Unser täglich Brot
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 21./22. November
[Aus: Berichte und Dokumente, Hrsg. v. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, 2004, Heft 121, S. 73-81]
Renate Künast
Unser täglich Brot
Vor der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 21./22. November 2003
Meine Damen und Herren!
1. Agrarpolitik muss wieder zu einem bewussten Teil der Gesellschaftspolitik werden
"Unser tägliches Brot gib uns heute"! Diese Sorge treibt uns um. Das ist mein "tägliches Brot" als Landwirtschaftsministerin. Und das ist Ihr "tägliches Brot" als Aktive in der katholischen Laienbewegung. "Unser täglich Brot gib uns heute" beten Christen im Gottesdienst.
Und auch in der Entschließung, die heute verabschiedet werden soll, geht es um das tägliche Brot. Ganz konkret um die Bedingungen seiner Herstellung. Es geht um Agrarpolitik. Und Sie fordern in der Überschrift, dass Agrarpolitik "wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden" muss. Das sehe ich genauso. Ich würde sogar sagen: Agrarpolitik ist es längst. Sie ist längst unser "täglich Brot": Das Brot, das wir essen, die Milch die wir trinken, das Obst, das Gemüse und das Fleisch, das wir kaufen - das alles hat mit Landwirtschaft, hat mit Agrarpolitik zu tun. Aber wir neigen in unserer hochtechnisierten Welt dazu, diese Zusammenhänge zu übersehen und zu vergessen. Gerade in den Städten ist dieser Bezug zu den natürlichen Lebensgrundlagen verloren gegangen. Meine These lautet daher: Agrarpolitik muss zu allererst wieder zu einem bewussten Teil der Gesellschaftspolitik werden.
Warum ist die Agrarpolitik eigentlich so wichtig? Weil die Landwirtschaft eine besondere Art der Wirtschaft ist. Sie stellt Lebensmittel her. Unsere Mittel zum Leben, unsere Lebensgrundlage. Unser tägliches Brot. Was in diesem Brot drin ist, wie es hergestellt wurde und wie die Lebensbedingungen von demjenigen sind, der es hergestellt hat - das alles ist entscheidend für unser Leben. Auch für das der Städter. Und auch Ernährung ist eine besondere Handlung. Sie ist das, was uns am Leben hält.
Im christlichen Symbol des Brotes wird das deutlich. Für Christen ist es das Brot Symbol für Gott selbst. Das Brechen des Brotes ist ein Symbol für das Teilen, für wechselseitiges Geben und Nehmen, für die Gemeinschaft. Und genau deshalb hat es auch diese zentrale Funktion beim christlichen Abendmahl. Doch auch im Alltag hat gemeinsames Essen eine soziale Funktion. Es stellt Gemeinschaft her.
Meine Damen und Herren, das sind Gedanken, die nicht gerade in Mode sind. Längst sind Fertiggerichte und fast food an seine Stelle getreten. Und dort, wo früher die gemeinsame Mahlzeit war, holt sich heute jeder seins und setzt sich damit vor den Fernseher oder den PC. Und während man früher gemeinsam am Tisch aß, ist heute eine ganz neue gesellschaftliche Gruppe entstanden: ich nenne sie die "Einhandesser". Nun liegt es mir fern, die vermeintlich gute, alte Zeit zu beschwören. Ich denke aber, dass wir wieder eine andere Esskultur brauchen. Und was wir auch dringend brauchen, ist eine Besinnung auf die natürlichen Lebensgrundlagen und ihre Wertschätzung.
2. Essstörungen und Übergewicht - gesellschaftliche Probleme unserer Zeit
Meine Damen und Herren, es gibt viele Probleme in Zusammenhang mit der Wertschätzung und dem Verzehr von Lebensmitteln. Eines, das wir alle gut kennen ist die steigende Zahl von Übergewicht und Essstörungen. Neueste Zahlen belegen, dass bereits die Hälfte der deutschen Bevölkerung übergewichtig ist. Das ist wirklich erschreckend. Die Weltgesundheitsorganisation spricht vom Übergewicht bereits als Epidemie. Parallel dazu steigen auch die Zahlen der Essgestörten. Schon 5% der jungen Frauen leiden an Magersucht oder Bulimie. Das erscheint unglaublich, unfassbar. Kann es sein, dass dieses Verhungern in der Überflussgesellschaft auch ein Verhungern in der Seele ist? Dass oftmals Magersucht und Fettsucht Strategien gegen das soziale und emotionale Verhungern in unserer Gesellschaft sind?
In jedem Fall sind sie ein soziales Problem. Bei Kindern ist Übergewicht inzwischen schon ein Zeichen von Armut geworden. Denn sie betrifft vor allem Kinder aus niedrigensozialen Schichten und aus Migrantenfamilien. Und deshalb ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass wir uns dieses Problems annehmen. Gerade für Kinder und Jugendliche sind die Folgen fatal: Sie leiden unter psychischem Druck und unter verbauten Zukunftschancen.
Und die gesamte Gesellschaft leidet unter den Kosten, die ernährungsmitbedingte Krankheiten, wie etwa Herz-Kreislauf-Probleme und Diabetes verursachen. Sie werden schon auf etwa ein Drittel der Gesamtkosten unseres Gesundheitswesens geschätzt. Die Kirchen haben gute Möglichkeiten, sich für eine gesunde Ernährung einzusetzen. Ganz konkret. Über die Verpflegung in Kindergärten und Schulen in katholischer Trägerschaft zum Beispiel.
Auch im Alter ist gesunde Ernährung wichtig. Auch hier haben Sie die Möglichkeit, in Ihren Pflegeeinrichtungen oder durch die ambulanten Pflegedienste Einfluß zu nehmen und sich für eine gesunde Ernährung im Alter einzusetzen. Und schließlich haben die Kirchen auch Einfluss auf unsere Esskultur.
Der jungen Generation die soziale Funktion des Essens wieder zu vermitteln ist eine wichtige Aufgabe. Und es ist ein Bestandteil von Ernährungserziehung. Es ist ein wichtiger Teil unserer Kultur. Das eröffnet auch Perspektiven für Ihre Gemeindearbeit: Wie wäre es zum Beispiel damit, in regelmäßigen Abständen gemeinsam essen zuzubereiten und zu essen. Oder gemeinsam Brot zu backen?
Das wäre eine Möglichkeit, die soziale Funktion des gemeinsamen Essens praktisch erfahrbar zu machen. Es wäre eine Möglichkeit, zu verhindern, dass noch mehr Kinder zu "Einhandessern" werden. Und wenn man sich vor Augen hält, dass in Deutschland inzwischen knapp 37% der Haushalte Single-Haushalten sind, gewinnt die gemeinsame Essenzubereitung und das gemeinsame Essen eine ganz neue Bedeutung. Übrigens gerade auch für die Gruppe der alten Menschen, die plötzlich allein sind.
3. Gemeinsam für eine nachhaltige Landwirtschaft
Meine Damen und Herren, eine größere Wertschätzung unserer Lebensmittel - das braucht auch unsere Landwirtschaft, das brauchen auch unser Bäuerinnen und Bauern. Der Entwurf, über den Sie heute verhandeln werden, spricht sich für eine nachhaltige Landwirtschaft aus. Er ist im Geist der Nachhaltigkeitsgipfel von Rio und Johannesburg entstanden. Nachhaltigkeit hat in unserer Arbeit immer drei Aspekte: den ökologischen, den sozialen und den ökonomischen. Es geht auch darum, dem ländlichen Raum wieder eine langfristige Perspektive zu eröffnen. Und darum, dass Landwirte von Ihrer Arbeit leben können.
Dafür haben wir in der Politik die wesentlichen Weichen gestellt: indem wir die Agrarwende eingeläutet haben. Das gilt jetzt auch auf europäischer Ebene, seitdem wir in diesem Jahr die sog. "Luxemburger Beschlüsse" gefasst haben:
Was bedeuten diese Luxemburger Beschlüsse?
1. Die Direktzahlungen an die Bauern werden von der Produktionsmenge entkoppelt. Das gibt den Bauern mehr Freiheiten, um sich an den Bedürfnissen der Verbraucher und an der Nachfrage zu orientieren.
2. Ein Teil der bisher zur Verfügung stehenden Mittel kann jetzt im Rahmen der sog. "Modulation" dazu verwendet werden, den ländlichen Raum insgesamt zu stärken und zusätzliche Einkommensmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen.
3. Die Direktzahlungen werden künftig an die Einhaltung von Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsvorschriften gebunden. Um mehr Qualität, mehr Umwelt- und Tierschutz kommen wir nicht herum. Das schafft im Übrigen auch die notwendige Akzeptanz bei den Steuerzahlern.
Sie sehen also: Mit diesen neuen Rahmenbedingungen geben wir Raum für eine Entwicklung der Landwirtschaft, die auch Ihrem Leitbild für eine nachhaltige Agrarpolitik entspricht.
Auch das ist notwendig, um Agrarpolitik wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Doch es bedarf noch mehr. Zum Beispiel neuer Bündnisse. Etwa zwischen Umwelt- und Naturschützern. Die Jugend macht uns das schon vor: Die Deutsche Landjugend und die BUND-Jugend betreiben eine Multivisions-Show. Sie tourt im Rahmen des Bundesprogramms Öko-Landbau durch die ganze Republik und wirbt bei Jugendlichen für die ökologische Landwirtschaft.
Auch Sie können Ihren Beitrag dazu leisten. Die katholische Kirche ist Besitzerin großer Ländereien. Ich weiß, dass mit diesen Flächen schon jetzt verantwortungsvoll umgegangen wird, indem sie nachhaltig und ökologisch bewirtschaftet werden. Mein Wunsch wäre selbstverständlich, die ökologisch bewirtschaftete Fläche der katholischen Kirche noch weiter auszubauen.
Meine Damen und Herren, wenn wir unser täglich Brot wieder mehr wert schätzen wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass derjenige, der es hergestellt hat, davon leben kann. Eine neue, multifunktionale Landwirtschaft wird den Bauern neue Einkommensquellen eröffnen: Etwa durch die Erzeugung von Energie durch Biomasse. Oder durch die Verknüpfung von Landwirtschaft mit Tourismus. Aber wenn wir wollen, dass die Landwirte von Landwirtschaft leben können, braucht es noch mehr. Es erfordert, dass die Gesellschaft ihre Arbeit wieder mehr wert schätzt.
Die Landwirtschaft stellt Lebensmittel her - die Mittel zum Leben. Ich habe nicht immer das Gefühl, dass die Gesellschaft das ausreichend würdigt. Die Deutschen geben ja bekanntlich EU-weit das wenigste Geld für Nahrungsmittel aus,aber das meiste für ihre Küchen. Küchen, in denen weder gekocht noch beim Essen ein Schwätzchen gehalten wird. Hier stimmt doch etwas nicht mit unseren Prioritäten. Wenn wir wollen, dass Agrarpolitik wieder zu einem Teil der Gesellschaftspolitik wird, dann müssen wir auch versuchen, Verbraucherinnen und Verbraucher davon zu überzeugen, für ihre Mittel zum Leben wieder einen angemessenen Preis zu bezahlen. Das heißt nichts anderes, als unser täglich Brot wieder wert zu schätzen.
4. Das Recht auf Nahrung auf die Agenda setzen
Meine Damen und Herren, "Unser täglich Brot" zu erhalten hat für viele Menschen weltweit eine ganz besondere Brisanz: Sie haben nicht ausreichend oder gesund zu essen. Uns ist oft gar nicht mehr bewußt, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, "unser täglich Brot" zu essen. Das war auch in Deutschland nicht immer eine Selbstverständlichkeit und in vielen Teilen der Welt ist es das auch heute noch nicht. 800 Millionen Menschen sind gegenwärtig von Hunger bedroht. Die Bekämpfung von Armut und Hunger muss deshalb wieder ganz oben auf der politischen Agenda stehen.
Hierbei sind die Kirchen wichtige Partner. Etwa mit den Hilfswerk MISEREOR, seinen zahlreichen Kampagnen oder den Eine-Welt-Läden. Die katholische Kirche nimmt ihre Rolle im Sinne einer globale Kirche wahr, für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Dafür, dass das "Recht auf Nahrung" für jeden Menschen erfüllt wird. Das Recht auf Nahrung umzusetzen heißt, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das ist ein Prinzip, das aus der katholische Soziallehre hervorgeht. Es geht nicht um gnädige Almosen und milde Gaben. Es geht darum, jedem Menschen ein würdiges Leben in Selbstbestimmung, ohne Abhängigkeiten zu ermöglichen.
Und deshalb brauchen und unterstützen wir auch die Erarbeitung internationalen Leitlinien zum Recht auf Nahrung so sehr.
5. WTO: für einen fairen Interessensausgleich sorgen
Mit einem in der UN verankerten Recht auf Nahrung wollen wir der Armuts- und Hungerbekämpfung ein wirksames Instrument geben. Agrarpolitik als Gesellschaftspolitik betrifft ja nicht nur die Interessen der Bauern und Verbraucher hier, sondern auch der sog. Entwicklungsländer.
Im Zeitalter der Globalisierung ist diese Interessenvertretung eine schwierige Aufgabe. Bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation, der WTO in Cancun konnten wir sie leider nicht lösen. Aber gerade im Interesse der Ärmsten der Armen, der sogenannten "least developed countries" brauchen wir hier ganz dringend eine Lösung. Denn die Alternative hieße: bilaterale Abkommen. Und dabei werden es sicherlich nicht die ärmsten Länder sein, die ihre Interessen gegen den jeweils stärkeren Verhandlungspartner durchsetzen können.
Ein gut ausgehandeltes internationales Abkommen böte aber die Möglichkeit, gerade für die ärmsten Länder Sonderregelungen zu verhandeln, damit sie intakte lokale Märkte aufbauen und ihre Ernährung aus eigener Kraft sicher stellen können. Deshalb kämpfe ich auch weiterhin dafür, dass diese Verhandlungsrunde zu einer "echten" Entwicklungsrunde für die sog. Entwicklungsländer wird.
Ich weiß: Da bleiben auch Konflikte zwischen denjenigen, die sich für die Nord-Süd-Gerechtigkeit engagieren und denjenigen, die hier um ihre landwirtschaftliche Existenzkämpfen nicht aus. Das werden Sie vielleicht aus Ihren eigenen Gemeinden kennen.
Das heißt aber auch, dass Sie in Ihren Gemeinden auch große Potentiale haben, diese unterschiedlichen Interessen zu diskutieren und zusammen zu bringen. Denn: Globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung gehören zusammen!
6. Grüne Gentechnik
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf ein weiteres, brisantes Thema kommen: Die Grüne Gentechnik.
Auch die wird in den Gemeinden sicherlich sehr kontrovers diskutiert. Wir haben über die Grüne Gentechnik einen langen gesellschaftlichen Diskurs geführt, an dem auch die Kirchen beteiligt waren. Wir kommen zu dem Schluß: Die Grüne Gentechnik ist ungeeignet, die Probleme der Welternährung zu lösen.
Aus verschiedenen Gründen:Ich bin ein großer Fan von technischen Neuerungen - etwa bei der Landmaschinentechnik.
Und ich bin auch sehr für Forschung - vor allem dann, wenn Sie dem Wohle der Menschheit dient. Aber ich stelle mir auch die Frage, wo die Grenze menschlicher Eingriffe in die Natur ist.
Und meine Befürchtung ist: Die Grüne Gentechnik kann diese Grenze überschreiten, wenn sie sich ungehindert verbreiten kann. Wir können heute noch gar nicht abschätzen, welche Dominanz gentechnisch verändertes Saatgut entwickeln kann und was es für die anderen Arten bedeutet.
Eine neue britische Studie weist nach, dass der Einsatz von gentechnisch verändertem Raps und Zuckerrüben mit den entsprechend dafür weiterentwickelten Pestiziden die biologische Vielfalt bedrohen. Ist es da nicht unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es diese Vielfalt der Arten noch in 10-15 Jahren gibt?
Denn die Artenvielfalt eines unserer wertvollsten Güter. Sie ist ein Geschenk, dass es zu schätzen und zu bewahren gilt. In der Jugendaktion von MISEREOR und dem BDKJ wird sie sogar als "grünes Gold" bezeichnet.
Viele Menschen hoffen ja, die Grüne Gentechnik könne ein Weg aus Hunger und Armut sein. Aber: Technik ist nicht das, was den Hunger bei seinen Ursachen bekämpft:
Denn die Ursachen sind nach übereinstimmender Auffassung aller internationaler Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen:
- Armut,
- fehlender Zugang zu Land und Wasser
- unfaire Handelsbedingungen sowie
- Krieg, Korruption und Misswirtschaft.
70 Prozent aller von Hunger bedrohten Menschen leben dort, wo Lebensmittel produziert werden: auf dem Land. Das heißt: Hunger ist häufig die Folge von politischem Versagen
- und nicht vom falschen Saatgut.
Hier geht es auch um das, was im Englischen "Food souvereignity" heißt. Es geht um das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung, auch beim Essen. Um das Recht, sich auch mit traditionell gewöhnten und typischen Lebensmitteln zu ernähren. Ich bin überzeugt, dass die Natur so ausgestattet ist, dass sie die Bedürfnisse des Menschen auch ohne gentechnische Veränderungen erfüllen kann - natürlich bei einer ausgewogenen Ernährung.
Ist es nicht unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass die Menschen hier frei wählen können? Dass sie die Wahlfreiheit haben?
Mein Ziel ist: es muss auch in Zukunft noch für jeden Menschen GVO-freie Nahrung geben.
Deshalb setzte ich mich auch für niedrige Schwellenwerte bei gentechnisch verändertem Saatgut ein. Und deshalb begrüße ich auch, dass der heute vorliegende Antragsentwurf der Wahlfreiheit der Menschen hohe Priorität einräumt.
Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ist die Skepsis ohnehin sehr groß. Das Gleiche gilt für die Bauern. 70 Prozent unserer Bauern wollen gar keinen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen.
Und ich kann Sie nur ermutigen: bringen Sie sich mit dieser Haltung in die öffentliche Debatte ein. Die Kirchen sind wichtige Multiplikatoren. Gerade dann, wenn es um ethische Fragen geht.
7. Geteilte Verantwortung
Meine Damen und Herren, die Agrarpolitik ist in der Mitte der Gesellschaft. Nicht jeder muss sich mit der Komplexität der Agrarpolitik in Brüssel oder eines Codex Alimentarius beschäftigen. Jede und jeder entscheidet mit, wie es dieser Erde geht. Wir tun es täglich durch unser Kaufverhalten.
In meinem Kopf entfaltet sich eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen. Einige habe ich bereits erwähnt:
- Kindern und Jugendlichen eine andere Esskultur zu vermitteln
- Für eine gesunde Ernährung in Kitas und Altenheimen in kirchlicher Trägerschaft zu sorgen. Warum nicht auf regionale und saisonale Produkte umstellen? Das würde auch den Bauern vor Ort zu gute kommen.
- die ökologische Bewirtschaftung der kirchlichen Nutzflächen voran zu bringen.
Hier haben Sie als Aktive in der Laienbewegung großen Einfluss. Aber es gibt noch weitere Möglichkeiten:
Ich will ja jetzt nicht übermütig werden, aber: Haben Sie in Ihren Gemeinden schon einmal nachgefragt, wo der Messwein genau herkommt?
Mir sind zwar keine Zahlen für Deutschland bekannt. Aber alleine in Italien werden jährlich über 700.000 Liter Messwein getrunken. Selbst wenn es in Deutschland nur halb soviel sein sollte: Sich hier für nachhaltig erzeugte Produkte einzusetzen - das würde dem Weinbau einen kräftigen Schub in die richtige Richtung geben! Hier gilt der gleiche Leitsatz wie bei der Landwirtschaft generell: "Regional ist erste Wahl!"
Meine Damen und Herren, Sie alle werden in Kürze den Nikolaus-Stiefel zu füllen haben. Warum nicht mit nachhaltig erzeugten oder fair gehandelten Produkten? Da gibt es inzwischen wunderbare Dinge auf dem Markt. Man verschenkt zu Weihnachten ja auch gerne als Dankeschön ein Pfund Kaffee. Warum nicht einmal Fair gehandelten?
Sie sehen also: Jede und jeder kann etwas tun. Und sie sehen: in dem Satz "unser täglich Brot gib uns heute" liegt eine ungeheure Sprengkraft: die der geteilten Verantwortung und die der gemeinsamen Gestaltungsmöglichkeit.
Im Englischen gibt es die schöne Formulierung "Eat the landscape". Ich habe bis heute keine adäquate Übersetzung dafür gefunden. Es bedeutet: Wir gestalten unser Land, unser Leben auch damit, was wir essen. Wie es angebaut wurde, wie die Tiere gehalten wurden. Wie und was wir essen entscheidet auch über unsere Gesundheit, die unserer Kinder. Entscheidet über die Zukunft, über unsere Lebensgrundlage!
Katholiken sprechen von "Respekt vor der Schöpfung". Wir in der Politik nennen es Nachhaltigkeit - im Ziel sind wir uns einig. Einig darüber, das auch die nachfolgenden Generationen noch eine gesunde Lebensgrundlage vorfinden können müssen. Deshalb ist Agrarpolitik zentraler Teil der Gesellschaftspolitik!