Was ist uns vom II. Vatikanischen Konzil geblieben?
von Dr. Walter Bayerlein vor der Gemeinsamen Konferenz der Katholischen Ärztearbeit Deutschlands und der St. Albertus-Magnus-Apothekergilde -es gilt das gesprochene Wort.
Enttäuschte Erwartungen oder Grund zum Optimismus
Anmerkungen eines engagierten Referenten
Mit dem gestellten Thema läßt sich mühelos eine ganze Akademieveranstaltung füllen, gerade mit Ihnen als kundigen Insidern.
Die Unterzeile des Themas, die bescheiden „Anmerkungen“ erwartet, entlastet mich jedoch: Ich muß nicht systematisch referieren und ich muß nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ja ich darf sogar in Manchem, vor allem aber in der Wahl der Akzente, subjektiv bleiben. Es darf ein Referat sein, das skizzenhaft einige Linien zieht und vielleicht auch die eine oder andere Provokation wagt. Ich möchte dies in folgenden Schritten tun: Zunächst möchte ich von einigen mir wichtigen Leitideen des II. Vatikanums sprechen, dann über den Versuch der „Eindeutschung“ des Konzils, d.h. über die Würzburger Synode, der ich ja selbst angehört habe, und was das päpstliche Lehrschreiben „Christifideles Laici“ fortgeschrieben hat. Sozusagen die „Theorie“, und dann, was in der „Praxis“ aus meiner Sicht verwirklicht, aber leider oft auch defizitär geblieben ist.
I.
Ich möchte versuchen, die Aussagen des II. Vatikanums - sozusagen zur programmatischen Erinnerung - knapp in 9 Leitideen zu fassen:
1. Das „Volk Gottes“ als Wesensbeschreibung von Kirche..
Dieses Wort vom "Volk Gottes" hat eine entscheidende Motivation für viele Glieder dieses Volkes gebracht, sich nicht mehr nur "kirchenamtlich versorgen" zu lassen, sondern sich mitverantwortlich zu fühlen.
Die Beschreibung der Kirche als Volk Gottes bringt die enge Zusammengehörigkeit aller Getauften und Gefirmten, aber auch ihre gemeinsame Verantwortung in Kirche und Welt sehr gut zum Ausdruck.
Damit hängt der Begriff des Laien eng zusammen. Das Wort "Laie" kommt bekanntlich vom griechischen Wort "laos" (Volk) .Er hat nichts mit Dilettantismus oder dem Nichtfachmann zu tun, der von nichts eine Ahnung hat. Laie ist also - positiv gesprochen - einer oder eine, die zum Volk Gottes gehört, nicht - negativ definiert - der Rest von Kirche, wenn man die geweihten Mitglieder abzieht. Das wäre so untauglich, wie wenn man die Bürgerinnen und Bürger eines Landes als die „Nichtbeamten“ definieren würde.
2. Berufen vom Herrn selbst.
Das Konzil lehrt : Der Laie ist berufen vom Herrn selbst in Taufe und Firmung.. Der christliche Laie tut seinen Dienst also nicht im Auftrag des Bischofs oder Pfarrers, sondern mit und neben ihnen aus originär eigener Berufung. Er unterzeichnet sein Lebenszeugnis nicht "i.A. bischöfliches Ordinariat" oder "i.A. Pfarramt", sondern "i.A. Christi“. Das macht insoweit einen großen Unterschied, als sich keiner und keine darauf hinausreden darf, es habe sie keiner gerufen.
3. Jeder Laie ist berufen.
Das Konzil lehrt, daß kein Glied der Kirche sich seiner Aufgabe in Kirche und Welt entziehen kann, „wer immer sie sein mögen“.
Wenn alle vom Herrn selbst zum Dienst in Kirche und Welt berufen sind, bleibt es eine wichtige Aufgabe, nicht nur auf die verbandlich organisierten und gewählten Laien zu setzen, sondern alle zu motivieren, mitzutun als Sauerteig in Kirche und Welt. Wer Sauerteig zu sein hat, darf nicht neben der Teigschüssel liegen bleiben !
Sauerteig zu sein ist nicht immer angenehm, weil man sich auch selbst Veränderungen aussetzt. Das Konzil überläßt Gesinnungswandel und Gesellschaftsveränderung nicht dem „Zeitgeist“, gleich welchen Vorzeichens, sondern fordert sie gerade von den Christen, allen Christen (GS Nr.26).
4. Der Laiendienst verwirklicht sich in Kirche und Welt.
In den Konzilstexten begegnet uns immer wieder dieses Wortpaar „in Kirche und Welt“, wenn von der Aufgabe der Laien gesprochen wird.
Heilsdienst (Aufbau der Kirche durch Verkündigung, Glaubenszeugnis und Sakramente) und Weltdienst (Verchristlichung der weltlichen Verhältnisse), gehören untrennbar zusammen. Sie eignen sich nicht zu einer "sauberen" Abgrenzung von Zuständigkeiten von Amtsträgern und Laien, nicht zum Abstecken von Revieren. Hier schadet der oft unreflektiert verwendete mehrdeutige Begriff der Pastoral. Meint man damit die Sorge für den ganzen Menschen, wie es das Konzil in Gaudium et Spes Nr.1 so aufrüttelnd formuliert hat. („Seelsorge“ ist dafür zu eng), ist dies eine Aufgabe der gesamten Kirche und all ihrer Glieder. Ordnet man Pastoral der Wortherkunft nach dem Pastor, d.h. nur dem Hirten zu, wird daraus eine Zuständigkeitsregel, die jede freie Initiative in der Kirche vereinnahmen kann, eine gefährliche Veramtlichung der Laienarbeit.
5. Berufen zum gemeinsamen Dienst.
Das Konzil empfiehlt den Zusammenschluß von Laien auf allen Ebenen, von der Pfarrei bis in den internationalen Bereich.
Die katholischen Verbände sind unverzichtbar. Wenn es sie nicht gäbe, müßte man sie gründen. Wo sie schwach sind, müssen sie gestützt werden. Geistliche Bewegungen sind dazu eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz.
Die Pfarrgemeinderäte leisten einen unverzichtbaren Dienst in der Mitverantwortung und Mitgestaltung des Gemeindelebens. Sie brauchen das Vertrauen des Pfarrers und über ihren Kreis hinaus viele engagierte Mitarbeiter in der Gemeinde, der sie dienen.
6. Berufung zur Heiligkeit und zur Heiligung der Kirche.
In LG Nr. 32 heißt es, daß „alle zur Heiligkeit berufen“ sind, eine wahrhaft radikale Forderung, die den meisten Laien eher quer zu ihrer Mentalität liegt: Engagement in der Kirche, gewiß, aber ein „Heiliger“ werden ? Eher nein ! Vielleicht kommt das daher, daß wir uns unter Heiligen nur ganz herausragende, offiziell heiliggesprochene Frauen und Männer vorzustellen gewohnt sind, ohnehin - obwohl es in letzter Zeit sehr viele davon gibt - nur wenige von ihnen „gewöhnliche Laien“ , meist Ordensgründerinnen, Missionare oder Bischöfe, Gegenstand der Verehrung mit Statue und Altarbild.
Von dieser verengten Sicht auf die „offizielle Heiligkeit“ muß man sich lösen, wenn man die provozierende Aussage des Konzils verstehen will.
„Heilig“ ist alles, was zu Gott gehört, also auch die Menschen, die sich bewußt in Kirche und Welt in seinen Dienst stellen.
Die Spiritualität der Laien ist dabei naturgemäß nicht einfach eine Kopie priesterlicher oder mönchischer Spiritualität - so sehr vieles daraus auch für Laien fruchtbar ist. Für den Laien, der in Familie, Beruf und sozialem Umfeld stärker der Welt zugewandt ist, stellt sich die Frage „wes Geistes Kind“ er ist, im Alltag, im Tagesgeschäft, nicht nur, wenn er die Kirche besucht, in der Bibel liest oder betet.
Der Weg zur Heiligkeit der Laien ist in besonderer Weise der interessierte Blick in das Gesicht des Mitmenschen , in dem mir Gott begegnet und mich zum Hören, Teilen, Begleiten, Trösten, Verstehen und Helfen herausfordert.
7. „Aggiornamento“.
Diesen Begriff hat Papst Johannes XXIII. gerne zur Beschreibung des Konzils, das er einberufen hatte, verwendet. Er wird immer wieder mißverstanden als Anpassung der kirchlichen Wahrheit an die Welt von heute, als ein Angebot zu einem Christentum zu „herabgesetzten Preisen“. Dies meinte Papst Johannes XXIII. damit aber nicht. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort „heutig werden“, im Heute leben. Was das Konzil darunter verstanden hat, sagt es unmißverständlich in dem Beschluß über die „Kirche in der Welt von heute“: eine Zuwendung zur Welt in kritischer Zeitgenossenschaft.
Dort werden Kirche und Welt einander nicht mehr als grundsätzlich feindlich gegenübergestellt, die Moderne nicht mehr pauschal verurteilt. Die Kirche begreift sich vielmehr selbst als Teil dieser Welt, in der sie lebt. Sie empfindet eine tiefe Solidarität mit der Freude und Hoffnung aller Menschen, aber auch mit ihrer Angst, ihrer Trauer, ihrem Leiden. Wer wäre den Menschen näher als die Laien in ihrem Lebensumfeld.
8. Die Betonung der ökumenischen Verpflichtung. Die Trennung der Kirche muß überwunden werden. Man kann nicht Christ, also auch nicht Katholik sein, wenn man nicht ökumenisch denkt und handelt. Dabei gibt die Katholische Kirche nichts vom Wahrheitsanspruch preis. Aber sie behauptet nicht mehr, sie allein sei im Besitz dieser Wahrheit, auch wenn in ihr die Kirche Jesu fortbesteht („subsistit“), so ist Wahrheit auch in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaft zu finden, oft leuchtender als in der eigenen Kirche, sagt das Konzil . Stärker als das Trennende ist das Verbindende in Christus, dem gemeinsamen Herrn, der will, daß „alle eins“ seien. Es geht nicht mehr um die „Rückkehr der getrennten Schwestern und Brüdern“ (die alte Formel von Ökumene), sondern um eine „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, zu der sich alle bewegen müssen und nicht einfach auf ihrem jeweiligen Platz auf „die anderen“ warten dürfen.
9. Und schließlich ist zu nennen die Reform der Liturgie zu einer Feier, die den ganzen Menschen erfasst, weil Gott sich dem ganzen Menschen in Wort und Sakrament liebevoll zuwendet und die Zuwendung des ganzen Menschen zu ihm wünscht. Daher sollte die intensive Mitfeier und Mitgestaltung aller Gemeindemitglieder und das Verständnis des Wortes gefördert, aber auch die unlösbare Zusammengehörigkeit von liturgischer Feier und christlichem Alltag bewußt gemacht werden. Daher die Landessprache, die Fürbitten, Lektoren aus der Gemeinde, die Neubewertung des Predigtdienstes, die Möglichkeit von speziellen Gottesdienstformen für Kinder und Jugendliche, die Betonung des gemeinsamen Mitfeierns statt des „andächtigen passiven Hörens“.
II.
1. Die Würzburger Synode sollte nach der „Unruhe“ von 1968, die auch vor der Kirche im Gefolge von „Humanae vitae“ nicht Halt gemacht hatte, zur „Sammlung und Sendung“ beitragen, wie es im Einberufungsschreiben hieß. Sie wollte die Kirche in Deutschland von innen her erneuern, vom Zentrum des Glaubens aus neue Zugangswege zu den Menschen suchen. Die Gemeinden sollten ein noch verbreitetes Versorgungsdenken aufgeben und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Möglichst viele sollten sich mitverantwortlich fühlen, dazu an ihrem Ort ihren Teil beitragen. „Der Lebensraum des Menschen ist der Handlungsraum der Kirche“, so lautete eine Kernbotschaft der Würzburger Synode.
2. Das wichtigste Dokument der Würzburger Synode „Unsere Hoffnung“ (eine Art umfangreicheres zeitgemäßes Credo) hat leider nicht die erhoffte Breitenwirkung erreicht. Von manchen anderen Beschlüssen, etwa über den Religionsunterricht, die Sakramente, den Gottesdienst, Ehe und Familie, die Jugendarbeit oder die Ordensgemeinschaften zehrt die Kirche in Deutschland heute noch, auch wenn vielen das kaum bewußt ist. Zumal für die Jüngeren ist ein Ereignis, das 1975 endete, mehr oder weniger schon Kirchengeschichte, genau so wie das 1965 endende Konzil.
3. Wichtiger als einzelne Sätze in Dokumenten war der Lernprozeß während der 5 Jahre der Würzburger Synode: Es gab keine festen Fraktionen, auch die Bischofskonferenz war das nicht. Das offene, freimütige, aber nicht verletzende Wort hatte Konjunktur. Man kämpfte um Aussagen und Formulierungen, aber nicht nach der Schlachtordnung „Oben“ und „Unten“, sondern argumentativ ohne Ansehen der Person. Der Ausgang der Abstimmungen blieb immer spannend. Bischöfe diskutierten unter sich kontrovers, Professoren stritten mit Bischöfen über das, was theologisch verantwortbar sei, und mit Laien, denen sie nicht einfach mit ihrem Fachjargon kommen konnten. Diese Kultur eines offenen durchaus streitbaren Dialogs um der gemeinsamen Sache wegen, war der große Gewinn dieser Zeit, zumal stets spürbar blieb, daß die Synode auch ein geistliches Ereignis war.
Gerade deshalb war diese Synode war für mich ein lebensprägendes Ereignis: Mit Ängstlichkeit und Distanz begonnen, führte sie über harte Arbeit (alle Beschlüsse wurden in Kommissionen von den Synodalen selbst erarbeitet) und heftige aber offene Auseinandersetzungen zu verbindlichen Beschlüssen. Hinter diesen Stand sind wir nach meinem Eindruck weit zurückgefallen. Diejenigen, die die Synode erlebt haben, werden - auch unter den Bischöfen - immer weniger.
4. Auch wo der Dialog zunächst scheitert und Konflikte zunächst andauern, muß es neben der Entwicklung einer christlich geprägten „Streitkultur“, die nicht „etikettiert“ oder ausgrenzt, auch Einrichtungen zur Schlichtung und zum Rechtsschutz im Sinne eines geordneten Streitverfahrens geben. Insofern sind aber die von der Gemeinsamen Synode als Modell entwickelten und mit großer Mehrheit als Votum nach Rom beschlossenen Schiedsstellen und kirchlichen Verwaltungsgerichte (Beschluß Kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung - KVGO - Gesamtausgabe der Synodenbeschlüsse S. 734 ff.) bisher nicht verwirklicht, auch wenn es in manchen Bistümern (z.B. im Erzbistum Bamberg) eine gute Schiedsordnung gibt, die sich bereits bewährt hat und das Kirchenrecht von 1983 dafür mehr Raum lassen würde.
Gerade innerkirchliche Auseinandersetzungen der jüngeren Zeit zeigen, wie wenig friedensstiftend Rechtsakte sind, die - ausser zentral in Rom - nicht überprüft werden können und wie wenig die Öffentlichkeit dafür Verständnis zeigt. Ganz abgesehen davon gerät der betreffende Bischof viel zu schnell selbst als „Richter in eigener Sache“ in die Schußlinie.
III.
Nach der Bischofssynode von 1987 zum Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“ hat Papst Johannes Paul II. die Vorschläge (propositiones) der Bischofssynode in einem „nachsynodalen Lehrschreiben Christifideles laici“ aufgegriffen, an manchen Stellen sogar wörtlich übernommen. Er zitiert und interpretiert wesentliche Konzilsaussagen über die Stellung des Laien und konkretisiert sie im Hinblick auf die Situation im Jahr 1987.
Ich will Ihnen daraus einige mir besonders wichtige Zitate vorlegen.
Aus Nr.28. „Mit den Priestern und Ordensleuten zusammen bilden die Laien das eine Volk Gottes und den Leib Christi.
Jeder Laie muß sich immer bewußt sein, daß er Glied der Kirche ist, dem eine originelle, unersetzliche und nicht übertragbare Aufgabe anvertraut wurde, die er zum Wohl aller erfüllen muß.“
Aus Nr.42: „Um die zeitliche Ordnung im genannten Sinn des Dienstes am Menschen christlich zu inspirieren, können die Laien nicht darauf verzichten, sich in die "Politik” einzuschalten,... Wie die Synodenväter wiederholt feststellten, haben alle und jeder einzelne die Pflicht und das Recht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn auch auf verschiedener und komplementärer Weise und Ebene und aufgrund verschiedener und komplementärer Aufgaben und Verantwortungen. Die Anklagen des Arrivismus (Ehrgeiz), der Idolatrie (Vergötzung) der Macht, des Egoismus und der Korruption, die nicht selten gegen Regierungsleute, Abgeordnete der Parlamente, dominierende Klassen und politische Parteien erhoben werden, sowie die verbreitete Meinung, die Politik sei ein Bereich unbedingter moralischer Gefährdung, rechtfertigen auf keine Weise den Skeptizismus oder die Abwendung der Christen von den öffentlichen Angelegenheiten. ...
Bei der Ausübung der öffentlichen Macht ist die Gesinnung des Dienstes entscheidend. ...Wie die Konstitution Gaudium et Spes hervorhebt, sollen die in der Politik engagierten Laien die Autonomie der irdischen Wirklichkeiten respektieren: "Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als einzelne oder
im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird. (GS 76).
Aus Nr.49 : ...„Das Bewußtsein, daß die Frau mit ihren eigenen Gaben und Aufgaben eine besondere Berufung hat, hat sich in der nachkonziliaren Zeit vertieft und verbreitet. Es hat im Evangelium und in der Kirchengeschichte seine ursprüngliche Inspirationsquelle gefunden. ... Wie zu ihren Anfängen ... hat die Kirche auch in ihrer späteren Entwicklung Frauen gekannt, die zuweilen eine entscheidende Rolle gespielt und höchst bedeutende Aufgaben für sie erfüllt haben. Dieses ist eine Geschichte immensen Einsatzes, der oft im Verborgenen geschah, für das Wachstum und die Heiligkeit der Kirche deswegen aber nicht weniger entscheidend war. Diese Geschichte muß fortgesetzt, erweitert und verdichtet werden angesichts des wachsenden und universell verbreiteten Bewußtseins von der Personwürde der Frau und ihrer Berufung sowie der Dringlichkeit einer neuen „Evangelisierung“ und einer größeren „Humanisierung“ der sozialen Beziehungen.“
Aus Nr.51 :“Es ist notwendig, von der theoretischen Erkenntnis einer aktiven und verantwortlichen Präsenz der Frau in der Kirche zur praktischen Verwirklichung fortzuschreiten. Die Frauen sollen ohne jegliche Diskriminierung auch bei Konsultationen und bei der Erarbeitung von Entscheidungen am Leben der Kirche teilnehmen."....
Darüber hinaus muß in allem, was das Aufnehmen von Gottes Wort, sein Verständnis und seine Weitergabe betrifft - auch durch Studium, Forschung und Lehren der Theologie -, der spezifische Beitrag der Frau aufgewertet werden....“
IV.
Ist von alledem etwas geblieben ? Oder nur Frustration oder bestenfalls Nostalgie ? Wie weit bleibt die Alltagspraxis hinter der schönen Theorie zurück ? Oder gibt es gar eine mehr oder weniger ausgeprägte Strategie der römischen Kurie, die Kirche, wie man so sagt, „hinter das Konzil zurück zu führen“ ?
Ob in schwierigen Zeiten der Kirche, und die haben wir zweifelsfrei, eher Optimismus vorherrscht oder Resignation, ist nicht zuletzt das Ergebnis des eigenen Naturells, aber auch der eigenen konkreten Lebens- und Kirchenerfahrung. Die Antwort ist nicht selten von der konkreten Kirchengemeinde abhängig, in der man lebt, oder davon, ob man in einer gläubigen Gemeinschaft, etwa einem katholischen Verband, oder als „christlicher Solitär“ lebt.
Selbstverständlich ist weder das Konzil noch die Würzburger Synode in jeder Hinsicht in kirchliches Leben übersetzt. Das wäre aber auch zu viel verlangt. Wenn selbst das Wort Gottes, das Evangelium, weder in der Kirche noch in unserem eigenen Leben in jeder Hinsicht „umgesetzt“ ist, warum sollte es dann Konzilsbeschlüssen, Synodenbeschlüssen oder päpstlichen Lehrschreiben besser ergehen. Das alles sind keine Gesetze, hinter denen Polizei und Justiz stehen, sondern es sind Aufforderungen, Impulse, sein eigenes Leben und das Leben der Gemeinschaft neu auszurichten und einzurichten - orientiert an dem, was Gott will. Und was Gott will, ist nicht immer in jeder Lage ein für alle Mal klar, auch wenn es zweifelsfreie Eckpunkte gibt. Gerade deshalb ist ja der ernsthafte Dialog über den richtigen Weg so wichtig, einen Weg, den Kardinal Döpfner auf der Synode eindrucksvoll so formuliert hat: „Den Menschen gerecht zu werden, ohne dabei den Herrn zu verraten“.
Nun zu einigen Defizitansagen:
1. Ich beginne mit der „Rolle der Frauen in der Kirche“: An ihnen zeigt sich jeweils zugespitzt, wie die Rolle der Laien gesehen wird, sozusagen in der Stufung: Priester, Laie als Mann, Laie als Frau. In den Gemeinden spielen Frauen eine wichtige Rolle. Es gibt sehr viele weibliche Vorsitzende von Pfarrgemeinderäten und Dekanatsräten.
Frauen gestalten Kinder- und Jugendgottesdienste, sind im sozial-caritativen Bereich aktiv und auch im Gottesdienst wirken sie als Lektorinnen und Kommunionhelferinnen mit. Sie bereiten Kinder und Jugendliche auf Erstkommunion und Firmung vor. Nach schier unglaublichen Debatten sind auch Ministrantinnen in vielen Gemeinden eine Selbstverständlichkeit geworden, nach Auskunft vieler Pfarrer viel zuverlässiger in ihrem Dienst als Buben. Nicht selten sind Frauen das verborgene Rückgrat der Gemeinde. Sicher ist also vieles besser geworden in mancher Hinsicht. Aber immer noch sind Frauen in kirchlichen Leitungsaufgaben bestaunte exotische Wesen und in theologischen Fakultäten eine Ausnahme. Die „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ (15.08.1997) zitiert zwar ständig das Konzil, ist aber weithin von dem Mißtrauen geprägt, die Laien könnten sich etwas anmaßen und den Priestern irgend etwas wegnehmen. Laien erscheinen sozusagen als „pastoraler Notnagel“, wo es zu wenig Priester gibt.
Diese Instructio hat auf viele ehrenamtlich aktive Laien demotivierend gewirkt, auf manche sogar verletzend. Abgesehen von allem Anderen hat sie Frauen mehr oder weniger von der Teilhabe an der Verkündigung des Wortes wieder ausgeschlossen.
Dabei ist soviel gewiß: Gott hat nicht ohne Grund den Menschen in zwei Ausprägungen geschaffen, als Mann und Frau. Und er hat beide nach seinem Abbild geschaffen, so daß nur in beiden zusammen Gottes Stimme hörbar und Gottes Wesen abgebildet wird. Daher steht ihnen auch die gleiche Würde zu. Zwar sagt der Papst ausdrücklich, daß die Frau auf Grund von Taufe und Firmung - wie der Mann - Anteil am dreifachen Amt Christi, des Priesters, Propheten und Königs hat. Aber wo wird das konkret eingelöst ? Schon die Angst vor der Zulassung der Frauen zum Diakonat zeigt deutlich, daß es mit der Teilhabe am priesterlichen Amt nicht weit her ist, von der betont „endgültig“ untersagten Zulassung zum Priesteramt gar nicht zu reden.
2. Dass das Konzil mit dem Auftrag an die Laien, in Kirche und Welt ihre christliche Sendung zu verwirklichen, nicht hinreichend umgesetzt ist, liegt aber gewiss nicht nur am kirchlichen Amt. Was wäre nicht alles zu tun, zu dem es keinerlei kirchliche Erlaubnis braucht. Ist die Frage, was katholische Laien dürfen und was nicht - so wichtig sie sein mag - nicht auch ein Stück Verdrängung der Frage, ob Laien das tun, was sie tun sollen ? Sind die organisierten und die einzelnen Laien nicht in der alltäglichen Politik zu abstinent, zu sehr mit Innerkirchlichem beschäftigt ? Ist nicht vielen von ihnen die Kärrnerarbeit in einer politischen Partei als Weg zur realen Mitgestaltung von Politik zu mühsam ? Huldigen nicht zu viele der vom Papst mißbilligten These, daß Politik den Charakter verdirbt ? Wie stehen wir zur gegenwärtigen Glaubwürdigkeitskrise politischer Führungskräfte ? Selbstgerecht oder sachlich mit der Gabe der Unterscheidung von Gesundem und Krankem. Was tun wir persönlich zur Genesung?
Die Zeiten sind nicht so, daß wir uns gewissermaßen wie Zuschauer in einem Theater oder vor dem Fernseher unbeteiligt in unserem Stuhl zurücklehnen könnten und weggehen oder ausschalten, wenn es uns nicht gefällt. Wir stehen als besonders wichtige Mitspieler auf der Bühne - „Protagonisten“ (Hauptdarsteller, Vorkämpfer) nennt das der Papst -, ob wir wollen oder nicht. Ob das Stück gut oder schlecht endet, liegt daran, ob wir unsere Rolle gut, kraftvoll, richtig, ausdauernd und überzeugend spielen oder nicht.
Auch Schweigen und Abstinenz in politischen Dingen ist politisch wirksam, indem es den anderen das Feld kampflos überläßt.
3. Innerkirchlich tut man sich mancherorts schwer mit den Auswirkungen des Wortes vom „Volk Gottes“. Man ersetzt es daher gern mit „Communio“ oder „Mysterium“. Denn wenn wir alle, „vom Herrn selbst“ berufen, gemeinsam Verantwortung für den Weg der Kirche tragen und Teil haben auch am königlichen Amt, dann bedarf es auch der Mitentscheidung, sicher in gestufter Verantwortung, aber eben doch sichtbar und wirksam.
Etwas mitverantworten zu sollen, ohne an der Entscheidung wirklich mitwirken zu können, ist eine Zumutung. In dieser Hinsicht ist die immer wieder eingeschärfte Formel mit dem Konzil nicht vereinbar, in der Kirche entscheide nur das Amt, während die Laien nur beratende Funktion hätten. Überdies wird auch der Rat oft zu wenig erbeten, erwogen und angenommen. Der „Rat“ wird als zu zeitaufwendig erachtet und auch letztlich als unnötig, nach dem Motto: „Die Führung weiß ohnehin, was für das Volk richtig ist“. Das erinnert irgendwie an die Begründung in bestimmten Staatsführungen, daß freie Wahlen entbehrlich seien, weil man ja bereits die beste Regierung habe. Der Hl. Benedikt sah das anders. In seiner Regel steht, daß der Obere alles mit Rat tun solle und daß es dem Hl. Geist gefalle, oft dem einfachsten, ja sogar dem durchreisenden Bruder anzuvertrauen, was sein Wille sei.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die Laien wesentlich verstärkte Mitentscheidungsrechte erhalten müssen. Das ist in den Konzilstexten auch grundgelegt.
Man nennt die Laienräte oft das demokratische Element in der Kirche. Genauer betrachtet, stimmt dies nur recht eingeschränkt. Die Mitglieder sind zwar gewählt und haben daher ein demokratisch legitimiertes Mandat. Sie debattieren nach Geschäftsordnungen, die weithin parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechen und stimmen auch entsprechend ab. Gleichwohl sind sie keine Parlamente im demokratischen Sinn. Dazu fehlen ihnen die elementaren demokratisch-parlamentarischen Entscheidungskompetenzen: Sie haben kein Haushaltsrecht (von der besonderen staatskirchenrechtlich begründeten Ausnahme in der Diözese Rottenburg-Stuttgart abgesehen), kein Gesetzgebungsrecht (dieses liegt beim Ortsbischof) und keine Kontrollrechte über die Amtsführung in der kirchlichen Verwaltung. Soweit es nicht den (durch die engen finanziellen Spielräume stark eingeschränkten) Bereich eigener Initiativen betrifft, haben sie gegenwärtig praktisch innerkirchlich nur Beratungsrechte.
Schon seit den Zeiten der Würzburger Synode wird daher immer wieder der Ruf nach weitergehenden Befugnissen und einer „Demokratisierung der Kirche“ laut.
Die Forderung nach "Demokratisierung" der Kirche löst bei Trägern des kirchlichen Amtes in der Regel sogleich eine fundamentale, nahezu allergische Abwehrhaltung aus. Die gängige Erwiderung lautet, das hierarchische Wesen der Kirche würde dadurch gefährdet. Demokratie heiße ja - herkömmlich verstanden -, daß alle Souveränität vom Volk ausgeht und das Parlament von ihm seine Macht ableitet. Das Volk Gottes sei aber gerade nicht souverän.
Das Volk Gottes ist tatsächlich nicht sein eigener Souverän, sondern es hat einen Souverän, nämlich seinen gekreuzigten und auferstandenen lebendigen Herrn. Unter ihm sind alle Schwestern und Brüder, nicht Herren und Mägde oder Knechte. Das Wort vom „Hirten“ trifft genau genommen nur auf Gott zu. Darunter sind alle Schafe, egal ob geweiht oder nicht.
Daß die Glaubenswahrheiten (depositum fidei) und das Sittengesetz nicht einfach einer demokratischen Abstimmung nach Mehrheitsverhältnissen unterworfen werden können, liegt auf der Hand. Das steht aber einer effektiveren Mitentscheidung (Partizipation) nicht entgegen, die eine logische und ethische Voraussetzung von mehr Mitverantwortung ist. Denn auch nach dem deutschen Grundgesetz steht vieles nicht zur Disposition der Mehrheit: z. B. die Menschenwürde, die Demokratie, der Rechtsstaat und der Föderalismus (Art. 79 III, Art 1 und 20 GG). Würde man dies für die Kirche analog zum Ausgangspunkt nehmen und anstelle dieser Werte die authentisch gelehrte Glaubens- und Sittenlehre als unabstimmbar setzen, würde sich ein großer Spielraum für eine erweiterte Mitentscheidung der Laienräte ergeben. Das volle Haushaltsrecht oder eine maßgebende Mitwirkung an der Wahl und Besetzung kirchlicher Führungsämter, ja sogar die Mitentscheidung, in welcher Weise Inhalte der Glaubenslehre heute besser vermittelt werden müßten, könnten durchaus von Laienräten wahrgenommen werden, ohne die hierarchische Grundstruktur, d.h. der Herrschaft Gottes in der Kirche, in Frage zu stellen.
Schaut man auf die Vita großer heiliger Bischöfe, z.B. St. Martin oder St. Hilarius, so wurden sie vom Volk gewählt, das sie dann zu leiten hatten. Und wie ist es heute: Eine ganze Diözese wartet viele Monate auf ihren neuen Bischof, durchlebt öffentliche Spekulationen, die je nach dem Hoffnung oder Ängste auslösen, und erfährt dann irgendwann aus den Medien, wer ihr neuer Bischof ist. Wenn es gut geht, sagt sich die Mehrheit der Gläubigen: “Es hätte schlimmer kommen können“. Wenn nicht, ist der neue Bischof - oft unerfahren in seinem Amt - die ersten Jahre damit beschäftigt, Vertrauen und Zuneigung vieler zu gewinnen, nicht selten durch Anfangsfehler darin zurückgeworfen.
Durch die weithin fehlende Mitentscheidung der nicht geweihten Frauen und Männer wird die Lebens-, Fach- und Glaubenskompetenz der Laien für kirchliche Entscheidungen als wichtige Ressource nicht genutzt. Als kirchlicher Laie, aber weltlicher Fachmann wundert und ärgert man sich immer wieder einmal über den fachlichen Dillentantismus mancher kirchenamtlicher Entscheidung. Als Mutter, Vater, Ehegatte mit Lebenskompetenz reibt man sich bei mancher kirchlichen Verlautbarung über Ehe, Sexualität, Erziehung, Schule oder ähnliche „Familienthemen“ befremdet die Augen.
4. Was in letzter Zeit an Verlautbarungen aus Rom kam, ist, soweit es Glaube und Spiritualität betrifft, wie etwa die Schreiben zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr, in Deutschland bereitwillig aufgenommen worden. Was aber die pastorale Praxis betraf, insbesondere die harte Einschärfung des Kirchenrechts bei immer weiter einschränkender Interpretation, ist von vielen, vor allem in den Gemeinden stark engagierten Laien als kontraproduktiv empfunden worden. Einen gewissen Höhepunkt, genauer Tiefpunkt, bildete insoweit die bereits erwähnte „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ vom 15.8.1997, ein Dokument der Realitätsferne, der Ängstlichkeit mit betonter Heraushebung des Priesters und gedankenloser und bedenkenloser Herabsetzung der Laien. Einzelne Mißstände, von denen aber zumindest in Deutschland kaum ein Laie je etwas selbst erlebt oder auch nur zuverlässig gehört hatte, waren Anlaß, das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. Aber auch schon vorher war eine Instruktion über synodale Bistumsvorgänge gegen den Freimut der Rede formuliert worden. Hernach wurde der Treueid und die Gehorsamspflichten im Kirchenrecht so verschärft, daß die Grenze zwischen einfachen Verlautbarungen des Lehramts und dessen unfehlbaren Äußerungen bezüglich der Verbindlichkeit kaum noch zu erkennen ist. Dabei bleibt ohnehin die Definitionsmacht, welchen Charakter eine Erklärung hat, unter Außerachtlassung der Kollegialität allein bei Papst und Kurie angesiedelt.
Dies hat letztlich das Gegenteil bewirkt, was damit beabsichtigt war. Nicht Geschlossenheit, sondern wachsende Gleichgültigkeit. Schon heute scheint es vielfach ein pastorales Überlebensprinzip in vielen Gemeinden zu sein, bei jeglichen Anweisungen und Einschärfungen „von oben“ einfach wegzuhören.
Das wird dann auch auf bischöfliche Hirtenbriefe übertragen, die in sehr vielen Gemeinden trotz aller „oberhirtlichen Anordnungen“ nicht mehr im Gottesdienst verlesen, sondern bestenfalls an der Kirchentüre ausgelegt werden.
Die deutschen Bischöfe nehmen am Autoritätsverlust in dem Maße teil, in dem sie sich in Rom still und angepaßt verhalten und in Deutschland als bloße Vollzugsbeamte darstellen. Dies löst nicht eigentlich Spannungen zwischen dem Kirchenvolk und der Hierarchie aus, sondern eher eine wachsende Entfremdung.
Dies kann langfristig zu einer Art horizontaler innerer, äußerlich nicht vollzogener, Kirchenspaltung zwischen „Oben“ und „Unten“ führen und damit zu einem Schaden, der so schnell nicht wieder behoben werden kann. Vertrauen ist schnell verspielt und dann nur mühsam, wenn überhaupt, wieder zu gewinnen.
5. In der Ökumene sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Erst der Rückblick macht das deutlich. Ohne die Öffnung durch das Konzil wäre das alles nicht geschehen. Die feierliche Unterzeichnung der Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist ein Markstein. Der erste Ökumenische Kirchentag 2003 in Berlin war ein Fest der gemeinsamen Glaubensfreude und der Geschwisterlichkeit untereinander. Dabei wurde noch Trennendes nicht weggewischt, im Gegenteil wegen der Nahsicht auf den anderen noch schmerzlicher bewußt. Sehr deutlich wurde die gemeinsame Verantwortung der Christen - egal welcher Konfession - für die Gestaltung unserer Gesellschaft, aber auch für Entscheidungen, die für eine gerechtere Ordnung in Europa und in der Welt die Weichen stellen.
Es gibt zwar immer wieder Rückschläge und Mißverständnisse, meist ausgelöst durch unsensible Äusserungen. Nicht nur solcher aus Rom, sondern auch solcher aus der Feder von mehr als hundert evangelischen Theologieprofessoren. Aber es ist damit wie mit Rauhreif, nach kurzer Zeit ist er wieder weg, weil die Sonne der Ökumene inzwischen höher steht und stärker ist. Es liegt sicher eine schwierige Wegstrecke vor uns, in der sog. „Ämterfrage“, im „Papstamt“ und anderen wesentlichen Fragen. Aber das „Basislager“ auf diesem Weg ist immer wieder nach oben verlegt worden. Und die Ungeduld, endlich weiter zu gehen, ist eine starke Schubkraft.
6. In der Liturgie ist das Konzil wohl am sichtbarsten angekommen. Jede und Jeder kann sich heute aktiv am Gottesdienst beteiligen, er kann die Texte verstehen und Gemeinschaft erfahren. Es mag sein, daß mancherorts darüber die Stille zu kurz kommt oder im Übereifer zu weitgehend experimentiert worden ist. Aber deshalb darf das Rad nicht einfach auf Uniformität und Starrheit zurückgedreht werden, wie es nach einer Indiskretion, die in den Medien im Herbst 2003 ein großes und kritisches Echo fand, in Rom offenbar beabsichtigt war.
Man darf gespannt sein, was das nun angekündigte römische Dokument zum Thema Liturgie bringen wird. Hoffentlich geht es nicht zu sehr von einzelnen Mißbrauchsfällen aus, um daraus dann allzu enge Grenzen zu ziehen, sondern von einer positiven Sicht der heutigen Lebendigkeit vieler Gottesdienste.
7. Und eine letzte Frage: Wie steht es mit der Spiritualität der Laien , die ja ein Kernanliegen des Konzils war, als es von der Berufung zur Heiligkeit sprach? Erliegen Laien, zumal wenn sie sich organisieren, nicht zu leicht der Gefahr des leeren Aktionismus ? Besinnen sie sich rechtzeitig auf die geistlichen Wurzeln ihres Handelns, auf Geschwisterlichkeit als Grundhaltung, auf eine Streitkultur, die Konflikte nicht ausweitet,
Sachfragenunterschiede nicht personalisiert, Andersdenkenden nicht gleich die Kirchlichkeit abspricht und nicht in verbal gekonnte Dämonisierung flüchtet.
Werden die Ohren hinreichend genutzt, der Mund zur rechten Zeit aufgetan, die Ärmel aufgekrempelt, das Herz geöffnet ? Sind sich die Laien bewußt, daß sie Segel stellen sollen im Vertrauen auf Gottes Kraft, ohne daß sie selbst auch noch den Wind machen müssen ?
Fehlt es nicht an der Anbetung, an der Bereitschaft, sich vor Gott klein zu machen und damit auch der Perspektive Gottes näher zu kommen, der besonders die kleinen Leute in sein Herz geschlossen hat. Leiden wir nicht oft unter einer Art „Kniesteifigkeit“, gewissermaßen an einer Spiritualitätsarthrose.
Zusammengefaßt meine ich, das Konzil hat nach wie vor enorme Auswirkungen auf das gesamte kirchliche Leben, ja auch auf den persönlichen Glauben, manche eher subcutan, manche offen sichtbar.
Allein dass Laien heute in den Gemeinden und darüber hinnaus viel stärker ihre tragende Rolle annehmen und gegen manche Widerstände und trotz mancher Frustration daran festhalten, ist eine wichtige Frucht des Konzils. Daß sie wichtige Konzilsaussagen kennen und sich darauf berufen, bestärkt sie darin. Der Freimut der Rede im Dialog läßt sich nicht mehr beseitigen. Bei aller Loyalität gegenüber dem kirchlichen Amt halten Laien auch mit konstruktiver Kritik nicht zurück, falls erforderlich auch öffentlich. Dabei können sie sich sogar auf das geltende Kirchenrecht berufen (c. 212 CIC).
Wir haben lebendigere Gottesdienste und eine größere Vielfalt der Gestaltung. Männer und Frauen wirken daran mit. Auch viele Priester haben ihre Berufsauffassung vom „Pfarrherrn“ zum spirituellen Impulsgeber und zum pastoralen Lebensbegleiter von Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen verändert, zu einem kollegial-umgänglichen Leitungsstil und einer lebensnahen, weiterhelfenden statt verurteilenden Auslegung des Evangeliums in der Predigt.
Noch vieles mehr ließe sich sagen.
Nach meinem Eindruck gibt es zwar in der römischen Kurie manche Tendenzen, das durch das Konzil weit geöffnete Fenster zur Welt Stück für Stück wieder zu schließen. Das ist, liest man die spannungsreichen Vorgänge und die Auseinandersetzungen zwischen Weltepiskopat und Kurie, zwischen konservativen und eher progressiven Konzilsvätern während des Konzils nach, auch nicht verwunderlich. Aber ich bin sicher: Zumindest die „Kippstellung“ der Fenster wird bleiben bis zu einer Zeit, in der wieder mehr Öffnung angesagt sein wird.
Ich bin insoweit gläubiger Optimist, genauer „Realist der Hoffnung“. Lassen Sie mich das vielleicht etwas salopp so sagen: „Der Hl. Geist ist jederzeit für eine Notlandung gut“, egal wie bucklich die Landepiste sein mag. Oder wie es heißt: „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen“. Das lehrt uns das Konzil.
Dr. Walter Bayerlein, Vizepräsident des ZdK