Das Leitwort des 97. Deutschen Katholikentags Osnabrück 2008

Du führst uns hinaus ins Weite

Rede von Dr. Detlef Stäps -es gilt das gesprochene Wort.

Wenn ich an Osnabrück denke, wo der 97. Deutsche Katholikentag im nächsten Jahr stattfinden wird, und an den Bischof von Osnabrück, der das ZdK eingeladen hat, diesen Katholikentag in seiner Diözese zu gestalten, dann fallen mir zunächst die Jugendlichen ein, zu denen Bischof Bode als Jugendbischof der Deutschen Bischofskonferenz eine besondere Nähe hat. Sogleich fällt mir aber auch die schwierige Situation ein, in der viele Jugendlichen heute leben: Viele haben keine Chance auf einen Schulabschluss, der sie für den Konkurrenzkampf auf dem immer enger werdenden Arbeitsmarkt tatsächlich qualifizieren würde. Viele haben keine Ausbildungsstelle oder sie haben eine ergattert, können sich aber an fünf Fingern abzählen, dass sie nicht in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Viele junge Menschen sind folglich arbeitslos und ihre Qualifizierung gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass sie jemals eine echte Chance auf eine Arbeitsstelle haben werden. Das alles stürzt viele junge Menschen in eine existentielle Hoffnungslosigkeit. Sie sehen die Zukunft grau und dunkel. Beim Blick in die Zukunft wird es ihnen eng ums Herz und deshalb sehen sie am liebsten gar nicht in die Zukunft, leben lieber im Augenblick, genießen den Moment, versuchen sich zum Teil vielleicht sogar zu betäuben, damit die unsichere Zukunft sie nicht mehr so drückt. Natürlich sind es nicht alle Jugendlichen, denen es so ergeht, und gerade denjenigen, die Zugang zur kirchlichen Jugendarbeit haben, ergeht es oft anders. Aber dennoch gibt es auch die Perspektivlosen und die von Zukunftsangst Gelähmten und wir dürfen sie nicht aus dem Blick verlieren.

Deshalb ist die Katholikentagsleitung zu der Überzeugung gelangt, dass ein Katholikentag unserer Gesellschaft und unserer Kirche gut tun würde, der das Thema Zukunftsgestaltung in seine Mitte stellt. Das eben Gesagte gilt ja beileibe nicht nur für Jugendliche. Ein Katholikentag sollte jungen Menschen (aber nicht nur ihnen) wieder neu bewusst machen, dass ein großer Teil der Zukunft in ihren eigenen Händen liegt, dass es ihre Situation nur noch schlimmer macht, wenn sie "sich hängen lassen", den Kopf in den Sand stecken, anstatt sich zusammenzuschließen, um miteinander Wege zu finden in eine bessere Zukunft. Es müsste darum gehen, in jungen Menschen die Hoffnung auf die Zukunft neu zu wecken, ihnen Verantwortung für die Mitgestaltung von Zukunft zuzumuten, aber auch zuzutrauen. Junge Menschen tragen die Zukunft in sich, sie sind die Zukunftsgestalter par excellence. Nur brauchen sie manchmal andere Menschen, die sie dafür wecken, die ihnen den Horizont aufreißen für die Breite ihrer Möglichkeiten, für die Weite der Möglichkeiten Gottes mit ihnen.

Auf dem Katholikentag sollen Menschen aller Altersgruppen auftanken können, sich gegenseitig anstecken mit ihrer Hoffnung, mit dem spirituellen Rüstzeug ausgestattet werden, um ihre Zukunft in die Hand zu nehmen, in Diskussion und Gespräch erfahren, dass es politische und gesellschaftliche Möglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft gibt und dass es sinnvoll ist, sich hier tatkräftig einzubringen. Die Geschichte der Katholikentage zeigt ja überaus eindrucksvoll, dass gerade das die katholischen Verbände und Laienräte als ihre ureigene Aufgabe ansehen. Aus diesem Erbe erwächst uns die Verpflichtung, einen solchen Gestaltungswillen auch an die nachkommende Generation weiterzugeben. Wenn viele gesellschaftliche Gruppen an der Gestaltung unserer Zukunft mitwirken, warum sollten wir Katholiken da nur Zuschauer sein? Der Katholikentag sollte das Thema Zukunftsgestaltung aus katholischer Sicht durchdeklinieren und den Menschen zeigen, dass es sich lohnt, die Zukunft zu glauben, die Zukunft zu leben und die Zukunft zu teilen.

Jedoch kann gerade jungen Menschen der Wert einer aktiven Zukunftsgestaltung und die Notwendigkeit der Übernahme von Verantwortung nicht abstrakt vermittelt werden. Es reicht nicht, Vorträge zu diesen Themen anzubieten und zu meinen, damit würde sich auch nur irgendetwas verändern. Ganz zentral ist es für Jugendliche, dass Erwachsene, die solche Ansprüche an sie stellen, mit ihnen leben, den Lebensweg mit ihnen teilen – nicht von etwas sprechen, sondern es mit ihnen leben. Deshalb halte ich auch für den Katholikentag theologische Schwerpunktsetzungen für unerlässlich, die von einem Gott zeugen, der mit den Menschen geht, der ihr Leben teilt, der sie in seine Weite führt und gerade deshalb auch etwas von ihnen erwarten kann. Auf diese Weise lässt es sich auch vermeiden, die Zukunft als menschenmachbar darzustellen, sie bleibt Geschenk Gottes an uns.

Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass wir den Nerv der Zeit treffen und die Chancen der Stadt und des Bistums Osnabrück nutzen, wenn wir die Zukunftsgestaltung in das Zentrum dieses Katholikentags stellen. Es ist ein Thema, das gesellschaftspolitisch, aber auch kirchlich-theologisch eine große Wirksamkeit entfalten kann.

Und vor diesem Hintergrund soll das Leitwort seine Kraft entwickeln, das der Hauptausschuss des ZdK auf Vorschlag der Katholikentagsleitung beschlossen hat. Es lehnt sich an Psalm 18 an, genauer gesagt an dessen 20. Vers: "Du führst uns hinaus ins Weite." Es ist ein sehr bekanntes Wort, wir können es sogar alle auf Anhieb singen, doch es ist trotz seiner Bekanntheit eine Neuentdeckung, da es bisher keinem Katholikentag seine Prägung gab.

Lassen Sie mich einige Charakteristiken dieses Leitworts aufführen, die Liste ist sicher nicht vollständig und kann gerne von Ihnen ergänzt werden:
- Es ist ein konkretes Du, das hier angesprochen wird, ein personaler Gott steht hier mit den Menschen im Dialog.
- Ein sehr positives Gottesbild wird hier vermittelt, Gott wird mit dem Begriff des Weiten in Beziehung gesetzt.
- Viele Menschen assoziieren mit dem Begriff "Weite" den der Freiheit.
- Es geht um einen Aufbruch, der eine Veränderung der Perspektive impliziert.
- Die Menschen sind in dem Personalpronomen "uns" in einer Gemeinschaft verbunden. Niemand ist allein auf seinem Weg.
- "Hinaus" deutet an, dass es auch für den Katholikentag darauf ankommt, nicht im kirchlichen Binnenraum zu verharren, sondern sich der Welt außerhalb der Kirche und ihren Herausforderungen zu stellen.
- Das Leitwort legt uns nahe, uns auch den Menschen zuzuwenden, die "das Weite gesucht" und die Kirche verlassen haben.
- Wenn Gott uns führt, bedeutet dies Begleitung, Schutz und Geborgenheit. Die Antwort des Menschen ist Vertrauen.
- Wenn Gott uns ins Weite führt, dann deutet dies an, dass dort viele Aufgaben auf uns warten, dass wir diese aber in eigener Kompetenz und Verantwortung anpacken. Gott führt uns, aber er macht uns nicht zu Marionetten.
- Das Weite ist das Feld unserer Zukunftsgestaltung. Es ist ein offener Bereich, der erst durch unsere Gestaltung Prägung und Profil erhält.
- Wer sich von Gott ins Weite führen lässt, erhält die Chance, der eigenen Zukunft und der unserer Gesellschaft ein konkretes Gesicht zu geben.
- Das Leitwort lenkt den Blick auf die weltkirchliche Dimension, fordert auf zu weltweiter Solidarität.
- Wenn wir einen Psalmvers über den Katholikentag stellen, verweist uns das auf unsere jüdischen Glaubensgeschwister und auf unser gemeinsames Gebetbuch, den Psalter.
Wir dürfen nicht vergessen, auch den Kontext des gewählten Wortes im biblischen Zusammenhang anzuschauen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieser Psalm auch schwierige Passagen enthält. Es ist ein Danklied des Königs David für Rettung und Sieg. Und darin finden sich durchaus auch gewaltzustimmende Passagen, die sich aber immer auf die Rettung Israels aus der Hand seiner Feinde beziehen. Natürlich könnten diese Verse auch Anfragen an uns auslösen. Aber die Exegese hat sich schon seit langer Zeit mit diesen Fragestellungen auseinandergesetzt und hat überzeugende Antworten gefunden, die wir nutzen können.

In der Endgestalt von Psalm 18 ist der Krieg nämlich nur noch metaphorisch gemeint. Und gerade neben den in unseren Ohren problematischen Formulierungen finden sich wunderschöne Aussagen: "Du, Herr, lässt meine Leuchte erstrahlen, mein Gott macht meine Finsternis hell" (V 29). "Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern" (V 30). "Du schaffst meinen Schritten weiten Raum, meine Knöchel wanken nicht" (V 37).

Und gerade in einer Zeit, in der alle Religionen unter den Gewaltverdacht geraten, kann ein solcher Kontext des Leitworts fruchtbare Diskussionen nicht nur im interreligiösen Dialog auslösen. Dies sollten wir fördern und nicht befürchten.

Das Weite, in das Gott uns in diesem Leitwort führt, ist nicht die Weite der Marlboro-Werbung. Es ist keine äußere Grenzenlosigkeit, sondern eine innere Freiheit. Es ist nicht in erster Linie eine Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit zu etwas: die Freiheit zur Mitgestaltung unserer Kirche und Gesellschaft. Wir stoßen dabei an Grenzen, aber mit dem Bild des Weiten in uns können wir uns dennoch ins Spiel bringen.

Gerade in einer Zeit, in der die Zukunft machbar erscheint (denken wir nur an die Bioethikdebatte), tut es uns gut, uns die Zukunft, in die Gott uns führt, als Geschenk der Freiheit zur Mitgestaltung bewusst zu machen. Es gibt Grenzen der Freiheit, und darüber sollten wir auf dem Katholikentag auch sprechen. Aber gerade im Annehmen dieser Grenzen, das ist unsere christliche Überzeugung, gerade im Annehmen der Grenzen ereignet sich eine neue Freiheit, wird der Lebensraum geweitet. Und Gottes Weite ist nicht mehr ferne Zukunft.

Es gibt keine Wegweiser, auf denen "Weite" steht. Wir brauchen dazu unseren inneren Kompass, wir brauchen dazu die Orientierung, die der Glaube uns gibt. Und wir haben diese Orientierung und die Neugier, mit und in dieser Gesellschaft Dialoge zu führen. Das sollten wir tun in Osnabrück.

Vor diesem Hintergrund hat der Hauptausschuss des ZdK das Leitwort "Du führst uns hinaus ins Weite" für den Katholikentag in Osnabrück beschlossen. Ich bin sicher, dass dieses Leitwort eine eigene Dynamik entfalten wird und nicht nur junge Menschen einlädt, aufzubrechen und sich von Gott ins Weite führen zu lassen, ins Weite ihrer Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung.


Dr. Detlef Stäps
15. September 2006

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