Einführung in die Debatte über Änderungsanträge zum Erklärungstext "Mut zur Zukunft – Verantwortung des Einzelnen und des Sozialstaates angesichts neuer Risikosituationen"

Rede von Georg Fahrenschon im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

1. Gesellschaftliche Herausforderungen klug und richtig zu gestalten, kann nur auf der Basis einer adäquaten Problemwahrnehmung gelingen. Deshalb ist es wichtig, dass der vorgelegte Textentwurf im ersten Kapitel "Veränderte Risikosituationen als Herausforderung" sozialstaatsrelevante Veränderungen der letzten 10 bis 15 Jahre skizziert. Im Fokus steht dabei die Frage nach den Auswirkungen für den Einzelnen und für den Sozialstaat. Vielfältige Veränderungen im Bereich des Arbeitsmarktes, der Bildung und der Familie werden beim Namen genannt, viele davon finden seit langem statt, sie haben aber in der Zwischenzeit an Ausmaß und Geschwindigkeit deutlich zugenommen.

2. Ebenso wichtig wie die präzise Problemwahrnehmung ist der ethische Kompass, mit dem die Fragen beurteilt werden. Der gewählte Zugang über Aspekte der Risikoethik (Kapitel II.) hat im Beratungsprozess interessante Diskussionen ausgelöst. Vor allem hat er immer wieder wesentliche Affinitäten zwischen grundlegenden Zügen der christlichen Sozialethik und der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft zum Vorschein gebracht. Diese in Erinnerung zu rufen, ist unserer Überzeugung nach für die Gestaltung heutiger Sozialpolitik von Bedeutung.

• So haben wir Sozialpolitik viel zu lange als nachgelagerten Reparaturbetrieb verstanden und betrieben. Dies entspricht weder der ursprünglichen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft noch der christlichen Sozialethik. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, durch politische Rahmensetzungen Wirtschafts- und Sozialpolitik produktiv aufeinander zu beziehen.

• Zudem ist es typisch für den historisch gewachsenen deutschen Sozialstaat, dass er die Verpflichtung des Staates zum sozialen Ausgleich einerseits und die Idee eines subsidiären, von pluralen Kräften getragenen Sozialstaats andererseits zusammenbringt. Deshalb müssen die Einrichtungen des Sozialstaates, vor allem die Sozialversicherungssysteme, dazu beitragen, jede Einzelne und jeden Einzelnen dazu zu befähigen, seine Verantwortung wahrzunehmen. Freiheit und Eigenverantwortung einerseits sowie Solidarität und das Angewiesensein auf die Mitmenschen andererseits gehören aus der Perspektive der christlichen Sozialethik zusammen.

Insofern betont der Text, das bewährte Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zur Richtschnur für politisches Handeln auch unter den veränderten Situationen heute beizubehalten.

3. Im Kapitel III. "Für eine produktive und humane Bewältigung von Risiken" verlangen wir von der Politik, den zentralen Zusammenhang zwischen den drei Politikfeldern Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Familienpolitik zu erkennen und die erforderlichen Maßnahmen enger aufeinander abzustimmen.
Die enorme Tragweite der Aufgabe des Sozialstaates, Menschen gegen Wechselfälle des Lebens abzusichern, wird am Beispiel des Arbeitsmarktes besonders deutlich. Unter den heutigen Bedingungen kommt es mehr denn je auf eine präventive Arbeitsmarktpolitik an, d. h. durch gezielte und lebenslange Vorsorge die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen bzw. zu bekämpfen. Zugleich aber gilt: Der Sozialstaat allein wäre mit dieser Aufgabe überfordert. Tarifpartner, organisierte Formen des bürgerschaftlichen Engagements und nicht zuletzt kirchliche Einrichtungen sind in der Pflicht, im Bedarfsfall konkrete Hilfe zu leisten.

Dr. Kues hat in seiner Einführung bereits dargelegt, dass wir zu dem ein oder anderen öffentlich diskutierten Themenfeld keine eindeutige Positionierung im Sinne eines simplen Ja oder Nein vornehmen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns in der Sache drücken. Wir wollen vielmehr grundlegende Perspektiven in das öffentliche Gespräch einbringen. Maßstab für die Beurteilung z. B. des Mindestlohns ist die Frage, inwiefern die Teilhabe am Arbeitsmarkt und an Arbeitsprozessen tatsächlich ermöglicht wird. Wir messen folglich jede staatliche Maßnahme daran, ob sie die Beschäftigungschancen von Menschen insbesondere mit hohen Beschäftigungshindernissen verbessert oder zusätzlich erschwert.
Deutschland weist im internationalen Vergleich die höchste Arbeitslosenquote für gering qualifizierte Personen aus. Eine den neuen Herausforderungen gerecht werdende Arbeitsmarktpolitik darf vor dieser besonders gravierenden Problemlage in Deutschland nicht kapitulieren. Die dabei zu berücksichtigenden Kriterien für eine sachgemäße Politik sind im Text präzise beschrieben. Ähnliches ließe sich über weitere Themen, die im Kapitel über Arbeitsmarktpolitik angeschnitten werden, sagen.

Mehr und mehr ist die Einsicht gewachsen, dass Sozialpolitik vorsorgend angelegt sein muss. Insofern kann ein Text zu den heutigen Herausforderungen des Sozialstaates nicht darauf verzichten, mindestens die beiden Themenfelder Bildungs- und Familienpolitik integral mit einzubeziehen. In den Kapiteln III.2. zu einer ganzheitlichen Bildungspolitik und III.3. zu einer an der Verwirklichung des Kindeswohls orientierten Familienpolitik sind entsprechende Forderungen formuliert, die hoffentlich ihre Zustimmung finden.

Georg Fahrenschon, Staatssekretär im Bayerischen Finanzministerium

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