Störung der christlich-jüdischen Beziehungen. Zur Wiedereinführung des tridentinischen Ritus

Stellungnahme des Gesprächskreises "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Störung der christlich-jüdischen Beziehungen Zur Wiedereinführung des tridentinischen Ritus

Stellungnahme des Gesprächskreises "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Am 31. März 2007 hat Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone die Gerüchte bestätigt, der Papst werde bald ein Motu proprio veröffentlichen, das den Priestern die Zelebration der vorkonziliaren Messe nach dem Missale Romanum von 1962 wieder allgemein erlaubt. Bisher ist dies nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ortsbischofs möglich und wird von den deutschen Bischöfen sehr restriktiv (per Indult) gehandhabt. Auf ihrer Herbstvollversammlung 2006 stellten sie fest, ein wachsendes Interesse, von dem manchmal die Rede ist, sei nicht gegeben. Also besteht auch keine Veranlassung einer allgemeinen Wiederzulassung der vorkonziliaren Messfeier, eher eine Diskussion über die Fragen, die "hinter" diesem Wunsch stehen.

Der Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dem zur Zeit 16 Katholiken und 14 Juden angehören, hat zu diesem Vorhaben einstimmig folgende ernste Bedenken geäußert:

(1) Das Missale Romanum von 1962 enthält die Karfreitagsfürbitte "Für die Bekehrung der Juden" (Pro conversione Iudaeorum). Auch wenn in diesem Messbuch die die Juden abqualifizierenden Bezeichnungen "treulos" (perfidus) bzw. "Unglaube" (perfidia) gestrichen sind, entspricht die Karfreitagsfürbitte ansonsten der Textgestalt, wie sie in der Karfreitagsliturgie seit dem Mittelalter gebetet wurde. Dass von der "Verblendung" (obcaecatio) des jüdischen Volkes die Rede ist und dass es "in Finsternis" (tenebrae) wandle, widerspricht in eklatanter Weise der Konzilserklärung "Nostra aetate", in der es in Kapitel 4 heißt:

"Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist. […] Die Juden sind nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich (vgl. Röm 11,28-29; vgl. Lumen gentium 16). […] Man darf die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern. Darum sollen alle dafür Sorge tragen, dass  niemand in der Katechese oder bei der Predigt des Gotteswortes etwas lehre, das mit der Wahrheit des Evangeliums und dem Geiste Christi nicht im Einklang steht."

Mit dem Missale von 1962 zur alten Karfreitagsfürbitte zurückzukehren, heißt also, einen wesentlichen theologischen Paradigmenwechsel des Konzils zu leugnen: nämlich die biblisch begründete Neubestimmung des Verhältnisses der Kirche zum Judentum und damit auch einen Wandel im Selbstverständnis der Kirche. Die traditionelle Karfreitagsfürbitte betete noch dezidiert dafür, dass die Juden "unseren Herrn Jesus Christus, das Licht der Wahrheit" erkennen sollen. Die nachkonziliare Neufassung ist offener: Sie anerkennt den eigenen Heilsweg der Juden, der in Gottes Ratschluss begründet ist, wenn sie darum bittet, dass die Juden "zur Fülle der Erlösung gelangen" mögen.

(2) Mit dem vorkonziliaren Missale Romanum ist auch die alte Leseordnung untrennbar verbunden, die unter den ca. 60 Messformularen für Sonn- und Festtage keine alttestamentliche Lesung für einen Sonntag verzeichnet und ansonsten nur in drei Fällen: Jes 60,1-6 am Fest Epiphanie, Hos 6,1-6 und Ex 12,1-11 am Karfreitag sowie 12 alttestamentliche Lesungen in der Liturgie der Osternacht, die bei der Neuordnung von 1951/55 auf vier reduziert wurden (Gen 1; Ex 14,24-15,1; Jes 4,2-6 und Dtn 31,22-30). Das ist "offener Markionismus", der den ersten Teil der  zwei-einen christlichen Bibel, der Bibel Israels, zur Bedeutungslosigkeit abwertet. Mit der Ablehnung Markions hat die Kirche aber bereits Mitte des 2. Jahrhunderts Ja zum Alten Testament gesagt!

(3) Die Theologie, insbesondere die Lehre von der Kirche (Ekklesiologie), auch die Theologie und Spiritualität der heiligen Messe, wie sie sich in den Gebeten, Texten und Lesungen der Missa Tridentina ausdrückt, widerspricht in vielem und theologisch Entscheidendem dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Das betrifft nicht zuletzt die einzigartige Beziehung zwischen Kirche und Judentum (vgl. bes. Lumen gentium 16 und Nostra aetate 4).

Um diese grundlegenden theologischen Fragen geht es bei der Forderung nach der Wiederzulassung des tridentinischen Ritus, nicht um die Frage nach der Messfeier in Latein, die ohne Weiteres immer und überall laut dem nachkonziliaren Missale Romanum (Editio typica tertia, Rom 2002) möglich ist!

Es liegt klar auf der Hand, was mit einer Wiederzulassung des Tridentinischen Messbuchs angerichtet würde: eine nachhaltige Störung des seit dem Zweiten Vatikanischen Konzils so hoffnungsvoll  begonnenen katholisch-jüdischen Dialogs. Viele engagierte persönliche und auch theologische Bemühungen auf beiden Seiten würden mutwillig zunichte gemacht. Wir hoffen, dass Papst Benedikt XVI. diese Beschädigung der christlich-jüdischen Beziehungen nicht zulassen wird.

 

Bonn, Ostern/Pessach 2007

 

Für den Gesprächskreis "Juden und Christen" beim ZdK
Prof. Dr. Hanspeter Heinz, Augsburg
Prof. Dr. Ernst-Ludwig Ehrlich, Basel

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