Christliche Ehe – ein Aufbruch in Zuversicht
Rede von Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl im Rahmen des Symposiums der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
(1) Der Hafen der Ehe – Ort der Zuflucht oder Ort des Aufbruchs?
„Und was anderes erfreute mich da, als zu lieben und geliebt zu werden? Aber nicht Seelenbande im lichtvollen Reiche der Freundschaft hielten mich; nein, aus der sumpfigen Begierde des Fleisches und dem Strom der Sinnlichkeit stiegen Nebel auf, die mein Herz so umwölkten und verfinsterten, dass es nicht mehr den hellen Glanz der Liebe von der Dunkelheit der Sinnenlust unterscheiden konnte. Wirr wog beides in mir, riss meine widerstandsunfähige Jugend durch die Abgründe der Leidenschaften und versenkte sie in einen Strudel von Schandtaten.(…)Wer hätte ihrem süßen Zauber Einhalt tun sollen, damit die unruhigen Wogen meiner Jugendzeit im Hafen der Ehe sich brachen und ich mit dem Zwecke, Kinder zu erzeugen, zufrieden war(…)?“
Die Ehe als Zufluchtsstätte ungezügelter Sinnlichkeit, die Ehe als sicherer Hafen in den Wirren alltäglichen Lebens, diese Vorstellung von Ehe, die uns Augustinus in diesem eindrücklichen Bild vor Augen führt, hat offensichtlich ihre Orientierungsfunktion verloren. Davon zeugt schon der genus loci dieser Veranstaltung: Zwar ist ein Flughafen auch ein Hafen; aber er signalisiert nicht Zuflucht, sondern Aufbruch; den Aufbruch zu immer neuen Ufern; den Aufbruch zu den Zielen unserer Urlaubssehnsüchte; oder auch nur den Aufbruch in die geschäftige Betriebsamkeit unseres beruflichen Alltags. Und diese Signalwirkung verknüpfen die Veranstalter unseres Symposiums mit ihrem Leitbild von Ehe als Zukunftsmodell und fordern keck: „Anschnallen und Abheben!“
Dabei hat das Bild des sicheren Hafens durchaus noch etwas Attraktives. Trotz sinkender Eheschließungen und trotz steigender Ehescheidungen erfreuen sich dauerhaft stabile Paarbeziehungen und feste Familienbindungen einer hohen Wertschätzung. Gerade junge Menschen verbinden mit solchen Beziehungen emotionale Wärme, schützende Geborgenheit oder auch persönliche Anerkennung in einem verlässlichen Rahmen, den man nicht jeden Tag neu und mühsam erkämpfen muss. Die Ehe steht also nicht grundsätzlich zur Disposition. Was sich freilich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert hat, sind die teils enormen Anstrengungen, die man aufwenden muss, will man die Lebensform der Ehe (und ihre Erweiterung durch die Gründung einer neuen Familie) mit den Mobilitäts-und Flexibilitätserfordernissen etwa der Ausbildung oder des Berufs miteinander vereinbaren. Weitere Faktoren treten hinzu, die eine Entscheidung für eine Ehe schwieriger machen: Die Partner kommen in der Regel aus unterschiedlichen Milieus und unbekannten Familienkontexten; die durchschnittliche Verweildauer von Verheirateten in der Ehe hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht, was die Lebensphase als Zweierbeziehung erheblich verlängert; und die Ehe nimmt für die soziale Anerkennung von Paaren in unserer Gesellschaft kaum noch eine privilegierte Stellung ein.
Für den Moraltheologen stellt sich hier nicht, wenigstens nicht vordringlich, die Frage, ob er die gegenwärtige Situation beklagen soll oder nicht. Sie ist und bleibt Zeichen dieser Zeit. Dem Moraltheologen wird es vielmehr darum gehen, die wesentlichen Sinngehalte, die der christliche Glaube für die Gestaltung der Lebensform Ehe bereithält, so zur Sprache zu bringen, dass sie für die Lebensführung heutiger Menschen eine plausible wie attraktive Orientierung bieten. Zwar hat sich das kirchliche Verständnis der Ehe – wie die Sozialgestalt der Ehe insgesamt – im Laufe der Geschichte stets entwickelt und teilweise sogar gravierend verändert. Die Moraltheologie kann keine Orientierungslinien vom Standpunkt einer überzeitlich gültigen ‚Natur der Ehe’ entfalten, da, worauf Walter Kasper eindringlich aufmerksam macht, es eher zur ‚Natur’ der Ehe gehört, geschichtlich zu sein, also steten Veränderungsprozessen zu unterliegen. Gleichwohl gibt es Sinngehalte, die für eine christlich gelebte Ehe unverzichtbar wie unverwechselbar sind. Und diese Sinngehalte besitzen, so meine ich, gerade angesichts der Herausforderungen unserer modernen Lebenswelten nach wie vor ein beachtliches Orientierungspotential. Sie unterstreichen, dass nicht nur die Ehe eine Zukunft(verdient) hat, sondern dass gerade wir in der Lebensform der Ehe unsere eigene Zukunft gewinnen können.
(2) Christlich gelebte Ehe – Aufbruch zu immer neuen Ufern
Als ich vor neunzehn Jahren heiratete, stand meiner Frau und mir ins überreichte(Familien-) Stammbuch geschrieben: „Eine privatrechtliche Ordnung darf die Ehe nicht in den Dienst außerhalb ihrer selbst liegender, wesensfremder politischer Zwecke einspannen. Sie hat in ihr selbst den Hauptzweck zu sehen. Der absolute Wert der Ehe prägt sich aus in einer von ihr vermittelten besseren und reicheren Entwicklung der Persönlichkeit mit und am anderen. Dazu fördert sie neben anderem auch die sittliche Bewährung des Menschen in der Paargemeinschaft und der Familie.“ Offen gestanden – für uns wenig einladend. Gewiss, einladender als die nüchterne Umschreibung der bürgerlichen Ehe als vertraglich geregeltes Arrangement von Sexualität, Nachkommenschaft und Versorgungsansprüchen. Zweifellos auch einladender gegenüber dem Ehemodell, das meinen Eltern 1950 noch ins Stammbuch geschrieben stand: meinem Vater wies es „die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ und damit „von Rechts wegen eine bedeutende Machtvollkommenheit“ zu, meiner Mutter hingegen gestattete es lediglich die sog. „Schlüsselgewalt über den häuslichen Wirkungskreis“. Und auch das war ein immenser Fortschritt, denn nur wenige Jahre vorher hätten sie noch zivilrechtlich geheiratet unter dem „Geleit! Die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muss dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse dienen.“
Das bürgerliche Ehemodell der achtziger Jahre greift unbestritten wichtige Errungenschaften und Einsichten auf: die Bedeutsamkeit stabiler Paarbeziehung für die Persönlichkeitsentwicklung der Ehepartner, den Zugewinn wechselseitiger Absicherungen und Versorgungsbezüge, die gleichberechtigte Rollenverteilung der Geschlechter, die Notwendigkeit partnerschaftlicher Konfliktlösung und manches Wichtige mehr. Doch neigt es dazu, in eigentümlicher Weise um sich selbst zu kreisen, genauer: die Ehepartner um sich selbst kreisen zu lassen. Schon das durchaus positive Leitbildelement der Partnerschaft kann seine Ambivalenz nicht ganz verbergen: Es nährt die Vorstellung zweier selbstbewusster Partner, die sich nur deshalb zu einer Allianz verschwistern und die Strategie gemeinsamer Lebensführung je neu aushandeln, um ihre je individuellen Lebensinteressen besser durchsetzen zu können. Der Gedanke, dass beide Partner zuerst versehrbare Menschen und nicht unbedingt souverän agierende Lebensführungsstrategen sind; oder der Gedanke, dass sich das Lebensglück des Einzelnen gerade erst im gemeinsam geteilten Lebensglück beider Partner ereignet und womöglich sogar noch auf Dritte ausströmt, solche Gedanken werden sicherlich nicht verworfen, sie bleiben aber schnell auf der Strecke. Parallel stärkt die weitgehende Privatisierung der Ehe die Tendenz, die eheliche Partnerbeziehung hochgradig zu intimisieren und das eheliche Wir gegen Andere abzuschotten. Die Ehe wird in romantischer Weise zum zentralen Ort allen Glücks hochstilisiert. In der Folge laden sich die Erwartungshaltungen an den Partner, aber auch an sich selbst erheblich auf. Nicht wenige Ehepartner erleben diese Privatisierung und Intimisierung weniger als Lust denn als Last. Das schreckt ab.
Demgegenüber zeichnet sich die Kontur einer christlich gelebten Ehe, die vom Kerngedanken personaler Liebe ausgeht, als hilfreicher Kontrast ab. Beides, das Personale wie die Liebe haben eine unverwechselbare christliche Konnotation, die jede einengende Privatisierung und Intimisierung sich selbst genügsamer Ehepartner sprengen. Das Personale steht für eine anthropologische Grundüberzeugung. Der Mensch als Person ist das auf Andere hin ‚durchtönernde’ Wesen (‚per-sonare’), das seine je einzigartige Individualität erst in den dialogischen Beziehungen zum mitmenschlichen Du entwickelt und sich darin erst gewinnt. Dialogische Beziehungen nötigen den einzelnen nie zur Selbstaufgabe, im Gegenteil: Es gibt eine Art und Weise, ein Mensch zu sein, die unverwechselbar und unaustauschbar, die authentisch ist. Darin besteht der tiefe Sinn, wenn die christliche Tradition jeden Menschen als individuum ineffabile, also als die absolut einmalige Person begreift, die „Gott bei seinem Namen gerufen hat, einen Namen, den es nur einmal gibt und geben kann, so dass es wirklich der Mühe wert ist, dass dieses Einmalige als solches in Ewigkeit existiert“. In diesem Sinne ringt jede personale Beziehung auch um die Selbstwerdung eines Jeden, um sein Selbstwirklichwerden, ja, um seine Selbstverwirklichung . Gleichwohl: Keiner steht Anderen als fertige Identität gegenüber. Jeder gewinnt seine unverwechselbare selbstverwirklichende Identität immer erst in und durch die Überschreitung seiner selbst auf Andere. Und zu diesen Anderen gehören grundsätzlich alle, deren Lebenswege mit dem meinem verwoben sind.
Dieses Verständnis von personal kennzeichnet auch die eheliche Liebe. Natürlich gilt meine Liebe diesem konkreten anderen Menschen. Der Andere ist eben nicht ein Irgendwer, sondern genau dieser da, dessen Nähe mich anzieht und dessen Lebensweg ich mit meinem teilen will; dessen Nähe so groß und in diesem Sinne so intim ist, dass sie auch der versehrbaren Sprache der Leiblichkeit, der Sexualität also, in besonders einzigartiger und darin ausschließlicher Weise offen steht. Und dennoch weist die personale Liebe immer schon über die konkrete eheliche Gemeinschaft hinaus: Denn auch diese Lebensgemeinschaft steht immer in den konkreten Wechselbezügen zu ihrer sozialen Mitwelt; auch sie lebt nur in und durch ihre dialogischen Beziehungen zu Anderen: zur Familie, zu Nachbarschaften, zu Bekanntschaften, zu Freundschaften. Es wäre für eine christlich gelebte Ehe völlig falsch, „wollte man die eheliche Liebe von vorneherein als Akt der Verschanzung in eine – im Grunde egoistische – Zweisamkeit verstehen. Ehe ist nicht ein Akt, in dem zwei ein ‚Wir’ bilden, das sich gegen ‚alle’ absetzt und verschließt, sondern der Akt, in dem ein ‚Wir’ konstituiert wird, das sich liebend allen öffnet.“
Darin dokumentiert eheliche Liebe das Umfassende und das Universale christlicher Liebe, die sich auf die Nächsten wie die Fernsten, eben auf alle hin entgrenzt. Eheliche Liebe bedeutet deshalb nicht nur steter Aufbruch zu neuen Lebensabschnitten und Entwicklungsschritten dieser Zweierbeziehung. Sie bedeutet stets auch Aufbruch in die je größere Gemeinschaft mit Anderen hinein. Die christliche Tradition hat diesen Aspekt gerne mit der Fruchtbarkeit einer ehelichen Gemeinschaft bezeichnet und besonders auf die Zeugung von Nachkommen bezogen. Es ist unstrittig, dass die Gründung einer neuen Familie mit eigenen Kindern einen unvergleichlichen Höhepunkt jenes Aufbruchs darstellt, mit dem ein Ehepaar sich auf Andere hin entgrenzt. Die Gründung einer neuen Familie dokumentiert unmittelbar die soziale Verantwortung ehelicher Liebe für anderes Leben, aus der heraus sie selbst neu leben lernt. Ebenso unstrittig ist, dass diese Fruchtbarkeit auch in anderen sozialen Dimensionen zum Tragen kommt. Das gilt für die wechselseitige Unterstützung der Eheleute selbst, die sich Beistand in guten wie in schlechten Tagen versprochen haben. (Immerhin nennt der Römische Katechismus von 1566 als ersten Grund für die Ehe von Mann und Frau die „gegenseitige Hilfe, um die Beschwerlichkeiten des Lebens, besonders die Schwäche des Alters leichter ertragen zu können“.) Die Erfahrung von Vertrauen, von Achtung, von Wertschätzung und von Angenommensein – nicht zuletzt erfahren in der Sprache menschlicher Sexualität – ist im eigentlichen Sinne des Wortes für die Ehepartner lebensspendend. Fruchtbarkeit ehelicher Liebe nimmt dann aber auch Gestalt an in der Übernahme von Verantwortung in größerem Familienverbund, in der Nachbarschaft, ja nicht zuletzt im entschiedenen Engagement für die soziale und politische Humanisierung unserer Lebenswelt. In jeder dieser Dimensionen wird die personale Liebe einer Ehe zur Keimzelle einer humanen Gesellschaft. Ehe hat, so besehen, aus sich heraus immer auch einen öffentlichen Anspruch und Auftrag. Das macht sie gesellschaftlich gleichermaßen attraktiv wie unterstützungswert.
(3) Ehe als Alltagssakrament der Zuversicht
Eheleute, die sich an andere verschenken können, ohne Angst um sich selbst haben zu müssen; die sich verausgaben können für das Wohl und Wehe, für das Glücken und Gelingen des Leben anderer und damit auch des eigenen Lebens; die sich nicht selbst genügen müssen, sondern - gleichsam als Akt innerer Befreiung – auf Andere hin sich entwerfen können; die die Kraft aufbringen zum Wagnis und zum Risiko, das mit jedem neuen Aufbruch in ungewisse Lebensabschnitte verbunden ist; diese Eheleute können nach christlicher Überzeugung aus einer Wirklichkeit schöpfen und leben, die – „Gott sei Dank“ – nicht in des Menschen Hand ist.
Die christlich gelebte Ehe steht unter dem Zuspruch eines Glaubens, der auf die heilbringende Gegenwart des biblischen Gottes hofft und vertraut. Eine heilbringende Gegenwart Gottes, die nicht nur in den biblischen Erzählungen, besonders in den Erzählungen über das Leben und das Geschick Jesu von Nazareth erinnert wird, sondern auch unserem konkreten Leben gilt und uns den Rücken stärkt; eine heilbringende Gegenwart Gottes, die durch die Lebensführung und das Handeln konkreter Menschen wechselseitig mitgeteilt und erfahrbar wird. Diese heilbringende Gegenwart Gottes wird mitgeteilt und erfahrbar, wo Menschen einander zum Lachen anstecken und ihre Lebensfreude zum gemeinsamen Lebensglück verschwistern; wo sie sich, ihre Zeit, ihre Energie an den Anderen wirklich verschenken, allein um sich am Glück des Beschenkten zu erfreuen. Sie wird mitgeteilt und erfahrbar, wo Menschen ihr Ja zueinander nicht konditionieren oder kontingentieren, also nicht von Vorbedingungen abmachen oder nur für bestimmte Phasen und Lebensbereiche reservieren; wo sich dieses Ja gerade im Ringen um gemeinsame Entscheidungen und in konstruktiver Kritik am Anderen engagiert. Die heilbringende Wirklichkeit Gottes wird aber auch mitgeteilt und erfahrbar, wo Ehepartner vergeben können, ohne die mögliche Schuld und Verletzung des anderen vorher gesühnt zu wissen; wo sie dem anderen auch dann sein Erwünscht-, Anerkannt- und Angenommensein vermitteln, wo er widersprüchlich ist und nach wie vor fremd bleibt. Dort, wo Ehepartner einander nicht nur ertragen (was manchmal schon sehr viel ist), sondern sich respektieren und in ihren Potentialen befördern, dort wird das „Heil von Gott für Menschen“(Schillebeeckx), dort wird christliche Erlösung gegenwärtig. „Dass Menschen sie darstellen dürfen, ohne sie erschöpfen zu müssen - das ist das Wesen christlicher Freiheit und der Grund ihrer Hoffnung: die geschichtliche Realität der Erlösung.“
Diesen Zuspruch des Glaubens bringt die Sakramentalität der Ehe pointiert zum Ausdruck. Sakramentalität bedeutet ja, dass diese Lebensform ein Zeichen wie ein Werkzeug für die heilbringende Zuwendung Gottes zum Menschen ist. Dieses Zeichen und Werkzeug fällt etwas aus dem gewohnten Rahmen. Denn die christlich gelebte Ehe ist das einzige Zeichen und Werkzeug, das zwei Menschen durch ihr Handeln aneinander und über sich hinaus in ihrem Alltag immer neu vollziehen und so lebendig werden lassen. Denn nicht die Trauung ist ja das Sakrament, sondern das pure Leben selbst. So besehen ist das Sakrament nicht einfach gegeben, sondern es wird und geschieht: Je mehr es den Eheleuten gelingt, so Josef Ratzinger, „die Ehe aus dem Glauben zu leben und zu gestalten, desto mehr ist sie ‚Sakrament’.“
Natürlich ist die christlich gelebte Ehe kein Einzelfall menschlicher Lebensführung, die aus dem Zuspruch der heilenden Gegenwart Gottes schöpft und lebt. Aber sie ist durchaus ein Ernstfall, dessen Lebensdichte zwischen den Eheleuten diesen Zuspruch in besonderer und wenn man so will in bezeichnender Weise bedarf. Umgekehrt ist die christliche gelebte Ehe ein privilegierter Ort, diesen Bund, dieses ‚Gemeinsame-Sache-machen’ (Solidarität) Gottes mit der Menschheit, in eindrücklicher Weise darzustellen und dessen lebensspendende Kraft zu dokumentieren. Freilich: Dieser Zuspruch Gottes bedeutet keine Sicherheit auf Gelingen und Glücken. Wohl aber vermittelt er Zuversicht – die Zuversicht nämlich, dass das Wagnis jeden Aufbruchs nicht in einem Desaster endet, sondern zum beglückenden Gelingen führen wird. In diesem Sinne ist das Sakrament der Ehe das Alltagssakrament der Zuversicht.
(4) Ehelicher Lebensstil aus dem Zuspruch des Glaubens
Mit dem Widerfahrnis des heilenden Handeln Gottes im Rücken eröffnet sich für Eheleute die Möglichkeit eines spezifisch christlichen Lebensstils, der wohltuende Gegenakzente zu mancherlei Verengungen moderner Eheformen und Paarbeziehungen setzen kann.
Ein erstes Lebensstilelement möchte ich bindungsreiche Freiheit nennen. Damit meine ich die Freiheit einer Lebensführung, die weiß, dass die Verwirklichung ihrer Lebenspläne gerade im Reichtum ihrer sozialen Bindungen Gestalt annimmt; die weiß, dass bestimmte Bindungen, sollen sie für die eigene Lebensführung langfristig tragfähig sein, gerade nicht beliebig zur Disposition stehen können, sondern aus dem wechselseitigen Vertrauen auf Unbedingtheit und Endgültigkeit leben; eine Freiheit, die sich loslassen kann in das Wagnis eines gemeinsamen Lebensweges; die die liebende Hingabe an den Partner nicht als Selbstaufgabe oder gar Unterwerfung missversteht, sondern als das Anvertrauen an den Anderen begreift; ein Anvertrauen, das das eigene Schicksal der gemeinsam zu meisternden Lebensgestaltung überantwortet; eine Freiheit schließlich, die sich und dem anderen die nötigen Eigenständigkeiten zugesteht, aus der die Entwicklung des gemeinsamen Lebensprojekts ihre wesentliche Spannkraft bezieht. Und eine Freiheit, die sich zu solcher Lebensfülle bewusst entschließt und die Lebensgemeinschaft mit diesem Partner bejaht – nicht nur verschämt, sondern auch öffentlich und vernehmbar.´
Ein zweites Element möchte ich ernsthafte Gelassenheit nennen. Ernsthaft ist die Gelassenheit von Eheleuten, wenn sie sensibel ist für das Nichtgelingen, ja das Scheitern gemeinsamer Lebenspläne; wenn sie sensibel ist für unheilvolle Verstrickungen der Ehepartner, die sich etwa aus dem Dickicht geschlechtshierarchischer Rollenzuweisungen mit ihren Auf- und Abwertungen nur schwer befreien können und deshalb einander weitere Verletzungen zufügen; wenn sie sensibel ist für Ohnmacht und Überforderung, die sich trotz aller offenen Türen einstellen mögen. Ernsthafte Gelassenheit begegnet solchen kritischen Phasen einer Ehe, in dem sie behutsam nach Auswegen und Veränderungspotentialen sucht. Aber sie weiß, dass das Gegenwärtige nicht die letzte Gelegenheit für das Gelingen und Glücken unseres Lebens ist, sondern auf Zeit setzen darf. Gelassenheit spendet mitunter Trost. Dieser Trost vertröstet keinesfalls einfach auf bessere Zeiten. Sondern er leistet aufmunternden Beistand in den Brüchen unserer Lebensgeschichte, die sich oftmals als die notwendigen Geburtswehen neuer Lebensabschnitte erweisen.
Ein drittes Lebensstilelement nenne ich die Wertschätzung des Imperfekten. Ich weiß, dass dies manchen irritiert. Denn die Sehnsucht nach etwas Perfektem, nach etwas Vollendeten ist nicht nur urmenschlich, sondern sie ist die entscheidende Triebfeder für Veränderungen innerhalb einer Ehe, die sich nicht abfinden will mit schmerzhaften Unzulänglichkeiten. Und dennoch plädiere ich für eine Wertschätzung des Imperfekten, weil es das Menschliche des Menschen auch in der Ehe wahrt. Mir geht es nicht um eine Romantisierung oder gar Ästhetisierung von Unzulänglichkeiten und Unfertigkeiten. Aber das Imperfekte steht ja nicht nur für das Unzulängliche und Unfertige, sondern auch für das Unabgeschlossene, für das Entwicklungsfähige, für das Offene. Die Wertschätzung des Imperfekten rechnet mit den Veränderungen und Entwicklungen, die aus dem Spannungsbogen jeder menschlichen Lebensgeschichte resultieren. Sie will einfach Lebensgeschichten offen halten. Sie wendet sich gegen eine Verblüffungsfestigkeit, die mit überraschend neuen Entwicklungen und Wendungen des Lebensschicksals nicht mehr rechnet. Sie wendet sich aber ebenso gegen einen manchmal schon zwanghaften Machbarkeitsanspruch, der die Lebensgeschichte eines Ehepaares nach Maß verplanen und jedes wichtige Lebensereignis – etwa auch den Kinderwunsch – generalstabsmäßig inszenieren will. Die Wertschätzung des Imperfekten stellt die Gretchenfrage: Gewähren wir einer Ehe nur eine vorausberechnende Prognose oder geben wir ihr eine noch unentdeckte und unverplante Zukunft?
(5) Zuspruch in Zeiten der Erschöpfung
In diesem Sinne ist die Wertschätzung des Imperfekten ein Lebenselixier ehelicher Liebe: „Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. (…) Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis. Das ist das erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden.“ Max Frisch, dem wir diese einfühlende Beschreibung personaler Liebe verdanken, verschweigt trotz der Begeisterung, die aus seinen Worten für die Liebe schwingt, nicht, dass sich solche Liebe auch erschöpfen kann: „Nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können nicht mehr! Wir kündigen ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt.“
Das Alltagssakrament der Zuversicht vermittelt auch die Hoffnung, dass Gottes Kraft gerade in Situationen der Erschöpfung gegenwärtig ist: wo die Energie zum Aufbruch sich verausgabt hat; wo „an die Stelle der ‚Liebe’ nur das geduldige gegenseitige Ertragen tritt“; wo das Lebensprojekt Ehe zu scheitern droht, eben weil es für das Vorkommnis der Liebe keine institutionellen Sicherheitsgarantien gibt. Doch warum verschweigen, dass selbst viele Gläubige die Sakramentalität der Ehe hier nur selten als befreienden Zuspruch empfinden, sondern manchmal sogar als Drohung (Stichwort „lebenslänglich“) auffassen?
Natürlich darf die die Endgültigkeit und die Unbedingtheit ehelicher Treue keinesfalls relativiert werden. Dies würde das Fundament nichtkontingentierbarer Verlässlichkeit und unkonditionierten Versprechens untergraben und gerade darin die zukunftsspendende Attraktivität dieser Lebensform zerstören. „Aber die Pastoral muss dann“, wie es unser heutiger Papst vor gut drei Jahrzehnten gefordert hat, „stärker von der Grenze aller Gerechtigkeit und von der Realität der Vergebung sich bestimmen lassen; sie darf den hier in Schuld geratenen Menschen nicht einseitig disqualifizieren gegenüber anderen Formen der Schuld. Sie muss sich der Eigentümlichkeit des Glaubensrechtes und der Glaubensrechtfertigung deutlicher bewusst werden und neue Wege finden, auch demjenigen die Gemeinschaft des Glaubens offen zu halten, der das Zeichen des Bundes nicht in seinem vollen Anspruch festzuhalten vermochte.“ Es mag sein, dass dieser Appell noch unzureichend eingelöst ist. Dennoch habe ich die Zuversicht, dass hier befriedigende Lösungen gefunden werden können. Eines ist gewiss: Solche Lösungen werden die Leuchtkraft der Lebensfülle, die von einem christlichen Aufbruch in Zuversicht für eine Zukunft der Ehe auszustrahlen vermag, keinesfalls verdunkeln, sondern noch stärker aufscheinen zu lassen!
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl