Versprechen einhalten - Armut wirksam bekämpfen! Die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele auf dem Prüfstand

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) vom 04./05. Mai

Versprechen einhalten – Armut wirksam bekämpfen!
Die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele auf dem Prüfstand

2007 ist für die weltweite Armutsbekämpfung ein wichtiges Jahr: Die Hälfte der Zeit zur Verwirklichung der auf dem UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) läuft in diesem Jahr ab. Dies ist uns Anlass zu einer kritischen Halbzeitbilanz. Der im Juni in Deutschland stattfindende G8-Gipfel bietet Gelegenheit, das bisherige Handeln der großen Industrienationen zur entscheidenden Minderung der weltweiten Armut zu überprüfen und neue Initiativen zur Zielerreichung zu ergreifen.

Denn die Millenniumsentwicklungsziele verpflichten Entwicklungs- und Industrieländer zum Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheit, Geschlechterdiskriminierung und Umweltzerstörung. Mit Hilfe überprüfbarer Kriterien soll erreicht werden, dass Bildung, Gesundheitsund Wasserversorgung bis zum Jahr 2015 für alle Menschen zugänglich sind. Im Einzelnen lauten die acht Ziele:

1. Extreme Armut und Hunger beseitigen: Den Anteil der Menschen in absoluter Armut und Unterernährung um die Hälfte senken
2. Ausbildung für alle Kinder, Mädchen wie Jungen, gewährleisten
3. Frauen gleichstellen und fördern
4. Kindersterblichkeit um zwei Drittel senken
5. Müttersterblichkeit um drei Viertel senken
6. HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen
7. Ökologische Nachhaltigkeit sichern
8. Eine globale Partnerschaft für Entwicklungszusammenarbeit schaffen.

Die Millenniumserklärung geht von einer gemeinsamen Verantwortung der Industrie- und Entwicklungsländer für die Erreichung der Millenniumsziele aus.
Ohne gutes, am Gemeinwohl orientiertes Regierungshandeln in den Entwicklungs- wie in den Industrieländern und ohne ein größeres finanzielles und solidarisches Engagement der Industrieländer, das auch auf gerechtere politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und faire Welthandelsbeziehungen achtet, lassen sich die messbaren Ziele bis 2015 nicht erreichen.

I. Populorum progressio: ein neues, integrales Verständnis von Entwicklung

2007 jährt sich zum 40. Mal die von Papst Paul VI. am Osterfest 1967 verkündete Enzyklika "Populorum progressio". Diese wegweisende Enzyklika ist heute Anlass für die kritische Rückfrage an die kirchlichen Akteure, inwiefern sie neue, zusätzliche Initiativen zur Erreichung der Millenniumsziele ergreifen.
Populorum progressio (PP) war die konsequente Fortführung der in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des II. Vatikanischen Konzils zum Ausdruck kommenden engsten Verbundenheit der Kirche mit der Menschheit und ihrer Geschichte. Paul VI. geht es um "wahre Entwicklung" , die jedes Individuum und die gesamte Menschheit erfasst; dann ist Entwicklung umfassend und meint "voll menschliches Wachstum" (PP 19).

Mit der Enzyklika Populorum progressio ist der Begriff "Entwicklung" erstmals in die kirchliche Soziallehre eingefügt. Ein mehrdimensionaler Entwicklungsbegriff wird entfaltet, der ein rein ökonomisches Verständnis von Entwicklung überwindet. PP geht von der Einsicht aus, dass die "soziale Frage" eine weltweite Dimension angenommen hat. Die berühmt gewordene Formulierung "Entwicklung: Der neue Name für Friede" (PP 76) präzisiert, dass Friede wie Entwicklung einander bedingende Faktoren sind. "Das Elend bekämpfen und der Ungerechtigkeit entgegentreten, heißt, in Verbindung mit der  Schaffung besserer Lebensbedingungen und geistigem und sittlichem Fortschritt aller, am Gemeinwohl der Menschen arbeiten. Friede ist nicht schon dort, wo kein Krieg, wo also ein nur immer schwankendes Gleichgewicht der Kräfte herrscht."
Zwar hat sich das Leitbild Entwicklung seit der Entstehungszeit von PP in den sechziger Jahren an manchen Punkten grundlegend verändert. Das Modell nachholender Entwicklung ist einem Modell nachhaltiger Entwicklung gewichen, dessen Ziel es ist – wie die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987 festhält –, die Ausrichtung technologischer Entwicklung, die Art der Investitionen und die institutionellen Veränderungen miteinander in Einklang zu bringen und sowohl die gegenwärtigen wie auch die zukünftigen Möglichkeiten zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse zu  verbessern. Gleichwohl nimmt PP die sich abzeichnende Globalisierung wirtschaftlicher Verflechtungen wahr und fordert als Antwort eine weltweite Solidarität, die sich an der vorrangigen Option Jesu für die Armen orientiert. Dies beinhaltet auch einen Perspektivwechsel, der aus der Nähe zu den Armen deren Ängste, Sorgen, Sehnsüchte und Hoffnungen tiefer begreifen lässt. Diese Konkretion der  Option Jesu für die Armen beschränkt sich jedoch nicht nur auf den zwischenmenschlichen Bereich, sondern die Enzyklika nimmt auch die Strukturen in den Blick, die als Ursache bzw. Verfestigung der Armut einer ganzheitlichen Entwicklung aller Menschen entgegenstehen.

Nicht zuletzt konnte die Enzyklika ihre immense Kraft dadurch entfalten, dass sie auf eindringliche Weise die Verantwortlichen in Politik, Ökonomie und Gesellschaft sowie alle Menschen
anspricht, sich konsequent für die Bekämpfung der Armut in der Welt einzusetzen.

Diese erste entwicklungspolitische Enzyklika war neben Gaudium et spes ein wichtiger Impuls zur Gründung nationaler Justitia et Pax-Kommissionen und ein Wegbereiter für das vielfältige Engagement innerhalb des deutschen Katholizismus in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ZdK war Mitbegründer und ist bis heute Mitträger der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Die Partnerschaften mit Menschen im Süden in den kirchlichen Werken, in den katholischen Organisationen sowie in den Räten sind beredtes Zeugnis der christlichen Solidarität und tragen nicht zuletzt zu einer Horizonterweiterung im Geist des Evangeliums bei. Dazu zählt auch, im Sinne einer wirklich nachhaltigen Entwicklung die Veränderungsprozesse in den industriell entwickelten Ländern des Nordens anzustoßen und gesellschaftlich zu gestalten.

II. Die Millenniumsentwicklungsziele – gemeinsame Verantwortung der Industrie- und Entwicklungsländer

Heute, 40 Jahre nach Erscheinen der Enzyklika "Populorum progressio", sieht die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken es als ihre Pflicht an, aus dem Geist der Enzyklika heraus Beiträge zur Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele zu leisten.

Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und vor dem G8-Gipfel im Juni 2007 ergibt sich die einmalige Chance, Initiativen zu ergreifen, die zu einer tatsächlichen Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele führen.
Vor dem Hintergrund des in Populorum progressio beschriebenen umfassenden Entwicklungsverständnisses sind die Millenniumsentwicklungsziele ausdrücklich zu begrüßen, denn sie zielen darauf, dass alle Bevölkerungsschichten an Wachstumsprozessen teilnehmen und an ihren Früchten teilhaben. Sie rücken die Option in den Mittelpunkt, dass Entwicklungsmaßnahmen und Wirtschaftswachstum den Armen zugute kommen. So tragen die MDGs der Tatsache Rechnung, dass Entwicklung nicht vor allem als Wirtschaftswachstum in einem Entwicklungsland verstanden werden darf. Vielmehr muss Entwicklungspolitik darauf gerichtet sein, insbesondere zur Verbesserung der konkreten Lebensumstände der Armen beizutragen und hierfür bestimmte gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung sind zentrale Voraussetzungen für Armutsminderung und Entwicklung.
Die Millenniumsentwicklungsziele setzen hier an, indem sie insbesondere die Ernährungssicherung, den Zugang zur Grundbildung für alle, die Förderung und Gleichstellung von Frauen sowie die Gewährleistung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, die Gesundheitsvorsorge sowie nachhaltigen Umweltschutz in den Mittelpunkt stellen. Dieses umfassende Konzept richtet den Blick auf zentrale Staatsaufgaben zur Sicherstellung der Lebensmöglichkeiten der armen Bevölkerung. Alle Erfahrung der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte lehrt, dass die Erfüllung dieser Aufgaben nicht ohne die unmittelbare, demokratische Beteiligung der Armen selbst und ihrer Selbstorganisationen möglich sein wird.

Auch wenn Schwellenländer wie Indien und China rechnerisch die MDGs erreichen werden, so ist doch eine nicht hinnehmbare Ungleichheit absehbar, auch in den Schwellenländern selbst. Deshalb müssen die Anstrengungen verstärkt werden, da Ungleichheit auch Entwicklung gefährdet. Es gilt, den Fokus auf die Armen zu richten und nicht hinzunehmen, dass ganze Teile der Welt abgehängt bleiben.

III. Externe und interne Armutsursachen

Externe Armutsursachen, die in erster Linie mit Bedingungen der internationalen Politik (Sicherheits- und Friedens-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in Zusammenhang stehen, sind in oft schwieriger Wechselwirkung mit internen Armutsursachen. In folgenden Feldern (III.1. bis III.4.) ergibt sich die Verpflichtung der Industrieländer, die eigenen Politiken so zu verändern, dass die fortdauernde Benachteiligung von Entwicklungsländern abgebaut wird.

1II.1. Faire Handels- und Wirtschaftsbeziehungen

Der Maßstab der Armutsbekämpfung muss auch in Wirtschaftsbeziehungen und privatwirtschaftlichem Handeln Geltung haben. Immer noch sind die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern ungerecht. Mehr Mitspracherecht der Entwicklungsländer in internationalen Institutionen, Stabilisierung von globalen Finanz- und Währungsmärkten, Handelserleichterungen für ökonomisch schwache Länder, Verzicht auf Subventionen für nicht konkurrenzfähige Exporte sowie der Abbau des Protektionismus auf Seiten der Industrieländer in seinen vielfältigen Formen sind hierzu notwendige Schritte.

Ein besonderer Testfall stellt in diesem Zusammenhang der weltweite Agrarhandel dar. Das umfangreiche System von Marktzugangsschranken, internen Beihilfen und Exportsubventionen verschafft den Industrieländern Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz aus den Entwicklungsländern. Während die einen diese Maßnahmen für den Erhalt der Landwirtschaft in den Industrieländern als unumgänglich ansehen, halten die anderen den Abbau dieser Wettbewerbsverzerrungen aus Gründen der Gerechtigkeit und im Interesse der Armen in den Entwicklungsländern für dringend geboten. Dieser Konflikt trägt wesentlich zum Stillstand der Welthandelsrunden bei. Es bedarf deshalb einer Einigung, zumal die Rückkehr zu bilateralen und regionalen Abkommen für alle Beteiligten die  schlechtere Alternative wäre, insbesondere aber für die ärmsten Länder, weil sie dann ihre Interessen noch viel schwerer zu Gehör bringen könnten.
Eine Einigung ist auch deshalb möglich, weil der vermeintliche Konflikt zwischen agrar- und entwicklungspolitischen Interessen keineswegs so eindeutig ist, wie häufig unterstellt, und es durchaus gemeinsame Anliegen gibt. Eine Analyse der gegenwärtigen Welthandelsbedingungen zeigt nämlich, dass die hochgradig verzerrten Strukturen des Weltagrarhandels die Exportchancen vieler Entwicklungsländer beeinträchtigen und deren landwirtschaftliche Strukturen bedrohen. Sie können in der Folge im internationalen Subventionswettlauf nicht mithalten und werden teilweise mit  Agrarprodukten aus Industrieländern überschwemmt, deren Preise aufgrund der Subventionen unterhalb der Kosten lokaler Produktion liegen.
Der weltweite Agrarhandel in seiner derzeitigen Form führt aber auch in den Industrieländern zu massiven wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fehlentwicklungen. Denn das Ergebnis des durch die hohen Subventionen verzerrten Konkurrenzkampfes um Weltmarktanteile sind äußerst niedrige und instabile Preise auf den Weltmärkten. Als Folge davon können zu den gegenwärtigen  Weltmarktpreisen auch in Europa nur noch wenige Bauern kostendeckend produzieren. Das derzeitige System verhindert ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Anpassungsprozesse.

Als Weg aus diesem Dilemma bedarf es insbesondere einer kohärenten Abstimmung zwischen Entwicklungs-, Agrar- und Handelspolitik. Grundlage hierfür ist eine Neuausrichtung des Agrarabkommens der Welthandelsorganisation (WTO). Es dürfen nicht länger die partikulären Interessen großer Agrarexporteure im Mittelpunkt stehen. Es bedarf vielmehr eines Ordnungsrahmens mit fairen Rahmenbedingungen, der die derzeitigen Wettbewerbsverzerrungen im weltweiten Agrarhandel abbaut und auch ökologische und den Verbraucherschutz betreffende Anliegen berücksichtigt. Priorität muss dabei ein Abbau jeder Art von Exportunterstützung haben, da diese eigenständige landwirtschaftliche Strukturen in den armen Ländern gefährdet und notwendige Anpassungen in den Industrieländern verzögert. Der Abbau der Exportsubventionen darf jedoch nicht zu einer völligen Liberalisierung des Agrarsektors führen. Dies würde in den Industrie- wie in den Entwicklungsländern zu einer Konzentration auf wenige agro-industrielle Großbetriebe führen und die kleinbäuerlichen Strukturen zerschlagen. Deshalb bedarf es übergangsweise der Unterstützung der Landwirtschaft in der Form, dass diese den notwendigen Strukturwandel unterstützt.

Auch die Frage des Marktzugangs erfordert eine differenzierte Vorgehensweise. Die hohen Außenzölle für Agrarimporte aus den Entwicklungsländern müssen reduziert werden. Hierzu bedarf es kluger Mechanismen, damit gerade die ärmsten Länder weiterhin konkurrenzfähig beim Zugang zu den Märkten der Europäischen Union bleiben.

Ein Weg könnte der Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit sein, die stärker als bisher eine nachhaltige ländliche Entwicklung fördert, um so zu einer Grundlage für ein breitenwirksames Wachstum in den armen Ländern beizutragen. Der Faire Handel ist vor über 35 Jahren als ökumenische Initiative von den evangelischen und katholischen Jugendverbänden und Hilfswerken ins Leben gerufen worden, um den ungerechten Welthandelsstrukturen ein alternatives Handelsmodell entgegenzusetzen. Mit den Prinzipien der Partnerschaftlichkeit durch langfristige Handelsbeziehungen, gerechten Arbeitsbedingungen und Preisen hat er nachweislich viele Menschen in Entwicklungsländern aus der Armut geführt und ihnen stabile Lebensgrundlagen verschafft.

III.2. Besserer Ordnungsrahmen der internationalen Finanzmärkte

Die Bedingungen für das Weltfinanzsystem müssen verbessert werden, da sie derzeit große Unsicherheiten bergen und sich oft zu Lasten der ärmsten Entwicklungsländer auswirken. Dabei müssen mindestens zwei Zielsetzungen verfolgt werden:

- Es müssen effiziente Anreizstrukturen für die nationalen und internationalen Finanzmärkte geschaffen werden, die das Risiko von instabilen Entwicklungen vermindern und die die Integrität der Marktteilnehmer sichern.

- Zudem bedarf es Strukturen für die Entwicklungsfinanzierung in den armen Ländern, die zur Beseitigung der Armut beitragen und den Kapitalmarktzugang ermöglichen, beispielsweise durch Mikrofinanzsysteme.

Verantwortliche Geldanlagen nach ethischen Kriterien sowie die Unterstützung von Mikrofinanzinstituten sind nur wenige Beispiele aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, um diese Ziele zu verfolgen. Banken können zu einer Förderung des ethischen Investments beitragen, indem sie verstärkt ihre Kunden auf diese Möglichkeiten aufmerksam machen, ihre Angebote dazu transparent gestalten und neue Produkte entwickeln. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für ethische Geldanlagen und für Mikrofinanzfonds in Deutschland und auf europäischer Ebene förderlich zu gestalten.

III.3. Mehr Finanzmittel sind erforderlich

Die Millenniumsentwicklungsziele sind sehr ehrgeizig. Ihr effizienter Einsatz, der Fokus auf langfristige Wirkungen sowie eine Harmonisierung seitens der Geber, damit der bürokratische Aufwand für die Partnerländer verringert wird, sind unabdingbar. Dennoch bleibt richtig: Für die Erreichung der MDGs bedarf es einer deutlichen Erhöhung der von den Geberländern zur Verfügung gestellten Finanzmittel und eines auf die Armutsbekämpfung und Partizipation ausgerichteten Einsatzes.
Es ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen, dass die Europäische Union im Mai 2005 die Absicht erklärt hat, dass jedes Mitgliedsland bis 2015 das 0,7-Ziel erreicht, d. h. 0,7 Prozent des  Bruttonationalprodukts (BNP) in allen Geberländern für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Als Zwischenetappe bis zum Jahr 2010 wurde fest vereinbart, 0,51 Prozent des BNP zur Verfügung zu stellen. Umgerechnet sind dies jährlich zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 40 Milliarden Dollar.

Somit können in der zentralen Frage der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit zweifellos Fortschritte erzielt werden. Steigerungen sind vereinbart, und erstmals ist ein klarer zeitlicher Rahmen vorgesehen. Zur Sicherstellung der Realisierung dieser Vereinbarung fordern wir von der Bundesregierung eine verlässliche Finanzplanung zur Erreichung der 0,5- Prozent-Quote am BNP bis 2010 und der 0,7-Prozent-Quote bis 2015.

Mit Blick auf die Entwicklung in der Bundesrepublik muss der Umstand kritisch in Erinnerung gerufen werden, dass die Erhöhung der deutschen Quote im Jahr 2006 vor allem durch die Hinzuziehung des Schuldenerlasses für den Irak und Nigeria erreicht worden ist. Für eine dauerhafte und qualitative Steigerung müssen zweifelsohne zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt werden. Deshalb fordern wir eine Überprüfung der Kriterien zur Errechnung der ODA-Quote, die sicherstellt, dass ausschließlich zivile Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut und zur Verbesserung von Entwicklung eingerechnet werden dürfen.

Damit die Bundesregierung ihrer internationalen Verpflichtung, bis 2015 zur Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes zur Verfügung zu stellen, nachkommen kann, werden auch zusätzliche innovative Finanzierungsinstrumente nötig sein. Als erster Schritt zu innovativen Finanzierungsinstrumenten ist die Einführung einer Abgabe auf Flugtickets auch in Deutschland überfällig, die zum Beispiel seit dem 1. Juli 2006 in Frankreich bereits Gesetz ist. Wir fordern den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung erneut auf, sich dieser Initiative  anzuschließen. Die so gewonnenen Mittel sollen zusätzlich für Projekte zur Armutsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden.

Als weitere wichtige Maßnahme zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele ist auch ein weiterer Schuldenerlass für die ärmsten Länder unverzichtbar. Berechnungen der Weltbank zeigen, dass die durch zurückliegende Schuldenerlasse für die ärmsten Länder freigewordenen Ressourcen dazu verwendet wurden, die Ausgaben in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu erhöhen. So seien 40 Prozent der geschätzten Schuldeneinsparung für Bildung und 25 Prozent für Gesundheitsvorsorge verwandt worden, so die Weltbank.
Dennoch bildet die Auslandsverschuldung für die Entwicklungsländer nach wie vor ein großes Hindernis.

III.4. Rüstungsexporte gefährden Entwicklung

Der Anspruch der Bundesregierung, eine restriktive Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, wirkt angesichts des Anstiegs des Wertes der exportierten Kriegswaffen gegenüber den Vorjahren unglaubwürdig, allein Deutschland exportierte im Jahr 2005 Kriegswaffen im Wert von 1,65 Milliarden Euro. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Rüstungsexporte insgesamt stiegen von 3,8 auf 4,2 Milliarden Euro. Insbesondere die hohen Ausfuhren in Entwicklungsländer , die zugleich Empfänger öffentlicher Entwicklungshilfe sind, sind nicht hinnehmbar. So erhielten diese im Jahr 2005 Rüstungsgüter im Wert von 1,6 Milliarden Euro. Besonders die gestiegene Genehmigungsquote für Kleinwaffen ist völlig inakzeptabel, da sie allen politischen Bemühungen zur Eindämmung des Kleinwaffenhandels zuwiderläuft. Die Lieferungen in Länder der Krisenregion des Nahen und Mittleren Ostens stellen eine Abkehr vom Grundsatz, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern, dar. Wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie den EU-Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren strikt anwendet (insbesondere die Achtung der Menschenrechte und die Abwesenheit interner Gewaltkonflikte) und dass sie ihre EU-Präsidentschaft zu einer Aufwertung des Verhaltenskodexes zu einer verbindlichen EU-Regelung nutzt. Denn allzu oft führen aus der EU exportierte Rüstungsgüter in Entwicklungsländern zur Verschärfung der Konflikte und gefährden bzw. zerstören Entwicklung. Vor dem Hintergrund wachsender Auseinandersetzungen und Interessenskämpfe zur Sicherung des Zugangs zu energetischen Rohstoffen gewinnt dieser Aspekt immer mehr an Brisanz.

III.5. Interne Armutsursachen

Armut hat vielfältige Ursachen. Geringes Wirtschaftswachstum, ungerechte Landverteilung, fehlender Bildungsstandard, das Nicht-Vorhandensein sozialer Grunddienste und Sicherungssysteme sowie die Entwicklung des Bevölkerungswachstums gehören dazu. Besonders hemmend wirken Korruption und ethnische Konflikte auf die interne Entwicklung. Häufig verstärken sich interne, im Land selbst zu verantwortende und externe Ursachen zu Wechselwirkungen, die nur schwer zu durchbrechen sind. Eingehende Ursachenanalysen und eine der Komplexität der Phänomene gerecht werdende Vorgehensweise sind jeweils erforderlich. Wir beobachten in vielen Regionen der Welt eine Auflösung von Staatlichkeit, die mit Bandenkriegen , wirtschaftlicher Ausbeutung und  Menschenrechtsverletzungen einhergeht und damit die Not der ärmsten Menschen verstärkt. Deutlicher als zuvor wird klar, dass eine Förderung guter Regierungsführung ("Good Gouvernance") wesentlich für Entwicklungsfortschritte ist. Hierzu zählen: Garantie der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und -sicherheit, effiziente Verwaltung, politische Partizipationsmöglichkeiten für alle sowie eine an der Armutsminderung ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Die Notwendigkeit politischer Reformen gerade in den ärmsten und schlecht regierten Entwicklungsländern ist offensichtlich. Dies gilt insbesondere für Afrika, dem Kontinent, der am weitesten von der Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele entfernt ist. Fragen der Steigerung des Umfangs und der Wirksamkeit der Hilfe sowie der Gestaltung einer entwicklungsfördernden Handelsordnung sind für die Zukunftsperspektiven Afrikas von größter Bedeutung. Einer der vorrangigen Ansatzpunkte dazu ist die Unterstützung der innerafrikanischen Reformprozesse, die sich an der Initiative "NePAD" ("New partnership for Africa's development" ) festmachen. Die NePAD-Initiative hat bereits heute einen Prozess wechselseitiger Konsultationen und Rechenschaftslegung zwischen Afrika und den G8-Staaten eingeleitet, der unbedingt weiter gestaltet werden muss. Der bevorstehende G8-Gipfel bietet die große Chance, diesen Prozess zielführend zu forcieren.

Als Armutsursache erweist sich häufig die soziale, wirtschaftliche und politische Benachteiligung von Frauen. Armut führt gerade bei Mädchen und Frauen zu Bildungsdefiziten und verstärkt dann die Armut. Gebildete Frauen hingegen können besser für Bildung und Gesundheit ihrer Kinder vorsorgen und stärker zum Aufbau des für die Entwicklung einer Gesellschaft so notwendigen "Humanvermögens" beitragen. Deshalb gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Entwicklungspolitik, diesen Teufelskreis der Benachteiligung von Frauen in Armut zu durchbrechen. In vielen Entwicklungsländern machen Jugendliche 60 bis 70 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Sie sind daher besonders mit Armut und deren Folgen konfrontiert. Sie können aber auch Teil der Lösung sein, wenn sie als soziale Akteure anerkannt und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Gerade die katholische Kirche verfügt über Strukturen und Möglichkeiten, die Jugendlichen weltweit bei dieser Anstrengung zu unterstützen.

IV. Kirchliche Selbstverpflichtung

Die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken möchte die Impulse der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit zur Erreichung der MDGs unterstützen. Auf allen Ebenen müssen die Anstrengungen daher verstärkt werden:

- Die Arbeit der kirchlichen Hilfswerke muss die Erreichung der MDGs fest in den Blick nehmen und die Zusammenhänge öffentlich machen.

- Die bestehenden und bewährten Partnerschaften auf Gemeinde-, Verbands-, Rats- und Diözesanebene müssen sich qualifiziert auf die Erreichung der MDGs ausrichten.

- Diese Partnerschaften müssen die Ortskirchen mit Blick auf die Erarbeitung und Umsetzung der sogenannten "Strategiepapiere zur Armutsreduzierung" (PRSP), die im Zusammenhang mit dem konditionierten Schuldenerlass von Bedeutung sind, unterstützen. Dies muss auch für andere nationale und internationale Armutsbekämpfungsstrategien gelten, z. B. im Rahmen des Cotonou- Abkommens oder der MDGs.

- Die kirchliche Jugendarbeit weltweit muss als Beitrag zur Umsetzung der UN-Millenniumsentwicklungsziele gefördert werden. Die UN-Millenniumsentwicklungsziele können nicht ohne die Beteiligung Jugendlicher erreicht werden, andererseits müssen Kinder und Jugendliche in Entwicklungsmaßnahmen mit einbezogen werden, damit ihre Rechte Berücksichtigung finden. Mit den Worten "Ihr seid die Baumeister einer Zivilisation der Liebe und der Gerechtigkeit" lud Papst Johannes Paul II. die Jugendlichen der Welt zum Weltjugendtag nach Köln ein. Gerade die katholischen Jugendverbände engagieren sich seit Jahrzehnten über ihre internationale Partnerschaftsarbeit und vielfältigen Aktionen für eine friedliche und gerechte Welt und werden in ihrem Engagement nicht nachlassen. Die katholische Kirche verfügt über Strukturen und Möglichkeiten, Jugendliche weltweit in ihrem Engagement auf der Basis ihres Glaubens zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie auch von Öffentlichkeit und Politik stärker als soziale Akteure wahrgenommen werden.

- Maßnahmen zum globalen Lernen, insbesondere für Jugendliche, müssen stärker in das Blickfeld kirchlicher Arbeit gerückt werden. Die internationalen Strukturen katholischer Verbände, Werke und Organisationen sowie der Orden ermöglichen die Begegnung junger Menschen weltweit und lassen Weltkirche lebendig werden. Diese Arbeit gilt es zu unterstützen und zu fördern.

- Der Faire Handel bietet vielen kleinbäuerlichen Familien in Entwicklungsländern Chancen zur Verbesserung ihrer materiellen Situation. Als ökumenische Initiative hat er erfolgreich den ungerechten Welthandelsstrukturen ein alternatives Handelsmodell entgegengesetzt. Es ist deshalb von großer Bedeutung, in diesen Anstrengungen nicht nachzulassen. Im Engagement für den Fairen Handel als christlich motiviertes Handlungsmodell im Einsatz für eine gerechte Welt sollte die katholische Kirche eine Vorbildfunktion innehaben, in dem sie in all ihren Strukturen und Einrichtungen sowie in ihrem gesamten Wirkungsbereich dafür sorgt, dass Bewusstsein für die Anliegen des Fairen Handels geschaffen und Fair-Handelsprodukte solchen aus dem "herkömmlichen" Handel vorgezogen werden.

- Die zivilgesellschaftlichen Akteure innerhalb der katholischen Kirche können Vorreiter für die Politik sein. So hat die Vollversammlung des ZdK bereits im November 2006 angeregt, dass die am ZdK beteiligten Organisationen und Räte bis zur Einführung einer Flugticketabgabe

– nach dem Vorbild des Kolpingwerkes – für jeden getätigten Flug einen pauschalen Betrag von € 2, -- für ein konkretes Entwicklungsprojekt zur Verfügung stellen sollten.

- Die ethisch verantwortliche Geldanlage bietet Möglichkeiten, insbesondere durch die Gewährungvon Kleinstkrediten, Entwicklungsprozesse zu unterstützen. Christen sollten diese Möglichkeiten in verstärktem Maße nutzen.

- Die Justitia et Pax-Kommissionen auf vatikanischer, europäischer und der jeweils nationalen Ebene müssen als wirkungsvolles politisches Instrument der Kirche zur Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden noch stärker als bisher genutzt werden. In der Linie von Populorum progressio (1967), Tertio Millennio Adveniente (1999) und Deus caritas est (2006) wünschen wir uns in den nächsten Jahren einen neuen Impuls auf weltkirchlicher Ebene, der die besondere Verantwortung der Christen und ihrer Kirche in aller Klarheit anspricht und die politisch Verantwortlichen in die Pflicht nimmt. Die gerechte Gestaltung der Globalisierung muss zum zentralen Thema der internationalen Politik werden. Die mit den MDGs eingegangenen Verpflichtungen müssen erfüllt werden, damit die weltweite Armut tatsächlich bekämpft wird. Die zweite Hälfte des Zeitraums für die Erfüllung der MDGs bedarf deutlich verstärkter Anstrengungen.

 

Beschlossen von der Vollversammlung des ZdK am 4. Mai 2007

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