Für einen besseren Opferschutz und eine effektivere Strafverfolgung/Den Skandal von Menschenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland und Europa bekämpfen!

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) vom 19./20. November

1. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind massive Menschenrechtsverletzungen inmitten unserer Gesellschaft

Unter falschen Voraussetzungen in die Bundesrepublik gelockt, verkauft und in Zwangsprostitution gebracht, verlieren Frauen alle Rechte und ihre Würde wird mit Füssen getreten. Aufzeichnungen von betroffenen Frauen durch die Beratungs- und Hilfsorganisationen bringen Lebensgeschichten zu Tage, die man in einem demokratischen Rechtsstaat für nicht möglich hält. Im öffentlichen Bewusstsein fehlt zudem die Kenntnis darüber, dass die Nachfrage und das Verhalten von "Freiern" das Problem vervielfältigen. Denn die Frage der Legalität und der Freiwilligkeit der Arbeit der Frauen spielt für die Kunden in der Regel keine Rolle. Derartiges menschenverachtendes Konsumverhalten bildet die Grundlage für das Delikt Menschenhandel und Zwangsprostitution.

2. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind ein lukratives Geschäft

Auf rund 10 Milliarden Euro beziffert das bayerische Justizministerium den Gewinn, den Kriminelle jedes Jahr in Europa aus dem Menschenhandel und der Zwangsprostitution ziehen. Das Risiko, dabei strafrechtlich verfolgt oder gar belangt zu werden, ist gering. International organisierte Banden locken junge Frauen, vor allem aus den armen Ländern Osteuropas, mit angeblichen Jobs in den Westen. Hier nehmen sie den Opfern die Ausweispapiere ab, sperren sie ein und zwingen sie in die Prostitution. Rund 500. 000 junge Frauen arbeiten nach Schätzungen der EU-Kommission derzeit illegal unter Zwang als Prostituierte in der Europäischen Union.

3. Täter werden nicht belangt, Opfer nicht geschützt

Analysen bezüglich der Strafverfolgung und des Zeuginnenschutzes in Menschenhandelsprozessen belegen, dass bei den Strafen selten das Höchstmass vergeben wird und kaum die Einziehung der Gewinne der Täter erfolgt. So bleiben Menschenhandel und Zwangsprostitution ein Verbrechen mit geringem Risiko der Strafverfolgung und lukrativen Gewinnchancen.
Eine Verbesserung der Strafverfolgung in Menschenhandels- und Zwangsprostitutionsprozessen ist deshalb unabdingbar. Entsprechende Studien belegen, dass es durchaus Erfolge im Bereich Strafverfolgung von Menschenhandel gibt, wenn die Bedingungen professioneller Opferzeuginnenbetreuung und damit Stabilisierung der Zeugin und engagierte Nebenklagevertretung gegeben sind. Die Prozesse verlaufen umso erfolgreicher, je gestärkter und sicherer die Zeuginnen auftreten. Zu ihrer Stabilisierung ist eine professionelle Betreuung und Beratung erforderlich. Im Sinne einer effektiven Strafverfolgung müssen deshalb die Bedingungen für aussagewillige Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessert werden. Dies bezieht sich auf den rechtlichen, materiellen und psycho-sozialen Bereich.


4. Forderungen

4.1 Abschiebestopp für Opferzeuginnen
Nur wenn die Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution nicht sofort abgeschoben werden, haben sie die Möglichkeit als Zeuginnen auszusagen und zur Verurteilung der Täter beizutragen. Deshalb sind die getroffenen Regelungen bzgl. eines Abschiebestopps oder einer befristeten Aufenthaltserlaubnis für Opferzeuginnen umzusetzen. In der vorgesehenen Vierwochenfrist benötigen die Frauen entsprechende Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten. Es bedarf dringend einer längerfristigen Duldung bzw. eines Aufenthaltstitels - möglichst bis zum Prozessende. Dies würde eine erhebliche Arbeitserleichterung für Polizei, Fachberatungsstellen, Ausländer-, Arbeits- und Sozialämter bedeuten und den betroffenen Frauen bessere Perspektiven bieten.

4.2 Bundesfonds zur Finanzierung des Opferzeuginnenaufenthaltes
In der Regel erhalten Opfer während ihres Aufenthaltes in Deutschland Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dies reicht jedoch nicht für eine erforderliche umfassende medizinische und psychologische Betreuung, insbesondere bei traumatisierten Opfern.
Deshalb ist eine bundeseinheitliche Regelung der Kostenübernahme, zum Beispiel in der Form eines Bundesfonds zur Finanzierung des Opferzeuginnenaufenthaltes anzustreben, da damit auch die Unstimmigkeiten bzgl. der Zuständigkeit zwischen den verschiedenen betroffenen Kommunen und Trägern ein Ende finden würden.

4.3 Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen für die Opfer
Während der Zeit zwischen Aufgriff und Prozess besteht für die Opferzeuginnen die Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme. Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen für die Frauen müssen in der Regel von den Beratungsstellen finanziert werden. Dies bedeutet jedoch eine finanzielle Überforderung. Deshalb müssen in allen Bundesländern finanzielle Ausstattungen für die Beschäftigungs-, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution geschaffen werden bzw. Zugangsmöglichkeiten für bereits existierende Qualifizierungsmaßnahmen. Im Rahmen des am 01.01.2005 in Kraft tretenden Zuwanderungsgesetzes muss es den betroffenen Frauen ermöglicht werden, an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen.

4.4 Beratung und Betreuung der Opfer
In der Regel sind die betroffenen Frauen aufgrund der Erlebnisse auf schlimmste Weise traumatisiert. Nur eine professionelle Beratung und Betreuung ist in der Lage, ihnen dabei zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten und Perspektiven für ein neues Leben zu eröffnen. Die entsprechenden Beratungs- und Betreuungseinrichtungen werden jedoch häufig allein gelassen und sind damit finanziell völlig überfordert. Eine finanzielle Ausstattung der entsprechenden Einrichtungen durch die öffentliche Hand ist deshalb unabdingbar. Eine effektive Strafverfolgung ist ohne eine professionelle und finanzielle Ausstattung der Beratungs- und Betreuungseinrichtungen ohne Aussicht auf Erfolg. Auch aus diesem Grund müssen sie finanziell stärker unterstützt werden.


4.5 Nationale und internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung
Die Bekämpfung des Menschenhandels und der Zwangsprostitution gestaltet sich sehr schwierig. Es bedarf deshalb einer verbesserten Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen auf nationaler und internationaler Ebene, denn der Menschenhandel gehört zur organisierten Kriminalität und er ist ohne internationale Zusammenarbeit nicht zu bekämpfen. Dazu können zentrale Stellen der Staatsanwaltschaften und der Landeskriminalämter und eine Stärkung grenzüberschreitender Strafverfolgung wesentlich beitragen. Für eine effektive Strafverfolgung muss genügend Personal zur Verfügung gestellt werden, damit Ermittlungs- und Zeugenschutzbeamte ihre Aufgaben auch tatsächlich erfüllen können. Dazu ist die Bildung von Schwerpunktdezernaten wie beispielsweise bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sinnvoll.

4.6 Nebenklagevertretung
In den entsprechenden Prozessen ist die Nebenklagevertretung von entscheidender Bedeutung. Sie achtet darauf, dass die Rechte der Zeugin gewahrt werden und sie hat im Plädoyer die Möglichkeit, das Geschehene aus der Sicht des Opfers darzustellen und eine eigene rechtliche Wertung zu geben. Wir fordern deshalb, immer die Beiordnung der Nebenklagevertretung vorzusehen, da die Rechtslage bei so genannter Rotlichtkriminalität immer schwierig ist.

4.7 Strafrechtliche Verfolgung der "Freier"
Der Aspekt der Nachfrage und des Kundenverhaltens darf nicht aus dem Blick geraten. Frauenhandel und Zwangsprostitution sind in der heutigen Dimension nur deshalb möglich, weil eine entsprechend große Nachfrage besteht. Es sind die "Freier" selbst, die durch ihr Verhalten gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht und die Menschenwürde der Zwangsprostituierten verstoßen und damit schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen. "Freier" von Zwangsprostituierten, denen bewusst ist oder die angesichts der Umstände erkennen können, dass es sich bei der Frau um eine Zwangsprostituierte handelt, müssen strafrechtlich verfolgt werden. Eine entsprechende gesetzliche Verankerung hätte einen hohen Abschreckungseffekt und würde das Unrechtsbewusstsein verstärken. Das am 28. Oktober 2004 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung der Tatbestände über den Menschenhandel wird diesem Aspekt nicht gerecht. Wir fordern, dass der Vorschlag der "Freierbestrafung" erneut aufgegriffen und in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird.

4.8 Armutsbekämpfung und Aufklärungskampagnen in den Herkunftsländern
Die Ausbeutung der Frauen hat eine wesentliche Ursache in den katastrophalen Lebensverhältnissen in den Herkunftsländern. Deshalb müssen in den Herkunftsländern Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und Aufklärungskampagnen über die Gefahren des Menschenhandels durchgeführt werden, damit weniger Frauen in die Hände von Menschenhändlern fallen. Insbesondere die kirchlichen Partner in den Herkunftsländern sind hier gefordert.
Die Kirche muss ihre grenzüberschreitende Struktur nutzen zu einer Sensibilisierung und aufklärenden Öffentlichkeitsarbeit sowie zur Schaffung von Beratungsstrukturen in den Herkunftsländern der Frauen.
Kirchliche Organisationen müssen die Beratungsstellen, welche die von Menschenhandel betroffenen Frauen rechtlich, sozialpädagogisch und therapeutisch begleiten und ihnen Schutz gewähren, ideell und finanziell unterstützen.

4.9 Umsetzung des UN-Protokolls vom 08.01.2001
Am 8.1.2001 ist das "Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität" (Dok. A/55/383) verabschiedet worden. Darin werden umfassende Anforderungen an den Schutz der Opfer des Menschenhandels formuliert: angemessene Unterkunft; Beratung und Information; medizinische, psychologische und materielle Hilfe; Beschäftigungs-, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten; Garantie der körperlichen Sicherheit; Entschädigung für erlittenen Schaden. Es ist dringend an der Zeit, dass der Schutz der Opfer durch die Umsetzung dieser Anforderungen Priorität erhält.


Beschlossen von der Vollversammlung am 20. November 2004

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