Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2007
Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
1. Unser Einsatz für soziale Gerechtigkeit und für die Familie
An den Anfang meines Berichts stelle ich ein Thema, das seit jeher zu den Kernanliegen des deutschen Laienkatholizismus gehört und das auch wiederum ein Schwerpunkt unserer Herbstvollversammlung sein wird: Es ist unser Einsatz für Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Ich will der Behandlung unserer Vorlage "Mut zur Zukunft – Verantwortung des Einzelnen und des Sozialstaates angesichts neuer Risikosituationen" nicht vorgreifen. Aber ich möchte auf den Zusammenhang mit unserer programmatischen Arbeit hinweisen, in dem dieser Text steht.
Erstens erinnere ich an den 96. Deutschen Katholikentag 2006 in Saarbrücken. Er stand unter dem Leitwort "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht", und seine durchgehende Thematik war die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Heute ist dieses Thema in aller Munde, aber als wir uns 2004 dazu entschlossen, stießen wir eher auf Unverständnis und auf die Frage, ob dies denn noch zeitgemäß sei. Nicht wenige meinten damals, dies regele das freie Spiel der Marktkräfte. Und was der Markt nicht regele, könne auch der Staat nicht richten. 2006 hatte sich das öffentliche Meinungsbild schon gründlich gewandelt. Und selten hat die Thematik eines Katholikentages so viel öffentliche Aufmerksamkeit und Zustimmung erfahren wie die von Saarbrücken. Dabei geht es – wie auch die heutige Vorlage zeigt – weder darum, eine schwierige und spannungsreiche Gegenwart zuzudecken, noch darum, wirklichkeitsfremde und populistische Forderungen zu erheben. Vielmehr wollen wir unsere Mitmenschen dazu ermutigen, den Herausforderungen ins Gesicht sehen, und wir wollen in die gesellschaftliche Debatte konkrete Vorschläge für staatliches Handeln einbringen, die der Wirklichkeit gerecht werden.
Zweitens will ich unsere sozialpolitischen Überlegungen in einen engen Zusammenhang stellen mit unseren familienpolitischen Positionen. Die Familie ist der grundlegende Baustein der Gesellschaft. In den Familien und durch deren Bereitschaft, Kinder ins Leben zu bringen und sie für das Leben zu erziehen, entscheidet sich die Zukunft unseres Landes. Daher muss die Familie, obwohl sie auf ureigener persönlicher Entscheidung beruht, im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und des öffentlichen Wohlwollens stehen. Familie ist keine Privatangelegenheit, um die sich der Staat nicht kümmern sollte. Heute ist für das Gelingen von Familie von elementarer Bedeutung, wie in ihr zwei Grundwerte in Übereinstimmung gebracht werden können: die Partnerschaft von Mann und Frau in der Ehe und die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Zu lange ist man im westlichen Teil der Bundesrepublik davon ausgegangen, dass dies typischerweise durch eine Rollenverteilung zwischen Mann und Frau erfolgt. Und dass diese Rollenverteilung auch das Ideal darstellen sollte. Zunehmend ist jedoch diese Annahme in Konflikt geraten mit der wachsenden Zahl von Frauen, die beides gleichzeitig wollen: Mutterschaft und berufliche Erfüllung. Das erfordert ein hinreichendes Infrastrukturangebot von Betreuung und ergänzender Erziehung der Kinder. Und es erfordert ein Umdenken der männlichen Partner in Bezug auf ihre Verantwortung als Väter. Zu beidem ist unsere Gesellschaft auf dem Wege. Und es entspricht dem Nachholbedarf der Bundesrepublik im europäischen Vergleich, dass sich die öffentlichen Anstrengungen jetzt besonders darauf konzentrieren, das zu schaffen, was dringend benötigt wird und schon lange überfällig ist: Die Infrastruktur für diese Art, Familie zu leben.
Gleichwohl darf es nicht darum gehen, jetzt einem anderen Familienideal als bisher eine öffentliche Vorzugsstellung zu geben. Die sogenannte Einverdienerfamilie galt lange als der Normalfall familienpolitischer Entscheidungen. Heute geht es um die wirkliche Wahlfreiheit für unterschiedliche Entscheidungen der Ehepartner, ihr Familienleben zu gestalten. Das ist für uns gleichermaßen ein Grundsatz und eine reale Notwendigkeit. Denn sowohl für die Berufstätigkeit der Mutter als auch für die Entscheidung eines Ehepartners – und dies betrifft meist die Mutter – sich ganz oder zeitweise ausschließlich der Kindererziehung zu widmen, gibt es ideelle wie reale Beweggründe.
Es geht also um einen familienpolitischen Kompromiss. Gute Kompromisse sind bekanntlich nicht leicht zu finden und verlangen den guten Willen aller Beteiligten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 9. Oktober 2007 scheint uns dafür eine geeignete Basis. Als belastend empfinde ich es dagegen, wenn bestimmte katholische Kreise ihre familienpolitischen Vorstellungen zum einzig möglichen christlichen Ideal hochstilisieren und in der Gesellschaft als zu fördernde Norm durchsetzen wollen. Leider gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Neigung, solche Auffassungen als authentisch katholisch zu präsentieren. Völlig unerträglich wird es, wenn, wie unlängst in der in Augsburg erscheinenden Katholischen Sonntagszeitung geschehen, die Große Koalition als familienfeindlich verunglimpft wird. Verbale Ausfälle wie diese diskreditieren die katholische Kirche und helfen den Familien überhaupt nicht. Wir werden jedenfalls unseren wohlbedachten Weg der Mitte fortsetzen, weil nur dieser realitätsgemäß ist und den wirklichen Interessen der Familien entspricht.
Drittens will ich daran erinnern, dass unser heutiges sozialethisches Papier die Reihe von Wortmeldungen des ZdK zur Zukunft des Sozialstaates fortsetzt. Es entspricht guter Tradition der katholischen Soziallehre, den unauflöslichen Zusammenhang zwischen den Eigengesetzlichkeiten der Wirtschaft und den Chancen für soziale Gerechtigkeit zu berücksichtigen. Dafür haben wir mit den von uns vor einiger Zeit verabschiedeten Überlegungen zu den internationalen Finanzmärkten ein überzeugendes Beispiel geliefert. Inzwischen gibt es hier begrüßenswerte Entwicklungen. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes erarbeitet. Es soll Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt erhöhen und die Informationsrechte bei Übernahmen stärken sowie es möglich machen, den ausländischen Beteiligungserwerb in bestimmten Fällen zu verhindern. Ferner gab es im September 2007 einen deutsch-französischen Vorstoß für eine verbesserte Transparenz auf den Finanzmärkten. Wir appellieren an die Institutionen der EU hier ebenfalls ihre Verantwortung wahrzunehmen, insbesondere für eine höhere Transparenz bei den Hedge-Fonds und den Rating-Agenturen. Auch die morgen zu behandelnde Erklärung und Handreichung "Ethisches Investment – Mit Geldanlagen Verantwortung wahrnehmen" geht von der Einsicht aus, dass ethische Grundsätze nur dann nachhaltig zur gesellschaftlichen Gestaltung beitragen, wenn sie mit Sachkompetenz verbunden werden. Nicht weniger wichtig ist der Zusammenhang zwischen der Gerechtigkeitsfrage im eigenen Land und der weltweiten Solidarität, auf welche diese Erklärung nachdrücklich hinweist. Schließlich sei noch an unsere Erklärung für die Bewahrung und Erneuerung des europäischen Sozialstaatsmodells erinnert. Darin sehen wir eine Schlüsselaufgabe für eine erfolgreiche Entwicklung der Europäischen Union.
2. Der europäische Reformvertrag
Auf dem Wege dahin ist die Einigung beim Oktobergipfel der EU in Lissabon und die dort für den 13. Dezember geplante Unterzeichnung des europäischen Reformvertrages ein wichtiger Schritt, wenn auch ein kleinerer Schritt, als wir mit dem europäischen Verfassungsvertrag erhofft hatten. An diesem Erfolg hat die deutsche Ratspräsidentschaft, insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich, einen herausragenden Anteil. Worin bestehen die Fortschritte? Erstens in einer größeren Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, zweitens in der Stärkung der europäischen Demokratie, insbesondere durch größere Kompetenzen des Parlaments, drittens in einer erhöhten europäischen Verbindlichkeit der Menschenrechte einschließlich des sozialen Schutzes und in der Zielbestimmung als "wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft", viertens in einer erhöhten Transparenz durch klarere Kompetenzabgrenzung. Für uns ist besonders wichtig das Bekenntnis zum "kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas" und die Anerkennung des Status der Kirchen und religiösen Gemeinschaften, mit denen ein regelmäßiger Dialog vorgesehen ist. Beides ist für uns vor allem eine Aufgabenbeschreibung. Denn was das religiöse bzw. – wie es in der französischen Fassung heißt – das spirituelle Erbe Europas ist und wozu es verpflichtet, bedarf des ständigen Diskurses und, falls notwendig, der geistigen Auseinandersetzung. Hier bedeutet der Reformvertrag nicht das Ende, sondern der Beginn einer engagierten Debatte über die europäischen Wertegrundlagen. Und was das europäische Engagement der Christen und der Kirchen anbetrifft, durch das ein Dialog ja erst Gewicht erhält, so muss dieses kraftvoller und systematischer werden. Wir im ZdK fühlen uns jedenfalls herausgefordert, zusammen mit unseren europäischen Freunden unser Engagement für Europa entschieden weiterzuführen.
Worin bestehen die Nachteile des Reformwerkes? Vor allem im Scheitern dessen, woran jahrelang gearbeitet worden ist, nämlich des Verfassungsvertrages, der Europa ein geistiges Gesicht und eine politische Gestalt geben sollte. Was wir jetzt haben, ist ein bürgerfernes Instrument, das die Herzen nicht erreichen kann und auch gar nicht erreichen soll. Es ist ein Fortschritt durch die Hintertür. Darin besteht das europäische Dilemma, dass der Verfassungsvertrag an einem Vorwurf gescheitert ist, der jetzt mit sehr viel größerer Berechtigung erhoben werden könnte, nämlich der mangelnden Bürgernähe und Bürgerverständlichkeit. Sieht man freilich näher hin, so waren es vor allem tiefsitzende nationale Differenzen, die zu den durchaus unterschiedlich begründeten Ablehnungen führten. Der reale Erfolg der Europäischen Union hat sich nicht in einem erstarkenden europäischen Bewusstsein ausgedrückt; stattdessen hat die europäische Idee im Verlauf der Jahre viel von ihrem Glanz und ihrer Anziehungskraft verloren. Darin liegt die Gefahr eines europäischen Scheiterns. Was wir jetzt brauchen sind Erfolge, die sich sichtbar aus diesem Reformwerk ergeben. Vor allem braucht die Europäische Union ein europäisches Bewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger. Für uns und unsere Freunde in der Initiative "Christen für Europa" ist das ein Appell zum Handeln und zu verstärkter Aktivität. Wir freuen uns, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, Prof. Hans-Gert Pöttering, und die Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in der Republik Polen, Róza Gräfin Thun, über das "Mitbauen an der politischen Kultur in der erweiterten Europäischen Unon" zu uns sprechen werden.
3. Dialog mit den Muslimen
Ein wichtiges Problem unseres Landes wie auch anderer europäischer Länder ist die Frage des richtigen Umgangs mit den bei uns und mit uns lebenden Muslimen. Erinnern wir uns zunächst der unbestreitbaren Tatsache, dass die Mehrheit der Muslime hier sind, weil ihre Großeltern ins Land geholt wurden, um – wie man meinte, nur zeitweise – dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Das war, wie man bald erkennen musste, eine illusionäre Erwartung. Stattdessen wurden die Muslime, insbesondere die aus der Türkei stammenden Muslime, zu einer wachsenden Bevölkerungsgruppe, von denen sich einige vorbildlich in die deutsche Gesellschaft integriert haben, viele jedoch weithin ein Eigenleben in Deutschland führen. Mit den abnehmenden wirtschaftlichen Chancen dieser Menschen verringerte sich sogar ihre Integrationsbereitschaft. Man kann darin eine Form von Selbstbehauptung sehen. Die sich daraus ergebenden Probleme für die deutsche Gesellschaft wurden jahrzehntelang ignoriert. Und zwar, wie ich als Neubundesbürger freimütig sagen will, in einer für die alte Bundesrepublik und ihren Problemstau durchaus typischen Weise, nämlich durch wechselseitige ideologische Blockade zweier großer Lager: Für die einen war jeder Ausländer ein Demokratiegewinn, weil ja den Deutschen nicht zu trauen ist. Also mussten die Ausländer kulturell und sprachlich so different bleiben wie nur möglich. Es konnte gar nicht multikulturell genug sein. Für die anderen war die wachsende Zahl von Ausländern ein politischer Betriebsunfall, dessen Folgen möglichst zu begrenzen waren und die jedenfalls nicht zunehmen durften. Also klammerte man sich an die irreale Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Beiden Lagern kam deshalb, wenn auch aus unterschiedlichen, ja, entgegengesetzten Gründen, eine Politik der sprachlichen und kulturellen Integration nicht in den Blick.
Diese geschichtliche Phase der Bundesrepublik ist inzwischen im Grundsatz überwunden. Und es ist keine geringe Leistung der Großen Koalition, hier deutliche Schritte in die richtige Richtung zu tun. Was freilich bleibt, sind die widerstrebenden Meinungen in den Köpfen vieler Menschen. Diese Meinungen findet man naturgemäß besonders in Bezug auf die Muslime in Deutschland. Zugespitzt könnte man von gutmenschlicher Blauäugigkeit einerseits und bornierter und oft angstbesessener Totalablehnung andererseits sprechen. Von letzterer Haltung bekam ich eine kräftige Portion mit, als ich mich unlängst in der Neuen Osnabrücker Zeitung dafür einsetzte, dass Muslime in Deutschland würdige Moscheen bauen dürfen, dass sich diese aber in das geschichtlich gewachsene Bild unserer Städte einfügen müssten. Ich bin einiges gewohnt aus meinem Politikerdasein, aber so aggressive und wutentbrannte Briefe habe ich selten bekommen. Und dass dies durch keine einzige Kritik an meinem Kriterium, sie müssten sich aber in das Bild unserer Städte einfügen, aufgewogen wurde, hat wohl vor allem mit der Tatsache zu tun, dass die meisten Medien nur den ersten Teil meiner Äußerung übernahmen. Aus Gesprächen kenne ich den Vorwurf kultureller Vereinnahmung und nationaler Arroganz durchaus.
Was wir brauchen, um, wie wir 2001 formuliert haben, die Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft tatsächlich anzunehmen, das ist eine langfristige Strategie aus Nüchternheit, Realismus, Augenmaß und nicht zuletzt Grundsatztreue. Unser Ziel kann nur darin bestehen, unter den Muslimen jene zu unterstützen, die ihren Glauben im Rahmen und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen unserer freiheitlichen Verfassungsordnung leben wollen. Dafür müssen wir ihnen Chancen bieten und zugleich darauf bestehen, dass sie die Lebensbedingungen dieses Landes einhalten und anerkennen. Es geht nicht um ein zeitweiliges taktisches Arrangement mit den Muslimen, sondern um deren stabiles und belastbares Bekenntnis zum freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat. Wer sagt, dies sei nicht möglich, weiß offenbar nicht viel über den schwierigen geschichtlichen Weg der Katholiken zur inneren Akzeptanz der freiheitlichen Demokratie. Dabei können wir kein Junktim herstellen zwischen der Gewährung von Religionsfreiheit für Muslime in Europa und der Gewährung von Religionsfreiheit für Christen in islamischen Ländern, weil dies unseren Prinzipien widerspräche und politisch völlig irreal wäre. Allerdings können wir unüberhörbar die Erwartung aussprechen, dass sich unsere muslimischen Mitbürger, die hier Religionsfreiheit genießen, klar und nachdrücklich für die Religionsfreiheit von Christen in islamischen Ländern einsetzen – nicht nur uns gegenüber, sondern vor allem im muslimischen Teil der Welt.
4. Jubiläen im deutschen Katholizismus
In diesem und im nächsten Jahr können wir eine Reihe von Jubiläen von Initiativen und Werken der weltkirchlichen Arbeit feiern, bei deren Gründung der Beitrag katholischer Laien von besonderer Bedeutung war. Ich erinnere an die Gründung des Internationalen Katholischen Missionswerkes in Aachen vor 175 Jahren. Die Gestaltung des Gottesdienstes heute Abend wird darauf besonders aufmerksam machen. Im Dezember dieses Jahres jährt sich zum 40. Mal die Gründung der Deutschen Kommission Justitia et Pax, die wir als Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz tragen. In der DDR wirkte die Kommission Justitia et Pax der Berliner Bischofskonferenz für die katholische Kirche bei den Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in den Jahren 1988/1989 mit. Im April nächsten Jahres begeht der Katholische
Akademische Austauschdienst (KAAD) den 50. Jahrestag seiner Gründung und beim Katholikentag in Osnabrück finden Veranstaltungen zur 50. Sternsingeraktion des Päpstlichen Missionswerkes der Kinder und des BDKJ sowie zur Gründung von Misereor vor 50 Jahren statt. Alle diese Initiativen und Werke gehen zu einem großen Teil auf das entschlossene Handeln katholischer Laien zurück. Als Motor dafür erwiesen sich auch oft Debatten bei Deutschen Katholikentagen und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Einige haben das vergessen; manche wollten es wohl auch vergessen. Umso mehr verpflichten uns diese Gründungsgeschichten heute dazu, als Mitglieder des ZdK unserer Verantwortung für die weltkirchliche Dimension der kirchlichen Arbeit in Deutschland weiterhin mit aller Kraft gerecht zu werden.
Ein wichtiges Feld christlichen Handelns in Deutschland wie weltweit ist der Einsatz für das ungeborene Leben. Die Beratungsstellen von Caritas und SKF bieten Frauen in Not Rat und Hilfe. Das ist ein wichtiger Dienst am Leben, für den wir alle dankbar sind. Vor acht Jahren wurde von katholischen Christen, die sich vor ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, für diesen Dienst am Leben auch weiterhin die gesetzlich geregelte Schwangerschaftskonfliktberatung zu nutzen, Donum Vitae gegründet. Seitdem konnte dieser Verein bürgerlichen Rechts vielen Frauen Wege zeigen, sich für ihr Kind zu entscheiden. Dafür verdienen seine Beraterinnen und alle, die ihre Arbeit ermöglichen, unseren Dank. Vor wenigen Wochen wurde Frau Rita Waschbüsch erneut zur Bundesvorsitzenden von Donum Vitae gewählt. Ich will ihr von dieser Stelle aus für ihren selbstlosen Einsatz Kraft und Gottes Segen wünschen.
5. Zur bioethischen Debatte
Die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von seiner Zeugung bis zum Tode bleibt ein Grundsatz, der unseren politischen Einsatz bestimmt. Wie Sie sicherlich wissen, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft aus wissenschaftlichem Interesse Änderungen jener gesetzlichen Regelungen verlangt, welche einer verbrauchenden Embryonenforschung in Deutschland entgegenstehen und diese stark eingrenzen. Dabei geht es der DFG um die geltende Stichtagsregelung und die Strafandrohung gegen deutsche Forscher, welche sich im In- oder im Ausland an solchen Forschungsprojekten beteiligen. Überdies gibt es inzwischen lautstarke und, wie sie selbst sagen, "sehr kämpferische" Forderungen von Abgeordneten im Bundestag, die Rechtslage generell zu liberalisieren. Wir wissen, dass auch die jetzige gesetzliche Regelung das Ergebnis einer Abwägung ist, welche die Abgeordneten je nach ihrem Gewissen und unabhängig von einer Fraktionsdisziplin getroffen haben. Es handelte sich bei der schließlich getroffenen Entscheidung um einen Kompromiss, der aus ethischer Abwägung zustande kam. Wir halten es für unsere Pflicht, bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung klar und fest zu der von uns als richtig angesehenen prinzipiellen Ablehnung jeder verbrauchenden Embryonenforschung zu stehen und deshalb für die Beibehaltung des bestehenden Stichtages als eines ethisch verantwortbaren Kompromisses einzutreten. Dabei verstehen wir uns als eine gesellschaftliche Kraft, die mit solchen Kräften, welche eine andere Auffassung vertreten, um die bestmögliche Entscheidung ringt. Das Ergebnis kann nach Lage der Dinge wiederum nur ein ethischer Kompromiss sein. So zu handeln, ist eine Konsequenz aus der freiheitlichen Ordnung. Das Schlimmste, was jetzt geschehen könnte, wäre ein Dammbruch, der unter Schlagworten wie "modern" und "weltoffen" und mit antireligiösem Unterton den Schutz von Menschenleben und Menschenwürde als oberstem Grundsatz unserer Verfassung zu einer leeren Phrase macht. Daher können wir dieser Auseinandersetzung nicht ausweichen. Denn die Wertegrundlagen unserer Gesellschaft haben keine Stabilitätsgarantie, sondern sie werden bestimmt durch den Wertediskurs, der sich ständig ereignet. Sich daran zu beteiligen, muss uns also eine Verpflichtung sein.
6. Kirchliche Entwicklungen und ökumenische Aktivitäten
Im letzten Teil meines Berichts möchte ich über einige kirchliche Entwicklungen und ökumenische Aktivitäten sprechen. Zunächst muss ich Ihnen leider mitteilen, dass das Projekt eines Pastoralen Zukunftsgesprächs, das wir in der Gemeinsamen Konferenz konzipiert hatten, in dieser Form nicht die Zustimmung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz gefunden hat. Offenbar überwog die Sorge, der bisher schon in den Bistümern geführte Dialog über die strukturellen und pastoralen Zukunftsplanungen könnte dadurch entwertet werden. Zugleich ist aber im Sitzungsprotokoll der DBK die grundsätzliche Bereitschaft der Bischöfe zu einem gemeinsamen Gespräch mit dem ZdK festgehalten worden. Bei der letzten Tagung der Gemeinsamen Konferenz haben wir mit den dort die DBK repräsentierenden Bischöfen den Gedankenaustausch darüber begonnen, wie diese Bereitschaft in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann.
Zum Motu proprio über die erweiterten Möglichkeiten für die Feier der Tridentinischen Messe und zur Erklärung der Glaubenskongregation zum Wesen der Kirche habe ich bereits öffentlich Stellung bezogen. Bei ersteren war wohl für die überwiegende Mehrheit der deutschen Katholiken die Feststellung am wichtigsten, dass die nach dem II. Vatikanum von Papst Paul VI. erneuerte Liturgie die einzige ordentliche Form der lateinischen Liturgie in der katholischen Kirche bleibt. Was die Erklärung der Glaubenskongregation betrifft, so fühlen wir uns in den öffentlichen Äußerungen Kardinal Kaspers und im Vortrag Kardinal Lehmanns vor der Deutschen Bischofskonferenz verstanden und gut aufgehoben.
Erfreuliche Fortschritte hat es in unserer Beziehung zum Bischof von Regensburg gegeben. Zwischen Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller und unserem Generalsekretär Dr. Stefan
Vesper wurden im Ergebnis von Gesprächen Schritte zur konkreten Zusammenarbeit im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentages München 2010 verabredet. Der Bischof von Regensburg, der ja Vorsitzender der Ökumenekommission der DBK ist, hat die Finanzierung eines Projekts in Vorbereitung des ÖKT übernommen. Und er hat zugesagt, dass er sich 2008 wieder an der Finanzierung des ZdK beteiligen wird. Das begrüßen wir ganz ausdrücklich. Unsere Position, die ich in dem bekannten Artikel in der HERDER-Korrespondenz dargestellt habe und auf den Bischof Dr. Müller mit einem Gesprächsangebot reagiert hatte, bleibt in der Sache unverändert. Das hebt jedoch die positive Tendenz der Entwicklung nicht auf.
Die deutschen Katholiken erwarten seit einiger Zeit die Ernennung von drei Bischöfen. Das sind wichtige Entscheidungen für das Leben der Kirche, an denen sie gern über ihr Gebet hinaus aktiven Anteil nähmen. Im Begründungsteil der Erklärung über Bischofsernennungen, die der Hauptausschuss bei seiner letzten Sitzung beschlossen hat, ist dargelegt, dass dies nicht nur langen Strecken der Kirchengeschichte entspräche, sondern auch dem Charakter der Kirche als Volk Gottes angemessen wäre. Zugleich sehen wir, dass sich die kirchenrechtliche Situation in Deutschland noch vorteilhaft von der in anderen Teilen der Weltkirche unterscheidet. Deshalb hielten wir es für klug, bei unseren konkreten Anregungen im Rahmen der geltenden Konkordate zu bleiben.
Bedeutsame Ereignisse des christlichen Lebens in Deutschland, auf die wir zugehen, finden ihren Niederschlag auch in der Tagesordnung dieser Vollversammlung. Generalvikar Theo Paul wird über die Vorbereitungen für den 97. Deutschen Katholikentag in Osnabrück sprechen. Und ich möchte schon jetzt meiner Freude darüber Ausdruck geben, wie gut wir uns im Bistum und in der Stadt und im Landkreis Osnabrück aufgenommen fühlen. Dafür danke ich herzlich Bischof Bode, Generalvikar Paul und vielen Geistlichen des Bistums, unseren evangelischen Geschwistern in Osnabrück, den führenden Persönlichkeiten der Stadt und des Landkreises und einer großen Zahl von Laien, die sich in vielfältiger Weise engagieren.
Heute Nachmittag hören wir auch ein Grußwort der neuen Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Frau Dr. Ellen Überschär. Ihr Kommen zeugt nicht nur von unserer guten Partnerschaft, sondern weist auch auf unser zweites gemeinsames Projekt hin, den Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Unmittelbar nach dieser Vollversammlung nimmt dessen Vorbereitung sichtbare Gestalt an: Am 29. und 30. November konstituieren sich in München der Gemeinsame Vorstand und das Gemeinsame Präsidium des 2. ÖKT. Und im Anschluss daran, am 30. November und 1. Dezember, führen wir als Beginn des Vorbereitungsprozesses einen Ökumenischen Kongress durch, den wir unter das Thema gestellt haben: "Christliche Verantwortung im 21. Jahrhundert – Perspektiven für den 2. Ökumenischen Kirchentag".
Auch nach München gehen das Leben und unsere Arbeit weiter. Und so wird auch der 98. Deutsche Katholikentag ein Punkt unserer Tagesordnung sein. Diesem will ich aber jetzt nicht vorgreifen.
Ich wünsche uns allen eine interessante und erfolgreiche Vollversammlung.
Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken