Positionen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
zur voraussichtlich vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005
Positionen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur voraussichtlich vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005
Einleitung
I. Den Sozialstaat sichern
II. Rahmenbedingungen für Ehe und Familie verbessern – Partnerschaft und Elternschaft stärken
III. Ehrenamt fördern – freiwilliges Engagement anerkennen
IV. Leben schützen – Menschenrechte achten
V. Studienbedingungen verbessern – Hochschulen ausbauen
VI. Integration fördern – Interreligiösen Dialog pflegen
VII. Millenniumsziele verwirklichen – Armenorientierte Entwicklungspolitik stärken
VIII. Eine neue Entscheidung für Europa
Einleitung
Deutschland befindet sich vor den Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag in einer tiefen Krise. Eine verfestigte Massenarbeitslosigkeit, dramatische Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand, neue gesellschaftspolitische Aufgaben im Bereich der Bildungs- und Familienpolitik, der sozialen Sicherungssysteme sowie der Friedenssicherung in einer globalisierten Welt und nicht zuletzt die krisenhafte Entwicklung der Europäischen Union markieren die zentralen Probleme. Deutschland benötigt tief greifende Reformen.
Die Sicherung des inneren Friedens unserer Gesellschaft ist insbesondere durch die lang anhaltende, hohe Massenarbeitslosigkeit bedroht. Mangelnde Beteiligungsgerechtigkeit und soziale Exklusion sind gravierende Folgen. Es bedarf deshalb einer Politik, die dem Gemeinwohl dient und zugleich die Grenzen der Zuständigkeit des Staates achtet. Besonders gefährlich sind das Ausmaß der öffentlichen Verschuldung und die immer deutlicher werdende demographische Krise.
Es ist ein Fehlschluss zu meinen, der Staat könne alles, und insbesondere, er könne alles besser machen. Die Einstellungen und Werthaltungen der Bürgerinnen und Bürger und der Politikerinnen und Politiker sind von entscheidender Bedeutung. Es kommt darauf an, eine aktive Bürgergesellschaft zu verwirklichen. Solidarität und Subsidiarität müssen in eine neue Balance gebracht werden.
Unverzichtbar ist, dass der Staat den Zielen des sozialen Ausgleichs und der sozialen Sicherung verpflichtet bleibt. Wir brauchen deshalb eine Sozialstaatsreform, die den Sozialstaat stärkt. Dazu gehört eine Politik, die Ehe und Familie in ihren vielfältigen Lebenssituationen wahrnimmt, schützt und unterstützt.
Der Staat kommt seiner Gemeinwohlverpflichtung nicht zuletzt dadurch nach, wenn er die Initiativen, die Anstrengungen und die persönliche Verantwortung der einzelnen Gruppen und der einzelnen Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer aktiven Bürgergesellschaft herausfordert und stärkt.
Zentraler Bezugspunkt für ein kohärentes politisches Handeln in Staat und Gesellschaft sind die Achtung vor der menschlichen Person, vor ihrer Würde und dem Schutz ihrer Rechte sowie die sich daraus ergebende sozialethische Verpflichtung zur Gerechtigkeit.
Von einem solchen wertorientierten Politikverständnis her profiliert das Zentralkomitee der deutschen Katholiken seine gesellschaftspolitische Arbeit. Es versteht politisches Handeln als umfassende und nachhaltige Gestaltungsaufgabe, als kulturelle Aufgabe, die alle Politik- und Handlungsfelder konsistent mit einbezieht. Dabei geraten Aufgaben in den Blick, die für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes entscheidender sind als die aus einem herkömmlichen Verständnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik sich ergebenden Fragestellungen. Dieses wertorientierte Politikverständnis, angewandt auf die einzelnen Politikfelder, kann wesentlich dazu beitragen, die großen Herausforderungen für unser Land erfolgreich zu bestehen. Dazu gehören auch verstärkte Bemühungen um die Integration der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund, eine Stärkung der Armutsbekämpfung als entwicklungspolitische Strategie und der entschiedene Einsatz für einen gerechten Frieden in der Welt.
Wahlaufruf
Die Herausforderungen unserer Zeit begründen große Chancen und Risiken und verlangen deshalb besondere Anstrengungen der Bürgerinnen und Bürger. Bei der bevorstehenden Wahl zum Deutschen Bundestag wird es vor allem darum gehen, Deutschland als eine Wertegemeinschaft zu festigen, die jeden Menschen in seiner Individualität und Würde anerkennt und die ihn deshalb mit seiner Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln und zur Freiheit ernst nimmt. Auf dieser Grundlage kann eine Gemeinschaft des Friedens, des Rechts und des sozialen Ausgleichs entstehen, die einen Friedens- und Verständigungsbeitrag für die Weltgemeinschaft der Menschen und Völker leistet.
In der Demokratie liegen die Grundentscheidungen zukünftiger Politik bei den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern eines Staates. Wir fordern alle Wählerinnen und Wähler auf, ihr Wahlrecht verantwortlich auszuüben. Wir wenden uns gegen Radikalisierungen und Polarisierungen an den Rändern. Wer durch Nichtwählen Denkzettel verteilen will, stärkt die Extremisten, die wir nicht wollen und die wir nicht brauchen können, und schadet damit uns allen.
Den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen nehmen wir zum Anlass, zentrale Beschlüsse des Zentralkomitees der vergangenen Jahre inhaltlich zusammenzufassen. Sie sind aus aktuellem Anlass in einigen Punkten inhaltlich weitergeführt. Abschnittweise ist der Text versehen mit den entsprechenden Hinweisen auf die zugrunde liegenden Erklärungen des ZdK.
1. Den Sozialstaat sichern
Neue Beschäftigungsinitiativen für Langzeitarbeitslose
1. Die Rahmenbedingungen für Erwerbsarbeit müssen in Deutschland verbessert werden. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden hohe Finanzmittel aufgewandt, gleichzeitig aber bleiben große Gruppen von Menschen von der Beteiligung an Erwerbsarbeit ausgeschlossen. Das ist ungerecht und gefährdet langfristig den sozialen Frieden. Die Betroffenen sind wegen der starken Erwerbszentrierung unserer Gesellschaft oft auch von vielen anderen Bereichen der Teilhabe ausgeschlossen und haben kaum Gelegenheit, eigene Leistungsfähigkeit und Kreativität gesellschaftlich unter Beweis zu stellen und aus eigenen Kräften ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
2. Ein besonderes Problem der Beteiligungsgerechtigkeit besteht für die anwachsende Gruppe Langzeitarbeitsloser, d. h. für Menschen, die seit mehr als einem Jahr erwerbslos sind. Mehr als bisher müssen sich Unternehmer und Unternehmungen in die Pflicht nehmen lassen, Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zur Verfügung zu stellen. Denn in der sozialen Marktwirtschaft sind sie es, die Arbeitsplätze schaffen. Mehr Einfallsreichtum und Risikobereitschaft der Verantwortlichen in den Unternehmen sind notwendig, um auch unter den sich verschärfenden Bedingungen des Wettbewerbs die Fähigkeiten der Langzeitarbeitslosen zu nutzen. Ganz besonders gilt dies für die Ausbildung und Beschäftigung junger Menschen. Es ist für mittelund langfristige Unternehmenskonzeptionen, wenn sie tragfähig und gewinnorientiert sein sollen, ökonomisch vernünftig, junge Menschen auszubilden und möglichst in den Betrieb zu übernehmen. Wer als Unternehmer in seinem praktischen Handeln eine solche Grundhaltung unter Beweis stellt, leistet einen Beitrag für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft, von dem er auch selbst profitiert. Alle Bemühungen um Ausbildung und Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, alle Anstrengungen zur Verringerung der Zahl der Langzeitarbeitslosen tragen zur Stärkung des sozialen Friedens und zur Weiterentwicklung der Wirtschaftskraft unserer Gesellschaft bei.
"Beschäftigung schaffen ist sozial. Neue Beschäftigungsinitiativen für Langzeitarbeitslose", Erklärung des ZdK vom 20. November 1998
Rente als solidarische Selbstversicherung
1. Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel stellen die gesetzliche Rentenversicherung vor große Herausforderungen. Sie stellen die Grundfragen nach dem Leitbild, dem Sicherungsziel, insbesondere dem Schutz vor Altersarmut, der Finanzierung und des versicherten Personenkreises neu. Das ZdK tritt für das Leitbild der solidarischen Selbstversicherung ein; dazu gehört, die Rentenversicherung nicht mit sonstigen Aufgaben zu überfrachten: Die mit der hohen Zahl der Frühverrentungen der letzten Jahrzehnte verbundene Verschiebung der Arbeitsmarktprobleme in die Alterssicherung darf sich nicht wiederholen. Neue Formen der Selbständigkeit und Schein-Selbständigkeit, die Zunahme von lückenhaften Versicherungsverläufen haben eine Erosion der Pflichtversicherung verursacht. Es ist deshalb an der Zeit, die Pflicht zur Altersvorsorge auszudehnen. Dazu gehört die Verbreiterung des Versichertenkreises in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Sicherungsziel der gesetzlichen Rentenversicherung muss für die Zukunft klar und verlässlich sein. Einzahlung in die Rentenversicherung muss sich lohnen – ein klares Verhältnis von Leistung und Gegenleistung muss auch künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten bleiben. Dabei begrüßt das ZdK, dass sich heute neben Arbeitseinkommen auch Kindererziehung und Pflege in der Alterssicherung niederschlagen. Eine konsequente Weiterentwicklung der Kindererziehungszeiten steht dringend an: Es sollten jeweils 3 Kindererziehungsjahre pro Kind unabhängig vom Geburtsdatum anerkannt werden – mit dem Ziel des stufenweisen Ausbaus auf 6 Jahre.
2. Das ZdK setzt sich für eine Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung ein, weil es auch heute in der solidarischen Alterssicherung zu dieser Finanzierungsform keine überlegene Alternative gibt. Ein Mischsystem aus starker umlagefinanzierter Rente mit ergänzender kapitalbasierter privater Vorsorge kann verschiedenen Risiken besser begegnen. Angesichts der demographischen Veränderungen ist es dringend geboten, die Gesamtlebensarbeitzeit zu verlängern. In erster Linie soll ein früherer Eintritt ins Erwerbsleben ermöglicht werden, aber auch die Regelaltersgrenze kann kein Tabu sein: Das ZdK votiert dabei für eine verlässlich ausgestaltete Regelung, die an der Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung bei Renteneintritt anknüpft und die dazu führt, dass das Renteneintrittsalter entsprechend stufenweise angehoben wird.
Das ZdK tritt mit Nachdruck für einen weiteren Ausbau der eigenständigen Alterssicherung von Frauen ein. Neben politischen Anstrengungen zur Gewährleistung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und der stärkeren Anerkennung von Kindererziehungszeiten muss auch der entscheidende Schritt zu einem mit dem Familienrecht abgestimmten Splittingmodell gegangen werden.
"Acht-Punkte-Programm zur Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung/Mut zu Reformen braucht ordnungspolitische Kontinuität und Klarheit", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 19. November 2004
Das Pflegerisiko absichern
1. Das Thema Pflege ist das Zukunftsthema der Gesundheitsdebatten. Eine Verdrängung dieses Themas auf Nebenfelder einer hermetisch gegen Pflegeaspekte sich abgrenzenden Gesundheitsreform ist mit der aus christlicher Ethik gebotenen ganzheitlichen Betrachtung des hilfsbedürftig kranken Menschen nicht vereinbar. Die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit durch eine Sozialversicherung war in der alternden Gesellschaft Deutschlands ein wichtiger gesundheits- und sozialpolitischer Schritt. Er führte zu zahlreichen Entwicklungsimpulsen für die Pflege und verbesserte die Versorgung alter und chronisch kranker Menschen. Unabhängig von dieser Einschätzung ist der Reformbedarf in der Pflegeversicherung heute evident. Abgesehen von der Finanzierungsgrundlage und der Entwicklung einer bedürfnisgerechten Pflege stehen Fragen des Abbaus von Unterversorgung z. B. bei Demenzkranken, behinderten Menschen, Schwerkranken nach vorzeitiger Krankenhausentlassung oder Sterbenden im Vordergrund.
2. Bei der anstehenden Weiterentwicklung der Systeme sozialer Sicherung muss auch die Schnittstellenproblematik zwischen Krankenkassen und Pflegeversicherung thematisiert und das strukturelle Problem gelöst werden, dass die Pflegeversicherung entgegen dem erklärten Ziel des Gesetzes kaum Anreize zur Förderung eigenverantwortlicher Lebensgestaltung der pflegebedürftigen Menschen setzt. Die Unterstützung der heimischen Pflege muss verbessert werden, die ambulante Pflege braucht neue unterstützende Strukturen.
3. Das ZdK fordert faire Professionalisierungschancen für die Pflege. Eine Weiterentwicklung der Pflegeausbildung ist auch aufgrund des sich stetig erweiternden Aufgabenspektrums in der Pflege sowie des Fortschritts in Forschung und Wissenschaft erforderlich. Der Abbau der schon jetzt nicht ausreichenden vorhandenen Ausbildungsplätze muss rückgängig gemacht werden.
Die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 3. April 2001 zur Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung in der Pflegeversicherung durch den Gesetzgeber entspricht nicht unseren Erwartungen und muss mit einer differenzierteren Berücksichtigung der Kinderzahl nachgebessert werden.
"Vertrauen stärken – Verantwortung tragen – Solidarität erhalten", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 21. November 2003
II. Rahmenbedingungen für Ehe und Familie verbessern – Partnerschaft und Elternschaft stärken
1. Das Gelingen stabiler Partnerschaften in Ehe und Familie bedarf förderlicher Rahmenbedingungen. Art. 6 des Grundgesetzes verpflichtet die öffentliche Ordnung, freiwillige Bindungen hin zu Ehe und Familiengründung zu ermöglichen und zu unterstützen, damit das Prinzip Verantwortung immer wieder neu Wurzeln in der Wirklichkeit schlagen kann. Die Zukunft der Familie wird sich daran entscheiden, dass Familienpolitik Partnerschaft und Elternschaft auf der Basis der Gleichberechtigung von Männern und Frauen absichert. Nicht zuletzt um des Kindeswohles willen brauchen wir eine Stärkung verlässlicher Partnerschaften. Abgestimmt auf die im Familienrecht kodifizierten und weiter zu entwickelnden Rechte und Pflichten müssen in allen Rechtsbereichen, insbesondere im Sozialversicherungs-, Steuer- und Arbeitsrecht stimmige Lösungen gefunden und zu einer präventiv ausgerichteten Familienpolitik zusammengeführt werden. Dazu gehört der Erhalt des Ehegattensplittings im Steuerrecht ebenso wie die Neubalancierung der familiären Komponenten im Rentenrecht.
2. Der Ausbau eines bedarfsgerechten Angebots von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen im Vorschulalter gehört unzweifelhaft zum Kernbereich einer familienentlastenden und am Kindeswohl orientierten Bildungs- und Gesellschaftspolitik. Länder und Kommunen dürfen nicht mit Verweis auf leere Kassen die notwendige Aufgabe des Ausbaus der Kinderbetreuung zurückstellen. Kirchliche Träger sind gefordert, an dieser Stelle ihrer gesellschaftlichen Mitverantwortung in besonderer Weise zu genügen. Unverzichtbar ist aber auch der Erhalt der Familienbildung und –beratung, die einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Beziehungs- und Erziehungsfähigkeit leisten – gerade in der sensiblen Familiengründungsphase. Verlässlichkeit hat einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes in den entscheidenden ersten Lebensjahren. Frühkindliche Bildung profitiert von stabilen Beziehungen in der Familie.
3. Der Beitrag, den Wirtschaft und Arbeitgeber zu einem familienfreundlichen Klima leisten können, ist erheblich: Die Herausforderungen des globalisierten Wettbewerbs sind so zu beantworten, dass im Arbeitsrecht und Arbeitsleben den Bedürfnissen der Familien Rechnung getragen wird – nicht zuletzt, indem der Schutz des Sonntags mit seiner verlässlich gemeinsamen Zeit für Partner und Familien respektiert wird.
"Rahmenbedingungen für das Gelingen stabiler Partnerschaften in Ehe und Familie verbessern", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 3. Mai 2002
"Partnerschaft und Elternschaft – Sieben Anforderungen an die Familienpolitik", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 29. April 2005
III. Ehrenamt fördern – freiwilliges Engagement anerkennen
Das freiwillige und unentgeltliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern bildet die Grundlage einer aktiven Bürgergesellschaft. Öffentliche Anerkennung und Würdigung ehrenamtlich geleisteter Arbeit sind deshalb unerlässlich. Neben einer ideellen Ermutigung bedarf es zudem einer stärkeren Absicherung ehrenamtlicher Tätigkeit. Dazu gehört der Unfall- und Haftpflichtversicherungsschutz ebenso wie die Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten der beruflichen Freistellung zur Weiterbildung auch für ehrenamtlich Tätige, die Akzeptanz der gesetzlichen Möglichkeiten zur Gewährleistung von Sonderurlaub bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie die Anerkennung der in ehrenamtlicher Tätigkeit erworbenen Qualifikationen.
"Für eine Kultur des Ehrenamtes, Handlungsempfehlungen an Verantwortliche in Kirche und Gesellschaft", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 15. Juni 2004
IV. Leben schützen – Menschenrechte achten
1. Die Würde jedes Menschen zu achten und sein Lebensrecht in allen Phasen zu schützen, ist insbesondere angesichts des medizinischen Fortschritts und einer unbestimmten gesellschaftlichen Einstellung zum Leben eine besondere staatliche Verpflichtung.
Wir finden uns nicht damit ab, dass in Deutschland jährlich weit mehr als 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Deshalb muss der Staat in Bund und Ländern stärker als bisher Sorge dafür tragen, dass das Beratungsangebot in Schwangerschaftskonfliktsituationen qualitativ und quantitativ so ausgestaltet wird, dass es dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Hilfe für in Not geratene Frauen bestmöglich dient.
Dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt es zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes. Es ist ein Skandal, dass sog. Spätabtreibungen stillschweigend unter die medizinische Indikation subsumiert und damit legalisiert werden. Es bedarf dringend einer Änderung des Arzthaftungsrechtes, welche klarstellt, dass das Dasein eines Kindes nicht als Schadensquelle und die durch Geburt begründete Unterhaltspflicht für ein Kind nicht als Schaden behandelt werden darf. Zudem fordert das ZdK eine verbesserte Beratung bei pränataler Diagnostik sowie nach Diagnose einer nicht behebbaren Krankheit oder Entwicklungsstörung des Kindes mit dem Ziel des Lebensschutzes.
2. Angesichts des medizinischen Fortschrittes tritt das ZdK für die Erarbeitung eines umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetzes ein, welches den neuen biomedizinischen Entwicklungen Rechnung trägt und nicht unter das Schutzniveau des geltenden Embryonenschutzgesetzes von 1990 zurückgeht. Dies gilt insbesondere für den im geltenden Embryonenschutzgesetz festgehaltenen Ausschluss von Forschung an Embryonen und von anderen Verwendungen, die nicht dem Wohl des Embryos selbst dienen.
An der Beschlusslage des Deutschen Bundestages, die ein umfassendes Klonverbot vorsieht und die Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken verbietet, muss unbedingt festgehalten werden. Zudem muss verhindert werden, dass auf dem Umweg über EU-Forschungsförderungsprogramme deutsche Steuergelder für verbrauchende Embryonenforschung verwandt werden, die in Deutschland aus gutem Grund verboten ist.
3. Sterbende zu begleiten, ihnen darin beizustehen, ihr Leiden zu ertragen und den bevorstehenden Tod selbst annehmen zu können, ist ein wesentlicher Ausweis für die Humanität einer Gesellschaft. Eine gute Sterbebegleitung muss gelernt werden. Hierzu bedarf es einer verbesserten Schmerztherapie und einer stärkern Einbindung von Palliativmedizin und –pflege in die Versorgungspraxis. Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang kommt den Patientenverfügungen zu, die es in der neuen Legislaturperiode gesetzlich zu regeln gilt. Dabei müssen folgende Punkte beachtet werden:
Die Reichweite einer Patientenverfügung muss strikt auf jene Phase begrenzt sein, in der das Grundleiden trotz weiterer medizinischer Maßnahmen zum nahen Tod führt. Ferner darf eine Patientenverfügung erst dann Wirksamkeit entfalten, wenn sie nach einer ausführlichen Fachberatung schriftlich verfasst wurde. Eine Patientenverfügung muss ernst genommen und bei der Ermittlung des Patientenwillens berücksichtigt werden. Es darf ihr aber kein Grad an Verbindlichkeit zukommen, der Angehörige, den gesetzlich bestellten Betreuer oder das medizinisch- pflegerische Personal faktisch zur unbesehenen Durchsetzung verpflichtet. Zu unterscheiden von einer Patientenverfügung ist die Möglichkeit, für den Fall der Geschäftsunfähigkeit rechtzeitig durch eine notariell beurkundete Vollmacht vorzusorgen. Auf diese Form der eigenständigen Entscheidung sollten Betroffene vermehrt hingewiesen werden.
4. Der Menschenhandel mit und die Zwangsprostitution von jungen Frauen und Mädchen gehören zu den massivsten Menschenrechtsverletzungen inmitten unserer Gesellschaft. Es handelt sich um ein lukratives Geschäft, bei dem Täter nicht belangt und Opfer nicht hinreichend geschützt werden.
Das 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten hatte zum Ziel, die Prostituierten selbst besser zu schützen. Inzwischen gibt es Anhaltspunkte, dass sich das Gesetz zu ungunsten der Frauen und zugunsten der Menschenhändler und Zuhälter auswirkt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, dieses Ungleichgewicht wieder zu beseitigen und der Polizei eine wirksame Vorgehensweise gegen Menschenhandel und ausbeuterische Zuhälterei zu ermöglichen. Zudem gilt es, die "Freierbestrafung" gesetzlich einzuführen, damit "Freier" von Zwangsprostituierten, denen bewusst ist oder die angesichts der Umstände erkennen können, dass es sich bei der Frau um eine Zwangsprostituierte handelt, strafrechtlich verfolgt werden können. Mit einer solchen Regelung würde der Aspekt der Nachfrage und des Kundenverhaltens endlich in den Focus des Interesses und der strafrechtlichen Verfolgung kommen.
"Entwicklungen in der Biomedizin und ihre ethische Bewertung", Beschluss der Vollversammlung vom 4./5. Mai 2001 und Diskussionsanstoß des Kulturpolitischen Arbeitskreises vom 1. März 2001 "Vertrauen stärken – Verantwortung tragen – Solidarität erhalten", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 21.11.2003
"Für einen besseren Opferschutz und eine effektivere Strafverfolgung. Den Skandal von Menschenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland bekämpfen!", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 20. November 2004
V. Studienbedingungen verbessern – Hochschulen ausbauen
1. Wissenschaftsfragen sind Zukunftsfragen. Wissenschaft lebt aus der Einheit von Forschung und Lehre. Wissenschaft ist also nicht in erster Linie eine Ansammlung von Daten und Techniken, sondern sie erfordert und entwickelt Eigenschaften, die Persönlichkeiten prägen und ein tieferes Verständnis der Welt eröffnen. Wissenschaft darf deshalb nicht reduziert werden auf ein hoch qualifiziertes Spezialistentum zur Lieferung von Innovationen in Gestalt nützlicher und gewinnbringender Produkte und Techniken. Es gibt keine Nützlichkeit ohne Nachhaltigkeit und keine Nachhaltigkeit ohne Kenntnis und Beachtung des fachlichen und des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Die Förderung der Geisteswissenschaften und die Förderung der "kleinen Fächer" gehört daher zu einer zukunftsorientierten Wissenschaftspolitik ebenso wie die Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Hochschulen insgesamt. Dabei müssen die finanziellen Mittel so strukturiert sein, dass sie einerseits die Wettbewerbsfähigkeit der Einrichtungen sichern und diese andererseits zum externen und internen Wettbewerb zwingen.
2. Die Universitäten und Hochschulen müssen eigenverantwortlich und handlungsfähig sein. Für die Qualität und für die Zukunftsaussichten des Studienangebots in Deutschland ist es unabdingbar, dass die Studienbewerber um die Zulassung zu den besten Studiengängen und die Fachbereiche bzw. Fakultäten um die Gewinnung der besten Studienbewerber miteinander konkurrieren können.
Unter diesen Gesichtspunkten ist auch die zukünftige Ausgestaltung von Studiengebühren zu beurteilen, die – integriert in ein erneuertes BaföG-, Stipendien- und Darlehenssystem – eine generationen- und leistungsgerechte, sozial verträgliche Mitfinanzierung der Hochschulen durch die "Nachfrager" gewährleisten können.
3. Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Studiums in Deutschland und zum Entstehen eines europäischen Hochschulrahmens kann die Einführung des zweistufigen Studienmodells sein, weil dieses erlaubt, eine systematische Grundlegung des Studiums mit einem forschungsorientierten Studium zu verbinden. Diese Vorteile werden jedoch nur möglich, wenn von flächendeckenden schematisierenden Vorgaben Abstand genommen wird und stattdessen aus den deutschen Traditionen eigenständige Modelle entwickelt werden, so dass die deutschen Hochschulen attraktiv bleiben für Studierende aus aller Welt.
4. Für eine zukunftsfähige Universität gilt ansonsten das Gleiche wie für eine zukunftsfähige Gesellschaft: Die Mütter und Väter unter den Studierenden, Lehrenden und Forschenden haben einen Anspruch auf besondere Aufmerksamkeit und Förderung.
"Wissenschaftsthemen sind Zukunftsfragen – Erwartungen an das deutsche Wissenschaftssystem aus christlicher Sicht", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 16. Juni 2004
VI. Integration fördern – Interreligiösen Dialog pflegen
1. Die Integration der Menschen ausländischer Herkunft gehört zu den Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft. Das ZdK hat mit dazu beigetragen, dass hierfür in Politik und Gesellschaft das Bewusstsein geschärft wurde. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz will die Integration künftiger Zuwanderer wie auch von Ausländern und ihren Familien, die schon lange in Deutschland leben, nachhaltig verbessern. Es hat Integration ins Zentrum der Gesellschaftspolitik gerückt. Der breite gesellschaftliche und politische Konsens, der mit dem Gesetz erreicht wurde, darf nicht gefährdet werden.
2. Es gibt Anzeichen, dass Zuwanderung und Integration zu einem Wahlkampfthema werden. Wir warnen ausdrücklich davor, mit Halbinformationen dazu beizutragen, dass in der Öffentlichkeit ein falsches Bild zu Lasten der Menschen mit ausländischer Herkunft entsteht. Die Arbeitsmarktzuwanderung aus den neuen Mitgliedsländern der EU hat Deutschland für die nächsten Jahre ausgesetzt, der Familiennachzug aus dem Ausland, die Zuwanderung von Spätaussiedlern und jüdischen Emigranten ist deutlich rückläufig wie auch die Zuwanderung von Asylantragstellern. Es besteht kein Anlass, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die die Zuwanderung verringern.
3. Vielmehr ist geboten, in den Integrationsanstrengungen nicht nachzulassen. Es ist keineswegs ausgemacht, welche Entwicklungen sich durchsetzen werden: Integration im Sinne eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Einheimischen und Einwanderern bzw. Eingewanderten oder Ghettobildung und Entstehung von Parallelgesellschaften. Bund, Länder und Kommunen sind hier gleichermaßen gefordert. Der soziale Abstand der Menschen mit Migrationshintergrund zur Mehrheitsbevölkerung – sie sind weit überdurchschnittlich vertreten bei den Jugendlichen ohne Bildungsabschluss und Berufsausbildung, bei den Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern – hat sich in den vergangenen Jahren vergrößert. Daher muss alles getan werden, um durch Angebote der Sprachförderung und im Bildungsbereich sowie durch Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt die strukturellen Voraussetzungen für Integration zu verbessern.
4. Herzstück der Integrationsmaßnahmen nach dem Zuwanderungsgesetz ist die für Neuzuwanderer verpflichtende Teilnahme an einem Integrationskurs. Nach den ersten Erfahrungen werden die Kurse in unerwartet hohem Umfang auch von Ausländern, die schon länger in Deutschland leben, angenommen. Im Sinne der "nachholenden Integration" ist diese Entwicklung ausdrücklich zu begrüßen. Um den Erfolg der Kurse zu optimieren, erscheint allerdings eine stärkere Differenzierung nach Zielgruppen (z. B. Jugendliche, Frauen), die Berücksichtigung unterschiedlicher Bildungsniveaus sowie die Orientierung der Kurse an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes wünschenswert. Ferner ist ungeklärt, was mit denen geschieht, die das Kursziel nicht erreichen. Wir bedauern, dass einige Länder die Mittel für Migrationsberatung erheblich gekürzt oder gestrichen haben. Umso wichtiger ist es, dass der Bund von seiner Verantwortung für ein qualifiziertes Angebot an Integrationskursen und für die Sicherung der Erstberatung keine Abstriche macht.
5. Das neue Zuwanderungsrecht bringt Verbesserungen beim Flüchtlingsschutz. So wurde der Schutz auf Fälle "nichtstaatlicher" politischer Verfolgung und auf geschlechtsspezifische Fluchtgründe ausgedehnt. Nicht gelöst wurde das Problem der Kettenduldungen, deren Abschaffung erklärtermaßen ein Ziel der Reformbemühungen war. Dies betrifft insbesondere Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen oder wegen tatsächlicher Ausreisehindernisse nicht abgeschoben werden können. Wir unterstützen den Vorschlag, ausländischen Kindern und Jugendlichen, die schon lange in Deutschland leben und hier integriert sind, im Sinne einer generellen Härtefallregelung ein Bleiberecht zu gewähren.
6. Ein weiteres offenes Problem ist die illegale Zuwanderung, von der Deutschland und die gesamte Europäische Union betroffen ist. Nach Schätzungen leben in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen ohne gültige Papiere. Die Gründe der illegalen Zuwanderung sind bekannt. Sie liegen nicht zuletzt in der Nachfrage nach Arbeitskräften, die – trotz hoher Arbeitslosigkeit – auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht befriedigt werden kann. Auch wer sich illegal in Deutschland aufhält, hat grundlegende Menschenrechte, die jedem zur Sicherung sozialer Mindeststandards zustehen. Die Politik muss den rechtlichen Rahmen dafür schaffen, dass diese Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung, die Möglichkeit zum Schulbesuch für ihre Kinder und zur Durchsetzung von Lohnansprüchen erhalten. Zudem muss rechtlich klargestellt werden, dass Menschen, die ihnen humanitäre Hilfe leisten, sich dadurch nicht strafbar machen.
7. Wer Integration will, muss verborgenen und offenen Äußerungen von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft entschieden entgegentreten. Diese offenbar wieder "gesellschaftsfähig" werdenden Geisteshaltungen gefährden das Zusammenleben in Toleranz und gegenseitigem Respekt fundamental. Hier sind die Politik, die Gesellschaft, die Kirchen wie auch jeder Einzelne gefordert. Alle Formen des Antisemitismus sollen weiterhin von der Politik und den Medien aufmerksam registriert und mit Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Auch sublimere Formen der Judenfeindschaft sollten beobachtet werden. Die Verteidigung gegen judenfeindliche Übergriffe und Äußerungen in der Öffentlichkeit darf nicht Aufgabe von Juden allein sein. Die Verteidigung jüdischer Personen und Einrichtungen gegen terroristische Übergriffe ist eine Sache der ganzen deutschen Gesellschaft. Die leider seit längerem, noch auf unabsehbare Zeit notwendigen Sicherungen jüdischer Gotteshäuser gegen Anschläge erzeugen Angst und Unsicherheit auf Seiten der jüdischen Bevölkerung, wofür in der Bevölkerung insgesamt zu wenig Verständnis aufgebracht wird. Es bedarf eines offenen und vertrauensvollen Dialogs der Religionen untereinander. Diskriminierung anderer muss abgelehnt und Religionsfreiheit und Schutz der Menschenrechte müssen gewährt werden. Die ntidiskriminierungsrichtlinie der EU, die europaweit eine einheitliche Basis für Rechtsvorschriften unter anderem auch gegen ethnische Diskriminierung schaffen will, muss zügig in nationales Recht umgesetzt werden. Das Befrachten der Richtlinie mit zusätzlichen Forderungen hat der Sache erheblich geschadet.
"Die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft annehmen", Erklärung des ZdK zur Diskussion um Zuwanderung und Integration vom 11. Juni 2001
"Juden und Christen in Deutschland", Erklärung des Gesprächskreises "Juden und Christen" beim ZdK vom 13. April 2005
VII. Millenniumsziele verwirklichen – Armenorientierte Entwicklungspolitik stärken
1. Die bis zum Jahr 2015 zu verwirklichenden Millenniumsentwicklungsziele, von den Staatsund Regierungschefs beim UN-Sondergipfel 2000 feierlich proklamiert, verpflichten sich der Hungerbekämpfung, dem Zugang zu Grundbildung für alle, der Förderung und Gleichstellung von Frauen sowie der Gewährleistung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, der Gesundheitsvorsorge und dem nachhaltigen Umweltschutz. Dieses umfassende Konzept richtet den Blick auf zentrale Staatsaufgaben zur Sicherung der Lebensmöglichkeiten der armen Bevölkerung. Alle Erfahrung der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte lehrt, dass die Erfüllung dieser Aufgaben nicht ohne die unmittelbare, demokratische Beteiligung der Armen selbst und ihrer Selbstorganisationen möglich sein wird. Demokratie und Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb muss Armenorientierung das zentrale Element der entwicklungspolitischen Strategie sein. Damit dies von der deutschen Bundesregierung wirksam umgesetzt werden kann, muss das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch zukünftig ein eigenständiges Ministerium sein. Zur Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele müssen die Industrieländer die eingegangene Selbstverpflichtung einhalten. Dies umfasst einen schnellen und umfassenderen Schuldenerlass, der es den Entwicklungsländern ermöglicht, die freiwerdenden Ressourcen und die gewonnene Haushaltsflexibilität für die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungswesens einzusetzen.
Für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele sind auch deutlich mehr finanzielle Mittel notwendig. Wir fordern daher die Aufstellung eines verbindlichen Zeitplanes im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung für die Realisierung der von Deutschland (wie von allen übrigen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen) eingegangenen Verpflichtung, 0,7 % des Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Bis 2010 muss Deutschland mindestens einen Anteil von 0,5 % des Bruttonationalproduktes erreicht haben.
Wichtige Voraussetzung zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele sind zudem gerechte und faire Handels- bzw. Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die Industrieländer Protektionismus in seinen vielfältigen Formen abbauen, auf Subventionen für nicht konkurrenzfähige Exporte verzichten und den Handel mit ökonomisch schwachen Ländern erleichtern.
2. In diesem Zusammenhang muss die Aufmerksamkeit auch auf die Bedeutung der internationalen Finanzmärkte gelenkt werden. Die meisten ärmeren Entwicklungsländer werden auf Grund fehlender institutioneller Gegebenheiten auf absehbare Zeit nicht in die internationalen Finanzmärkte integriert werden können. Damit dies aber langfristig eine Perspektive bleibt, muss die finanzielle Entwicklungszusammenarbeit neue Akzente bekommen. Interne, durch unverantwortliches Handeln nationaler Führungsschichten hervorgerufene Entwicklungshemmnisse lassen sich am besten durch Förderung von Demokratisierungs- und Partizipationsprozessen überwinden.
Korruption und Vetternwirtschaft, aber auch einseitig an Wachstumsförderung orientierte Maßnahmen und eine zu geringe Beteiligung der Armen an der Entwicklung der Programme sind entscheidende Barrieren auf dem Weg nachhaltiger Entwicklungsförderung. Parallel zur Stärkung der internationalen Finanzarchitektur muss daher auch eine Stärkung des Mikrofinanz- Angebots erfolgen, wenn das Ziel der Beteiligungsgerechtigkeit entschlossen verfolgt werden soll. Die Bedeutung einfachster Finanzdienstleistungen in den Entwicklungsländern ist lange Zeit unterschätzt worden. Die Einbindung der Armen in eine zuverlässige Geldwirtschaft ist ein Schlüssel zur Teilhabe, da fast alle armutsrelevanten Bereiche monetär beeinflussbar sind. Dem Aufbau einfacher, funktionsfähiger Banksysteme, die den Zugang breiter Bevölkerungsschichten zum Sparen und zu Krediten ermöglichen, muss eine zunehmend hohe Priorität in der Entwicklungszusammenarbeit eingeräumt werden. Es bedarf deshalb der Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Mikrofinanzinstitute sowie eine substantielle Erhöhung der Anzahl entsprechender Finanzprogramme von deutscher Seite.
3. Eine Verschärfung und Verlängerung von regionalen Konflikten ergibt sich aus dem unkontrollierten Handeln mit und der missbräuchlichen Verwendung von sog. Kleinwaffen. Auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern produzierte Kleinwaffen wandern in den Entwicklungsländern von Konflikt zu Konflikt und verschärfen alltägliche Terrorisierungen der Bevölkerung. Es bedarf deshalb einer wirksameren Kontrolle der Kleinwaffenproduktion und des Kleinwaffenexportes. Auf den Verkauf von Überschussbeständen der Bundeswehr (insbesondere G3-Gewehre) muss grundsätzlich verzichtet werden. Und es müssen gerade in Post- Konflikt-Situationen Sofortmaßnahmen ergriffen werden, damit durch die Entfernung und Vernichtung der in den Entwicklungsländern verfügbaren umfangreichen Bestände an Kleinwaffen sowie die Räumung von Mienen und abgeworfenen Streubomben dem Frieden eine neue Chance eröffnet wird.
4. Fast 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Erde, der größte Teil davon in Entwicklungsländern, sind heute durch Erosion, Versalzung oder gar Wüstenbildung so stark geschädigt, dass die langfristige Produktivität der Böden bedroht ist. Dies hat dramatische Folgen für die Lebenssituation der über eine Milliarde Menschen, die in diesen Regionen der Erde leben.
Ein gravierendes und zukünftig sich verschärfendes Problem stellt auch die Verknappung von Wasser, insbesondere von Trinkwasser, dar. Wasser wird zunehmend durch Klimaveränderungen räumlich und zeitlich ungleicher verteilt sowie durch Verschmutzung oder Versalzung unbrauchbarer. Schon heute haben rund 1,3 Mrd. Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und rund 2,6 Mrd. Menschen keinen Zugang zu angemessener Abwasserentsorgung. Durch eine ökologisch verträgliche Nutzung der von der Landwirtschaft angebauten Flächenweltweit könnte die Verschmutzung des Grund- und Oberflächenwassers wesentlich verbessert werden. Bezüglich dieser Problemstellung bringen auf lange Sicht nationale Alleingänge keinen Erfolg. Grenzüberschreitende Koordination und globales erantwortungsbewusstsein sind deswegen nötig, die eine nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft als Schlüsselfaktor bei der Hunger- und Armutsbekämpfung sowie beim Boden- und Wasserschutz anstreben.
"Frieden braucht Entwicklung: Die Millenniumsentwicklungsziele verwirklichen!", Beschluss der Vollversammlung vom 30.4.05
"Internationale Finanzmärkte – Gerechtigkeit braucht Regeln", Beschluss der Vollversammlung vom 9.5.2003
"Gewalt zurückdrängen: Kleinwaffen wirksam kontrollieren", Beschluss der Vollversammlung vom 23.11.2001
"Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden – Plädoyer für eine nachhaltige Landwirtschaft", Beschluss der Vollversammlung vom 22.11.03
VIII. Eine neue Entscheidung für Europa
1. In der gegenwärtigen Krise muss sich Europa neu auf seine geistigen Grundlagen besinnen. Europa ist nicht primär ein Markt, sondern die Antwort auf einen historischen Prozess, in dem die europäischen Völker im Bewusstsein geistig - kultureller Gemeinsamkeiten und nach leidvollen geschichtlichen Erfahrungen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden haben. Dieser Prozess wurde entscheidend durch das Christentum geprägt. Daher gehört für uns die jüdische und christliche Glaubenstradition neben dem Erbe der griechischen und römischen Antike und den Idealen der europäischen Freiheits- und Aufklärungsgeschichte zu den unverzichtbaren Quellen der europäischen Identität.
2. Als Versuch, in Europa einen dauerhaften Frieden zu begründen, war die Europäische Integration von Beginn an ein politisches Projekt mit ethischem Anspruch. In der Europäischen Union fand es seine heutige politische Gestalt. Ihre Grundlagen sind die Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit, der Solidarität, des Pluralismus, der Toleranz, der Gerechtigkeit, des Rechtsstaates und der Menschenrechte. Nur wenn wir die Europäische Union als Wertegemeinschaft verstehen und weiterentwickeln, wird sie die nötige Akzeptanz bei den Bürgern finden. Daher ist es von großer Bedeutung, dass diese Werte in einem Verfassungsvertrag verankert und von der Europapolitik transparent und glaubwürdig umgesetzt werden.
3. Teil europäischer Identität ist das europäische Sozialmodell. Es verbindet wirtschaftliche Dynamik mit sozialer Verantwortung und konkretisiert sich in der sozialen Marktwirtschaft. Die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und in den Niederlanden war zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass die Menschen die EU eher mit ungeregeltem Marktliberalismus als mit sozialer Marktwirtschaft identifizierten. Es steht außer Frage: Angesichts eines weltweit verschärften Wettbewerbs ist die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft nur in dem größeren Rahmen der EU zu sichern. Das schließt jedoch ein, die Grundsätze sozialer Gerechtigkeit im Hinblick auf die Grenzen des Wohlfahrtsstaates neu zu bestimmen.
4. Die Erweiterung der EU um 10 Länder in Mittel- und Osteuropa bedeutete die endgültige Überwindung der Spaltung des Kontinents. Die geistige und kulturelle Gemeinsamkeit, die die Europäer seit Jahrhunderten verband, wurde wiederhergestellt. Mit Recht empfanden die Menschen in Mittel- und Osteuropa den Beitritt zur Europäischen Union als "Heimkehr nach Europa". Er war und ist aber auch ein Testfall europäischer Solidarität. Die Politik verstand es nicht, die politischen und wirtschaftlichen Vorteile der Erweiterung einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Vor allem aber hat sie die in weiten Teilen der Bevölkerung vorhandenen und zum Teil berechtigten Ängste vor den arbeitsmarktpolitischen Folgen der Öffnung der Grenzen nicht genügend ernst genommen. So haben sich auch in Deutschland Skepsis und Ablehnung hinsichtlich der erweiterten EU ausgebreitet.
5. Wir bekennen uns nachdrücklich zu dem wiedervereinigten größeren Europa. Gleichwohl halten wir es für geboten, weitere Erweiterungsschritte mit Besonnenheit und nur dann, wenn die nötigen Voraussetzungen erfüllt sind, zu realisieren. Erweiterungen müssen auch menschlich und kulturell vollzogen werden. Sie setzen ein klares Bild dessen, was europäische Identität ausmacht, voraus. Sie gelingen nur, wenn der innere Zusammenhalt der Union nicht Schaden leidet. Hier spielt das Bewusstsein kultureller und historischer Zusammengehörigkeit eine maßgebliche Rolle. Aus diesem Grund hält das Präsidium die Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union nicht für die sachgerechte Lösung, sondern plädiert für eine enge Partnerschaft.
6. Die Wertprämissen der Europäischen Union müssen sich ausweisen in der praktischen Gestaltung der Politik. Hier ist an erster Stelle der Respekt vor der unteilbaren und unantastbaren Würde des Menschen zu nennen. Die Bestimmungen des Verfassungsvertrags zum Lebensschutz müssen schon jetzt den festen Bezugsrahmen für politische Entscheidungen im Rahmen der Union bilden. Das gilt z. B. für das Verbot der Selektion menschlichen Lebens und der so genannten verbrauchenden Embryonenforschung. Die Forschungspolitik der EU darf nicht unter Berufung auf den medizinischen Fortschritt ethisch umstrittene Forschungen Vorschub leisten und gegebenenfalls die Gesetzgebung der Mitgliedsländer unterlaufen.
7. Von großer Bedeutung ist die Verantwortung der EU für ein familienfreundliches Europa. Die Familien sind die tragenden Säulen des europäischen Sozialmodells. Sie sind die Quellen individueller Zuversicht und die Garanten der Zukunft einer Zivilisation. Wir plädieren nicht dafür, die Zuständigkeit der Nationalstaaten auf dem Gebiet der Familienpolitik durch die EU zu ersetzen. Wohl aber muss die EU der Tatsache Rechnung tragen, dass EU-Richtlinien und -Verordnungen oft indirekte Auswirkungen auf die Situation von Ehen und Familien haben. Eine europäische Familienstrategie kann mithelfen, die wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Rahmenbedingungen der Familien in der europäischen Gesellschaft zu verbessern.
8. Die Europäische Union ist nicht Selbstzweck. Sie ist ein Baustein zum Aufbau der weltweiten Völkerfamilie. Ihre außenpolitische Rolle bemisst sich an ihrer Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. In dreifacher Richtung muss heute die EU tätig werden: 1. hinsichtlich der Fortentwicklung des Völkerrechts im Sinne wirksamer Friedenssicherung und Durchsetzung der Menschenrechte; 2. hinsichtlich der verstärkten Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung im Rahmen einer armutsorientierten Entwicklungsstrategie; 3. als Vorkämpferin einer neuen Weltordnung, die Kooperationsmechanismen und Institutionen vorsieht, die auf dem Gebiet des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, der internationalen Finanzmärkte, der Kommunikationsmittel, des Umweltschutzes und der internationalen Sicherheit einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Staaten sichern helfen.
9. Wenn das europäische Projekt nicht scheitern soll, muss das Prinzip der Subsidiarität konsequent angewandt werden. "Brüssel" darf nicht Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten an sich ziehen, die auf die nationale oder regionale Ebene gehören. Heute bietet die EU oft das Erscheinungsbild einer Bürokratie, die sich von den Interessen der Menschen mehr und mehr entfernt hat. Das Nein der Franzosen und Niederländer war auch ein Nein zu einem technokratischen und bürokratischen Europa. Die Krise, in der sich Europa befindet, kann heilsam sein, wenn sie zu mehr Demokratie und Transparenz in den Strukturen und Verfahren der EU führt. Dadurch würde Europa von einem Projekt der "politischen Klasse" wieder mehr zur Sache der Bürgerinnen und Bürger.
"Manifest für ein europäisches Bewusstsein", Erklärung des Präsidenten der Semaines Sociales de France und des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 11. Mai 2000
"Zur Arbeit des Europäischen Konvents für die Zukunft Europas. Für eine wertgebundene europäische Verfassungsordnung", Beschluss der Vollversammlung des ZdK vom 22. November 2002
"Politische Erklärung des ZdK aus Anlass der sechsten Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004", Beschluss des Hauptausschusses des ZdK vom 7. Mai 2004
Beschlossen vom Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 4. Juli 2005