Millenniumsentwicklungsziele

Deutsche Übersetzung der in englischer Sprache gehaltenen Rede von Eveline Herfkens im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Als im September 2000 auf dem UN-Millenniumsgipfel 189 Regierungen von Nord und Süd als Repräsentanten ihrer Bürgerinnen und Bürger die Millenniumserklärung unterzeichneten, war Dringlichkeit geboten. Dringlichkeit, 'unsere Mitmenschen, Männer, Frauen und Kinder, aus den elenden und entmenschlichenden Bedingungen extremer Armut zu befreien, denen mehr als eine Billion Menschen derzeit unterliegen'. Sie vereinbarten eine stärkere Zusammenarbeit, um bis zum Jahre 2015 eine sicherere, wohlhabendere und gerechtere Welt für alle Bürger zu schaffen. Es wurden acht Millenniumsziele verabschiedet, die eine auf die Bevölkerung ausgerichtete Entwicklungspolitik ins Zentrum globaler, nationaler und lokaler Politik stellen.

Diese Ziele verpflichten die reichen und die armen Länder zum Kampf gegen Armut und Hunger, Geschlechterdiskriminierung und Umweltzerstörung. Die Ziele sollen gewährleisten, dass Bildung, Gesundheits- und Wasserversorgung bis zum Jahr 2015 für alle Menschen zugänglich sind. Seitdem haben die Millenniumsziele wegen ihrer Einfachheit, Messbarkeit und Erreichbarkeit einen katalytischen Effekt auf globale Entwicklung ausgeübt. Die Millenniumsziele sind nicht nur "gute Nachrichten für die Armen", sie sollen eine bessere und sicherere Welt für alle sicherstellen.

Es ist erstaunlich, die Millenniumserklärung zu vergleichen mit dem Text von Papst Paul VI. aus dem Jahre 1967 Development Miles stone (Encyclica Populorum Progressio über die Entwicklung der Völker) und anzuerkennen, in welchem Maß diese immer noch die Nord-Süd-Problematik zum Ausdruck bringen.

Meines Erachtens spiegeln die Millenniumsziele vollständig die Vision von Papst Paul VI. bezüglich der Entwicklungspolitik wider. In den Worten Seiner Heiligkeit:
"Freisein von Elend, Sicherung des Lebensunterhalts, Gesundheit, feste Beschäftigung, Schutz vor Situationen, die seine Würde als Mensch verletzen, ständig wachsende Leistungsfähigkeit, bessere Bildung, mit einem Wort: mehr arbeiten, mehr lernen, mehr besitzen, um mehr zu gelten. Das ist die Sehnsucht des Menschen von heute, und doch ist eine große Zahl von ihnen dazu verurteilt, unter Bedingungen zu leben, die dieses Verlangen illusorisch machen. (…) Wenn (…) die Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, nicht genutzt werden, so führt dies notwendig zur Verschärfung der Ungleichheiten, nicht zur Entspannung, zum Missverhältnis im Lebensstandard: die reichen Völker erfreuen sich eines raschen Wachstums, bei den armen geht es nur langsam voran."
Im Rahmen der Millenniumsziele verpflichteten sich die Entwicklungsländer, Regierungsführung zu verbessern und weit reichende Reformen durchzuführen, indem sie ihre Ressourcen in Richtung der ersten sieben Ziele leiten. Auf der anderen Seite versprachen Industrieländer, ihre Entwicklungshilfe zu erhöhen, den armen Staaten ihre Schulden schneller und umfangreicher zu erlassen und den Zugang der Entwicklungsländer zu Handel und Technologien zu erleichtern (siehe Ziel 8). Papst Paul VI. hatte bereits im Jahr 1967 in seiner Erklärung die "raison d’etre" für das achte Ziel identifiziert und ausgesprochen:

"Diese Pflicht betrifft an erster Stelle die Begüterten. Sie wurzelt in der natürlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit der Menschen, und zwar in dreifacher Hinsicht: zuerst in der Pflicht zur Solidarität, der Hilfe, die die reichen Völker den Entwicklungsländern leisten müssen; sodann in der Pflicht zur sozialen Gerechtigkeit, das, was an den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den mächtigen und schwachen Völkern ungesund ist, abzustellen; endlich in der Pflicht zur Liebe zu allen, zur Schaffung einer menschlicheren Welt für alle, wo alle geben und empfangen können, ohne dass der Fortschritt der einen ein Hindernis für die Entwicklung der anderen ist. Diese Angelegenheit wiegt schwer; von ihr hängt die Zukunft der Zivilisation ab."

Wenn wir auf den Status der Ziele von einer globalen Perspektive aus schauen, so zeigen die Fortschritte zur Erreichung der Ziele einige viel versprechende Resultate: Eine signifikante Zahl von Ländern befindet sich im Prozess zur Erreichung mindestens teilweise der durch die MDGs gesetzten Zielsetzung.

Wenn es auch Fortschritte gibt, so sind diese doch unzureichend. Die Situation in Afrika südlich der Sahara und in den am wenigsten entwickelten Ländern ist besonders besorgniserregend. Aber selbst dort, bei den zehn am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) ist es möglich, Ziel 2 zu erreichen, so dass alle ihre Kinder zur Schule gehen können. Tansania ist auf dem Weg, das Wasserziel zu erreichen; Uganda und Senegal haben die Möglichkeit, die Aids-Pandemie abzuwenden; und für Mosambik sind die Ziele der Armutsreduzierung und der Kindersterblichkeit in Reichweite. Erfolgsgeschichten können einfach erklärt werden als Fälle, wo der globale Pakt implementiert ist. Die betroffenen Regierungen betreiben vernünftige, gute Politiken und die reichen Länder waren relativ generös und hilfsbereit bei der Unterstützung und dem Schuldennachlass. So kann also das globale Miteinander funktionieren, wenn beide, die Regierungen der reichen und der armen Länder, die eingegangenen Versprechen einhalten. Wenn ich hier davon berichte, dass einige der ärmsten Länder im Afrika der südlichen Sahara einige Ziele erreichen können, so will ich nicht den Glauben verbreiten, dass die Ziele insgesamt im Afrika südlich der Sahara und in den am wenigsten entwickelten Ländern erreichbar sind. Die Herausforderung besteht darin zu bewerkstelligen, dass alle Regierungen die eingegangenen Versprechen einhalten. Die Vereinten Nationen (UN) können eine Plattform für Regierungen zur Verfügung stellen, damit diese sich einigen und Vereinbarungen treffen, aber die Vereinten Nationen können die Ziele nicht durchsetzen. Nur die Parlamentarier und Bürger der Länder, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind, können ihre Regierungen verantwortlich machen. In diesen Prozessen können Kirchen, wie uns das Jubeljahr 2000 gezeigt hat, eine Schlüsselrolle spielen. Kirchen sind das Gewissen der Gesellschaften bezüglich der sozialen Gerechtigkeit. Mit ihrer Caritas und ihrer Entwicklungshilfe tragen Kirchen sicherlich dazu bei, die MDGs zu erreichen. Obwohl diese Anstrengungen das Leben von zehntausenden von Menschen verbessern, können sie jedoch nie den Mangel an Tätigkeit der Regierungen kompensieren, angesichts von 1,2 Billionen Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen. Deshalb müssen, wie es im Fall des Eintretens für das Jubeljahr 2000 erreicht wurde, Sozial- und Wirtschaftspolitik auf nationalem und internationalem Niveau sicherstellen, dass es gerecht und fair zugeht anstatt weiter zur Verarmung beizutragen.

Die MDGs erkennen ausdrücklich an, dass die Beseitigung der Armut nur durch eine globale Partnerschaft für Entwicklung erreicht werden kann. In dieser globalen Partnerschaft gibt es aber ein zentrales Defizit. Während für die armen Länder spezifische Ziele und feste Termine für die Erreichung der Ziele 1 bis 7 vereinbart wurden, gibt es für die reichen Länder und das Ziel 8 nicht solche festen Bezugspunkte bezüglich der Erreichung der Ziele oder der Überwachung spezifischer Termine. Lediglich jüngste Debatten wurden im Rahmen der OECD/DAC initiiert mit Blick auf feste Bezugspunkte und Überwachung der Anstrengungen der reichen Länder.

Papst Paul VI. und die Katholische Kirche haben immer wieder betont: "Es ist eine schwere Verpflichtung der hoch entwickelten Länder, den aufstrebenden Völkern zu helfen."
Lassen Sie mich nun den Schwerpunkt legen auf die Frage, was diese globale Verpflichtung für reiche Länder, insbesondere für Deutschland, bedeutet (gemäß der neuesten
OECD/DAC-Bewertungen).

Entwicklungshilfe: Umfangreicher und effektiver

Quantität der Entwicklungshilfe
Die Geberländer der Welt sind heute reicher als je zuvor. Das verfügbare Eigentum pro Person hat sich in den Jahren zwischen 1961 und 2000 mehr als verdoppelt. Dagegen sind die Mittel, die pro Person gespendet werden, heute geringer als noch vor vier Jahrzehnten. Umgerechnet auf die einzelne Person wird gegenwärtig weniger gegeben als noch vor Dekaden. Die gute Nachricht besteht darin, dass nach dem Konsens von Monterrey, die ODA-Quote (official development assistance) seit 2002 wieder beginnt zu steigen, nachdem sie über nahezu eine Dekade hinweg gefallen ist. Aber lediglich 0,25 % des Bruttosozialproduktes anstatt der vereinbarten 0,7 % werden tatsächlich zur Verfügung gestellt. Aber selbst wenn die Vereinbarungen eingehalten werden, wird die ODA-Quote noch weit entfernt sein von der Summe der Geldmittel, die Weltbank und Millenniumsprojekt als erforderlich einschätzen, um die MDGs tatsächlich zu realisieren.

Vor einigen Jahrzehnten kamen die EU-Mitgliedsstaaten überein, langfristig 0,7 % ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. In Monterrey verpflichteten sich diejenigen EU-Staaten, deren Entwicklungshilfebeitrag unter dem EU-Durch-schnitt von 0,39 % des Bruttosozialeinkommens liegt, ihre Ausgaben innerhalb eines konkreten Zeitplanes bis zum Jahr 2006 auf mindestens diesen Durchschnitt zu erhöhen. Dieser Durchbruch wurde für die EU-Mitgliedsstaaten im Barcelona-Abkommen in 2001 geschaffen noch vor dem Monterry-Abkommen, das die Finanzierung der Entwicklungshilfe betraf.
Fünf europäische Länder (Schweden, Norwegen, Holland, Dänemark, und Luxemburg) haben bereits die 0,7 %-Verpflichtung mit einem Prozentsatz von 0,8 bis 1 % übertroffen. Vier weitere Länder (Irland 2007, Belgien, Finnland bis 2010 und Frankreich bis 2012) haben sich verpflichtet, 0,7 % bis zu einem konkreten Datum zu erreichen. Alle anderen einschließlich Deutschland haben versprochen, auf dem Weg zu den anvisierten 0,7 % des Bruttosozialproduktes zumindest bis zum Jahr 2006 einen Durchschnitt von 0,33 % zu erreichen.

Die deutsche Entwicklungshilfe wuchs in den letzten Jahren nur langsam: von 0,26 % des Bruttosozialprodukts im Jahr 1998 auf 0,28 % im Jahr 2004. Mit diesen Zahlen befindet sich Deutschland im unteren Drittel der EU, zusammen mit Österreich, Griechenland, Portugal, Italien und Spanien. Wie Horst Köhler sagte: "Dies ist die gleiche Menge, wie die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen für Kohlesubventionierungen aufbringen. Jeder, der die wirklichen Ursachen und Schuldigen für das Unrecht dieser Welt sucht, sollte sich wenigstens diese Zahlen vor Augen halten. Sie sind eine konkrete Aussage über die gegenwärtigen Sozialpräferenzen in Deutschland."

Deutschland hat Ambitionen, Mitglied im Weltsicherheitsrat zu werden, und eine der Empfehlungen aus dem Bericht des Generalsekretärs für die Reform des Weltsicherheitsrates ist hier besonders bedeutsam. Der Bericht empfiehlt, dass Reformen sich fokussieren auf die zunehmende Beteiligung an Entscheidungen, die jene Mitgliedsstaaten treffen, die am meisten zu den Vereinten Nationen beitragen. Und speziell nennt der Bericht dann: "Unter den entwickelten Ländern geht es um das Erreichen oder zumindest um substantielle Fortschritte hin zur internationalen Vereinbarung von 0,7 % des Bruttonationalproduktes für die ODA-Quote. Dies muss als ein bedeutsames Beitragskriterium betrachtet werden".

Die gegenwärtigen Zahlen für Großbritannien und Frankreich liegen bei 0, 36 % bzw.
0,42 %, und beide Länder haben sich verpflichtet, bis zum Jahr 2012/2013 die 0,7 %- Richtlinie zu erreichen. Deutschland, als Mitglied der EU, versprach, sowohl auf dem EU-Gipfel in Barcelona als auch auf dem Monterrey-Gipfel zur Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit bis zum Jahr 2006 ein Minimum von 0,33 % zu erzielen. Selbst wenn es diese Zahl erzielt, bleibt es weiterhin im unteren Feld der EU in Bezug auf bilaterale öffentliche Entwicklungszusammenarbeit.

Zudem hat Deutschland sich noch nicht verpflichtet, die 0,7 %-Richtlinie zu erreichen, trotz der wiederholten Aussagen von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, dass die Regierung die 0,33 %-Marke nur als ein Zwischenziel ansieht, um langfristig die 0,7 %-Vereinbarung zu erfüllen.

Qualität der Entwicklungshilfe

Die Herausforderung zu qualitativer und effektiverer Entwicklungshilfe ist ebenso bedeutsam wie das ODA-Volumen. Zu viel bilaterale Hilfe ließ sich leiten durch strategische geopolitische Zielsetzungen hin zu Ländern, die keine externe Hilfe benötigen, um die MDGs zu erreichen.
Außerdem werden Hilfsmittel oft zur Verfügung gestellt, um den Export des Geberlandes zu unterstützen und nicht um Armut zu verringern. Kein Wunder, dass die öffentliche Meinung von der Wirksamkeit der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nicht immer überzeugt ist. Aus diesem Grund sind die Millenniumsziele vielen nördlichen Ländern in Europa von großem Nutzen gewesen. Denn durch sie konnten Regierungen ihre Entwicklungshilfe neu rechtfertigen. Indem Maßnahmen zur Verringerung von Kindersterblichkeit oder zur Verbesserung von Grundschulausbildung unterstützt wurden, änderte sich auch das zuweilen bestehende Bild von Entwicklungshilfe, demnach diese korrupten Regierungen zugute kommt.

Um die Wirksamkeit der Hilfsmittel zu erhöhen, sollten die Geberländer sich auf die armen Länder der Welt konzentrieren, Hilfe zur Selbsthilfe leisten, ihre Aktionen koordinieren, Hilfsmittel nicht an politische oder wirtschaftliche Ziele binden und schließlich die Millenniumsziele in das Zentrum aller Unterstützungsmaßnahmen stellen.

● Die armen Länder ins Zentrum der Entwicklungshilfe
Geberländer sollten öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu den armen Ländern lenken, insbesondere zu den südlich der Sahara liegenden Staaten, da diese Hilfe am meisten benötigen. Von den Staaten dieser Region sollten wiederum jene Hilfe erhalten, die am besten regiert werden. Momentan geht von Deutschland zu viel Entwicklungshilfe an weniger bedürftige Länder aus, die keine externe finanzielle Hilfe benötigen, um die Millenniumsziele zu erreichen (wie z.B. China und Marokko).

● Eigenverantwortung der Entwicklungsländer respektieren
Die Hilfsmittel sollten lokale Strategien und Politiken unterstützen und durch tatsächlich bestehenden Bedarf gelenkt sein. Geberländer müssen den grundlegenden Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Grundprinzip der Entwicklungszusammenarbeit verstehen: Es sind nicht sie, welche die Nehmerländer entwickeln, sondern es sind diese Länder selber.
So schrieb auch Papst Paul VI.: "Weil die Völker die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben. Regionale Übereinkünfte unter den schwachen Völkern zu gegenseitiger Unterstützung, umfassende Hilfeleistungsabmachungen und noch gewichtigere Zusammenschlüsse und gemeinsame Vorhaben sind sozusagen Meilensteine auf dem Weg zur Entwicklung, der auch zum Frieden führt."

Deutschland legt in seiner Politik großen Wert auf die Kontrolle seiner Entwicklungshilfe. In der Praxis wurden Deutschlands Entwicklungshilfemechanismen aber noch nicht ausreichend reformiert, um diese Kontrolle zu maximieren. Um dies zu verbessern, sollte Deutschland seine Präsenz auf diesem Gebiet verstärken.

● Die MDGs zum Fokus aller Hilfe machen
Wahrscheinlich brauchen wir diese weitere Reorientierung unserer Hilfsprogramme und unserer Budgets. Jedenfalls ermöglicht die Verwendung der Geldmittel den Nachweis für die Steuerzahler, dass die Hilfe effektiv ist und ankommt.



● Harmonisierung der administrativen Prozeduren
Die komplizierten Verfahren der Geberländer, die die institutionellen Kapazitäten der armen Länder überladen und Transaktionskosten unnötig in die Höhe treiben, müssen harmonisiert und vereinfacht werden. Die Erfolge der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit sind häufig dadurch geschwächt, dass die verschiedenen Akteure die Anforderungen an die Hilfe unnötig erschweren. Wegen dieser unterschiedlicher Abläufe mussten Länder wie Tansania jährlich mehr als 2000 Berichte erstellen, nur um die Entwicklungshilfe gegenüber den unterschiedlichen Geberländern zu rechtfertigen.

Und wieder ist die Erklärung von Papst Paul VI. von ausgesprochener Bedeutung: "Garantien für eine geplante und wirksame Verwendung der Kredite könnten denen gegenüber übernommen werden, die Hilfe leisten. Denn es kann sich nicht darum handeln, Bequemlichkeit und Schmarotzertum zu unterstützen. Die Empfänger könnten verlangen, dass man sich nicht in ihre Politik einmische, dass man ihre soziale Ordnung nicht in Unordnung bringe. Sie sind souverän, und es ist ihre Sache, die eigenen Angelegenheiten selbst zu führen, ihre Politik selbst zu bestimmen, sich nach eigenem Ermessen frei eine Staatsform zu wählen. Es geht also darum, eine freie Zusammenarbeit zustande zu bringen, in gleichberechtigter Partnerschaft eine wahrhaft menschenwürdige Gemeinschaft zu schaffen."
Geber müssen solche Verfahrenstechniken mit den Systemen der Partnerländer harmonisieren, um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern. Deshalb verabschiedeten bilaterale Geberländer, Leiter multilateraler Institutionen und Partnerländer im Februar 2003 die "Harmonisierungserklärung von Rom". Das zweite "high
level forum" über Harmonisierung, Ausrichtung und Wirksamkeit der Hilfe in Paris im vergangenen März rief zum Handeln auf. Es fehlt jedenfalls an der Implementierung, insbesondere innerhalb der Europäischen Union.

Im Hinblick auf Deutschland erfordert dies eine bessere Zusammenarbeit, wenn nicht sogar eine Fusion der unterschiedlichen Entwicklungsinstitutionen mit ihren unterschiedlichen Finanzierungsinstrumenten, Richtlinien und Rechenschaftspflichten. Bis heute werden technische Unterstützung und finanzielle Hilfsmittel von unterschiedlichen Institutionen (vor allem GTZ und KfW) geliefert, was zu großen administrativen Belastungen und hohen Transaktionskosten für die Empfänger führt. Deutschland zögert, das finanzielle Management den Empfängern zu überlassen und ist deshalb sehr zurückhaltend, mit anderen Gebern in sektorweiten Initiativen zusammenzuarbeiten oder in gemeinsame Gebertöpfe einzuzahlen. Man muss allerdings hinzufügen, dass in letzter Zeit in verschiedenen Aussagen ein verstärkter Gebrauch dieser Instrumente in Aussicht gestellt wurde.

● Leistungen der Entwicklungshilfe müssen ungebunden vergeben werden
Leistungen der Entwicklungshilfe, die an den Erwerb von Produkten und Dienstleistungen in Geberländern gebunden werden, sind nach Weltbankberichten zu 25 % weniger effektiv als ungebundene Hilfe. Derlei Hilfeleistungen sind für den Empfänger kostspielig, sie beschränken dessen Möglichkeit, die Ressourcen maximal zu nutzen und leisten der Korruption Vorschub.

Laufende lokale Kosten sollten bei der Bereitstellung der Hilfe berücksichtigt werden; Berichte über Budgets sollten mitfinanziert werden. Um insbesondere die Ziele in den Bereichen Gesundheit und Bildung erreichen zu können, bedarf es unter anderem der Finanzierung von Lehrern, Krankenschwestern sowie der Bereitstellung von medizinischen und pädagogischen Hilfsmitteln.
Hinzu kommt, dass Deutschland, anders als Großbritannien, Hilfsmittel noch nicht von Bedingungen gelöst hat. Bis heute werden große Beträge für die hohen Kosten (deutscher) expatriierter technischer Unterstützung aufgewendet. Nachdem auch die Europäische Kommission beschlossen hat, dass eine solche Praxis mit europäischer Wettbewerbspolitik nicht vereinbar ist, gibt es nun großen Spielraum für eine Führungsrolle der OECD/DAC, um weitere internationale Vereinbarungen zur Loslösung der Hilfsmittel voranzubringen.

Schuldenerlass

Die katholische Kirche spielte in der Jubiläumskampagne eine Schlüsselrolle. Die starke Rolle des Vatikans für einen Schuldennachlass für die ärmsten Länder war eine wesentliche Kraft für den Erfolg der Kampagne.
Lassen Sie mich an drei sehr wichtige Stellungnahmen des Vatikans erinnern, die in dem Kampf für den Schuldennachlass eine Schlüsselrolle gespielt haben:
"Für bestimmte Entwicklungsländer sind die Höhe der bestehenden Schulden und insbesondere die jährlichen Zahlungsverpflichtungen so hoch, verglichen mit ihren finanziellen Möglichkeiten, dass sie diese Verpflichtungen nicht erfüllen könnten, ohne ernsthafte Beschädigung ihrer eigenen Ökonomien und des Lebensstandards der Bevölkerungen, insbesondere der ärmsten. Die kritische Situation ist durch externe Umstände entstanden … Internationale Solidarität führt zu einigen dringenden Maßnahmen, die zum Überleben dieser Länder ergriffen werden müssen".

"Die Rückzahlung der internationalen Schulden kann nicht mit dem Preis des Scheiterns der Wirtschaft eines Landes erkauft werden, und moralisch kann keine Regierung Entbehrungen von einer Bevölkerung verlangen, die unvereinbar sind mit der Würde der Person."
Die Bitte des Papstes für den Schuldenerlass fiel glücklicherweise in die Feiern des großen Jubiläums zum Jahr 2000 im Geist der biblischen Jubeljahre, die in einem Brief von Papst Johannes Paul II. wie folgt beschrieben wurden: "Das Jubeljahr bedeutete, dass zwischen allen Kindern Israels Gleichberechtigung wieder hergestellt wurde, dass neue Möglichkeiten den Familien angeboten wurden, die ihr Eigentum und ihre persönliche Freiheit verloren hatten. Andererseits war das Jubeljahr eine Ermahnung an die Reichen, dass Israel nach der Sklavenzeit einmal Gleichberechtigung zurückbekommen und fähig werde, seine Rechte einzufordern. Gerechtigkeit, im Einklang mit dem Gesetz Israels, besteht vor allem im Schutz der Schwachen."

Die Internationale Erlassjahrkampagne Jubilee 2000 traf auf breite Unterstützung in Deutschland, die dazu führte, dass die deutsche Regierung auf dem G7-Gipfel in Köln im Juni 1999 dafür plädierte, diese HIPC-Initiative zu stärken. Allerdings gibt es noch viel Spielraum für eine weitere Unterstützung der Kampagne. Es ist ebenso noch viel Spielraum für Deutschland, Führung zu übernehmen für eine weitere Verbesserung der HIPC-Initiative und für die Sicherstellung eines ausreichenden Schuldennachlasses (für einige der ärmsten Länder 100 %-Nachlass) von sowohl bilateraler als auch multilateraler Verschuldung, der es diesen Ländern erlaubt, in öffentliche Güter zu investieren, damit die MDGs erreicht werden können.

Handel

Zwischenstaatlicher Handel hat enormes Potential, Armut weltweit zu verringern und Wirtschaftswachstum zu fördern. Eine Steigerung des Anteils der Entwicklungsländer an den Weltexporten um ein Prozent würde 128 Millionen Menschen aus der Armut befreien. Aber die derzeitige Handelspolitik benachteiligt Entwicklungsländer und verhindert deren Teilnahme an der globalen Marktwirtschaft.

So hat auch Papst Paul VI. festgestellt: "Auch beträchtliche Anstrengungen, um den Entwicklungsländern finanziell und technisch zu helfen, sind umsonst, wenn ihre Früchte zum Teil durch das Spiel des freien Handels zwischen den reichen und armen Ländern zunichte gemacht würden. Das Vertrauen der armen würde erschüttert, wenn sie den Eindruck gewännen, dass die eine Hand nimmt, was die andere gibt.

Hauptpunkte sind hier die Agrarpolitik und der Marktzugang.

Agrarpolitik

Jene handelsverzerrende Politik findet man besonders im Agrarsektor. Viele Entwicklungsländer hängen noch immer besonders von der Landwirtschaft ab.

Drei Viertel der 900 Millionen weltweit ärmsten Menschen leben in ländlichen Gebieten und hängen direkt von der Landwirtschaft oder diesbezüglichen Tätigkeiten ab. Reiche Länder - und die EU gehört zu den stärksten Protagonisten - bewilligen umfassende Unterstützungsmaßnahmen für ihre Landwirte und zahlen ihnen jährlich $ 300 Milliarden.

Diese Beihilfe führt zur weltweiten Überproduktion, die effektiv die Weltpreise niedrig hält, Märkte in armen Ländern überschwemmt und die Wettbewerbsmöglichkeiten und Anreize für Landwirte in den sich entwickelnden Gesellschaften untergräbt. Die Agrarpolitik der OECD-Länder kostet Konsumenten und Steuerzahler rund $ 300 Milliarden pro Jahr, das ist sechs mal soviel wie die Entwicklungszusammenarbeit.

Eine Reform in der Agrarpolitik würde die Höhe der Unterstützungsgelder erheblich senken und damit Hunderte von Milliarden Dollar freisetzen, die Belastung von Verbrauchern und Steuerzahlern verringern und gleichzeitig dabei helfen, nachteilige Handelsbarrieren und Subventionierungen zu beseitigen. Da zwei Drittel der weltweit Armen in ländlichen Gebieten leben und von der Landwirtschaft abhängen, ist die Beendigung der Verzerrung von internationalen und lokalen Agrarmärkten ein entscheidender Schritt, um das erste Millenniumsziel zu erreichen.

Marktzugang

Entwicklungsländer sehen sich immer noch mit Marktbeschränkungen konfrontiert. Trotz beachtlicher Liberalisierungsbemühungen in den letzten Jahrzehnten sind Handelsbarrieren immer noch hoch, insbesondere für arbeitsintensive Güter und Dienstleistungen, in denen Entwicklungsländer einen Wettbewerbsvorteil besitzen.

Exportprodukte aus armen Ländern werden durch hohe Zölle (insbesondere auf Agrarprodukte, Textilien und Kleidung) und durch die Erhöhung von Zöllen vom Weltmarkt ausgeschlossen. Die Barrieren für Produkte aus Entwicklungsländern sind doppelt so hoch wie jene für Industrieländer. Die Senkung von Zollhöchstsätzen auf Exportgüter, die für arme Länder von Interesse sind, ist essentiell, wenn sie die Chance bekommen sollen, sich einen Weg aus der Armut "herauszuhandeln".

Auch in dieser Hinsicht sind die Analysen von Papst Paul VI. immer noch gültig:

"Die hoch industrialisierten Nationen exportieren vor allem Fertigprodukte, während die unterentwickelten Wirtschaften nur Agrarprodukte und Rohstoffe exportieren können. Dank dem technischen Fortschritt steigen jene rasch im Wert und finden einen guten Absatz. Dagegen unterliegen die Erstprodukte der unterentwickelten Länder breiten und jähen Preisschwankungen. An eine fortschreitende Wertsteigerung ist gar nicht zu denken."

Deutschland und andere OECD-Staaten müssen konkrete Schritte unternehmen, um die Doha-Entwicklungsrunde wieder auf die Beine zu stellen und die Handelspolitik zu verbessern, damit sichergestellt werden kann, dass Entwicklungsländer vom Handelsystem profitieren. Die Doha-Entwicklungsrunde versprach die erste Runde von Handelsverhandlungen zu sein, an denen Entwicklungsländer nicht nur als Bettler am Festmahl teilnehmen würden.

Ich beglückwünsche die deutsche Regierung zu ihren Bemühungen um Kohärenz beim Thema Handel sowie zu ihrer offenen Position. Ich zitiere häufig Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul: "Exportsubventionen für Agrarerzeugnisse sind ein kontinuierlicher Schlag ins Gesicht für Entwicklungsländer" und "es ist ein absoluter Skandal, dass Industrieländer sich gegenseitig niedrigere Zölle auferlegen als auf Waren, die sie aus Entwicklungsländern importieren." Deutschlands Absicht, Agrarsubventionen im Rahmen der Verbesserung der gemeinsamen Agrarpolitik (CAP) zu verringern und dies nicht nur für Baumwolle, sondern für alle Produkte, die für die Landwirte armer Länder relevant sind, ist von großer Bedeutung, um die Millenniumsziele zu erreichen. Aus diesem Grund zähle ich auf die Rolle Deutschlands innerhalb der EU, um die Doha-Entwick-lungsrunde wieder auf die Beine zu stellen, insbesondere durch eine umfassende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik einschließlich des Zuckerregimes.

Schlussfolgerung

Im September d. J. werden die Staats- und Regierungschefs bei den Vereinten Nationen erneut zusammenkommen, um den Prozess hin zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele zu überprüfen. Im Vorfeld dieses Gipfels werden zum Ziel 8 verschiedene wichtige Entscheidungen getroffen: Beim EU-Ministerrat und beim G8-Gipfel. Die Millenniumsentwicklungsziele stehen ganz oben auf den Tagesordnungen dieser Treffen.
Deutschland ist ein kraftvolles Mitglied in all diesen Foren und muss eine Schlüsselrolle übernehmen, damit der September-Gipfel zu einem Erfolg wird.

Insbesondere hier in Deutschland haben die Kirchen eine günstige Gelegenheit, dazu beizutragen, dass die Stimmen der Armen in der Öffentlichkeit Widerhall finden, wenn es darum geht, Allianzen gegen die Armut in der Welt zu schmieden. Es kommt auch auf Ihren Beitrag an, damit die Millenniumsentwicklungsziele bis zum Jahr 2015 tatsächlich erreicht werden können. Lassen Sie mich ein Beispiel für eine Initiative geben, die durch den Weltkirchenrat lanciert wurde mit Empfehlungen, dass Kirchen ihre eigenen 2015-Ziele formulieren. Es handelt sich um folgendes Beispiel: Ermöglichen Sie und beteiligen Sie sich an Liturgien, die sich engagieren für Fragen von Armut und Gesundheit, und organisieren Sie mit an einem Weltkirchensonntag, der den Millenniumsentwicklungszielen gewidmet ist. Außerdem gibt das Jubiläumsjahr 2000 kraftvolle Beispiele kirchlicher Verkündigung und von Erziehungsprogrammen, die die Regierungen zum Handeln drängen.

Die 10 Jahre, die noch bis zum Jahr 2015 verbleiben, zeigen, dass die Zeit drängt. Doch es ist noch nicht zu spät, um zu handeln. Wir sind die erste Generation, die Armut beseitigen kann, und ich fordere Sie deshalb auf, diese Gelegenheit zu nutzen.

Und lassen Sie mich wiederum enden mit Papst Paul VI.: "Das Elend bekämpfen und der Ungerechtigkeit entgegentreten heißt nicht nur die äußeren Lebensverhältnisse bessern, sondern auch am geistigen und sittlichen Fortschritt aller arbeiten und damit zum Nutzen der Menschheit beitragen. Der Friede besteht nicht einfach im Schweigen der Waffen, nicht einfach im immer schwankenden Gleichgewicht der Kräfte. Er muss Tag für Tag aufgebaut werden mit dem Ziel einer von Gott gewollten Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt."

Eveline Herfkens, Generalsekretariat der Vereinten Nationen, UN-Sonderbeauftragte für die Millenniumsziele

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