Zukunft des Sozialstaates gestalten

Rede von Ministerpräsident Dieter Althaus MdL im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Vorstellung des Konzepts des Solidarischen Bürgergeldes


Ich danke der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dass es sich an der Diskussion zum Solidarischen Bürgergeld beteiligt.

Auch diese Veranstaltung macht deutlich: Das Bürgergeld ist ein Thema, das über den heutigen Tag hinaus trägt.

Die Frage drängt sich auf, ob die positiven Daten der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland, die sinkenden Arbeitslosenzahlen und die erfolgreiche Konsolidierungspolitik eine solche Debatte über ein alternatives Steuer- und Sozialkonzept nicht unnötig erscheinen lassen.

Dagegen lässt sich einwenden,

- dass die Sockelarbeitslosigkeit in den vergangenen 30 Jahren stetig gewachsen ist,

- dass jeder dritte Euro, der aus der Rentenversicherung ausgezahlt wird, steuerfinanziert ist, dass marktgerechte Löhne vielfach nicht mehr existenzsichernd sind,

- dass heutige Beitragszahler, trotz steigender Beiträge, im Alter nicht mit viel mehr als einer Grundsicherung rechnen können,

- dass einerseits die Hauptlast des Sozialstaates auf den knapp 27 Mio. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen liegt, andererseits andere produktive Arbeit, in der Familie oder im Ehrenamt, überhaupt nicht berücksichtigt wird.


Die objektiven Fakten sind den Bürgerinnen und Bürgern im Prinzip bekannt.
Das Misstrauen in die Sicherheit staatlicher Zusagen erzeugt eine Kultur der Ausbeutung: Der Staat beutet die Bürger aus und die Bürger den Staat (Prof. Höhler). Das führt nicht nur zum Misstrauen gegenüber der Effektivität und Sicherheit des Sozialstaates, sondern auch zum Misstrauen gegenüber der Politik.

Wir antworten auf die Frage, welche Antworten die Soziale Marktwirtschaft z. B. auf Globalisierung und die demografische Entwicklung hat mit der an Klarheit nicht zu überbietenden Aussage, wir wollten die soziale Marktwirtschaft erneuern. Wie erneuert man etwas, ohne es in der Substanz zu gefährden?

Ich glaube wirklich, wir müssen zurück zu den Wurzeln der Idee von Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke, Joseph Höffner, Walter Eucken und anderen. Diese Gründungsväter der Sozialen Marktwirtschaft gingen immer von der Grundannahme aus, dass nur das verteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet wurde.

Die Gründungsväter der Sozialen Marktwirtschaft haben es klar formuliert: "Nur auf der Grundlage einer gesunden Wirtschaft, kann der Staat seine eigentlichen Aufgaben erfüllen“.

Ich warne davor, die Augen vor der Realität zu verschließen: Wir lassen niemanden in Deutschland verhungern. Auch dem Faulen, demjenigen, der schuldig geworden ist etc., würde niemand sein Lebensrecht und seine Menschenwürde absprechen. Und tatsächlich sichert die Bundesrepublik Deutschland jedem seiner Bürger sein Existenzminimum zu. Wie effektiv die Verpflichtung zur Arbeit ist, hat das Beispiel der Erntehelfer eindrucksvoll gezeigt.

  • Wenn wir aber in Deutschland niemanden sein Existenzminimum absprechen,
  • wenn wir uns der Grenzen staatlicher Einflussmöglichkeiten bewusst sind,



dann ist es meines Erachtens nicht nur ein Zeichen der Ehrlichkeit, sondern auch der Klugheit, realistisch zu sein.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen als Solidarisches Bürgergeld in Höhe von 600,00 € netto plus 200,00 € Gesundheitsprämie liegt unter dem, was ein ALG II-Empfänger heute bekommt.

Mit steigendem Einkommen sinkt die Höhe des Bürgergeldes, das in der Systematik einer negativen Einkommenssteuer ausbezahlt wird. Bei Einkünften bis zu 1.600 € fällt überhaupt keine Einkommensteuer an.

Den Einwand, Bedingungslosigkeit führe dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr arbeiten würden, teile ich nicht. Mit 600,00 € netto – die Bundesregierung hat in ihrem 6. Existenzminimum-Bericht für 2008 595,00 € als Existenzminimum angenommen – lässt es sich wirklich nicht üppig leben.

Und natürlich besteht eine moralische Pflicht zur Arbeit. Solidarität ist eben keine Einbahnstraße. Nicht nur mit dem, was ich für andere abgebe, übe ich Solidarität, sondern auch, wenn ich so gut für mich sorge, dass ich die Hilfe der Gemeinschaft nicht in Anspruch nehmen muss. Im besten Sinne von Subsidiarität und Solidarität ist das Solidarische Bürgergeld die bedingungslose Hilfe zur Selbsthilfe.
Arbeit wird gefördert, auch Arbeit im unteren Einkommensbereich ist wieder existenzsichernd und erhält ihre Würde zurück. Das Solidarische Bürgergeld investiert in Arbeit, in Menschen, statt in Apparate. Der Mensch, seine Einzigartigkeit und seine Würde stehen im Mittelpunkt meiner Überlegungen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang den Heiligen Vater zitieren. Benedikt XVI. schreibt in seiner Enzyklika "Deus caritas est“ einen Satz, der mir im Blick auf die Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen zentral zu sein scheint:

"Richtig ist es, dass das Grundprinzip des Staates die Verfolgung der Gerechtigkeit sein muss und dass es das Ziel einer gerechten Gesellschaftsordnung bildet, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips jedem seinen Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewähren."

Das Bürgergeld ist als garantiertes Mindesteinkommen die Alternative zum Mindestlohn. Ein Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze, das Bürgergeld garantiert existenzsichernde Löhne. Ab einem Stundenlohn von 2,25 € steht man sich bei meinem Konzept des Solidarischen Bürgergeldes besser als mit dem von den Gewerkschaften propagierten Mindestlohn von 7,50 € pro Arbeitsstunde. Eine Frisöse, die 4,50 € pro Arbeitsstunde verdient, hat mit dem Solidarischen Bürgergeld ein um 180 € höheres Netto-Monatseinkommen als bei einem Mindestlohn von 7,50 €.

Ich behaupte nicht, dass mit dem Solidarischen Bürgergeld das Paradies auf Erden anbricht. Es löst nicht alle Probleme der Welt und bedeutet auch nicht das Ende der Politik. Wir schaffen durch das Bürgergeld nicht den "perfekten“ Menschen. Es wird auch nach Einführung des Bürgergeldes Menschen geben, die – um es vornehm zu formulieren – Arbeit scheuen. Es wird andere geben, die scheuen nicht die Arbeit, aber die Einkommensteuer.
Ich werbe dafür, die wahrscheinliche Realität im Solidarischen Bürgergeld mit der heutigen Realität zu vergleichen.

- Wer unter dem Strich 50 % von dem behält, was er verdient, wird motivierter arbeiten als einer, der nur 10 bis 20 % seines Verdienstes behalten kann.

- Wer die Kosten der Unterkunft pauschaliert bekommt, wird sparsamer mit dem Energieverbrauch sein als derjenige, der alle Kosten der Unterkunft – also die Bruttowarmmiete – 1:1 bezahlt bekommt.

- Mit positiven Anreizen kann man Menschen besser motivieren als mit Zwang. Heute rechnet man mit 350 Mrd. € Umsatz in der Schwarzarbeit. Fachleute gehen davon aus, dass etwa 220 Mrd. € durch ein System, wie ich es z. B. vorschlage, zurückgewonnen werden können.

Das Solidarische Bürgergeld, das belegen alle Untersuchungen, führt zu geringeren Verwerfungen und zu geringeren Ineffizienzen als das gegenwärtige Sozialstaatssystem.

Heute werden Sozialtransferkarrieren zementiert, weil ein Familienmitglied, das arbeiten würde, sofort Einschränkungen des Leistungsbezugs für sich und die übrigen Familienmitglieder mit sich brächte. Das verleitet zur Beharrung. Anders beim Solidarischen Bürgergeld, bei dem der maximale Transferentzug bei Einkommen, egal ob Erwerbsarbeit oder Mieteinnahmen oder Zinseinkünfte etc., nur bei 50 % liegt.

Wer in Gemeinschaft – z. B. in Ehe und mit Familie – lebt, fährt mit dem Solidarischen Bürgergeld besser. Wer Energie spart, fährt besser, weil nicht die Heizkosten, in welcher Höhe auch immer, übernommen werden.
Das Solidarische Bürgergeld stärkt Ehe und Familie. Das Kinderbürgergeld ist doppelt so hoch wie das Kindergeld heute. Die Krankenversicherung für alle Kinder ist steuerfinanziert.
Familienarbeit und ehrenamtliches Engagement werden mit dem Bürgergeld honoriert. Das ist eine alte und richtige Forderung des ZdK. Gleichzeitig ist Erwerbsarbeit natürlich attraktiv, weil nur sie das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen erhöhen kann.

Mein Grundgedanke ist einfach: Ich gestehe jedem Bürger das bedingungslos zu, was er bereits heute tatsächlich hat. Nochmals: Wir würden in Deutschland niemanden verhungern lassen, auch dann nicht, wenn er sich der Erwerbsarbeit entzöge.
Indem ich jedem aber ein bedingungsloses Grundeinkommen zugestehe, schaffe ich auch eine erhöhte politische Akzeptanz für die dringend notwendigen Reformen im Steuerrecht, im Arbeitsrecht und in der Sozialpolitik. Eine Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts dokumentiert eindrucksvoll: Das Konzept des Solidarischen Bürgergeldes ist umsetzbar – es führt bei realistischen Annahmen zu einem Plus in den öffentlichen Haushalten von 46 Mrd. € und es schafft alleine im Niedriglohnbereich bis zu 1,17 Mio. zusätzliche Vollzeitstellen.

Mein Konzept des Solidarischen Bürgergeldes garantiert auch, dass der Zusammenhang von Lebensleistung und Alterslohn bestehen bleibt. Heute sind wir auf dem Weg, dass die Rentenversicherungsbeiträge steigen, das Rentenniveau aber sinkt. Auf Dauer wird sich – wenn sich nichts ändert – die große Mehrheit der Bezieher der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Grundsicherung abfinden müssen. Mit der Bürgergeldrente in Höhe von 1.400 €, die auch eine Zusatzrente von 600 € beinhaltet, die sich an den Arbeitsjahren und dem Einkommen orientiert, sichern wir den Zusammenhang von Lebensleistung und Alterslohn. Mit einer Lohnsummensteuer von 10 bis 12 Prozent tragen die Arbeitgeber dazu bei, dass diese Zusatzrente und die Rentenzulage – sie sichert die Ansprüche aus Anwartschaften und so den Bestands- und Vertrauensschutz – solide finanziert werden kann.

Sämtliche bisherigen Sozialversicherungsbeiträge fallen weg. Das heißt, die Lohnzusatzkosten für die Arbeitnehmer – immerhin rund 20 % – fallen ersatzlos weg. Die Lohnzusatzkosten für die Arbeitgeber werden halbiert.

Die Gesundheits- und Pflegeprämie im System des Solidarischen Bürgergeldes sichert, dass auch in Zukunft rund 200 Mrd. € ins Gesundheitswesen fließen. Das ist mehr als heute. Die Finanzierung der Gesundheits- und Pflegeprämie über Steuern erfolgt im besten Sinne solidarisch. Niedrige Einkommen bezahlen nichts, hohe entsprechend mehr. Dass jeder den gleichen Betrag zur Verfügung hat, um sich bei einer Kasse seiner Wahl zu versichern, stärkt den einzelnen Versicherten. Die vernünftigen Gedanken der Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie werden miteinander in Einklang gebracht.

Manche sind beim Thema Grundeinkommen und Bürgergeld früher aufgestanden als wir. Denen rufe ich nur zu, dass sie jetzt nicht müde werden sollen.
Ich bin dankbar, dass in fast allen Parteien eine Debatte um das Bürgergeld, die Negativsteuer, das Grundeinkommen geführt wird.
Wir alle spüren,

  • dass nicht nur namhafte Wissenschaftler aus ganz Deutschland offen und konstruktiv darüber diskutieren,
  • sondern dass wir mit diesem Thema auch bei vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich schon zurückgezogen haben, wieder Interesse für Politik gewinnen.


Es geht nicht darum, dass wir das Solidarische Bürgergeld morgen schon einführen, viel wichtiger ist, dass wir die heute begonnene Diskussion fortführen. Mein Credo bleibt, was Ludwig Erhard zur Verantwortung von Bürgern und Staat einmal gesagt hat:

"Ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin."

Ministerpräsident Dieter Althaus MdL

 

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