Frühe Hilfen. Stärkung von Kindern und ihren Familien

Rede von Gaby Hagmans im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Die Geburt eines Kindes ist ein wundervolles Geschenk und bedeutet für die Eltern in der Regel tief empfundenes Glück. Gerade die Zeit nach der Geburt stellt besondere Anforderungen an alle Eltern. Umstellung des Zeitrhythmus auf den Rhythmus des Kindes, organisatorische Planungen und Klärungen der gemeinschaftlichen elterlichen Haltung in Bezug auf Hygiene, Pflege und Erziehung erfordern eine immense Anpassungsleistung an die veränderten Umstände.

In den letzten Jahren haben die Herausforderungen für Familien zugenommen. So sind etwa die Erwartungen an die Eltern gestiegen, was die Erziehungs- und Betreuungsleistung anbe-trifft, aber auch wie ein Kleinkind richtig zu ernähren, zu pflegen und zu mobilisieren ist. Die Familienstrukturen der heutigen Elterngenerationen zeigen sich ebenfalls verändert gegenüber denen unserer Großelterngeneration. Oftmals sind die eigenen Eltern oder Geschwister nicht in unmittelbarer örtlicher Nähe wohnhaft, so dass eine Unterstützung in der Familie gegeben wäre. Diese Veränderungen werden in der Regel durch andere soziale Beziehungen aufgefangen, um hier auch einen Rückhalt und eine Bestätigung gerade in dieser sensiblen Phase zu finden. Darüber hinaus versuchen Eltern, ihrem Wunsch nach Realisierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachzugehen und treffen häufig auf ungenügende Rahmenbedingungen, die dieser entgegenstehen. Auch das ZdK hat hierzu sowohl in seiner Erklärung "Partnerschaft und Elternschaft - sieben Anforderungen an die Familienpolitik" vom April 2005 und in der aktuellen Erklärung "Familienpolitik: geschlechter- und generationengerecht" vom Mai d. J. Stellung bezogen.

Die eigenen und von außen an die Eltern gestellten Erwartungen und weitere Aspekte der psychosozialen Situation stellen Belastungsfaktoren für das Familienleben dar, die sich unterschiedlich manifestieren:

- zunehmende Unsicherheit bei Pflege, Ernährung und medizinischer Betreuung des Kindes angesichts der Empfehlungen der Kinderärzte, diverser Elternratgeber und auch des wachsenden medizinischen Wissens im sozialen Umfeld; es wachsen die Erwartungen an Früherkennung von Krankheiten, früher Entgegenwirkung von möglichen motorischen Beeinträchtigungen und die Vorstellung einer ausgewogenen Ernährung und Pflege.
- Schlafprobleme des Kindes führen zu einer Belastung im eigenen Schlafrhythmus der Eltern und natürlich auch zu Unsicherheiten in Bezug auf die Ursachen der Schlafprobleme.
- Die psychischen Erkrankungen von Elternteilen nehmen zu. Ungefähr jede zehnte Frau leidet nach der Geburt an dauerhafteren und schweren postnatalen Depressionen oder Wochenbettpsychosen, die noch Wochen nach der Entbindung beginnen können. Nur 20 Prozent der depressiven Mütter nehmen professionelle Hilfe in Anspruch.
- Sind vor der Geburt in der eigenen Lebensgestaltung und auch in der Partnerschaft keine Konfliktbewältigungsstrategien erarbeitet worden, sind sie natürlich auch nach der Geburt des Kindes nicht vorhanden und können hier den Umgang mit dieser besonderen Situation deutlich erschweren.
- Ebenfalls belasten ungelöste Probleme in der Partnerschaft die Eltern nach der Geburt ggfls. sehr, da sich hier Mutter und Vater gegenseitig unterstützen müssen und hierfür eine vertrauensvolle und geklärte Beziehung die beste Ausgangslage wäre.
- Finanzielle Not, Armut und Existenzängste in der Familie belasten diese dauerhaft. Nach dem zweiten Armuts- und Reichtumsbericht (2005) waren z. B. ein Viertel der allein erziehenden Mütter im ALG II-Bezug. Sie gehören damit zu den am stärksten von Armut bedrohten Familien. Neben den Ein-Eltern-Familien sind kinderreiche Familien mit Migrationshintergrund unter allen Haushalten mit Kindern besonders stark von Armut betroffen.
- Suchterkrankungen der Eltern, wie z. B. Drogen oder Alkoholabhängigkeit sind immense Belastungen für die Familien.
- Ein ungeklärter Aufenthaltsstatus, soziale Isolation und persönliche Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden kommen als Belastungsfaktoren hinzu.

An dieser Stelle möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass der Beratungs- und Unterstützungsbedarf für Familien gerade in dieser frühkindlichen Phase sich in allen Familien in unterschiedlicher Ausprägung findet. Es ist kein Versagen von Eltern, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen gemäß der Frage- und Problemstellungen, die sie haben. Sei es nun eine sehr kurzfristige, eine einmalige Unterstützung oder eine längerfristige Begleitung. Wir wollen Kindern das bestmögliche Aufwachsen ermöglichen und brauchen dafür entspannte und sichere Eltern, die sich dort Unterstützung holen, wo sie sie brauchen. Je mehr Belastungsfaktoren in einer Familie zusammenkommen, umso prekärer wird die Situation.
Der Deutsche Kinderschutzbund hat dies vor zwei Jahren angesichts der öffentlich gewordenen Fälle von Kindesvernachlässigung wie folgt formuliert: "Je geringer die finanziellen und materiellen Ressourcen, je schwieriger die soziale Situation, je desorganisierter die Familiensituation, je belasteter die persönliche Situation der erziehenden Eltern, je herausfordernder die Situation und das Verhalten des Kindes von den Eltern erlebt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Vernachlässigungs- oder Misshandlungssituation für das Kind entwickelt."
In den letzten Jahren ist sowohl das politische als auch das gesellschaftliche Fenster geöffnet worden, sich auch mit Unterstützungsangeboten an Familien mit Kindern im Alter bis zu drei Jahren zu wenden. Derzeit werden bundesweit verschiedene Projekte und Ansätze erprobt, die sich alle in dem Bereich "Frühe Hilfen" zusammenfassen lassen. Die Ziele früher Hilfen stellen sich wie folgt dar:

- positives Aufwachsen von Kindern ermöglichen und unterstützen
- Stärkung der Bindung zwischen Mutter/ Eltern und dem Kind
- Entlastung, Anerkennung und Stärkung der Mütter/ Eltern
- Entlastung durch konkrete Hilfen bei der Lebensführung
- Einbindung in ein stabilisierendes soziales Umfeld
- Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern
- Prävention von psychischen, körperlichen und sozialen Störungen und
Defiziten bei Kindern
- Gefährdung von Kleinstkindern durch präventive Maßnahmen entgegenwirken

An dieser Stelle ist es wichtig, die Frühen Hilfen von den sozialen Frühwarnsystemen abzugrenzen. Stellen die Frühen Hilfen einen niedrigschwelligen Zugang zu Angeboten direkter Hilfen dar, geht es bei den sozialen Frühwarnsystemen um eine frühzeitige Identifizierung von Risikofaktoren in den Familien und Beobachtung, ob sich hier eine mögliche Kindesvernachlässigung entwickelt. Die drohende Kindesvernachlässigung soll frühzeitig erkannt werden, wobei die Frühen Hilfen auf eine umfassende Hilfe und Unterstützung von Eltern ausgerichtet sind. Die Frühen Hilfen stellen also ein komplexes Beratungssystem dar, das, sofern erfolgreich, Eltern in ihrer Situation gemäß den o. g. Zielen von Frühen Hilfen stärkt und somit hoffentlich auch einer Kindesvernachlässigung vorbeugt. Ich mache diesen Unterschied sehr bewusst, da dies für die Familien einen enormen Unterschied macht. Die Frühen Hilfen werden in der Regel von freien Trägern angeboten, ohne dass das Jugendamt eingebunden wäre. Im Bereich der sozialen Frühwarnsysteme ist das Jugendamt präsenter. Eltern wollen auch erst einmal ihre Fragen und Probleme nennen können und Lösungsstrategien erarbeiten, ohne dass das Jugendamt hier eine Bewertung vornimmt. Dennoch muss den Eltern klar sein, dass auch im Bereich der Frühen Hilfen der neue § 8 a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gilt, der auch die freien Träger einbindet in die Hinweispflicht in Bezug auf mögliche Kindeswohlgefährdung.

Wie oben schon erwähnt, werden derzeit zahlreiche Ansätze im Bereich der Frühen Hilfen bundesweit erprobt, die ich hier einmal versucht habe, in zwei Gruppen zu sortieren, nämlich einmal in Angebote, die sich an alle Familien richten und in spezifische Angebote an ausgesuchte Zielgruppen. Diese Tabelle vermittelt Ihnen einen kleinen Eindruck über die Vielfalt der Angebote.

Eine der schwierigsten Fragen im Bereich der Frühen Hilfen ist der Zugang zu den Familien. Sie können sich vorstellen, dass bei aller gewachsenen Akzeptanz in der Gesellschaft es vielen Familien immer noch schwerfällt, sich Unterstützung zu holen, sie oftmals gar nicht wissen, welche Unterstützung es gibt oder sie sehr aktiv wirklich jegliche Form von Unterstützung ablehnen. Nun ist der SkF in seinen Beratungsangeboten in den Ortsvereinen nicht erst seit ein paar Jahren in der Beratung von Eltern auch in der Phase nach der Geburt tätig, sondern hat hier schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Kontexten Erfahrungen gesammelt. Aus diesen Erfahrungen wissen wir, dass die Motivation der Eltern in der Phase nach der Geburt des ersten Kindes besonders hoch ist, Beratungs- und Unterstützungsangebote zu nutzen. Wenn Eltern schon in einem anderen Zusammenhang eine positive Beratungserfahrung gemacht haben, nutzen wir natürlich auch diese Beratungskontexte, um Familien, die Angebote im Bereich der Frühen Hilfen zu unterbreiten. So verstärken sich diesbezüglich derzeit die Netzwerke mit Gynäkologinnen und Gynäkologen, Hebammen, Kinderärztinnen und Kinderärzten, Schwangerschaftsberatungsstellen, Sozialbehörden, Mehrgenerationenhäusern, Kindertageseinrichtungen etc.

Diese systemübergreifende Vernetzung ist nicht nur für den Zugang zu den Familien besonders wichtig, sondern auch in der Begleitung der Familien vonnöten, um sehr effektiv die Hilfen auf die Situation in der jeweiligen Familie zuschneiden zu können. Die Frühen Hilfen stellen also in der Regel eine Zusammenfassung unterschiedlicher Unterstützungs- und Hilfeangebote dar, die gleichzeitig Teil bestehender Sozialsysteme sind, wie z. B. der Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen, der Frühförderung, der Familienbildung, der Schwangerenberatung und der Justiz. Die Frühen Hilfen können die Brücke sein zwischen diesen Systemen, eine sinnvolle Vernetzung im Hinblick auf den Bedarf in der jeweiligen Familie herzustellen.

Der SkF-Gesamtverein versucht derzeit in seinem Projekt "Guter Start ins Leben" durch interdisziplinäre Teams, die mit Pädagoginnen, Psychologinnen und Hebammen besetzt sind, an drei Modellstandorten einen Ansatz im Bereich der Frühen Hilfen zu realisieren. Im Rahmen unseres Projektes arbeiten wir mit den Familien im Bereich der sozialen Kurzberatung, mit der mobilen Elternberatung im häuslichen Kontext, mit Gruppenangeboten und begleitenden Patenschaften zusammen. Darüber hinaus werden in den drei SkF-Ortsvereinen die stützenden Netzwerke ausgebaut und auch die Unterstützung von ehrenamtlicher Arbeit intensiviert.

Ich habe Ihnen hier nur sehr kurz einen Überblick geben können über diesen sich sehr stark entwickelnden Bereich der Frühen Hilfen. Als ein vorläufiges Fazit unserer Erkenntnisse möchte ich heute Folgendes festhalten:
Die Angebote im Bereich der Frühen Hilfen sind für den SkF und auch alle übrigen Anbieter im Bereich der sozialen Beratung nicht neu, da gerade z. B. im Bereich der Schwangerenberatung, der Mutter-Kind-Einrichtung und der erzieherischen Hilfen der SkF immer schon Angebote für Familien mit Kleinstkindern formuliert hat. Neu ist allerdings die hohe politische und gesellschaftliche Bereitschaft, diese Angebote zusammenzufassen und auszubauen. Um eine Bewertung vornehmen zu können, welche Ansätze besonders hilfreich sind, um Familien in dieser Phase zu unterstützen, müssen wir die Evaluation der laufenden Projekte abwarten. Was sich jedoch jetzt schon abzeichnet ist, dass wir eine ernsthafte strukturelle Vernetzung der Systeme brauchen, um die Hilfeleistungen effektiv auf die Familien ausrichten zu können. Ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich machen können, dass die Hilfeleistungen sehr individuell für die jeweiligen Familien zugeschnitten sein müssen, was natürlich auch eine komplexe Angebotsstruktur zugrunde legt, die die notwendigen Auswahlmöglichkeiten bereithalten. Gerade für katholische Verbände könnten im Bereich der Frühen Hilfen neue und interessante Aufgabenfelder für ehrenamtliches Engagement bestehen. Lassen Sie mich jedoch auch darauf hinweisen, dass hier konzeptionell und auch in der Begleitung dieser ehrenamtlich tätigen Menschen noch einiges entwickelt werden muss und besonders die Einbindung der ehrenamtlich Tätigen im Hinblick auf den § 8a KJHG (Kindeswohlgefährdung) abschließend geklärt werden muss.
Unsere Erfahrungen zeigen jetzt schon, dass die Frühen Hilfen besonders durch ihren Vernetzungscharakter und den sehr bedarfsorientierten Ansatz eine Lücke im Beratungsangebot für Familien schließen. Unseres Erachtens müssen sie daher zukünftig als Regelangebot etabliert werden.

Ich schließe an dieser Stelle meinen kurzen Überblick über den Bereich der Frühen Hilfen und hoffe, Ihnen diese ein wenig näher gebracht zu haben.

Ich freue mich nun auf die Präsentation der Kolleginnen vom SkF Köln, die Ihnen ein Projekt im Kontext des Zugangs zu Familien vorstellen werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Gaby Hagmans Bundesgeschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF)

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