Für einen besseren Opferschutz und eine effektivere Strafverfolgung - Den Skandal von Menschenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland bekämpfen!
Redemanuskript von Sr. Lea Ackermann im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
TOP 7.
Es gilt das gesprochene Wort
1. Ich möchte meine Ausführungen beginnen, indem ich Präsidium und Hauptausschuss einen ausdrücklichen Dank sage dafür, dass wir heute dieses Thema im Rahmen der Vollversammlung aufgreifen. Es ist nämlich eine große Hilfe, dass wir die angesprochene Thematik im Rahmen der Öffentlichkeit der Vollversammlung ansprechen können und hoffentlich dann auch einen Beschluss herbeiführen werden, mit dem wir alle weiterarbeiten können. Denn es ist für uns alle eine Aufgabe, diese Thematik aus der Tabuzone dieser Gesellschaft herauszuholen und mit dazu beizutragen, den Skandal von Menschenhandel und Zwangsprostitution - wie es im Titel unserer Erklärung heißt - zu bekämpfen!
2. Lassen sie mich mit einer gewagten These beginnen: Diese Gesellschaft ist krank! Für den normalen Menschenverstand ist es eigentlich unvorstellbar, dass Mädchen und Frauen gehandelt und zur Prostitution gezwungen werden. Dahinter steckt ein menschenverachtendes Konsumverhalten, das erst die Grundlage für das Delikt Menschenhandel und Zwangsprostitution schafft. Albanerinnen werden je nach Aussehen versteigert, Ukrainerinnen wechseln auf dem Weg von Osten nach Westen im Laufe weniger Monate mehrere Male ihre "Besitzer", Russinnen und Filipinas werden in den US-Militärcamps in Südkorea in Bars und Bordellen festgehalten, Moldawierinnen werden in Kosovo für deutsche Friedenssoldaten eingesperrt und feilgeboten, das sind doch Kennzeichen eines brutalen Marktes, der auf Gewalt beruht. Er findet jenseits staatlich kontrollierter Rechts- und Vertragsordnung statt. Auf diese unerträgliche menschenverachtende Situation versucht Solwodi zu reagieren. Aus der Beratungsarbeit von Solwodi kann ich Ihnen erzählen, dass Lebensgeschichten zu Tage gebracht werden, die in einem demokratischen Rechtsstaat für nicht möglich gehalten werden. Und die Bezeichnung "demokratischer Rechtsstaat" ist in diesem Zusammenhang bewusst gewählt, denn er soll ja gerade die Garantie der Menschenwürde und der fundamentalen Rechte des Menschen gewährleisten. Bei Menschenhandel und Zwangsprostitution verlieren Mädchen und Frauen jedoch alle Rechte und ihre Würde wird mit Füßen getreten. Deshalb spricht unser Text von Menschenrechtsverletzungen inmitten unserer Gesellschaft.
3. Ein besonderer Skandal besteht auch darin, dass das Geschäft mit Mädchen und Frauen und ihre sexuelle Ausbeutung ein ausgesprochen lukratives Geschäft ist. Es bietet hohe Gewinnchancen und ist fast ohne jedes Risiko.
4. Das Wort Skandal ist auch deswegen angebracht, weil die Täter erstens selten gefasst werden und zweitens nur äußerst selten mit dem Höchstmaß an Strafen belegt werden, geschweige denn, dass ihre Gewinne eingezogen werden.
5. Andererseits konnten wir durch entsprechende Studien belegen, dass es durchaus Erfolge im Bereich der Strafverfolgung von Menschenhandel gibt, wenn eine professionelle Opferzeuginnenbetreuung erfolgt und damit die Stabilisierung der Zeugin gelingt und eine engagierte Nebenklagevertretung gegeben ist. Für eine effektive Strafverfolgung der Täter müssen deshalb die Bedingungen für die aussagewilligen und aussagefähigen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessert werden.
6. Aus diesen Vorüberlegungen heraus ergeben sich die Forderungen, wie sie in unserem Erklärungsentwurf benannt sind. Ich will die Forderungen hier nicht im Einzelnen wiederholen, sondern auf einige Grundlinien aufmerksam machen:
7. Es wird sie vielleicht überraschen wenn ich sage, dass für uns eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei wesentlich ist. Es ist fast die einzige Möglichkeit, an die Opfer von Menschenhandel wirklich heranzukommen, wenn die Polizei sie aufgreift, ganz selten gibt es Selbstmelderinnen. Die Frauen kennen unsere Sprache nicht, wissen nicht, an wen sie sich wenden können und oft sind sie eingeschlossen. Darum ist es auch beschämend, dass in den letzten Monaten und Jahren die Anzahl der Razzien in Bordellen fast abgebrochen ist. Es müssen also aus unserer Sicht deutlich mehr Razzien erfolgen und die Polizei und die Justiz müssen personell so ausgestattet werden, dass sie zu einer effektiven Ermittlung und Strafverfolgung beitragen können.
8. Auf die strafrechtlichen Zusammenhänge wird Herr Professor Renzikowski nach mir ja eigens eingehen. An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass die verschärfte Strafdrohung für den Menschenhandel mit unter 21jährigen Frauen in der neuen Gesetzgebung - am 28.10.2004 vom Bundestag beschlossen - aufrechterhalten worden ist. Die Praxis der Menschenhandelsprozesse hatte nämlich zu Tage gebracht, dass der Straftatbestand des Menschenhandels faktisch der einzige ist, anhand dessen die Täter tatsächlich bestraft werden können. Deshalb hätte eine Absenkung des Alters auf 18 Jahre eine deutliche Schwächung der effektiven Strafverfolgung zur Konsequenz gehabt.
Eine zweite Anmerkung dazu: Enttäuscht sind wir, dass in der jetzigen Gesetzesänderung der Aspekt der "Freierbestrafung" nicht berücksichtigt wurde. Zwar ist eine Nachberatung der entsprechenden Initiative in Aussicht gestellt, aber sie muss auch tatsächlich erfolgen, denn Frauenhandel und Zwangsprostitution sind in den heutigen Ausmaßen nur möglich, weil eine riesige Nachfrage besteht. "Freier", denen bewusst ist oder die angesichts der Umstände erkennen können, dass es sich bei der Frau um eine Zwangsprostituierte handelt, müssen deshalb strafrechtlich verfolgt werden. Auch Zwangsheirat ist nicht aufgegriffen worden.
9. Ein ganz wichtiger Punkt ist zudem, dass wir die katastrophalen Lebensverhältnisse der Menschen in den Herkunftsländern verbessern müssen. Wir brauchen dringend Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und Aufklärungskampagnen über die Gefahren des Menschenhandels in den Ländern Afrikas und in den Ländern Mittel- und Osteuropas, von woher die Frauen zumeist kommen. Dabei ist diese Aufgabe auch eine ureigenste kirchliche Aufgabe. Wir müssen in Zusammenarbeit mit unseren kirchlichen Partnern in diesen Ländern zur Aufklärung beitragen und es ist ein Gebot unserer Solidarität, die Armutsbekämpfung vor Ort zu leisten.
10. Oft werde ich gefragt, wie wir bei Einrichtungen wie Solwodi eine solche Arbeit überhaupt durchstehen können. Ich kann auf solche Fragen dreifach antworten:
Zunächst erhalten wir Kraft durch das Beispiel Jesu Christi, der eine bedingungslose Solidarität mit den in Not geratenen seiner Zeit gelebt hat. Diese Solidarität Jesu stärkt uns.
Ferner hält uns der unermüdliche Einsatz der Mitarbeiterinnen bei Solwodi beisammen.
Und drittens können wir auch von kleinen "Erfolgsgeschichten" berichten, Geschichten von Frauen, die zu uns kommen oder zu uns gebracht werden und die durch eine qualifizierte Betreuung in unseren Einrichtungen ein neues Leben haben beginnen können. Diese kleinen "Erfolgsgeschichten" motivieren ungemein.
Ich berichte davon an dieser Stelle, weil ich Sie als Mitglieder der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken anstecken möchte mit dem Gedanken, dass sich der Einsatz für Mädchen und Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind, lohnt.
Ich sage deshalb an dieser Stelle nochmals ausdrücklichen Dank, bitte um Ihre Solidarität und hoffe darauf, dass wir gleich zu einer guten Diskussion und einer Verabschiedung der Erklärung kommen.
Sr. Dr. Lea Ackermann