Würdigung 40 Jahre Deutsche Kommission Justitia et Pax
Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer -es gilt das gesprochene Wort.
1. Ein geflügeltes Wort spricht davon, die Rezeption eines Konzils brauche die Zeitspanne einer Generation. Nun liegt der Abschluss des II. Vatikanischen Konzils mehr als 40 Jahre zurück, und in bestimmten Bereichen verstärkt sich der Eindruck, in unserer schnelllebigen Zeit benötige die Rezeption des Vatikanums paradoxerweise mehr Zeit als frühere Konzilien bzw. in manchen Bereichen drohe sogar die Gefahr, in Vorkonzilszeiten zurückzufallen.
Die Deutsche Kommission Justitia et Pax ist beredter Ausdruck dafür, dass ein zentraler Anstoß des II. Vatikanums, nämlich das sich Bewusstwerden des Weltkirchewerdens, gezielt aufgegriffen und damit die Rezeption im Sinne einer produktiven Annahme und Verheutigung des Anliegens des Konzils auf gutem Wege ist. Angestoßen durch Gaudium et spes, gezielt weitergeführt durch die Enzyklika Papst Pauls VI. "Populorum progressio", unterstützt durch den Aufbau weltkirchlicher Werke und nicht zuletzt gestärkt durch die Synodenbeschlüsse von Würzburg „Entwicklung und Frieden“ sowie "Dienst der Kirche für Versöhnung und Frieden" in Dresden ist die Deutsche Kommission Justitia et Pax der "Runde Tisch" der im Bereich der internationalen Verantwortung der Kirche Deutschlands Tätigen.
Gerne füge ich hinzu, dass die gemeinsame Trägerschaft der Deutschen Kommission Justia et Pax durch die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ihrerseits Beleg einer gelungenen Rezeption des II. Vatikanums darstellt, insofern sich in dieser Kooperation das Verständnis der Kirche als Volk Gottes strukturell umsetzt.
2. Die engste Verbundenheit der Jünger Christi mit den Menschen von heute, besonders den Armen und Bedrängten aller Art, wie sie programmatisch in der Einleitung der Pastoralkonstitution zum Ausdruck kommt, drängte geradezu zum Suchen nach neuen Wegen mit dem Ziel, der Solidaritätsverpflichtung auch tatsächlich gerecht zu werden. Die erwähnte Struktur, die Aufgabenstellung und die Schwerpunkte der Arbeit Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte und Friedenssicherung bzw. Friedensförderung ließen und lassen Justitia et Pax zu einem unverzichtbaren Instrument kirchlichen Handelns werden.
Justitia et Pax kommt die Aufgabe zu, Analysen und Konzepte zu den genannten Schwerpunktfeldern zu erarbeiten und in das gesellschaftliche und politische Gespräch einzubringen. Damit dies gelingt, ist die innerkirchliche Meinungsbildung erforderlich, welche die unterschiedlichen Erfahrungen, Positionen und Orientierungen zusammenbringt. Justitia et Pax ist ein Gremium von Sachverständigen, in dem die ethischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, mit denen die Kirche in dem Aufgabenfeld von Entwicklung, Menschenrechten und Frieden konfrontiert wird, angegangen werden. Die Beteiligung der kirchlichen Werke an der Diskussion über die bestehenden Herausforderungen und die übergreifenden Fragen tragen entscheidend dazu bei, von vornherein die Einsichten der Praxis in die Meinungsbildung mit einzubeziehen. So trägt Justitia et Pax für die katholische Kirche und im ökumenischen Verbund mit der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) dazu bei, dass die Kirchen in den hier genannten Fragen weitgehend mit einer Stimme sprechen.
Es versteht sich von selbst, dass in einer Zeit hochkomplexer Zusammenhänge wirklich ernst zu nehmende Beiträge nur entstehen können, wenn sie von hoher Fachkompetenz geprägt sind. Das Zusammenführen von Sachverstand aus unterschiedlichen Disziplinen und Erfahrungsbereichen, das Erarbeiten von Konzepten und Erklärungen muss im Ergebnis darauf gerichtet sein, bewusstseinsverändernd zu wirken und Handlungsimpulse zu setzen. Schauen wir auf die einzelnen Publikationen und näherhin in die Wirkungsgeschichte der Beiträge von Justitia et Pax, so können wir feststellen, dass auf diesen Gebieten wirklich kompetent gearbeitet wird und wichtige Diskussionsanstöße gegeben wurden.
3. Gerne weise ich auf den Beitrag der Deutschen Kommission Justitia et Pax für den ökumenischen Prozess zu "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" hin. Die frühere Kommission Justitia et Pax der Berliner Bischofskonferenz hat für die katholische Kirche in der damaligen DDR die fachliche Mitarbeit bei den Ökumenischen Versammlungen von Dresden und Magdeburg 1988 und 1989 übernommen und aus dieser intensiven Mitwirkung ganz sicher ein Stück ihrer Identität gewonnen. Ihre Mitglieder und nicht zuletzt ihr Sekretär, der auch Sekretär der Pastoralsynode der Kirche in der DDR war, Prälat Dieter Grande, haben gezielt die Vereinigung der beiden Kommissionen auf deutschem Boden vorangetrieben und auf die Identität der gesamtdeutschen Kommission prägenden Einfluss genommen. Dafür gebührt ihnen ganz herzlicher Dank.
4. Ein großer Vorteil des weltkirchlichen Engagements der Kirchen im Konzert der weltweiten Akteure der Entwicklungszusammenarbeit besteht darin, dass die Kirchen über gewachsene, langjährige und verlässliche Partnerschaften in den Entwicklungsländern verfügen. Und zwar oft auch zu Selbsthilfeorganisationen der Ärmsten der Armen. Dieser Vorteil ist von allergrößter Bedeutung für die konzeptionelle Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Schwerpunkte müssen eben in einem Dialog mit den Trägern der Entwicklung vor Ort entstehen. So ist die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe verstärkt und geprägt worden z. B. durch die Ökumenischen Dialogprogramme wie "Entwicklung als internationale soziale Frage". Als weiteres Instrument sind die Exposure- und Dialogprogramme für Entscheidungsträger aus Politik, Gesellschaft und Kirche hinzugekommen. In der direkten Begegnung mit Menschen, die in Ländern des Südens in Armut leben, lernen sie armutsverursachende Faktoren und auf Beteiligung ausgerichtete Strategien zur Armutsbekämpfung kennen. Der Dialog, wie die Deutsche Kommission Justitia et Pax, die Ökumenischen Dialogprogramme und auch die Exposure- und Dialogprogramme ihn führen ist nicht in erster Linie als eine Methode, sondern vielmehr als eine innere Haltung zu verstehen. So bindet Dialog die beteiligten Akteure in die Findung und Umsetzung der gewonnenen Einsichten ein und prägt Bewusstsein und Handeln.
5. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist aus guten Gründen Mitträger der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Dies verstehen wir mindestens in einem doppelten Sinne. Zum einen beteiligen wir uns an der konkreten Arbeit innerhalb der Kommission durch die Mitglieder, die von Seiten des ZdK benannt werden. Ferner haben wir über entsprechende Fachleute und nicht zuletzt über die von der Geschäftsstelle betreute Zusammenkunft der diözesanen Sachausschüsse "Mission, Entwicklung und Frieden" unmittelbaren Anteil an der Arbeit der Deutschen Kommission.
Zum anderen bemühen wir uns darum, die bei der Deutschen Kommission Justitia et Pax gewonnenen Einsichten und formulierten Positionierungen in unserer Arbeit zu berücksichtigen. Ob durch die Erarbeitung eigener Erklärungen, die Einladung weltkirchlicher Gäste in die Vollversammlung, Briefe an Entscheidungsträger zu konkreten politischen Vorgängen, Artikel in unserer Publikation Salzkörner oder die Thematisierung von konkreten Forderungen der Entwicklungszusammenarbeit bei den regelmäßig stattfindenden Gesprächen mit den demokratischen Parteien Deutschlands auf Präsidiumsebene, immer geht es uns darum, als Mitglieder und Gremien des ZdK unserer Verantwortung für die weltkirchliche Dimension der kirchlichen Arbeit in Deutschland gerecht zu werden. Ohne die Mitträgerschaft und Mitarbeit in der Kommission ginge unserem Blick dabei sicher viel verloren.
Als ein aufschlussreiches Beispiel der Vergangenheit möchte ich die Frage der Entschuldung der höchst verschuldeten Entwicklungsländer aufgreifen. Die sogenannte Erlassjahrkampagne – ein Beispiel für die erfolgreiche Kooperation zwischen katholischen Werken, Verbänden und Räten mit anderen Nichtregierungsakteuren der Entwicklungszusammenarbeit – hat mit dazu beigetragen, dass die Frage der Entschuldung jeweils auf die Tagesordnung von G8-Gipfel, Internationalem Währungsfond und Weltbank kamen und schließlich 1999/2000 der grundsätzliche Beschluss zur Entschuldung gefasst wurde.
Damit war die Arbeit aber nicht getan. Es kam darauf an, dass bei den als Bedingungen für die Entschuldung zu verfassenden Armutsbekämpfungsstrategien die erforderliche Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Gruppen vor Ort tatsächlich gelingt. Es galt und gilt, unsere Partner in den Entwicklungsländern dabei tatkräftig zu unterstützen. Denn natürlich ist es für die Regierungen in den Entwicklungsländern eine reale Versuchung, sich "ihre Zivilgesellschaft zu schaffen" und den mühsamen Weg einer breiten Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Erarbeitung bzw. Umsetzung der geforderten Armutsbekämpfungsstrategien zu umgehen. Die Beteiligung der "echten" Zivilgesellschaft ist aber ein wesentlicher Garant dafür, dass Entschuldung tatsächlich den Ärmsten der Armen zugute kommt und nicht korrupten Regierungen. Die hier erforderliche Wachsamkeit auf "unserer" Seite und die Sensibilisierung der deutschen Öffentlichkeit für diese Anliegen können erfolgreich nur gelingen, wo die gewachsenen Partnerschaften kirchlicherseits auf direktem Wege genutzt werden. Als ZdK haben wir uns darum bemüht, unseren Beitrag dazu zu leisten.
In diesem Zusammenhang seien auch die Zwischenbilanzen zu den Millenniumsentwicklungszielen genannt, die wir in unseren Vollversammlungen 2005 und 2007 gezogen haben. Die Erklärungen "Frieden braucht Entwicklung: Die Millenniumsentwicklungsziele verwirklichen!" vom April 2005 sowie "Versprechen einhalten – Armut wirksam bekämpfen!" vom Mai 2007 belegen dies. In dieser Linie sind auch die Erklärungen von November 2004 "Den Skandal von Menschenhandel und Zwangsprostitution bekämpfen", "Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden" vom November 2003, "Internationale Finanzmärkte - Gerechtigkeit braucht Regeln" vom Mai 2003 sowie "Gewalt zurückdrängen: Kleinwaffen wirksam kontrollieren" vom November 2001 zu sehen.
Jüngster Beleg für die erfolgreiche und handlungsorientierte Kooperation ist die Erarbeitung der Broschüre "Ethisches Investment – mit Geldanlagen Verantwortung wahrnehmen!" vom Herbst diesen Jahres. Die entsprechende Handreichung für private und kirchliche Anleger will mit dazu beitragen, dass ethischem Investment im Handeln der Kirche auf allen Ebenen alsbald mindestens ein ähnlicher Stellenwert zukommt wie ihn der faire Handel bereits hat.
6. Es fehlt uns heute nicht an medial vermittelten Kenntnissen über die Ungerechtigkeiten und Friedlosigkeiten unserer Zeit. Vor diesem Hintergrund habe ich soeben Positionierungen des ZdK in Erinnerung gerufen, um auf Fragen hinzuführen, die uns heute bedrängen müssen:
Wie können wir dem auch in unserer Kirche weit verbreitetem Fatalismus entgegenwirken, der sagt, wir könnten ohnehin nichts bewirken? Wie können wir die Christen motivieren, durch ihr Handeln Beiträge für mehr Gerechtigkeit und Frieden zu leisten? Wie können wir den „Mächtigen“ dieser Erde ins Gewissen reden? Wie können wir die gemeinsame Verantwortung der Industrie- und Entwicklungsländer betonen und dafür Sorge tragen, dass die Lebenswirklichkeiten der Ärmsten der Armen auf den politischen Tagesordnungen des Nordens und des Südens bleiben und die politischen Rahmenbedingungen zu ihrem Nutzen verbessert werden?
Für mich steht außer Zweifel, dass die Deutsche Kommission Justitia et Pax bei der Suche nach Antworten auf diese bedrängenden Fragen eine herausragende Rolle wird spielen müssen.
7. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax wurde vor 40 Jahren gegründet. Ich freue mich darüber, dass wir dies heute feierlich begehen. Der Sinn von Jubiläen besteht nicht allein in der Feier vergangener Ereignisse. Jubiläen blicken in die Vergangenheit zurück, um die Gegenwart besser zu verstehen. Geschichte wiederholt sich nicht, dennoch stellt sie die Menschen vor ähnliche Herausforderungen. Ich hoffe, dass von dieser Feierstunde Impulse ausgehen, die uns erkennen helfen, worin die Herausforderungen heute bestehen und wie wir sie meistern können. In diesem Sinne wünsche ich der Deutschen Kommission Justitia et Pax weitere lebendige Jahre des weltweiten Einsatzes für die Menschen von heute, vor allem für die Armen und Bedrängten.
Professor Dr. Hans Joachim Meyer