die gerechte Zuteilung von Emissionsrechten wird immer wieder der Vorschlag ins Spiel gebracht, dass jedem Erdenbürger bis zum Jahr 2050 das gleiche Emissionsrecht zugestanden werden solle: Ausgehend von ihren heutigen Pro-Kopf-Emissionen werden den Industriestaaten schrittweise weniger Emissionsrechte zugeteilt, während die Ent-wicklungsländer zunehmend mehr Emissionsrechte erhalten, bis im Jahr 2050 jedes Land die gleichen Pro-Kopf-Rechte erhält. Dies würde bedeuten, dass die Emissionsrechte der Industriestaaten gegenüber dem heutigen Niveau um 80 Prozent abgesenkt werden müssten. Allerdings würden die Industrieländer ihre Emissionsminderungen nicht not-wendigerweise in ihren heimischen Volkswirtschaften erbringen müssen. Über den Emis-sionshandel können sie den Entwicklungsländern Emissionsrechte abkaufen. Mit den Ver-kaufserlösen können die Emissionen in den Entwicklungsländern zu geringeren Kosten reduziert werden als in den Industriestaaten. Wenn die durchschnittlichen Vermeidungs-kosten der Entwicklungsländer geringer sind als die Zertifikatspreise – was offenkundig der Fall ist –, dann werden die Entwicklungsländer vom Emissionshandel finanziell erheb-lich profitieren. Die höchsten Vermeidungskosten werden vermutlich die USA zu tragen haben, neben Afrika werden voraussichtlich Indien und China am meisten profitieren. Die Erlöse aus dem Emissionshandel könnten die heutige Entwicklungshilfe für Afrika bei wei-tem übersteigen. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil die Entwicklungsländer von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sein werden. Insofern bietet sich hier die Möglichkeit, Kompensationszahlungen für Klimaschäden im Rahmen der Verteilung von Emissionsrechten zu leisten.


Auf den ersten Blick scheint das Prinzip von Verminderung und Gleichverteilung der
Emissionsrechte den Vorstellungen eines "fairen" Deals zu entsprechen. Dieses Prinzip vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass vor allem Europa und die USA die Atmosphäre seit Beginn ihrer Industrialisierung kostenlos genutzt haben. Lediglich die künftigen Nut-zungsmöglichkeiten werden hier zwischen allen gleich verteilt. Die bereits angehäufte Kohlenstoffschuld wird nicht in Betracht gezogen. Diese Verteilungsregel entspricht in etwa folgender Situation: Zehn Personen dürsten in der Wüste. Zwei von ihnen trinken, ohne Rücksicht auf die anderen, ein Glas Wasser halb leer. Nach Verhandlungen um die Verteilung der zweiten Hälfte des Glasinhalts bescheiden sich alle zehn mit dem verblie-benen Rest zu gleichen Teilen. Man wird daher die Gleichverteilung künftiger Nutzungs-möglichkeiten als das Minimum an Gerechtigkeit betrachten können. Immerhin haben sich – neben Bundeskanzlerin Merkel – Länder wie Indien bereits positiv zu diesem Vor-schlag geäußert.

Ein globaler Emissionshandel wird sich nicht sofort einführen lassen, er wird sich schritt-weise entwickeln. Die EU hat das Verfahren bereits eingeführt. Insgesamt 25 Staaten in den USA, das ist immerhin die Hälfte aller US-Bundesstaaten, planen die Einführung von drei verschiedenen regionalen Emissionshandelssystemen. Damit erhöht sich auch der Druck auf Washington, in den USA zügig ein einheitliches nationales System zu etablie-ren. Im August 2007 besuchte Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. In den Gesprächen wurde vereinbart, die Bera-tungen über die Entwicklung eines transatlantischen Marktes für Emissionsrechte aufzu-nehmen. Mittlerweile wurde mit der International Carbon Action Partnership (ICAP) eine Plattform gegründet, die die Frage klären wird, wie und ob sich das europäische
Emissionshandelssystem mit den neu entstehenden regionalen Emissionshandelssystemen in den USA, aber auch mit dem schrittweise ab 1. Januar 2008 in Neuseeland eingeführ-ten System verzahnen ließe.

Auch wenn sich die Weltgesellschaft auf das ambitionierte Zwei-Grad-Ziel einigt und es auch erreicht, wird es zu Klimaveränderungen kommen, die nicht mehr aufzuhalten sind. Den Folgen dieses in jedem Falle stattfindenden Klimawandels muss in den betroffenen Regionen durch entsprechende Maßnahmen begegnet werden. Hauptverursacher des unabwendbaren Schadens sind die industrialisierten Weltregionen. Sie stehen also bei der Finanzierung dieser Kosten in der Verantwortung. Hier gilt es, geeignete Finanzie-rungsmechanismen, wie etwa einen Anpassungsfonds, sowie Regeln für die Verteilung der Mittel und Kosten zu identifizieren.

Die politischen Herausforderungen eines solchen Global Deals sind groß. Aber die Politik kann darauf vertrauen, dass Marktwirtschaften auch mit vorübergehend steigenden Prei-sen für CO2 fertig werden, denn die Überwindung von Knappheiten war immer schon das Kerngeschäft freier Märkte. Ohnehin wäre der Umbau des Energiesystems am Ende dieses Jahrhunderts unvermeidbar, wenn die fossilen Energieträger knapp und teuer werden. Nun muss der Umbau der Weltwirtschaft wegen des Klimawandels früher ange-packt und schneller durchgeführt werden. Mit innovativen Marktwirtschaften hat die Menschheit bislang gute Erfahrungen gemacht; mit gefährlichem Klimawandel würde sie aller Voraussicht nach schlechte machen.

Ohne Gerechtigkeit wird globaler Klimaschutz keinesfalls gelingen. Auch hier wiederholt sich die Erfahrung, die freie Gesellschaften bei der sozialen Bändigung des Kapitalismus machen mussten: Freiheit kann es ohne Gerechtigkeit nicht geben.

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer Stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

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