Lernen und Arbeiten im Lebenslauf - Teilhabefördernde Bildungspolitik als Aufgabe des Sozialstaates -

Impuls aus der Praktischen Arbeit von Birgit Zenker im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

TOP 2.
Redemanuskript:
Es gilt das gesprochene Wort

Berufsorientierte Bildung ist eine notwendige Bedingung, um Erwerbslosen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern. In vielen Fällen ist sie aber keinesfalls hinreichend. Gerade Langzeitarbeitslosigkeit ist häufig verbunden mit persönlichen Lebenskrisen, die ohne persönlichkeitsorientierte Bildung nur schwer zu beheben sind.

Persönliche Lebenskrisen als Folge von Langzeitarbeitslosigkeit sind geprägt
- von der Angst des sozialen Abstiegs und der damit verbundenen Gefahr der sozialen Ausgrenzung
- von dem Gefühl der Nutzlosigkeit und eines damit einhergehenden verminderten Selbstwertgefühles
- von dem Gefühl der Ausweglosigkeit verbunden mit der Empfindung ins Nichts entlassen worden zu sein

Ins Nichts entlassen worden zu sein bezieht sich nicht zuletzt auf das Ausgeschlossensein von sämtlichen Bildungsprozessen (das gilt nicht nur für die betriebliche Weiterbildung, sondern in vielen Fällen auch für Qualifizierungsmaßnahmen der BA bis hin zu sonstigen Bildungsangeboten, die sich ein Erwerbsloser in der Regel nicht leisten kann), was in der Konsequenz zu Dequalifizierung und gesellschaftlicher Desintegration führt. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sind davon immer mehr Menschen betroffen. Darüber hinaus ist es nachweisbar, dass mit der Dauer der Arbeitslosigkeit die Motivation nachlässt, Bildungsanstrengungen zu unternehmen - was wiederum in Korrelation zu einem verminderten Selbstwertgefühl steht.

Erfahrungen zeigen, dass der Teufelskreis von Langzeitarbeitslosigkeit, vermindertem Selbstwertgefühl und sinkender Bildungsmotivation am besten durchbrochen werden kann durch Angebote personenorientierter Bildung, die darauf ausgerichtet sind, den Betroffenen die strukturellen Gründe der Arbeitslosigkeit aufzuzeigen, eigene Kompetenzen sichtbar zu machen und Angst und Depression entgegen zu wirken. Gerade in der Bildungsarbeit mit Langzeitarbeitslosen, mit Menschen, die klassische Lernsituationen zunehmend meiden, weil sie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verloren haben, zeigt sich, dass durch das Entdecken des eigenen schöpferischen Potentials die persönlichen Handlungsräume erweitert und gesellschaftliche Zusammenhänge direkter erfahren werden. Vor allem in der politischen Bildung setzen wird deshalb zunehmend auf Kunst und Kreativität, allerdings nicht als Selbstzweck, sondern als Medium und Mittler auf dem Weg, komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge ganzheitlich erfahrbar zu machen. Kreative Methoden geben so oftmals denen eine Stimme, die sich sonst nicht (mehr) zu Wort melden.

In einem Kreativprojekt im Rahmen des Projektes „Nah Dran – Alternativer Sozialreport Deutschland“ der Stiftung ZASS (Zukunft der Arbeit und der Sozialen Sicherung) der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands stellten Langzeitarbeitslose mit Hilfe der Methoden „Plastisches Gestalten“ und „Video“ die subjektive Seite ihrer Arbeitslosigkeit dar. Entstanden sind ein Film und Drucke sowie laminierte Collagen, die die alltägliche Betroffenheit der Arbeitslosen auf den Punkt bringen und eindringlich aufzeigen, was es heißt, keine Erwerbsarbeit mehr zu haben: Arbeitslose verlieren Anerkennung, soziale Kontakte gehen zurück, das Selbstwertgefühl sinkt. Sie geraten immer mehr unter Druck und übernehmen irgendwann die Einschätzung anderer, irgendwie an ihrem Schicksal selber Schuld zu sein.

Mit großer Intensität verdeutlichen die Bilder und Filmaufnahmen diese in der Gesellschaft oft verdrängte Wirklichkeit. Die Drucke zeigen schwarze Löcher, Abgründe, Ausgrenzungen, Angst vor der Zukunft. Zerrissen, aus der Form gegangen, kurz vor der Explosion. Köpfe kehren als Motiv in vielen laminierten Collagen und Drucken immer wieder. Angst und beginnende Depression spiegeln sich in den düsteren Farben einiger Bilder und immer wieder die Bewegung nach unten; aber es werden auch Wege aus dem „Aufzug nach unten“ dargestellt.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen Resignation und Aufbruchstimmung zeigte sich für mich besonders deutlich in dem im Projekt entstandenen Film. Er trägt den bezeichnenden Titel „Klaus ist raus“. Im Stil der Sachgeschichten aus der Sendung mit der Maus, zeigt er, wie es einem ergehen kann, wenn man arbeitslos wird. Erfahrungen mit Ämtern, möglichen Arbeitgebern und Mitmenschen werden kurz und prägnant in Szene gesetzt. Aus der Perspektive des Autors schimmert aber nicht nur Pessimismus und Mutlosigkeit, im Verlauf des Films erfolgt auch eine Analyse der strukturellen Gründe für die Arbeitslosigkeit sowie die aktive Auseinandersetzung mit möglichen politischen Reformen.

Das Kreativprojekt unserer Stiftung hat insgesamt deutlich gemacht, dass durch die Förderung bisher unbekannter Potentiale/ Vermeidung klassischer Lernsituationen die Erwerbslosen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und damit Selbstbewusstsein, Mut und Zuversicht zurückgewinnen. Nicht zuletzt hat es denen über das Medium Kunst eine Stimme verliehen, die sich schon lange nicht mehr zu Wort gemeldet haben.

Bildung, ob berufsorientiert und/oder persönlichkeitsorientiert kann Erwerbsarbeitslosigkeit nicht verhindern. Bildung - verstanden als ganzheitliche Bildung - kann aber dem einzelnen zu gesellschaftlicher Integration verhelfen und damit einen wichtigen Beitrag für das Miteinander in unserer Gesellschaft leisten.

Nur wo Menschen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben, wo sie strukturelle Zusammenhänge erkennen, die ihr Leben und Arbeiten befördern oder behindern, wo sie auf der Grundlage ihrer Wertüberzeugungen sich als politisch handelnde Subjekte begreifen, kann ein auf Teilhabe und Teilnahme beruhendes, sozial gerechtes und demokratisches Gemeinwesen wachsen und gesichert werden. Bildung steht im Dienste von Teilhabe und Teilnahme, von Mündigkeit und Freiheit.

Entsprechend heißt es in der vorliegenden Erklärung „Aus der Pflicht und der Verantwortung sich lebensbegleitend (weiter) zu bilden, sind die Arbeitslosen nicht zu entlassen, vorsorgende Bildungs- und Sozialpolitik beweist sich allerdings darin, dass sie Rahmenbedingungen schafft, die die Fähigkeit des Einzelnen stärken, die Eigenverantwortung auch in kritischen Situationen zu tragen.“

Birgit Zenker

 

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