Grußwort für die ZdK-Vollversammlung

von Dr. Ellen Ueberschär im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

„Die ökumenische Bewegung ist einer der wenigen Lichtblicke des vergangenen 20. Jahrhunderts, das ein schlimmes, ein dunkles und ein blutiges Jahrhundert war. Nach 1000 Jahren Kirchenspaltung zwischen Ost und West, fast 500 Jahre Kirchenspaltung im Westen mit all den schlimmen Konsequenzen … , setzte eine Umkehr im ursprünglichen Sinn des Wortes ein. Christen entdeckten ihre christliche Geschwisterlichkeit neu.“

Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Mit diesem Zitat von Walter Kasper, das Teil seines Vortrages auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin war, möchte ich beginnen. Dieser Lichtblick ist im weitesten Sinne der Grund für die Einladung, die mir zuteil geworden ist. Ich habe sie mit großer Freude angenommen und möchte mich hier für die Ehre bedanken, zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Inzwischen ist aus dem Lichtblick ein dickes Strahlenbündel geworden. Die Ökumene ist, insbesondere in Deutschland, ein dichtes Geflecht des Miteinanders von Gemeinden, in ökumenischen Netzwerken, aber auch auf bischöflicher und kirchenleitender Ebene, vor allem aber – im guten Zusammenwirken zwischen dem ZdK und dem DEKT. Das große Wagnis eines ökumenischen Kirchentages, eines großen christlichen Forums, in das der Reichtum beider Traditionen eingeflossen ist und das diesen Reichtum in einer sich gegenseitig stärkenden Weise vermehrt hat, ist gelungen.

Wer wagt gewinnt. Wir wagen wieder und – volente Deo – werden wir gewinnen. Einander am Reichtum des anderen Anteil zu geben, Chancen zur Begegnung zu eröffnen, miteinander zur ringen um sozialethische Positionen, um theologische Fragen und vor allem – den geistlichen Reichtum miteinander zu teilen – allein das und all das ist schon Garantie dafür, dass wir nur gewinnen können.

Das gemeinsame Wagnis setzt voraus, dass man sich gegenseitig kennt: Deshalb möchte ich Ihnen kurz etwas über den Kirchentag und über meine Person sagen:
Wie das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken versteht sich der Kirchentag als Laienbewegung: „Der Deutsche Evangelische Kirchentag“, so heißt es in der Präambel unserer Ordnung, „ist im Jahr 1949 auf der Evangelischen Woche von Rudolf von Thadden und seinen Freunden als Laienbewegung ins Leben gerufen“.
Dass nun in Amt der Generalsekretärin eine ordinierte Pfarrerin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz vor Ihnen steht, zeigt schon an, dass der Laienbegriff des Kirchentags nicht die strikte Unterscheidung vom ordinierten Amt meint.

Für Reinold von Thadden, den 1891 geborenen Gründer des Kirchentages, waren alle, die nicht unmittelbar kirchlich Angestellte oder ausgebildete Pastoren waren, Laien. Er sah sie in einem Rollenkonflikt zwischen Kirche und Welt. Und sie in diesem Konflikt zu stärken, diese angespannte Situation zur Sprache zu bringen, war ihm eine wesentliche Aufgabe der Kirchentagsarbeit. Der oder die Laie ist, so von Thadden, das „eingefrorene Kapital der Kirchen“, das der Kirchentag „beizeiten auftaut“. Die Figur des Laien geht nicht auf im Gegensatz von „laos“ als schlichtem Volk und den „hieroi“ als Eingeweihten, nicht im Gegensatz von Experten und Amateuren und nicht im Gegensatz von Theologen und Nichttheologen. Das Wort von den Laien hält die Grenzen der Kirchentagsteilnahme offen. Wer noch nie auf einem Kirchentag war, ist in gewissem Sinne auch ein Kirchentagslaie, und damit herzlich eingeladen! Die dort Versammelten reden mit, wenn es um die Globalisierung geht, um die Bildung, die Politik, die Ökonomie, und auch, wenn es um die Kirche geht.
Der Laienbegriff ist auch heute noch in Bewegung. Ich interpretiere ihn so: Der Kirchentag ist Laienbewegung, solange er aus der Mitte der Gesellschaft lebt, wenn er gesellschaftlich und politisch aktuelle Debatten führt. Laienbewegung bedeutet, Sinn und Glaubensfragen in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Laienbewegung bedeutet auch, den kirchlichen Beharrungstendenzen zu widerstehen, in die Zukunft Gottes hinein im Sinne von Aufbruch zu denken. Und in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gemütslage bedeutet Laienbewegung auch die Vermittlung von boomender Sehnsucht nach Religiösem und schrumpfender Kirche.

Jedem Kirchentag steht ein Präsident, eine Präsidentin vor. Alle sechs Jahre wird gewählt. Nachdem Dr. Reinhard Höppner der Präsident des Kölner Kirchentages in diesem Jahr war, endete die Amtszeit des Vorstandes und vor wenigen Wochen haben wir einen neuen Vorstand gewählt, dem neben Dr. Karin von Welck, der Präsidentin für den Bremer Kirchentag 2009 in Bremen, Katrin Göring-Eckardt und Professor Gerhard Robbers, den Präsidierenden der folgenden Kirchentage auch der evangelische Präsident des 2. Ökumenischen Kirchentages angehört – Professor Eckard Nagel. Wahlgremium ist eine etwa 100köpfige Präsidialversammlung und die inhaltliche Verantwortung für den Deutschen Evangelischen Kirchentag insgesamt trägt das Präsidium, etwa 30 Personen aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Kirche. Die Gremien des DEKT stehen in keiner strukturellen Verbindung zur EKD. 1991 ist aus den Kirchentagsbewegungen in beiden deutschen Staaten eine geworden. Eine wichtige Brücke bildete schon vor dem Fall der Mauer der Prozess zu einem Konzil für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – einer in der DDR, Professor Meyer hatte es angesprochen, stark ökumenischen Bewegung.
In diesen Tagen wird an die Oppositionsbewegung in der DDR erinnert. Vor fast auf den Tag genau 20 Jahren drang die Staatssicherheit in die Räume der Berliner Zionskirche ein, um der oppositionellen Gruppen und ihrer angeblich staatsgefährdenden Machenschaften habhaft zu werden. Sie scheiterte. Der Ansturm auf die kirchlichen Räume schwoll an, weil nur dort die unerträgliche politische Situation zum Ausdruck gebracht werden konnte. Zuerst füllten sich die kirchlichen Räume mit dem Protestpotenzial, später die öffentlichen Straßen und Plätze bei den Massendemonstrationen, die das Regime zwei Jahre später an sein Ende brachten.
Es gehörte Mut dazu, die kirchlichen Räume zu öffnen, es zu wagen, sie jungen Menschen, die sich um ihre Zukunft gebracht sahen, als Asylum bereitzustellen. Ich habe selbst in dieser Zeit als kirchlich engagierte Jugendliche in Berlin gelebt. Ich erinnere mich an die Angst, aber mehr noch an den Mut, den ein einfaches gemeinsames Gebet ausströmte, ich erinnere mich, in welche Freiheit uns die biblischen Texte führten, wie viel innere Vergewisserung der Glauben an Jesus Christus schuf.

Heute denke ich, wir brauchen im ökumenischen Miteinander vor allem etwas von diesem Mut, dem Mut, die Türen füreinander so weit zu öffnen, wie es geht. Es gibt zur Ökumene keine Alternative, wie es damals zur Freiheit keine lebenswerte Alternative gab. Wenn das unsere gemeinsame Überzeugung ist, dann müssen wir schon den Vorbereitungsprozess für den 2. Ökumenischen Kirchentag entschlossen und mutig nutzen. Es muss erkennbar sein, wie groß der Raum der christlichen Geschwisterlichkeit ist, den wir bereits jetzt füllen.

In der nächsten Woche werden damit beginnen. Christinnen und Christen sind zu einem Kongress eingeladen, um miteinander zu debattieren, wie im 21. Jahrhundert christliche Verantwortung wahrgenommen werden kann. Der Kongress ist – gute zweieinhalb Jahre vor dem Ökumenischen Kirchentag – ein Ort des Austausches und der Zukunftsprognose, der Einigung über gemeinsame Themen und der Auflistung des Trennenden. Das Zusammenkommen nicht nur evangelischer und katholischer, sondern weiterer Mitglieder aus den ACK-Kirchen bietet die Chance, den Gesprächsprozess zu beginnen, ein Netzwerk zu knüpfen, die thematischen Allianzen zu stärken und eine größere Sensibilität für die gemeinsame Verantwortung zu schaffen.

Der Ökumenische Kirchentag wird ein Gewinn sein. Und er wird es umso mehr sein, wenn drei Dinge gelingen:

1. Wenn es gelingt, die ökumenische Vision für alle Beteiligten zu erneuern. Gegenseitige Enttäuschungen der letzten Jahre haben dazu geführt, stärker auf die eigene Selbstvergewisserung, das je eigene Profil zu setzen. Das ist legitim und notwendig. Aber – ich erinnere an die eingangs zitierten Worte von Walter Kasper – auf dem Weg der Einheit bleiben wir nur, wenn wir Klarheit darüber haben, was wir gewinnen, wenn wir das stärken, was uns eint.

2. Wenn es gelingt, eine produktive und transparente ökumenische Streitkultur zu etablieren. Es nützt nichts, Themen zu tabuisieren und sie werden erleben, dass die Öffentlichkeit die Frage nach der Eucharistie, nach dem Abendmahl stellen wird. Dann wird es darauf ankommen, dass wir überzeugend deutlich machen, dass das nicht das einzige und momentan nicht einmal das spannendste Thema im ökumenischen Diskurs ist. Hinter das, was wir beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin – immerhin der Ort der Unterzeichnung der carta oecumenica – gemeinsam gesagt haben, sollten wir nicht zurückgehen.


3. Der Ökumenische Kirchentag wird gelingen, wenn wir mehr junge Menschen für diesen Weg gewinnen. Damit meine ich engagierte Laien, aber auch junge Amtsträger in beiden Kirchen. Jüngere Menschen haben sich – das gehört zur Ehrlichkeit im ökumenischen Gespräch – in den letzten Jahren eher wenig begeistern lassen, weil sie den Eindruck haben, diese Sache hat wenig Zukunft. Wenn das aber so ist, dann verliert die Sache selbst ihre Zukunft.

Diese Arbeitswoche hatte für mich mit einer Losung und einem Lehrtext der Herrnhuter Brüdergemeinde begonnen: Jesus sprach zu den Jüngern: Gebt Ihr ihnen zu essen. Das ist ein Zitat aus der Geschichte von der Speisung der 5000. Gebt ihr Ihnen zu essen – das ist die Aufforderung an uns. Da sind Menschen, die hungern nach Gerechtigkeit, die dürsten nach religiöser Orientierung und Jesus sagt zu uns: Gebt Ihr ihnen zu essen. Die Aufforderung gilt uns und gemeinsam müssen wir uns mühen, die vorhandenen Gaben unter die Leute zu verteilen, Katholisch hält den Korb, evangelisch bricht das Brot. Evangelisch greift in das Netz, katholisch angelt den Fisch heraus. Ob die Menschen satt werden – das liegt nicht in unserer Hand, sondern in der Hand Gottes und dort ist es am besten aufgehoben.

Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags

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