Grußwort zum 60jährigen Bestehen des Kölner Diözesanrates

Grußwort von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer -es gilt das gesprochene Wort.

Bei einem Jubiläum kann man und muss man über Geschichte sprechen. Denn 60 Jahre Laienkatholizismus in Köln zeigen uns, warum das gesellschaftspolitische Engagement katholischer Christen wichtig und unverzichtbar ist. Bezogen auf 2000 Jahre Geschichte des Christentums sind freilich 60 Jahre nur ein Wimpernschlag. Bezogen auf die 150 Jahre organisierter Aktivität katholischer Laien in Deutschland seit dem Jahre 1848 sind 60 Jahre dagegen schon mehr als ein Drittel. Und wichtige Wurzeln wurden hier in Köln schon vor 1848 gepflanzt. Drei Impulse, die bis heute das Selbstverständnis des deutschen Katholizismus bestimmen, sind von Köln ausgegangen. Das sind die Gründung des Gesellenvereins durch Adolph Kolping, die Gründung des Borromäus-Vereins durch August Reichensperger und der Entschluss der 1848 am Kölner Dombaufest teilnehmenden katholischen Abgeordneten und Vereinsrepräsentanten, die katholischen Laienvereinigungen einzuladen, noch im gleichen Jahr in Mainz zu einer Versammlung zusammenzukommen. Diese Versammlung ist für uns heute der erste Katholikentag. In diesen geschichtlich mit Köln verbundenen Impulsen haben wir bereits die drei großen Aufgabengebiete, die bis heute für den Weltdienst der deutschen Katholiken von herausragender Bedeutung sind: Die Verantwortung für Solidarität und soziale Gerechtigkeit; das Bemühen, sich selbst und anderen durch Bildung dazu zu verhelfen, seine Zeit und seine Welt im Lichte des Glaubens zu verstehen und sein Leben in die Hand zu nehmen; und der Wille, in unserem Land und in dieser Gesellschaft für ein Zusammenleben einzutreten, das von der Achtung der Menschenwürde bestimmt ist. Eine notwendige Konsequenz der Menschenwürde ist die Freiheit. Und der Kern der Freiheit ist für Katholiken die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Daran hat sich seit der Revolution von 1848 nichts geändert.

Auch der Neubeginn katholischer Laienarbeit in Köln nach Nazidiktatur und Krieg, dessen Sie mit dieser Jubiläumsfeier gedenken, war von überregionaler Bedeutung. Denn wenn wir das damalige Kölner Geschehen in den gesamtdeutschen Kontext stellen, so erkennen wir bald, dass hier die vorwärtsweisenden und beispielgebenden Schritte gegangen wurden. Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands gab es ohnehin keine Chance für einen Neuanfang eigenständiger Laienarbeit. Offiziell zollte man zwar anfangs der Rolle der christlichen Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus Respekt und sprach von einem Bündnis mit den antifaschistischen und fortschrittlichen Christen. Aber am Ergebnis der Naziherrschaft, nämlich an der Verdrängung der Kirchen aus der Öffentlichkeit und insbesondere aus dem Bildungswesen, hielt man fest. Im westlichen Teil Deutschlands dagegen wurde den Kirchen Achtung und Vertrauen entgegengebracht. Aber wie die katholische Laienaktivität wirkungsvoll gestaltet werden sollte – darüber war man sich nicht einig. Zwar hatten die zwölf Jahre der Unterdrückung die Erinnerung an die mächtige katholische Laienbewegung vor 1933 nicht auslöschen können. Aber ob und wie man daran anknüpfen sollte, darüber gab es unter Bischöfen und Laien durchaus unterschiedliche Vorstellungen.

Die meisten Bischöfe, so sagen uns jedenfalls die Historiker, neigten damals einer nur im Rahmen der Diözesen organisierten Katholischen Aktion unter ihrer unmittelbaren Leitung zu. Der Erzbischof von Köln, Kardinal Joseph Frings, dagegen entwickelte, ermutigt von Papst Pius XII. und unterstützt von seinem engen Mitarbeiter Prälat Wilhelm Böhler, ein anderes Konzept. Wesentliche Merkmale dieses Konzepts sollten über Köln hinaus bedeutsam werden. Kardinal Frings wollte wirkliche Laiengremien, die auch unter dem Vorsitz eines Laien stehen, aber natürlich mit dem geistlichen Amt vertrauensvoll zusammenwirken. Im Blick auf die sich wieder bildenden Verbände waren seine strukturellen Vorstellungen flexibel. Die neuen Katholikenausschüsse und das sie zusammenfassende Diözesankomitee sollten diese nicht ersetzen, sondern zusammenführen. Kardinal Frings sah auch, dass in der deutschen Gesellschaft überdiözesane Verbände und Gremien unverzichtbar waren. So unterstützte er nicht nur das Wiedererstehen des katholischen Verbandslebens in Deutschland, jedenfalls dort, wo dies möglich war, also im westlichen Teil. Es war auch in seinem Sinne, dass Prälat Böhler vorschlug, das bisherige Zentralkomitee für die deutschen Katholikentage zu einem Zentralkomitee der deutschen Katholiken als einer gesamtdeutschen Laienrepräsentation weiter zu entwickeln. Die Beschlüsse der Gemeinsamen Synode in Würzburg in der ersten Hälfte der siebziger Jahre über die Verantwortung des gesamten Gottesvolkes sind ohne die ersten wegweisenden Schritte 30 Jahre vorher hier in Köln nur schwer vorstellbar. Sogar der Begriff des Zusammenschlusses, mit dem sich heute das Zentralkomitee und die diözesanen Katholikenräte im Verhältnis zu den Verbänden und Gemeinschaften einerseits und zu den Laienräten der verschiedenen Ebenen andererseits charakterisieren, ist damals hier in Köln geprägt worden.

Noch bedeutungsvoller war, wie Kardinal Frings die Aufgaben der neuen Laiengremien sah. Er verwies auf „die Offenbarung Gottes und die christliche Naturrechtslehre“ und die Aufgabe der Katholiken, diese, wie er sagte, „in der Öffentlichkeit darlegen und im Leben des Volkes durchzusetzen versuchen.“ Mit nüchternem Realismus fügte er hinzu: „Dabei handelt es sich nicht um fertige Lösungen, vielmehr sind die unverrückbaren Grundsätze in angestrengter und wagemutiger Arbeit auf die heutigen Verhältnisse anzuwenden.“ Das klingt wie ein Vorgriff auf die Konstitution „Gaudium et Spes“ des II. Vatikanischen Konzils, die klar davon spricht, dass auch bei gleichen christlichen Grundsätzen Katholiken darum ringen müssen, welche Gestaltungsmöglichkeiten der Wirklichkeit sich aus deren sachlichen Notwendigkeiten ergeben.

Eine solche Sicht führt keineswegs zu einem geringeren Maß an gesellschaftlichem Engagement der Katholiken. Vielmehr erfordert sie eine gründliche Analyse der Realität und ernsthafte Auseinandersetzungen über deren Chancen und Risiken. Der Katholikenrat der Erzdiözese Köln hat wiederholt bewiesen, dass er seine Aufgabe genau in diesem Sinne versteht und dass es in unserer freiheitlichen Gesellschaft notwendig ist, die Anliegen der Katholiken mit Nachdruck und Geschick in die Öffentlichkeit zu tragen. Das gilt heute auch für unsere Aufgabe, die christliche Verwurzelung Europas im Verfassungsvertrag der Europäischen Union zum Ausdruck zu bringen. Noch wichtiger freilich als eine rechtliche Dokumentation ist es, dass christliche Wertvorstellungen und Grundhaltungen im Leben des Einzelnen wie im Leben der Gesellschaft eine gestaltende Kraft bleiben und das öffentliche Bewusstsein mitprägen. Ein Feld der Bewährung ist, wie sich schon bald nach dem Krieg abzeichnen sollte, das Leben in Ehe und Familie und als Eltern. Hier ging es und geht es um den Kern christlichen Eheverständnisses, der sich unter unterschiedlichen geschichtlichen Bedingungen wie auch in unterschiedlichen Formen von Eheleben und Elternschaft als Grundlage für ein gelingendes Familienleben bewährt. Ein drittes Feld, das man vor sechzig Jahren so noch nicht ahnen konnte, sind die bioethischen Herausforderungen, die sich aus den medizinischen Fortschritten, aber auch aus individuellen Erwartungen und Ansprüchen ergeben. Hier geht es um die Grenze zwischen dem, was der Menschenwürde dient, und dem, was die Menschenwürde verletzt, und daher stets um den Schutz des menschlichen Lebens vom Anfang bis zum Ende.

Die sechzig Jahre, die Sie heute feiern, stehen nicht zuletzt für die Tradition guter Zusammenarbeit zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Katholikenrat des Erzbistums.

Im Namen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in dem Repräsentanten der Kölner Laien seit dessen von Köln ausgehenden Neuformierung im Jahre 1952 aktiv und maßgeblich mitarbeiten, gratuliere ich Ihnen zu Ihrem Jubiläum und wünsche Ihnen weiterhin Gottes Segen für Ihr christliches Zeugnis in der Welt.

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer

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