Islamischer Religionsunterricht als Chance für Integration und Dialog

Erklärung des Gesprächskreises "Christen und Muslime" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Ein gemeinsames christlich-muslimisches Votum für konfessionellen Religionsunterricht
Der Gesprächskreis "Christen und Muslime" beim ZdK besteht seit dem Jahr 2000. Er setzt sich aus elf Christen und acht Muslimen zusammen. Als Christen und Muslime befürworten wir in dieser Erklärung gemeinsam den konfessionellen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach auf der Grundlage von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wir sehen die Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in deutscher Sprache als einen Schlüssel zur Integration an. Außerdem betrachten wir die Einführung von islamischem Religionsunterricht als Chance für den gesellschaftlichen wie interreligiösen Dialog. Daher beschäftigt sich unsere erste öffentliche Erklärung mit diesem Thema. Wir rufen die Verantwortlichen in den Bundesländern auf, sich weiterhin aktiv für die Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzusetzen. Die christlichen Mitglieder des Arbeitskreises sprechen sich dafür aus, dass die Kirchen noch stärker die Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts unterstützen. Umgekehrt unterstützen die muslimischen Mitglieder des Arbeitskreises den christlichen konfessionellen Religionsunterricht gegen alle Tendenzen, diesen durch religionskundliche und allgemein Werte vermittelnde Fächer zu ersetzen.

1. Information
1.1. Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes
Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes lautet: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen." Das sichert dem Religionsunterricht den Status eines ordentlichen Lehrfachs zu. Dies bedeutet auch, dass der Religionsunterricht wie jedes andere Fach der staatlichen Schulaufsicht untersteht. Er wird von staatlich angestellten und bezahlten Lehrkräften in der Schule erteilt, die in der Regel eine universitäre Ausbildung haben. Die Teilnahme ist für Schülerinnen und Schüler des entsprechenden Bekenntnisses verpflichtend, wenn keine Abmeldung durch die Eltern oder die religionsmündigen Jugendlichen erfolgt. Die im Religionsunterricht erbrachten Leistungen werden benotet, und die Noten sind versetzungsrelevant. Die Bundesländer garantieren die Durchführung des konfessionellen Religionsunterrichts und machen so gleichzeitig deutlich, dass der Religionsunterricht Teil des Bildungskanons ist. Dies umfasst auch die Ausbildung der Lehrkräfte an Lehrstühlen und Fakultäten, an denen die Religionslehrerinnen und Religionslehrer einen universitären Studienabschluss als Voraussetzung für die Anstellung ablegen können.
Weil in Deutschland der Staat den Kirchen und Religionsgemeinschaften zwar positiv gegenübersteht, selbst jedoch zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, können die Inhalte des Religionsunterrichtes nur von den Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst festgelegt werden. In diesem Sinne ist der Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes "konfessionell", das heißt, er ist inhaltlich auf ein konkretes (Glaubens-)Bekenntnis und damit auf eine konkrete Glaubensgemeinschaft hin orientiert. Der Staat ist daher zur Durchführung des Religionsunterrichtes auf die Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften angewiesen. Dazu sind auf Seiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften legitimierte Ansprechpartner notwendig. Diese erarbeiten die Inhalte des Religionsunterrichtes entsprechend ihren Glaubensaussagen, während die staatliche Seite darauf zu achten hat, dass die Inhalte den Grundwerten der Verfassung nicht widersprechen und die allgemeinen Erziehungsziele der Schule mittragen. Die gemeinsame Verantwortung kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Lehrkräfte vom Staat auf die Verfassung vereidigt werden und von den Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Zulassung benötigen.
Das komplexe Zusammenwirken von Staat und Religionsgemeinschaften sichert sowohl die weltanschauliche Neutralität des Staates als auch die Unabhängigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften. In Deutschland bietet das System der Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Nichteinmischung die Gewähr für die Verwirklichung der Religionsfreiheit.

1.2. Schwierigkeiten bei der Einführung von islamischem Religionsunterricht
Das besondere Kooperationsverhältnis des Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften bringt einige Anforderungen mit sich. Der Islam kennt traditionell keine kirchenähnlichen Organisationsstrukturen. In Deutschland sind Moscheegemeinden als eingetragene Vereine organisiert, von denen sich die große Mehrzahl in verschiedenen Dachorganisationen zusammengeschlossen hat. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), in dem bisher vier Dachorganisationen zusammenarbeiten, vertritt die Mehrheit der Moscheevereine. Die Mehrzahl der Muslime ist jedoch nicht eingetragenes Mitglied in einem Moscheeverein.
Dies führt dazu, dass der Nachweis der Religionszugehörigkeit von Schülerinnen und Schülern erschwert ist. Zudem können die Dachorganisationen oder der Koordinationsrat aus staatlicher Sicht nicht im Sinne einer direkten Legitimation die Muslime vertreten.
Staatliche Stellen sehen aufgrund der zum Teil politischen und organisatorischen Verbindungen muslimischer Verbände in die Herkunftsländer Schwierigkeiten, sie als Religionsgemeinschaft gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes anzuerkennen. Das größte Hindernis bei der Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach ist daher aus staatlicher Sicht der fehlende islamische Ansprechpartner, der autorisiert ist, im Namen der muslimischen Gläubigen die Inhalte des Unterrichts festzulegen und die Lehrkräfte zu beauftragen.

1.3. Konfessioneller oder religionskundlicher Unterricht
In der Diskussion um die Einführung des islamischen Religionsunterrichts tauchen immer wieder Argumente gegen die Konfessionalität auf, die seit längerem mit Blick auf den katholischen und evangelischen Religionsunterricht diskutiert werden. Gegen diese Argumente steht die Erfahrung, dass ein echter Dialog der Religionen nur von der Basis eines eigenen Standpunktes aus geführt werden kann. Gerade in der Begegnung mit anderen Glaubensüberzeugungen ist die reflektierte und kritische Vergewisserung des eigenen Bekenntnisses eine unerlässliche Voraussetzung. Genau darin liegt die besondere Chance des Religionsunterrichtes. In der Schule wird die eigene religiöse Überzeugung mit anderen religiösen Überzeugungen und mit den Deutungssystemen der Geistes- und Naturwissenschaften ins Gespräch gebracht. Ein religionskundlicher Ansatz bleibt demgegenüber auf der Ebene der vergleichenden Darstellung und ist weniger geeignet, die persönliche Auseinandersetzung, die Ausbildung einer gesprächsfähigen religiösen Identität und das Hineinwachsen junger Menschen in eine Gemeinschaft gleichen Bekenntnisses zu fördern. In ähnlicher Weise gilt dies auch für die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die durch ihre Einbindung in die Schule und damit auch in die Universität die Chance erhalten, in den Diskurs mit anderen Wissenschaften einzutreten. Gerade auf diese Weise können sie ihre gesellschaftliche Verantwortung im pluralen und demokratischen Staat wahrnehmen. Die kritischen Argumente sprechen damit nicht gegen einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht, sondern vielmehr für einen dialogisch ausgerichteten konfessionellen Religionsunterricht in ökumenischer und interreligiöser Offenheit. Von einem solchen Unterricht profitieren Schüler, Religionsgemeinschaften und die Gesellschaft wesentlich mehr als von religionskundlichen Modellen. Die besondere Qualität, die ein konfessioneller Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach erreicht, gilt es zu erhalten. Sie rechtfertigt auch die aufwändigen Bemühungen, den islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach mit Bekenntnisorientierung zu entwickeln.

1.4. Modellversuche und Studienmodelle in verschiedenen Bundesländern
Das Bildungs- und Hochschulwesen sowie die Religionsangelegenheiten fallen im deutschen föderalistischen System in die Zuständigkeit der Länder. Daher gehen die einzelnen Bundesländer in Sachen islamischer Religionsunterricht verschiedene Wege. Bisher wurde islamischer Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes noch in keinem Bundesland als ordentliches und konfessionelles Lehrfach eingeführt. Schulversuche zeugen jedoch von dem Willen, dies eines Tages Wirklichkeit werden zu lassen. Inzwischen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass räumlich begrenzte Experimente oder Modellversuche gegenüber einem weiteren Stillstand in dem seit über 25 Jahren diskutierten Thema zu bevorzugen sind. Unabhängig vom jeweiligen Modell besuchen über 90 % der in Frage kommenden muslimischen Kinder dort den Religionsunterricht. Die bislang sehr erfolgreichen Modellversuche liefern Erfahrungen für Zugänge zu dauerhaften Konstruktionen.
Im Folgenden werden die verschiedenen Wege der Bundesländer kurz vorgestellt:
Einen in Artikel 141 des Grundgesetzes verankerten Sonderstatus ("Bremer Klausel") haben Bremen und Berlin. Dort ist der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften erteilen in alleiniger Verantwortung in schulischen Räumen Religionsunterricht, der damit nicht der Schulaufsicht untersteht. Die Lehrkräfte müssen keine staatliche Lehrbefähigung haben und sind nicht staatlich angestellt und besoldet. Nach einem Rechtsstreit praktiziert dies auch die Islamische Föderation in Berlin seit 2001 an 37 Schulen.
In Hamburg gibt es den so genannten "Religionsunterricht für alle". Die katholische Kirche beteiligt sich jedoch nicht an diesem in evangelischer Verantwortung durchgeführten Fach, da sie den interreligiösen Ansatz mit Blick auf die Ausbildung eines eigenen dialogfähigen Standpunktes für weniger geeignet hält.
Die beiden größten Schulversuche haben religionskundlichen Charakter, wobei die jeweilige Landesregierung längerfristig einen konfessionellen Unterricht anstrebt: In Nordrhein-Westfalen wird seit 1999/2000 auf der Grundlage eines allein in staatlicher Verantwortung erarbeiteten Lehrplans an inzwischen 140 Schulen Islamkunde in deutscher Sprache erteilt. Darunter befinden sich neben Grund- und Hauptschulen auch 24 Förderschulen, einige Real- und Gesamtschulen sowie zwei Gymnasien. Ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht ist in Duisburg und Köln geplant. In Bayern beteiligen sich inzwischen 77 Grund- und Hauptschulen an dem seit dem Schuljahr 2001/2002 laufenden Schulversuch "Islamische Unterweisung in deutscher Sprache", ebenfalls auf der Grundlage eines allein in bayerischer Verantwortung erarbeiteten Lehrplans. Daneben gibt es noch – ähnlich wie in einigen anderen Bundesländern – die "Religiöse Unterweisung türkischer Schüler muslimischen Glaubens in türkischer Sprache", die im Rahmen des türkisch muttersprachlichen Unterrichts in Absprache mit türkischen Behörden angeboten wird, aber den Zielen des islamischen Religionsunterrichtes nur teilweise entspricht.
In zwei Fällen wurde in Bayern zunächst auf lokaler Ebene versucht, einem konfessionellen Unterricht möglichst nahezukommen: Seit dem Schuljahr 2003/2004 läuft in Bayern an einer Erlanger Grundschule der Schulversuch "Islamunterricht". Der Lehrplan und die Auswahl der Lehrkräfte wurden dabei mit der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen abgestimmt. Der Schulversuch wurde inzwischen auf weitere Grundschulen sowie auf Haupt- und Realschulen in Erlangen, Fürth, München und Nürnberg (insgesamt sechs Schulen) ausgedehnt. Eine Erweiterung auf weitere Standorte ist in Vorbereitung. Seit dem Schuljahr 2004/2005 läuft in Rheinland-Pfalz an einer Grundschule in Ludwigshafen das Pilotprojekt "Islamischer Religionsunterricht". Es kam durch den Einsatz des dortigen christlich-islamischen Gesprächskreises und einer türkischen Frauenbildungsstätte zustande.
In zwei Bundesländern existieren inzwischen landesweite Schulversuche, die sich ebenfalls an Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes orientieren: Am niedersächsischen Schulversuch "Islamischer Religionsunterricht", der mit dem Schuljahr 2003/2004 an acht Schulstandorten begann, beteiligen sich inzwischen 29 Schulen. Ein eigens dafür einberufener Runder Tisch mit Beteiligung der verschiedenen islamischen Vereinigungen (auch die Schiiten sind einbezogen) verantwortet den Lehrplan. Als letztes startete in Baden-Württemberg mit dem Schuljahr 2006/2007 der zunächst auf vier Jahre begrenzte Schulversuch "Islamischer Religionsunterricht" an insgesamt zwölf Grundschulen. Der Rahmenlehrplan für den sunnitischen Unterricht wurde von einer Steuerungsgruppe mit den muslimischen Antragstellern erarbeitet.
Zudem findet an zwei der zwölf Schulstandorte in Baden-Württemberg in Kooperation mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF) ein alevitischer Unterricht statt. In Nordrhein-Westfalen wird alevitischer Religionsunterricht seit dem Schuljahr 2008/2009 angeboten, in Bayern ebenfalls ab dem Schuljahr 2008/2009 an drei Standorten. In anderen Bundesländern wurden entsprechende Anträge gestellt.
Die derzeit unterrichtenden Lehrkräfte sind meist Islamwissenschaftler, Lehrkräfte des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts oder voll (für andere Fächer) in Deutschland ausgebildete Lehrkräfte muslimischen Glaubens, die alle eine Zusatzqualifizierung erworben haben. Inzwischen werden Studiengänge für islamische Religionslehre an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Münster und Osnabrück angeboten, wo jeweils auch ein Lehrstuhl eingerichtet wurde. In Erlangen-Nürnberg gibt es bereits erste Absolventen. An der Universität Frankfurt kann islamische Religion als Hauptfach im Fach Religionswissenschaft studiert werden. Wenn die Absolventen eine pädagogische Zusatzqualifikation erwerben, können sie gegebenenfalls auch als Lehrer eingesetzt werden. Auch die Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe, Ludwigsburg und Weingarten bieten inzwischen einen Ergänzungsstudiengang an. Es wird also zukünftig an Hochschulen ausgebildete Lehrer für islamischen Religionsunterricht geben.


2. Position
2.1. Religionsunterricht als ein Schlüssel zur Integration der Muslime in Deutschland
Islamischer Religionsunterricht ist zunächst Ausdruck der Religionsfreiheit: Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes spricht nicht von christlichem Religionsunterricht, sondern der Staat veranstaltet Religionsunterricht in inhaltlicher und personeller Abstimmung mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Damit verbunden ist die Ausbildung der Religionslehrer an staatlichen Hochschulen. Islamischer Religionsunterricht in Entsprechung zu evangelischem, katholischem oder jüdischem Religionsunterricht ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Gleichbehandlung der Muslime und insofern auch ein Beitrag zur Integration. Durch die für islamischen Religionsunterricht erforderlichen Abstimmungen zwischen den Muslimen und den entsprechenden Instanzen in den Bundesländern entsteht darüber hinaus erstmals eine geregelte und kontinuierliche Kommunikation zwischen Muslimen und dem deutschen Staat – in einem Verhältnis, das oft noch von wechselseitigem Misstrauen geprägt ist.
Wo islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache eingeführt wird, sind Muslime im Klassenzimmer, im Lehrerzimmer und im Hörsaal der Universität als konkrete und fachlich qualifizierte Personen, die sich auch kritischen Anfragen stellen können, präsent. Sie können Brücken zwischen Glaubenstradition und heutiger Lebenswelt in Deutschland schlagen. So kann sich eine dem hiesigen Kontext entsprechende islamische Theologie entwickeln, die von der Pluralität der Religionen in einem säkularen Staat ausgeht. Pluralität, die Fähigkeit zur Selbstkritik und ein wissenschaftlich-theologisches Argumentationsniveau sind Konsequenzen der Einführung von islamischem Religionsunterricht. Sie wirken sich auf den Dialog der Muslime mit dem Staat und mit anderen Religionen aus. Außerdem werden im islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache kulturelle und ethnische Grenzen überwunden. Er kann zum Katalysator für die Artikulation eines deutschsprachigen Islam und seiner verschiedenen Ausprägungen werden. Islamische Religionslehrer können in den Schulen auch dazu beitragen, strittige Fragen konstruktiv zu klären, wie Bekleidungsvorschriften und die Teilnahme muslimischer Schülerinnen und Schüler an Klassenfahrten oder am koedukativen Sportunterricht. Schließlich zeigen Erfahrungen aus den Schulversuchen, dass sich der islamische Religionsunterricht über das Fach hinaus vielfach positiv auf den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern auswirkt und damit einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration leistet.

2.2. Die Schulversuche als Wege zu einem konfessionellen Religionsunterricht
Solange noch ungeklärt ist, inwieweit die Organisationsformen der Muslime in Deutschland die rechtlichen Bedingungen für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes erfüllen, haben die Schulversuche den Charakter von Übergangslösungen, die von allen Beteiligten Kompromissbereitschaft erfordern. Entsprechendes gilt für die zugehörige Religionslehrerausbildung an den Hochschulen. Es ist Konsens, dass für Schulversuche die rechtlichen Voraussetzungen niedriger anzusetzen sind und der religionsneutrale Staat gegenüber den Muslimen in einer Art "Kooperationspflicht" steht, da er Religionsgemeinschaften nicht einseitig bevorzugen oder benachteiligen darf.
Diese Entwicklungen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Schulversuche und Modelle zu Dauerlösungen werden und das eigentliche Ziel aus den Augen verloren wird. Sie bewegen sich, genau wie die Ansätze zur Lehrerausbildung, noch in dem Spannungsfeld zwischen pragmatischer Zwischenlösung und rechtlich vorgesehenen Voraussetzungen sowie im Grenzbereich zwischen religionskundlichem und bekenntnisorientiertem Unterricht. Weil der konfessionelle Religionsunterricht die besten Voraussetzungen für die Ausbildung einer dialogfähigen religiösen Identität in der pluralistischen Gesellschaft darstellt, führt auf Dauer kein Weg am islamischen Religionsunterricht vorbei. Mit seiner Einführung würde auf der Basis der Verfassung der bekenntnisgebundene Religionsunterricht insgesamt gestärkt. Erfahrungen mit religionskundlichem Islamunterricht zeigen, dass Schülerinnen und Schüler auch hier viele Glaubensfragen stellen. In den Schulversuchen zeigt sich, dass der Islamunterricht vielfach der einzige Ort ist, an dem religiöse, kulturelle und lebenspraktische Fragen gestellt werden können. Oft gibt es weder in den Familien noch in den Moscheen, die nicht selten nur über begrenzte finanzielle, räumliche und personelle Ressourcen verfügen, genügend Freiräume und kompetente Gesprächspartner, die den Kindern und Jugendlichen zufrieden stellende Antworten geben.
Über die Teilnahme am Religionsunterricht müssen die Eltern bzw. die religionsmündigen Kinder entscheiden. Das bewährte partnerschaftliche Modell, das Staat und christliche Kirchen in Deutschland seit vielen Jahren erfolgreich praktizieren, sollte auf andere Religionsgemeinschaften übertragen werden. Wir halten daher die an Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes orientierten Schulversuche für die geeigneten Wege zu diesem Ziel. Religionskundliche Modelle unter staatlicher Verantwortung können nur Übergangslösungen sein. Die Muslime müssen hierbei einbezogen werden, so dass die Übergangslösungen auch strukturell den konfessionellen Modellen näher kommen (was sie in der Unterrichtspraxis bereits tun). Schließlich würde man sich mit dauerhaften, allein staatlich verantworteten religionskundlichen Modellen die Chance verbauen, noch im Entstehen begriffene muslimische Glaubensgemeinschaften in ein Verfahren geteilter Verantwortung zwischen Staat und Religionsgemeinschaft einzubeziehen.

2.3. Für eine rasche Ausweitung der Schulversuche und der Lehrerausbildung
Nimmt man den Übergangscharakter der Schulversuche ernst, sind jetzt strukturelle Ausweitungen erforderlich, um das erwünschte Ziel zu erreichen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass notwendige Schritte verzögert würden oder die Schulversuche Alibiveranstaltungen seien. Der Gesprächskreis spricht sich daher mit Nachdruck für folgende Schritte und Maßnahmen aus:
1. Da die Schulversuche bisher nur einen kleinen Bruchteil der muslimischen Schülerinnen und Schüler erreichen, sollten sie sowohl regional als auch auf die Schularten über die Grundschule hinaus ausgeweitet und Schritt für Schritt dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden.
2. Bundesländer mit einem nennenswerten muslimischen Bevölkerungsanteil, in denen es bisher keine Schulversuche für islamischen Religionsunterricht gibt, sollten mit muslimischen Organisationen und Initiativen kooperieren, die die Einrichtung von Schulversuchen anstreben, und so schnell wie möglich entsprechende Schritte einleiten.
3. Misstrauen von muslimischer Seite gegenüber den Schulversuchen wird teilweise damit begründet, dass es erst in Ansätzen Strukturen für eine qualifizierte Ausbildung der Lehrkräfte gibt. Nicht nur deshalb ist es wünschenswert, dass die Angebote für die Lehrerausbildung an Hochschulen ausgebaut bzw. geschaffen werden. Vereinzelte Lehrstühle an verschiedenen Hochschulen werden auf Dauer nicht ausreichen. Es ist die Einrichtung von islamisch-theologischen Fakultäten wünschenswert, in denen ein Spektrum an Disziplinen und Positionen vertreten ist.
4. Für einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht wird eine große Anzahl von Lehrkräften benötigt. Dieser Bedarf ist nur zu decken, wenn frühzeitig mit der Ausbildung begonnen wird. Daher benötigen die Hochschulen, die bereits jetzt ausbilden, eine ausreichende Ausstattung.
5. Die islamische Religionspädagogik steht in Deutschland am Anfang. Es ist sowohl konzeptionell als auch personell Aufbauarbeit zu leisten. Gezielte Programme zur Förderung muslimischer Nachwuchswissenschaftler (wie z. B. Graduiertenkollegs, Stipendienprogramme) für die bislang kleine Auswahl an Kandidaten für Lehrstühle und andere Stellen in der Lehrerausbildung sind nötig. Zur Sicherung der Qualität des Unterrichts sind Stellen für die wissenschaftliche Begleitung der Schulversuche unerlässlich.
6. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Durchführung des Unterrichts derzeit nur mit einem außergewöhnlich hohen persönlichen Einsatz der Lehrkräfte möglich ist, da fast alle Lehrmaterialien selbst entwickelt werden müssen. Der Erstellung praxistauglicher Lehr- und Lernmaterialien ist eine vordringliche Aufgabe. Die bereits in den Schulversuchen tätigen Lehrkräfte brauchen unbedingt eine intensive fachliche Begleitung und regelmäßige Fortbildungen.
7. Der Erfolg der Schulversuche hängt wesentlich von der Unterstützung durch islamische Organisationen ab, aus der eine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen erwachsen kann. Die Verantwortlichen in Politik, Verwaltung, Hochschulen und Schulen sollten daher islamische Organisationen regelmäßig informieren und wo möglich die Zusammenarbeit suchen.

2.4. Zur Organisationsform der muslimischen Ansprechpartner
Für die Einführung von islamischem Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes ist die Frage der Ansprechpartner von besonderer Bedeutung. Sie ist bisher nicht gelöst. Die Modellversuche zeigen jedoch, dass es Möglichkeiten gibt, islamische Organisationen einzubeziehen. Zum Beispiel können lokale Elternvereine in Abstimmung mit Moscheevereinen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, dies geschieht u. a. in Erlangen und Ludwigshafen.
Ungeklärt ist bislang, wie die für einen konfessionellen Religionsunterricht erforderliche Legitimation der betreffenden Lehrkräfte durch eine Religionsgemeinschaft (vgl. "Missio canonica" bzw. "Vocatio") erfolgen kann. In jedem Fall ist nach Lösungen zu suchen, die den Interessen der Eltern, der Muslime insgesamt und der Eigenverantwortung der einzelnen Lehrkräfte Rechnung tragen.
Auch die Gründung des Koordinationsrates hat die Zurückführung der muslimischen Verbände auf natürliche Personen als Mitglieder bisher nicht verändert. Gleichzeitig ist nur eine Minderheit der Muslime über Moscheevereine und muslimische Verbände organisiert. Daher spielen die Eltern weiterhin eine zentrale Rolle. Wenn Elterninitiativen in verschiedenen Bundesländern ersatzweise für eine noch nicht bestehende Religionsgemeinschaft als Gesprächs- bzw. Verhandlungspartner akzeptiert werden, sollte das nicht als Gegnerschaft zu den Verbänden angesehen werden, sondern verdient Unterstützung.
Die Anträge der Aleviten auf Erteilung von Religionsunterricht wurden in manchen Bundesländern anfangs gemeinsam mit sunnitischen und teilweise mit den schiitischen Gruppierungen behandelt. Inzwischen werden von den zuständigen Behörden die Voraussetzungen für die Einführung von alevitischem Religionsunterricht als erfüllt angesehen. Unter den anderen Verbänden werden angesichts der innermuslimischen Pluralität von innen heraus entwickelte Kompromisse erforderlich sein, um islamischen Religionsunterricht zu realisieren und ihm zur nötigen Akzeptanz zu verhelfen. Die Forderung nach einem Gesprächspartner bzw. Verband kann nicht Bedingung seitens des Staates sein. Allerdings kann die staatliche Seite nicht mit einer Vielzahl von Moscheegemeinden, Elterninitiativen oder gar Individuen verhandeln. Auf der anderen Seite ist auch die Änderung der staatskirchenrechtlichen Grundlage des konfessionellen Religionsunterrichts nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes keine Lösung.

2.5. Schule und Moschee im Miteinander
Bisweilen ist das Argument zu hören, dass der islamische Religionsunterricht den Koranunterricht in den Moscheen ersetzen solle. Auch wenn der Koranunterricht in Inhalt und Methode heute noch nicht der lebensweltlichen Situation junger Muslime entspricht, kann der islamische Religionsunterricht kein Ersatz für Koranunterricht sein. Es sollte daher nicht zu einem Gegeneinander von schulischem Religionsunterricht und Koranunterricht in den Moscheen kommen, sondern zu einer gegenseitigen Befruchtung. Islamischer Religions- und Koranunterricht bzw. Religionslehrer und Imame ergänzen sich, so wie auch im christlichen Verständnis Religionsunterricht und katechetische Angebote in der Gemeinde (z. B. Erstkommunion- und Firmvorbereitung bzw. Konfirmandenunterricht) komplementär zueinander stehen. Steht im Koranunterricht die Einübung in die religiöse Praxis und Gemeinschaft im Mittelpunkt, so geht es im schulischen Religionsunterricht vor allem um die kognitive und gesellschaftliche Dimension des Glaubens. Der schulische Religionsunterricht kann gerade in pädagogischer Hinsicht zu einem Qualitäts- und Professionalisierungsschub des Unterrichts in den Moscheen beitragen. Vertrauensbildende Maßnahmen hierfür können gegenseitige Besuche sein, denn eine Gegnerschaft ergibt sich in erster Linie durch fehlende Kommunikation zwischen den beiden Bereichen.
Ein produktives Miteinander wird vor allem dann möglich werden, wenn auch Imame eine universitäre Ausbildung in Deutschland durchlaufen. Studiengänge für Religionslehrer sind ein erster Schritt zu Studiengängen für Imame. Eine Verzahnung beider Studiengänge hätte ferner den Vorteil, dass Religionslehrer und Imame sich schon von der Hochschule kennen, die jeweils andere Rolle besser verstehen und eine vergleichbare Ausbildung mitbringen würden.

2.6. Die Einführung von islamischem Religionsunterricht als Herausforderung für die katholische Kirche
Die Einführung von islamischem Religionsunterricht stärkt das in Deutschland bewährte Modell der Kooperation des Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es hat damit auch positive Rückwirkungen auf den bestehenden konfessionellen Religionsunterricht. Außerdem ergeben sich durch islamischen Religionsunterricht neue Möglichkeiten für den christlich-islamischen Dialog. Diese sollten, wo immer es möglich ist, genutzt werden. Die katholische Kirche und auch die anderen christlichen Kirchen sind angesichts der Einführung von islamischem Religionsunterricht nicht nur Zuschauer, sondern auch zu konkretem eigenen Handeln herausgefordert. Da es Muslimen vielfach an Erfahrungen mit den schulischen wie den Landesbehörden fehlt und staatliche Stellen umgekehrt wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Muslimen haben, können kirchliche Stellen eine vermittelnde Rolle bei der Einführung von islamischem Religionsunterricht spielen.
1. Kirchliche Akteure sollten ihren Einfluss nutzen, um Schulversuche für islamischen Religionsunterricht zu ermöglichen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung zu stärken.
2. Im Gespräch mit Muslimen können Christen Erfahrungen mit dem Religionsunterricht einbringen und so zum Abbau von Misstrauen beitragen.
3. Im Rahmen von interreligiösen Initiativen sollten kirchliche Verantwortliche auch auf muslimische Religionslehrer zugehen, ohne andere islamische Ansprechpartner wie Imame oder Vereinsvorsitzende zu vernachlässigen. Dadurch können sie auch zur Komplementarität von Schule und Moschee beitragen.
4. Interreligiöses Lernen in der Schule wird durch islamischen Religionsunterricht konkret. Die Möglichkeiten zu fächerübergreifenden Unterrichtsstunden oder -einheiten (z. B. zwischen katholischer und islamischer Religionslehre) sollten genutzt werden, da sie für die Schülerinnen und Schüler Dialog erlebbar machen. Auch der Erfahrungsaustausch zwischen christlichen und muslimischen Religionslehrern stellt für beide Seiten eine Bereicherung dar.
5. An den Hochschulen bieten sich ebenfalls neue Möglichkeiten für interreligiöses Lernen und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Bereits jetzt tragen katholische und evangelische Theologen neben Pädagogen und Islamwissenschaftlern in Fächerverbünden zur Ausbildung islamischer Religionslehrer bei. Im Sinne einer Reziprozität sollten auch Studierende der katholischen Theologie islamische Lehrveranstaltungen besuchen und sich als Studienleistungen anrechnen lassen können.
6. Wir halten es für erforderlich, dass für katholische Religionslehrerinnen und -lehrer sowie andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Islam und der interreligiöse Dialog einen breiteren Raum als bisher in Studium und Ausbildung einnehmen. Eine zeitgemäße Theologie, die auch einen Beitrag zum Zusammenleben leisten will, führt dazu, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam zu versachlichen.
7. Wir unterstützen die Einführung des islamischen Religionsunterrichts. Katholische Verbände und Räte sollen ihre Möglichkeiten nutzen, dessen positive Auswirkungen auf die Integration von Muslimen in Deutschland deutlich zu machen.

Schlusswort
Die angestrebte Einführung von islamischem Religionsunterricht hat eine innermuslimische, schulische und gesellschaftliche Dynamik in Gang gebracht. Alle Beteiligten sollten die damit verbundenen Chancen nutzen. Allerdings ist der islamische Religionsunterricht kein Allheilmittel für an anderer Stelle vernachlässigte Integrationsmaßnahmen oder fehlende interreligiöse Verständigung. Es besteht jedoch die begründete Hoffnung, dass der islamische Religionsunterricht eine neue Phase des Zusammenlebens mit Muslimen in Deutschland einleitet und das friedliche Miteinander der Religionen gestärkt wird.



Die Erklärung wurde vom Gesprächskreis "Christen und Muslime" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken am 16. Oktober 2008 verabschiedet und vom Präsidium des ZdK zur Veröffentlichung freigegeben.

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