Frieden braucht Entwicklung: Die Millenniumsentwicklungsziele verwirklichen!

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 29./30. April

Einleitung

Ein Drittel der Frist zur Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele zur weltweiten Armutsbekämpfung ist um. Auf dem UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 verabschiedeten 189 Staats- und Regierungschefs acht Millenniumsziele, die eine auf die Bevölkerung ausgerichtete Entwicklungspolitik ins Zentrum globaler, nationaler und lokaler Politik stellen. Diese Ziele verpflichten Entwicklungs- und Industrieländer zum Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheit, Geschlechterdiskriminierung und Umweltzerstörung. Mit Hilfe überprüfbarer Kriterien soll erreicht werden, dass Bildung, Gesundheits- und Wasserversorgung bis zum Jahr 2015 für alle Menschen zugänglich sind. Die acht Ziele lauten:

1. Extreme Armut und Hunger beseitigen: den Anteil der Menschen in absoluter Armut und Unterernährung auf die Hälfte senken
2. Grundschulausbildung für alle Kinder, Mädchen wie Jungen, gewährleisten
3. Frauen gleichstellen und fördern
4. Kindersterblichkeit um zwei Drittel senken
5. Müttersterblichkeit um drei Viertel senken
6. HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen
7. Nachhaltigen Umweltschutz einführen
8. Eine globale Partnerschaft für Entwicklungszusammenarbeit schaffen.



Die Millenniumserklärung geht von einer gemeinsamen Verantwortung der Industrie- und Entwicklungsländer für die Erreichung der Millenniumsziele aus.
Ohne gutes, am Gemeinwohl orientiertes Regierungshandeln in den Entwicklungsländern und ohne ein größeres finanzielles und solidarisches Engagement der Industrieländer, das auch auf gerechtere politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und faire Welthandelsbeziehungen achtet, lassen sich die (messbaren) Ziele bis 2015 nicht erreichen.

I. Die Millenniumsentwicklungsziele stützen Armutsbekämpfung und
Partizipation.

Wir beobachten in vielen Regionen der Welt eine Auflösung von Staatlichkeit, die mit Bandenkriegen, wirtschaftlicher Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen einhergeht und damit die Not der ärmsten Menschen verstärkt. Die Millenniumsentwicklungsziele setzen hier an, indem sie insbesondere die Hungerbekämpfung, den Zugang zu Grundbildung für alle, die Förderung und Gleichstellung von Frauen sowie die Gewährleistung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und zur Gesundheitsvorsorge sowie zu nachhaltigem Umweltschutz in den Mittelpunkt stellen. Dieses umfassende Konzept richtet den Blick auf zentrale Staatsaufgaben zur Sicherung der Lebensmöglichkeiten der armen Bevölkerung. Alle Erfahrung der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte lehrt, dass die Erfüllung dieser Aufgaben nicht ohne die unmittelbare, demokratische Beteiligung der Armen selbst und ihrer Selbstorganisationen möglich sein wird. Demokratie und Gerechtigkeit hängen zusammen. Armutsbekämpfung ist eng mit Geschlechtergerechtigkeit verknüpft. Die Ankündigung der Millenniumsziele und die bereits ergriffenen Maßnahmen haben zu ersten sichtbaren neuen Koalitionen in den Ländern des Südens geführt. Diese Koalitionen, in denen die Kirchen häufig eine tragende Rolle spielen, achten darauf, dass die Regierungen ihre Versprechen einlösen, setzen sich für die Rechte der Armen ein, tragen mit ihren Forderungen zur Stärkung junger Demokratien und zu einer Verbesserung der Regierungsführung bei.

II. Selbstverpflichtung der Industrieländer

Die Aufgaben der Industrieländer zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele bestehen einerseits darin, die eigenen Politiken so zu verändern, dass die fortdauernde Benachteiligung von Entwicklungsländern abgebaut wird. Andererseits gilt es, die nötigen Mittel zur Umsetzung der Millenniumsziele zur Verfügung zu stellen und die Regierungen und Zivilgesellschaften der Entwicklungsländer zu befähigen, die nötigen Entwicklungsprozesse eigenverantwortlich zum Wohl insbesondere der Armen und Benachteiligten zu gestalten. Dazu zählen im Einzelnen:
II.1. Schneller und umfassenderer Schuldenerlass

Die internationale Verschuldung der Entwicklungsländer trägt zu wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen bei, die für die armen Mehrheiten der Bevölkerung vieler Länder katastrophal sind. Vor allem zu ihren Lasten geht die Zurückzahlung der Kredite, aus deren Zustandekommen andere Nutzen zogen. Zentrale staatliche Aufgaben wie Infrastrukturmaßnahmen, Bildungs- und Gesundheitswesen werden zugunsten des Schuldendienstes massiv gekürzt, so dass arme Bevölkerungsgruppen immer weniger Zugriff darauf nehmen können.
Die durch die Entschuldungsinitiative aus dem Jahr 1999 angestoßene konditionierte, an klare Vergaberichtlinien gebundene Entschuldung der höchst verschuldeten ärmsten Länder hat bereits heute positive Auswirkungen: Einigen betroffenen Ländern ist es gelungen, die freiwerdenden Ressourcen und die gewonnene Haushaltsflexibilität für die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungswesens einzusetzen. Die Weltbank bestätigt, dass 40 Prozent der geschätzten Schuldeneinsparungen für Bildung und 25 Prozent für Gesundheitsvorsorge verwendet werden. Dies ist ein großer Fortschritt.
Dennoch stellt weiterhin die Auslandsverschuldung für die Entwicklungsländer ein großes Hindernis für die Entwicklung dar. Deshalb fordern wir einen weitergehenden Schuldenerlass, der die Einbeziehung zusätzlicher Länder erlaubt, und ein internationales Insolvenzverfahren, das faire und transparente Verhandlungen von Schuldnern und Gläubigern möglich macht. Schuldenerlasse dürfen nicht nur dazu dienen, akute Katastrophen wie die Folgen des Irak-Krieges oder das Seebeben in Südasien zu bewältigen. Die Schuldentragfähigkeit darf nicht weiterhin an die Exporterlöse gebunden, sondern muss so definiert werden, dass die betroffenen Länder zuerst die Forderungen der Millenniumsentwicklungsziele erfüllen und dann erst ihre freien Mittel in den Schuldendienst stecken.

II.2. Deutlich mehr finanzielle Mittel

Um Armut und Krankheit entsprechend der Millenniumsentwicklungsziele zu bekämpfen, sind laut Weltbank deutlich mehr finanzielle Mittel notwendig: ein Anstieg auf das Dreifache der derzeitigen finanziellen Entwicklungshilfe ist nötig, um die Entwicklungsländer aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien. Wir fordern daher von der Bundesregierung und dem Bundestag bis zum G8-Gipfel in Schottland die Aufstellung eines verbindlichen Zeitplanes im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung für die Realisierung der von Deutschland (wie von allen übrigen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen) eingegangenen Verpflichtung, 0,7 % des Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Zudem fordern wir, dass Deutschland bis 2010 einen Anteil von mindestens 0,5 % des Bruttonationalproduktes erreicht.
So positiv die geplante Erreichung von 0,33 % des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit im Jahre 2006 zu bewerten ist, so kritisch sehen wir den Umstand, dass dies vor allem durch die Hinzuziehung des Schuldenerlasses für den Irak erreicht wird. Für eine dauerhafte und qualitative Steigerung müssen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden.
Wir begrüßen, dass inzwischen der Gedanke der Besteuerung von nichtinvestiven internationalen Finanztransaktionen öffentlich ernsthaft diskutiert wird. Die Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten der für Entwicklung notwendigen Mittel ist langfristig wichtig, darf aber nicht davon abhalten, jetzt die ausstehenden Mittel zur Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele bereit zu stellen. Dies macht die Erhöhung des Haushaltes des BMZ unabdingbar.

II.3. Faire Handels- und Wirtschaftsbeziehungen

Wichtige Voraussetzung zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele sind nicht diskriminierende, gerechtere und faire Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern. Notwendige Schritte hierzu sind von Seiten der Industrieländer der Abbau des Protektionismus in seinen vielfältigen Formen, Verzicht auf Subventionen für nicht konkurrenzfähige Exporte, Handelserleichterungen für ökonomisch schwache Länder, Stabilisierung von globalen Finanz- und Währungsmärkten sowie mehr Mitspracherechte der Entwicklungsländer in internationalen Institutionen. Der Maßstab der Menschenrechte muss auch in Wirtschaftsbeziehungen und in privatwirtschaftlichem Handeln Geltung haben.

II.4. Die Bundesrepublik Deutschland muss eine aktivere Rolle übernehmen

Die Bundesregierung hat als ihren Beitrag zum Ziel, den Anteil extrem Armer an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 zu halbieren, das Aktionsprogramm 2015 aufgelegt.
Beim Aktionsprogramm 2015 handelt sich um einen innovativen Ansatz zur Verbreiterung der Armutsbekämpfung, es ist jedoch bislang keineswegs gelungen, das Potenzial des Programms tatsächlich auszuschöpfen. Das Aktionsprogramm 2015 darf nicht nur als Agenda für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gesehen werden, sondern es verlangt eine entwicklungspolitisch kohärente Gestaltung deutscher Politik insgesamt.
Deutschland muss zur Umsetzung der beschriebenen Maßnahmen für einen schnelleren und umfassenderen Schuldenerlass, für die Erhöhung der Finanzmittel sowie für faire Handels- und Wirtschaftsbeziehungen insbesondere in der Europäischen Union eine aktivere Rolle spielen.

III.

Dass die Millenniumsentwicklungsziele konkrete Aufgaben und überprüfbare Kriterien benennen, ist eine einmalige Chance für eine wirksame Armutsbekämpfung, die nicht vertan werden darf. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen, gerade auch kirchlich verankerte Akteure, werden ihre bisherige Arbeit für weltweite Gerechtigkeit im Rahmen der Anstrengungen zur Erreichung der Millenniumsziele verstärken.
Ein Drittel der Zeit ist nun um, zwei Drittel der Zeitspanne bis 2015 liegt vor uns, um eine Veränderung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zugunsten der Armen zu erreichen und damit einen wesentlichen Beitrag zu einem gerechten Frieden in der Welt zu leisten.

Beschlossen von der Vollversammlung am 30. April 2005

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