Programmatische Würdigung 40 Jahre Abschluss des II.Vatikanischen Konzils und 30 Jahre Abschluss der Synoden in Würzburg und Dresden
Abschlussrede Prof. Dr. Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Redemanuskript:
Prof. Dr. Hans Joachim Meyer
Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
Abschluss des Festaktes
Am Anfang unserer Würdigung des II. Vatikanischen Konzils und der Synoden in Würzburg und Dresden stand aus gutem Grund die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum. Denn aus dem Glauben schöpft die Kirche die Kraft, sich immer wieder neu der Herausforderung zu stellen, das Wort Gottes den Menschen zu verkünden und zu bezeugen. Es ist stets der gleiche Glaube, aber Glaubenszeugnis und Verkündigungsdienst geschehen in der konkreten Wirklichkeit und müssen darum mit dieser und in dieser neu sein und also immer wieder neu werden. So ist denn auch das Neuartige und unserer Zeit gerecht Werdende die herausragende Eigenschaft dieses Konzils. Es trat nicht zusammen, um Gefahren abzuwehren und Irrtümer zu verurteilen, es sah also den Grund für sein Zusammenkommen nicht in der Notwendigkeit zu reagieren, sondern nach dem Willen von Papst Johannes XXIII. sollte sich die Kirche im Konzil in der von Jesus Christus bewirkten Freiheit von sich aus den anderen zuwenden – den anderen Christen und der ganzen Menschheit. Das Konzil sollte dies tun – nicht, um sich und seine Überzeugung von der christlichen Wahrheit aufzugeben oder auch nur hintanzustellen, sondern um das unser Leben erhellende und ihm seinen Sinn zeigende Licht der Frohen Botschaft in die Menschheit hineinzutragen. Dabei setzte das Konzil beim Verbindenden und Gemeinsamen an und nicht beim Trennenden und Abgrenzenden, ohne jedoch Unterschiede und Gegensätze zu verschweigen oder gar die Wahrheit zu verleugnen. An dieser notwendigen Einheit von Liebe und Wahrheit festzuhalten und sie immer neu zu versuchen, ist bis heute die größte Herausforderung im Umgang mit dem geistigen Erbe des Konzils.
Die zweite Neuartigkeit war das Konzil als dialogisches Ereignis der Kirchengeschichte. Damit meine ich nicht nur die Debatten und Entscheidungsfindungen der Bischöfe in dieser großen Kirchenversammlung und ihr verantwortungsbewusstes und um Einmütigkeit bemühtes Ringen. Ich meine damit nicht minder die jahrzehntelangen Wege in der Kirche zum Konzil hin und dessen geistige und geistliche Vorbereitung. Darin lag ja nicht zuletzt die befreiende Wirkung des II. Vatikanums, dass so mancher bittere Konflikt ein gutes Ende fand, Engführungen überwunden, Einseitigkeiten ins rechte Maß gebracht und auch Irrwege korrigiert wurden. Nicht wenig Leiden an der Institution Kirche und an ihren Repräsentanten erhielt nachträglich in der Frucht des Konzils seinen erlösenden Sinn. Das Konzil war kein Prozess von oben nach unten. Vielmehr wurde eine geschichtliche Wegstrecke des ganzen Gottesvolkes vor und während des Konzils zum wesentlichen Bestandteil des Konzilsgeschehens. Der tiefe Sinn des Bildes vom Volke Gottes, welches die Konzilsväter zum Ausgangspunkt ihres Nachdenkens über das Wesen der Kirche machte, erhielt durch diese Erfahrung konkrete geschichtliche Realität.
Es ist denn auch genau diese Erfahrung, welche jene auslöschen und vergessen machen wollen, die heute jeden, der diesen geschichtlichen Dialog weiterführt und am Leben der Kirche nicht als Schaf und unmündiges Kind, sondern als selbst denkender Christ teilnimmt, der mangelnden Treue zu Kirche und Papst verdächtigen. Stattdessen setzen sie auf ein paternalistisches Kirchenkonzept und ein autokratisches Amtsverständnis. Was sie nicht begreifen und wovor sie Angst haben, ist, ist die Chance zur Freiheit, die in der Notwendigkeit liegt, das Unvollkommene zu bessern und das Zeitbedingte und daher Überlebte zu erneuern. Das gilt auch für die sich mit der Geschichte wandelnde Gestalt der Kirche.
Darum werden wir die Erinnerung an das II. Vatikanische Konzil wach halten und weitergeben. Die Kirche ist, wie Lumen Gentium klar beschrieben hat, vor jeder hierarchischen Gliederung eine geschwisterliche Gemeinschaft auf der Basis des gemeinsamen Priestertums. Darum braucht die Kirche die Einheit von gemeinsamem Beten, Bekennen, Nachdenken, Entscheiden und Handeln. Nur so findet die Kirche auf ihrer Pilgerschaft durch die Geschichte zu Gott den rechten Weg. In diesem Sinne ist in einer lebendigen Kirche immer Konzil und Synode. Diese Einsicht, zu der uns das II. Vatikanische Konzil geführt hat, ist nicht rückholbar. Es gibt keinen Weg zurück in die Zeit vor diesem Konzil. Und erst recht gibt es weder in der Kirche, noch in der Gesellschaft einen Weg zurück ins 19. Jahrhundert. Denn die Vergangenheit, von der manche Leute träumen – eine Gesellschaft, die von einem unbegrenzten Markt gesteuert wird, und eine Kirche als der unveränderliche und monolithische Fels, der in einer solchen Welt innere Sicherheit verheißt – eine solche Vergangenheit hat es ohnehin nie gegeben. Das II. Vatikanische Konzil hat das 19. Jahrhundert hinter sich gelassen, weil es die Zeichen der Zeit erkannt hat – durch ihr Bild von Kirche in Lumen Gentium, durch ihre Zuwendung zur Welt in Gaudium et Spes und nicht zuletzt in Dignitatis Humanae und in Nostra Aetate als Anerkennung der allen Menschen gemeinsamen Würde.
In Deutschland haben wir überdies das besondere Glück, dass durch die Synoden in Würzburg und Dresden das große Werk des Konzils aufgegriffen und umgesetzt wurde. Die Bedeutung der Dresdner Pastoralsynode liegt auch heute noch in ihrem nüchternen Blick auf das Leben von Christen in einer kirchen- und glaubensfernen Diaspora. Im vereinigten Deutschland kommt naturgemäß der Würzburger Synode ein besonderer Stellenwert zu, weil sie unter freiheitlichen Bedingungen stattfinden konnte. Daher ist und bleibt sie das maßgebliche Ereignis der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland. Zu den fortwirkenden Ergebnissen dieser Synode gehört vor allem der Beschluss "Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche". Hier hat die Synode in kluger Weise zwei Konzildekrete, nämlich das über die Bischöfe und das über das Laienapostolat genutzt, um auf diesen Grundlagen zwei in ihrem Charakter unterschiedliche Räte zu konzipieren, nämlich die Diözesanpastoralräte und die für uns besonders wichtigen und völlig unverzichtbaren Katholikenräte der Diözesen. Damit wurden zugleich die seit 1848 gewachsenen Traditionen des deutschen Laienkatholizismus weiter entwickelt. Seit dreißig Jahren hat sich dieses Modell bewährt. Es ist das Fundament vertrauensvoller und konstruktiver Zusammenarbeit von Bischöfen und Laien, das durch keine kirchliche Entwicklung seitdem in Frage gestellt worden ist. Wer dennoch dieses synodale Modell aufgibt, der zerstört dieses Fundament. Und er missachtet das verbürgte Recht der katholischen Laien zur Meinungsäußerung und zum gemeinsamen Handeln in ihrem eigenverantwortlichen Weltdienst wie bei ihrer Mitwirkung am kirchlichen Leben.
Vertrauensvolles Gespräch und konstruktive Zusammenarbeit in wechselseitigem Respekt auf der Grundlage unseres Glauben für unsere gemeinsame Sache, die Kirche – das sind die Grundelemente synodaler Strukturen und Ereignisse. Für eine gute Zukunft der Kirche in Deutschland sind sie unverzichtbar. Und darin liegt der tiefere, der eigentliche Sinn der Jubiläen, die wir heute festlich begehen. Gewiss ehren wir bedeutsame Ereignisse der Vergangenheit. Worum es uns aber vor allem geht, dass ist deren ungeschmälerte Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft der Kirche. Denn die Gegenwart und die Zukunft der Kirche sind unser Thema, wenn wir heute mit solchem Nachdruck über das II. Vatikanische Konzil und die deutschen Synoden von Würzburg und Dresden sprechen. Ihre Früchte helfen der Kirche in Deutschland zu einer guten Zukunft.