„Anschnallen und Abheben! Ehe – ein Zukunftsmodell“

Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen des Symposiums der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Begrüßung

Die Bedeutung von Ehe und Familie und das Wohl der Kinder – das ist für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die in ihm vereinten Räte und Organisationen der katholischen Laien, insbesondere für den Katholischen Familienbund, ein Anliegen, für das wir uns seit Jahrzehnten mit wachsendem Nachdruck einsetzen. Jahr um Jahr weisen wir die Politik, die Wirtschaft und die ganze Öffentlichkeit eindringlich auf den Wert von Familien und von Kindern für das Wohl dieses Landes hin. Immer wieder verlangen wir, die Förderung von Familien in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen, und wir kritisieren die strukturellen Ungerechtigkeiten, die das Leben von Familien und Kindern belasten.

Mit Freude, wenn auch ohne Illusionen, bebachten wir seit einiger Zeit in der Politik und in den Medien einen deutlichen Wandel hin zur öffentlich geäußerten Wertschätzung von Familien. Die jahrzehntelange ideologische Blockade in der Familienpolitik und das verstockte Leugnen der drohenden demographischen Katastrophe scheinen endlich überwunden, auch wenn die lange praktizierte verantwortungslose Verharmlosung dieser Probleme immer noch zu hören und zu lesen ist. Vor allem gibt es bisher noch keinen öffentlichen Konsens, wie denn nun ein günstiges Bedingungsgefüge für Familien und Kindern gestaltet sein muss. Auch ist immer noch nicht akzeptiert, dass selbstverständlich Familien- und Bevölkerungspolitik zusammen gehören, wie uns dies unser Nachbar Frankreich seit mehr als einem halben Jahrhundert erfolgreich vormacht.

Insbesondere muss es uns aber alarmieren, dass in der Debatte, trotz der neuen Familien- und Kinderfreundlichkeit, der Begriff der Ehe so gut wie keine Rolle spielt. Nicht wenige mögen das für einen Fortschritt halten. In Wahrheit offenbart dies ein erschreckendes Maß von Realitätsferne. Denn die Jahrtausende alte Erfahrung der Menschheitsgeschichte sagt dies: Ehe und Familie gehören zusammen. Und es war sehr weise von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes den Artikel 6, Absatz (1) zu formulieren, der da lautet: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Daher ist die Weisheit, am Zusammenhang von Ehe und Familie festzuhalten, auch nicht von dieser Norm abhängig oder von einer gerade einflussreichen juristischen Interpretation. Vielmehr erweist sich in der Wirklichkeit, was es bedeutet, diese geschichtlich begründete Weisheit zu beachten, und wohin es führt, wenn man sie missachtet.

Wir reden bei diesem Symposium über den großen und unschätzbaren Wert der Ehe. Wir sprechen damit über einen Wert, der heute von vielen gering geschätzt oder bestritten wird. Werte erweisen ihre Kraft nicht nur im praktischen Leben. Werte verlangen auch, dass wir uns für sie einsetzen und sie öffentlich verteidigen. Werte bewähren sich also auch im Streit und müssen sich im Streit bewähren. Denn das, was wir als Wertekonsens bezeichnen, ist ja das sich wandelnde Ergebnis der ständigen Werteauseinandersetzungen. Wertekonsens und Wertestreit sind zwei Aspekte des gleichen Vorgangs.

Wir wollen über den Wert der Ehe sprechen. Wenn man sich streitet, dann muss man genau sagen, um was es geht und um was es nicht geht. Daher sind mir zunächst drei Klarstellungen wichtig. Erstens haben wir allergrößten Respekt vor alleinerziehenden Müttern und alleinerziehenden Vätern. Sie zu unterstützen ist eine Pflicht des Staates und aller Kräfte in unserer Gesellschaft. Zweitens sprechen wir niemandem das Recht ab, mit einem Menschen des gleichen Geschlechts gut und verlässlich zusammen zu leben. Und wir können nachvollziehen, dass Menschen in solchen Beziehungen ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten öffentlich anerkannt sehen möchten. Wir meinen allerdings nicht, dass dies dann eine Ehe im Sinne des Grundgesetzes sein kann. Und mit Entschiedenheit widersprechen wir jenen in der öffentlichen Meinung, die solchen Beziehungen die gleiche gesellschaftliche Bedeutung zusprechen, wie die Ehe sie hat, ja, sogar solche Gleichstellung zum Testfall freiheitlicher Gesinnung machen wollen. Denn jede menschliche Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sich Männer und Frauen in Treue miteinander verbinden und Kindern das Leben schenken. Allerdings bleibt dies, und das ist meine dritte Klarstellung, stets deren freier Entschluss, der, wie immer er ausfallen mag, zu respektieren ist. Und nicht weniger ist zu respektieren, wenn Menschen, ob aus eigenem Entschluss oder weil es sich gegen ihren Willen so gefügt hat, ohne Partner und ohne Kinder leben. Worauf wir allerdings bestehen, ist, dass die Leistung von Menschen, die Kinder bekommen und erziehen, von allen im Land angemessen mitgetragen und unterstützt wird, denn ohne diese Leistung gäbe es keinen menschenwürdigen Ruhestand für alle und keine Zukunft unseres Volkes. Daher ist dieser Anspruch von Eltern auf einen angemessenen Anteil der ganzen Gesellschaft an den Kosten von Kindern eine Sache der elementaren Gerechtigkeit.

Wenn wir heute über das Zukunftsmodell Ehe sprechen, dann meinen wir damit die Ehe als die verlässliche und stabile Partnerschaft eines Mannes und einer Frau als Grundlage gemeinsamer und gleichberechtigter Lebensplanung und Lebensführung. Die Ehe ist eine Gemeinschaft fürs Leben, die zu neuem Leben führen will. Und es ist eine Gemeinschaft, die jedem der beiden Partner lebenslang menschliche Erfüllung ermöglichen soll – im persönlichen wie im beruflichen Leben. Eine solche Ehe ist nach unserer Überzeugung das einzige realistische Konzept, die beiden großen Wünsche, die junge Menschen heute haben, möglich werden zu lassen, nämlich Vater und Mutter zu sein und sich im beruflichen oder im gesellschaftlichen Leben zu beweisen. Die Ehe ist auch die einzige, über den je einzelnen Fall hinausweisende Antwort auf die Frage, wie Menschen ihrer Liebe über den Augenblick des Glücks hinaus, „in guten wie in bösen Tagen“, Bestand geben und sie zur Grundlage ihrer gemeinsamen Lebensgestaltung machen können. Diese Frage stellt sich in der Realität bekanntlich dann unausweichlich, wenn die Geburt eines Kindes den bisherigen Lebensmodus radikal verändert. Denn dann zeigt sich, ob die Partner füreinander und für ihr gemeinsames Kind einstehen.

Die in der Öffentlichkeit oder doch jedenfalls in den Medien vorherrschende Einstellung zur Ehe ist bekanntlich eine ganze andere. Wann immer es um die Ehe als Institution geht und um deren rechtlichen Status, sind stets die gleichen Vokabeln zu hören und zu lesen: „bürgerlich“, „überholt“ und „traditionell“. Über Jahre hin ist die Ehe systematisch diskreditiert worden. In keinem anderen Punkt zeigt sich unser öffentlich dominierendes Denken so geschichts- und kulturvergessen und zugleich so desinteressiert an Zukunft. Das öffentlich transportierte Bild verfälscht auch massiv die gesellschaftliche Wirklichkeit, in der die Ehe immer noch von großer Bedeutung ist. Dennoch ist es gelungen, viele junge Männer zur Ehe auf Distanz zu bringen und damit ihrem oberflächlichem Egoismus den falschen Schein gesellschaftlicher Modernität zu geben. Und es ist gelungen, vielen jungen Frauen ein Vorurteil gegen die Ehe einzuimpfen, das – nüchtern betrachtet – jedenfalls der typischen Interessenlage von Müttern diametral entgegen gesetzt ist.

Freilich ist es auch realistisch zu sehen, dass die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau in der Ehe, wie sie lange als katholisches Familienideal vertreten wurde, die Charakterisierung von Ehe als überholt erleichtert hat. Gewiss hat die Frau als Mutter in der Familie einen Platz, den nur sie einnehmen kann. Doch wie sonst in der ehelichen Gemeinschaft die Aufgaben verteilt sind und wie die Ehe in das Leben der Gesellschaft eingebettet ist, das ist in einem hohen Maße geschichtlich geformt und daher wandelbar. Die heutige Gesellschaft ist nicht nur eine Gesellschaft der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, sondern sie muss auch eine Gesellschaft der gleichen beruflichen und öffentlichen Chancen für Männer und Frauen sein. Darum sage ich hier auch in aller Klarheit: Nur in einer Gesellschaft, die jungen Frauen die reale Chance gibt, zugleich Mutter und berufstätig zu sein, und nur in einer Gesellschaft, in der von den jungen Männern ganz selbstverständlich erwartet wird, dass sie die Aufgabe der Elternschaft nicht allein den Müttern überlassen, sondern diesen die Chance geben, sich, wenn sie es wünschen, beruflich zu betätigen, nur in einer solchen Gesellschaft wird die Ehe als die best mögliche Chance zur Partnerschaft und Elternschaft wahrgenommen. Das engt selbstverständlich die Ehe nicht auf ein bestimmtes Familienideal ein, sondern lässt ihr die ganze Weite der Möglichkeiten gemeinsamen Lebens in je eigener Entscheidung. Was wir brauchen, ist wirkliche Wahlfreiheit, eine Wahlfreiheit also, die ein Angebot für die ergänzende Betreuung und Erziehung der Kinder macht und nicht die Verweigerung eines solchen Angebots begründen soll.

Nur so haben wir heute die Chance, den behaupteten Gegensatz von Ehe und Modernität zurückzuweisen und zu überwinden. Wer für die Familie eintritt und begriffen hat, dass wir ohne Kinder keine Zukunft haben, der wird schließlich auch bereit sein, die Ehe als die dafür best geeignete Lebensform zu akzeptieren und zu unterstützen. Sagen wir es in aller Deutlichkeit: Die Ehe ist die realistische Alternative zu einem zukunftslosen Egoismus und zu einer Gesellschaft des kalten und nur an sich selbst interessierten Nebeneinander. Nur in einer Atmosphäre des aggressiven Individualismus scheinen die populären Vorbehalte gegen die Ehe plausibel. Bei Licht besehen sind sie fast immer nur Vorwände gegen Bindung und Verlässlichkeit, wenn nicht sogar gegen die logische Konsequenz tatsächlichen Zusammenlebens. Oder es ist einfach die vorherrschende Meinung, der man gedankenlos folgt. Gegen diesen ehefeindlichen Opportunismus ist die Bereitschaft zur Ehe der Test reifer Lebensfähigkeit.

Jede Einsicht, die etwas bewirken soll, muss den Menschen nahe gebracht werden. In einer Gesellschaft, in der entgegensetzte Vorstellungen dominieren, ist das ohne handfeste Auseinandersetzungen nicht möglich. Ohne Streit ist die Wahrheit chancenlos. Aber Streit allein motiviert Menschen nicht dazu, ihre Vorstellung vom gelingenden Leben zu ändern. Das kann nur das gute und gewinnende Vorbild. Gegenwärtig kennt das Bild, das uns Kunst, Literatur und Medien vermitteln, kaum noch eine normale Ehe. In einer freiheitlichen Gesellschaft können dies nur jene ändern, die vom Zukunftsmodell Ehe überzeugt sind, und sie so leben, dass auch andere dafür gewonnen werden. Die Freude an einer Lebensform ist immer noch das beste und überzeugendste Argument. Freilich muss man diese Freude auch in die Öffentlichkeit tragen und sie mit guten und einsichtigen Argumenten anderen vermitteln. Darum sind wir zu diesem Symposium zusammen gekommen: In einem modernen Ambiente zu einem modernen Thema. Denn die Ehe ist und bleibt das Zukunftsmodell.

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

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