Teilhabechancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt
Rede von Dr. Hermann Kues im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
TOP 2.
Redemanuskript:
1. Seit gut 3 Jahren (vgl. Salzkörner/22. November 2002) befasst sich das Zentralkomitee mit der Frage, wie die Teilhabechancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden können. Die heute vorliegende Erklärung zum lebenslangen Lernen hat hier ihren Ausgangspunkt gehabt. Nach langen Diskussions- und Meinungsbildungsprozessen lässt der vorliegende Text dieses auf Anhieb allerdings nicht mehr so leicht erkennen. Ich möchte daher zum Schluss der Rednerliste Ihren Blick in aller Kürze auf dieses - für die Erklärung wegbahnende - Thema lenken.
2. Im Vergleich zu anderen Industrieländern arbeiten die Deutschen eine ungewöhnlich kurze Spanne ihres Lebens. Nur 40 % der Deutschen zwischen 55 und 64 sind derzeit erwerbstätig, Finnland hat in dieser Altersgruppe eine Beschäftigungsquote von über 50 %, die USA und Japan von rd. 60 %, Schweden sogar von fast 70 %.
3. Die lange Zeit vom Gesetzgeber, von den Unternehmen und Gewerkschaften verfolgte „sozialverträgliche“ Strategie, das Ausscheiden älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben zu fördern, um damit die Arbeitsplatzchancen junger Menschen zu sichern, ist gescheitert. Diese Strategie hat in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht den Strukturwandel erleichtert, sie hat aber keine nachhaltig positive Wirkung auf dem Arbeitsmarkt entfaltet. Internationale Vergleiche belegen vielmehr, dass in beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern wie den USA, der Schweiz, Dänemark oder Neuseeland die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen ungleich höher ist als bei uns. In diesen Ländern haben sich die Beschäftigungschancen alter und junger Menschen gleichzeitig verbessert. Sowohl die OECD als auch die EU fordern deshalb in ihren länderspezifischen Empfehlungen Deutschland auf, die Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer zu erhöhen und die „Diskriminierung der Alten“ (Original-Ton EU) auf dem Arbeitsmarkt zu unterlassen.
4. Der Wille, ältere Arbeitnehmer tatsächlich wieder in Beschäftigung zu bringen ist – entgegen öffentlichen Bekundungen – gering ausgeprägt. Es gibt eher eine stillschweigende große Koalition der Verhinderung, angefangen bei Vorzeigeunternehmen, die Leistungsfähigkeit jenseits des Lebensalters 55 nur für die Managementebene unterstellen, teilweise der Gewerkschaften, teilweise der Arbeitsverwaltung, teilweise der Politik.
Von 100 Unternehmen stellen lediglich 54 ältere Bewerber (Bewerber ab 50 Jahren) ohne Bedingung ein, 15 Unternehmen stellen ältere Bewerber überhaupt nicht ein, 31 unter „gewissen Bedingungen“. Zu den gewissen Bedingungen zählen: Lohnkostenzuschüsse, Fehlen von jungen Bewerbern, vorwiegend Teilzeit, allenfalls befristet.
Eine Gesellschaft des „langen Lebens und langen Lernens“ muss wissen, was sie will. Lediglich auf die Erhöhung des Renteneintrittsalters zu setzen, überzeugt so lange nicht, wie die Bedingungen für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer nicht durch einen ganzheitlichen Ansatz der Sozial-, Bildungs- und Tarifpolitik verbessert werden.
5. Es gibt demografische, wirtschaftliche, aber auch soziale Gründe, den Weg einer in sich schlüssigen Seniorenkultur zu gehen.
Wir brauchen die Vision eines aktualisierten Generationenvertrags auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt. Diese Vision muss u. a. geprägt sein von dem Willen, die Teilhabemöglichkeit der älteren Generation zu verbessern und nicht gigantische humane Ressourcen brach liegen zu lassen.
Hier setzt das vorliegende Papier einen Akzent, der nicht überhört werden darf. Lernen und Arbeiten im Lebenslauf können nicht mit 50 Jahren enden. Wir brauchen altersgerechte Personalstrategien. Mit der Bildung generationenübergreifender Teams kann der systematische Know-how-Transfer zwischen den Generationen gewährleistet werden – mit positiven Effekten für das Lernen am Arbeitsplatz für die Jungen, für die Beschäftigungschancen der älteren Menschen und für die Marktposition des Unternehmens.
Dr. Hermann Kues