Leben und Sterben in Würde
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) vom 24./25. November
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
Krankheit und Sterben sind ein Teil des menschlichen Lebens. Kranke und Sterbende ringen mit Ängsten und Ungewissheiten, sie erleiden körperliche oder seelische Schmerzen und erfahren sich nicht selten in einem Wechselbad der Gefühle zwischen Selbstkontrolle, Resignation und dem Wunsch, sich einfach fallen zu lassen in die schützenden und stärkenden, in die fürsorgenden Hände anderer. Angehörige durchleiden diese schwierigen Phasen mit. Viele fürchten sich vor dem unwiederbringlichen Verlust eines geliebten Menschen oder vor der eigenen Überforderung. Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte wiederum wissen sich in der Pflicht für die bestmögliche Behandlung, Versorgung und Begleitung der ihrer Obhut anvertrauten Kranken und Sterbenden. Sie stehen dabei im Spannungsfeld zwischen den Hoffnungen und Erwartungen der Kranken und ihrer Angehörigen, den Möglichkeiten der modernen Medizin und ihrem eigenen beruflichen und ethischen Selbstverständnis.
Auch in Krankheit und Sterben ist die zentrale Richtschnur allen Handelns die unverfügbare Würde des betroffenen Menschen. Der Respekt vor der Einmaligkeit seines Lebens verbietet jede Instrumentalisierung des Schicksals eines Sterbenden, jede Abwertung seiner Lebenslage, jede Fremdbestimmung seines Willens. Das unveräußerliche Recht jedes Patienten auf Selbstbestimmung ist aber kein Recht auf Durchsetzung des eigenen Willens um jeden Preis. Vielmehr verlangt die Würde des Menschen eine Selbstbestimmung, die sich verantwortlich weiß vor sich selbst, aber auch vor den Mitmenschen und – zumindest aus christlicher Perspektive – vor Gott.
Den Anspruch auf würdevolle Behandlung und auf die Respektierung seiner Selbstbestimmung verliert ein Kranker oder Sterbender auch dann nicht, wenn er nicht mehr einwilligungsfähig ist. Wir warnen aber vor dem sachlich irrigen wie für die Betroffenen gefährlichen Fehlschluss, dass eine früher geäußerte Willensbekundung in jedem Fall dem aktuellen Willen des Betroffenen entspreche. Früher geäußerte Willensbekundungen – etwa in Form von Patientenverfügungen – sind für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines Patienten immer sehr beachtlich. Sie sind jedoch kein ausreichender Ersatz für den aktuell nicht mehr feststellbaren Willen und dürfen niemals zu einem Automatismus führen. Deshalb kann eine Patientenverfügung die sorgfältige Abwägung – etwa durch eine vom Patienten bevollmächtigte Vertrauensperson oder den gerichtlich bestellten Betreuer – nicht ersetzen.
Das geltende Betreuungsrecht bietet nach Auffassung der Vollversammlung einen geeigneten Rahmen, um eine Patientenverfügung in die Entscheidungsfindung über einen Behandlungsabbruch einzubeziehen. Wir empfehlen, die besondere Auskunftsstärke von Patientenverfügungen durch eine deklaratorische Ergänzung im Betreuungsrecht (z.B. in § 1901 Abs. 3 BGB durch Einfügung nach Satz 2: "In medizinisch-pflegerischen Angelegenheiten sind Patientenverfügungen als vorher geäußerte Willensbekundungen besonders beachtlich.") eigens herauszustellen. Der Entscheidungsspielraum des Betreuers muss dabei aber auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen das Grundleiden des Patienten einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat. Dies ist bei Demenzkranken und Wachkoma-Patienten nicht der Fall, solange sie sich nicht in der Sterbephase befinden. Deshalb dürfen bei ihnen lebenserhaltende Maßnahmen auch beim Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung allein wegen dieser Erkrankungen nicht abgebrochen werden. Aufgrund der Tragweite der in einer Patientenverfügung getroffenen Willensbekundung sind eine Schriftform sowie eine ausführliche Beratung des Betroffenen vor Abfassung der Patientenverfügung unbedingt zu empfehlen. Aus dem gleichen Grund muss außerdem sichergestellt sein, dass ein Behandlungsabbruch durch den Bevollmächtigten oder Betreuer nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erfolgen darf. (Erklärung des Hauptausschusses "Zur rechtlichen Verbindlichkeit von Patientenverfügungen" vom 30. Juni 2006)
Eine Lebensverlängerung um jeden Preis lehnen wir ab. Es gehört zur Würde des Menschen, ihn in aussichtslosen Situationen auch sterben zu lassen. Wichtig ist dabei eine angemessene Begleitung des Sterbenden. Sterbebegleitung bedeutet nicht Hilfe zum, sondern Beistand im Sterben.
Dagegen wendet sich die Vollversammlung strikt gegen alle Versuche, unter bestimmten Umständen eine ärztliche Assistenz beim Suizid eines Kranken oder Sterbenden zu erlauben. Es ist ein gravierender Unterschied, ob man das Sterben eines Menschen zulässt oder ob man es veranlasst. Die ärztliche Assistenz beim Suizid wirkt bei der Veranlassung eines Sterbevorgangs mit und ist damit unweigerlich Teil dieses Verursachungszusammenhangs. Sie rückt damit in die Nähe einer Tötung auf Verlangen.
Viele Menschen fürchten sich vor Leiden und Schmerzen. Sie haben Angst davor, einer "kalten Apparatemedizin" ausgeliefert zu sein, und wollen Angehörigen und Freunden am Ende ihres Lebens nicht zur Last fallen. Sie wünschen sich einen friedlichen und schmerzfreien Tod. Diese Sorgen und Ängste nehmen wir ernst. Die Antwort darauf kann aber nicht in einer wie auch immer gearteten Aufweichung des Tötungsverbots bestehen, sondern nur in einem menschenwürdigen Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden, wie er beispielsweise in den Hospizen praktiziert wird. Nötig sind insbesondere eine verbesserte Ausbildung der Ärzte und Pflegekräfte, der haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in stationären und ambulanten Hospizen, eine entsprechende personelle Ausstattung von Krankenhäusern und Pflegeheimen und die Weiterentwicklung von Schmerztherapie und Palliativmedizin. Ein Angebot an seelsorgerischer Begleitung für Kranke, Sterbende, Angehörige, Ärzte und Pflegende bleibt unverzichtbar.
Beschlossen von der Vollversammlung am 24.11.2006