"Gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa - Verantwortung katholischer Laien"

Statement von P. Dietger Demuth im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident Professor Meyer,
sehr geehrter Herr Generalsekretär Dr. Vesper,
sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich zunächst herzlich Dank sagen dafür, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken es mir als Geschäftsführer von Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, heute ermöglicht, im Rahmen der Vollversammlung der Vertretung der Laien in der Bundesrepublik Deutschland über die Ar-beit der Solidaritätsaktion zu sprechen.

Sehr froh bin ich darüber, dass wir heute Abend in St. Albertus Magnus mit dem Stuttgarter Bischof Dr. Gebhard Fürst einen Gottesdienst anlässlich des 10-jährigen Bestehens von Renovabis feiern und damit auch Gott Dank sagen dürfen, dass wir mit den Menschen in den Gesellschaften des ehemaligen „Ostblocks“ ein Stück weit auf ihrem schwierigen Weg des Umbruchs und der Transformation gemeinsam gehen dürfen. Ist es doch Aufgabe der Kirche, die Menschen gerade in schwierigen Zeiten, in sozialer und personaler Not, zu begleiten. In der „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“ dürfen wir lesen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (Gaudium et spes, 1.).

Die Kollekte des Gottesdienstes in St. Albertus Magnus wird in ein Projekt von Renovabis fließen, das den Aufbau eines zentralen Laienbüros in Kroatien zum Ziel hat. In Kroatien, wo die Kirche eine zentrale Rolle im Werden der Bürgergesellschaft einnimmt, ist es derzeit besonders wichtig, die vorhandenen lokalen, regionalen und diözesanen Laieninitiativen zu bündeln. In diesem Prozess wird diesem Büro eine Schlüsselfunktion zukommen.

Lassen Sie mich nicht zuletzt dafür danken, dass aus den Reihen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken der Anstoß kam, Renovabis 1993 ins Leben zu rufen. Besonders erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die Vorstöße des langjährigen Generalsekretärs des ZdK, Dr. Friedrich Kronenberg, und der damaligen Präsidentin des ZdK, Rita Waschbüsch. Beide tragen bis heute an herausgehobener Stelle Verantwortung für die Arbeit von Renovabis. Das ZdK ist ein wichtiger geistiger Wegbegleiter für die Solidaritätsaktion Renovabis. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nicht zuletzt an die Impulse, die ZdK-Präsident Prof. Meyer letztes Jahr beim Internationalen Kongress Renovabis oder ZdK-Generalsekretär Dr. Stefan Vesper bei den beiden Internationalen Tagungen zur Laienarbeit in Ungarn und Rumänien gegeben haben. Sie haben dabei an die Verantwortung aller Getaufter für die Kirche erinnert.

Gemeinsam mit dem ZdK gibt Renovabis seit drei Jahren die Zeitschrift „Ost-West. Europäische Perspektiven“ heraus, die ausführlich über gesellschaftspolitische Entwicklungen und das kirchliche Leben in den Staaten des ehemaligen kommunistischen Herrschaftsbereichs in Mittel- und Osteuropa informiert.

Zehn Jahre „Solidarität in Partnerschaft“ – Ein Blick zurück

Lassen Sie mich angesichts des 10-jährigen Bestehens von Renovabis nur einige wichtige Stationen der Entwicklung der Solidaritätsaktion in Erinnerung rufen. Im September 1992 legte das Präsidium des ZdK „Leitgedanken zu einer Partnerschaftsaktion deutscher Katholiken für europäische Solidarität von Ost und West“ vor, im selben Monat beschloss die Deutsche Bischofskonferenz, eine Kollekte für die Menschen in Mittel- und Osteuropa in allen Gottesdiensten durchzuführen, später einigten sich die Bischöfe auf den 2. Mai 1993 als Termin für die Kollekte.

Eine Schlüsselfigur auf dem Weg zur Realisierung des Gedankens einer Solidaritätsaktion war Weihbischof Leo Schwarz aus Trier, der bis heute als Vorsitzender des Aktionsausschusses von Renovabis fungiert. Aber auch die Rolle des heutigen Kurienkardinals und damaligen Vorsitzenden der Kommission für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Walter Kasper, darf nicht gering eingeschätzt werden. Leo Schwarz ist der Name für die Aktion „Renovabis“ nach Psalm 104 zu verdanken: „Renovabis faciem terrae –Du wirst das Antlitz der Erde erneuern“ wurde zum Leitgedanken der Solidaritätsaktion der deutschen Katho-liken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa. Genau um die Erneuerung des Antlitzes der Erde, der Kirche wie der Gesellschaften, ging es den katholischen Bischöfen und Laien, sie wollten und wollen einen Beitrag für die Erneuerung des Glaubens und für den Aufbau von Zivilgesellschaften in Mittel- und Osteuropa leisten – in Solidarität und auf der Grundlage des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Formell errichtet wurde Renovabis dann durch einen Beschluss der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz Anfang März 1993. Noch im März wurde eine erste Ge-schäftsstelle in Trier eingerichtet. Rund 22 Millionen DM hat die erste Kollekte ergeben. Im September 1993 siedelte die Geschäftsstelle der Solidaritätsaktion, die dann unter der Leitung des Jesuiten Eugen Hillengass stand, nach Freising um. Und im Oktober 1993 konnte in Freising das erste Treffen von Osteuropa-Partnerschaftsgruppen ausgerichtet werden. Bereits 1993 wurden zwei Säulen der Arbeit von Renovabis unübersehbar: die Projekt- und die Part-nerschaftsarbeit. Nicht übersehen werden darf aber auch die Bewusstseinsbildung und Öf-fentlichkeitsarbeit, die Renovabis nicht nur im Umfeld der Pfingstaktion leistet.

Rund 10.000 Projekte – eine erfreuliche Bilanz

Seit der Errichtung der Solidaritätsaktion 1993 konnten rund 10.000 soziale und religiöse Projekte mit einem Volumen von mehr als 260 Millionen Euro in den 27 Staaten des ehemaligen kommunistischen Ostblocks durch Renovabis gefördert werden. Allein im Jahr 2002 war es möglich, insgesamt 1224 Projekte mit einem Finanzvolumen von über 34 Millionen Euro zu unterstützen.

Gefördert wird ein breites Spektrum von Maßnahmen der Partner vor Ort, etwa die „Schulen für Europa“ in Bosnien, in denen Kinder und Jugendliche verschiedener ethnischer und religiöser Herkunft Verständnis füreinander erlernen, ferner Kindergärten, Waisenhäuser und Jugendzentren; der Bau von Kirchen und Pfarrzentren wird in manchen Staaten gefördert, Stipendien für Studierende werden gewährt.

Die Förderung der Laienarbeit in den mittel- und osteuropäischen Staaten spielt in der Projektarbeit von Renovabis eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel die Arbeit von zwei Beratern auf Zeit mit diesem Schwerpunkt unterstreicht. Die Resonanz unserer Partner in den Staaten Mittel- und Osteuropas auf die Förderpraxis von Renovabis lässt sich als sehr gut be-schreiben. So übermittelte uns Bischof Josef Werth aus Novosibirsk vor kurzem eine Grußadresse, in der er mitteilte: „Auf die letzten 10 Jahre zurückblickend muss ich sagen, dass Re-novabis zu den größten und am effektivsten arbeitenden Wohltätern unserer Kirche in Russland gehört“.

Herausforderungen bleiben

Die Vergangenheit ist zwar eine wichtige Quelle für die eigene Identität, für das eigene Han-deln, doch wollen wir nicht den Blick nach vorn vergessen. Die Europäische Union wird im Mai 2004 um zehn neue Staaten, davon acht mittel- und osteuropäische Länder, erweitert werden. Dies ist eine erfreuliche Tatsache.

Mit der sogenannten EU-Osterweiterung, sind die Risse und Kluften zwischen Ost und West jedoch keineswegs zugeschüttet. Die Aufnahme der zehn Staaten in die EU kann allerdings einen Schritt bedeuten, die mentale Spaltung zwischen West und Ost zu überwinden. Die Kirchen sind bereit, hier mitzuwirken. Sicherlich kommt dabei gerade auch der katholischen Soziallehre mit ihren Prinzipien und der Botschaft von einer sozial gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung eine besondere Bedeutung zu.

Langfristig muss es uns um die soziale sowie um die „kulturelle Vervollständigung Europas“ gehen, wie es Karl Kardinal Lehmann formuliert hat. Und daran muss Renovabis mit aller Kraft arbeiten. D.h. wir müssen unseren Blick zwar in erster Linie nach Mittel- und Osteuropa richten und neben Projektarbeit eine intensive und nachhaltige Partnerschaftsarbeit leisten, wir müssen aber auch Brücken bauen zwischen den Menschen in Westeuropa – über Deutschland hinaus –und Osteuropa.

Renovabis freut sich darüber, dass viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland mit uns an einem Strick ziehen. Lassen Sie mich dies mit zwei Tatsachen belegen:

- Die Studie des Sozialwissenschaftlers Prof. Karl Gabriel über Partnerschaftsgruppen mit Osteuropa hat unter Beweis gestellt, dass rund 50.000 Menschen in Deutschland aus un-terschiedlichen Motiven und in verschiedenen Formen aktiv Partnerschaftsarbeit leisten.

- Und das Ergebnis der Pfingstkollekte und der Spenden für Renovabis im vergangenen Jahr darf als gut bezeichnet werden. Trotz der dramatischen Hochwasserlage und der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage blieb das Ergebnis von Kollekte und Spenden für die Solidaritätsaktion im Jahr 2002 gegenüber dem Vorjahr 2001 konstant.

Verantwortlich für den Nächsten – Aktion 2003

Unter dem Motto „Nachbar sein. Zum Nächsten werden!“ wirbt die Solidaritätsaktion Renovabis in ihrer Pfingstaktion 2003 dafür, dass die Menschen, die ehemals diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ in Europa lebten, die anonyme Nachbarschaft aufgeben und fürein-ander zu Nächsten werden. Nächste sind, davon bin ich überzeugt, dazu bereit, gegenseitig praktische Solidarität zu üben.

Am 18. Mai wird Joachim Kardinal Meisner, im Kölner Dom die diesjährige Pfingstaktion eröffnen. Wir freuen uns, dass der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, bei der anschließenden Feierstunde die Ansprache halten wird. Wie für Renovabis üblich, werden auch in diesem Jahr Repräsentanten aus Kirche und Gesellschaft in den Staaten Mittel- und Osteuropas aktiv in die Pfingstaktion eingebunden, zum Beispiel Lubomyr Kardinal Husar, der Großerzbischof von Lwiw/Lemberg (Ukraine), Audrys Kardinal Backis, der Erzbischof von Vilnius (Litauen), Bischof Joseph Werth SJ aus Novosibirsk (Russland), Beata Broczky von Justitia et Pax aus Ungarn und viele andere. Weitere Aktionsorte in NRW sind Düsseldorf und Wuppertal neben Bonn.

In Erlangen werden am 22. Mai Vertreter verschiedener Konfessionen mit EU-Kommissar Günter Verheugen über den Beitrag der Christen zum Bau eines Hauses Europa diskutieren. In Trier werden wir die Renovabis-Aktion am Pfingstsonntag, 8. Juni, mit einem Pontifikalamt mit Bischof Dr. Reinhard Marx, Bischof Mychaijlo Koltun CSsR aus der Ukraine und Renovabis-Gründervater Weihbischof Leo Schwarz beschließen. Dass wir uns am Ökumenischen Kirchentag beteiligen, ist selbstverständlich.

Vom „Eisernen“ und „Silbernen Vorhang“

Die Arbeit von Renovabis, die Erneuerung der Kirche und Gesellschaften in Mittel- und Ost-europa, ist noch lange nicht getan. Die Aufnahme von zehn Staaten in die EU garantiert nicht automatisch soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit in Europa und schon gar nicht ausgewogene Verhältnisse in den Gesellschaften der Beitrittsländern.

Noch schlechter ist es aber um die wirtschaftliche und soziale Lage weiter Bevölkerungsteile in den Staaten bestellt, die über lange Zeit oder auf Dauer Anrainer der EU bleiben werden. So hat z.B. der russisch-orthodoxe Patriarch davor gewarnt, dass ein „Silberner Vorhang“ an die Stelle des „Eisernen Vorhangs“ treten könne – freilich geographisch um einige hundert Kilometer nach Osten verlagert. Die sozioökonomischen Daten sprechen eine beredte Sprache für diese These: So müssen die meisten Rentner in der Ukraine, aber auch in Rumänien mit 10 bis 20 Euro pro Monat ihr Dasein fristen. Moldawien, dessen vier Millionen Einwohner im Jahr pro Kopf gerade 380 Dollar und damit kaum mehr als die Menschen in Sambia oder dem Sudan erwirtschaften, ist zum „Armenhaus Europas“ herabgesunken. In Montenegro, auf dem Balkan, leben Menschen ohne gesicherte Versorgung mit hygienisch-einwandfreiem Wasser.

Und in Moldawien, auf dem Balkan und in Litauen gehören Frauenhandel und Zwangs-prostitution zum menschenverachtenden Alltag. Angesichts dieser ungeschminkten Wirklichkeiten von Elend und Armut, von Straßenkindern und Frauenhandel können sich die Menschen in West- und Mitteleuropa nicht aus ihrer Verantwortung herausstehlen. Gerade Christen sind gefordert, am Aufbau einer gerechteren Ordnung für unsere Nächsten im Osten sowie an der Verbreitung des Christentums mitzuarbeiten, „soziale Not zu lindern, partnerschaftliche Zusammenarbeit und die Entwicklung gemeinschaftlichen Denkens und Handelns in ganz Europa zu fördern“, wie es Bundestagspräsident Thierse in einer Grußbotschaft beschrieben hat. Gern erinnere ich daran, dass unser Hl. Vater in der Enzyklika „Centesimus annus“ zwei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Forderung erhoben hat, daran mitzuarbeiten, die „Humanökologie“ zu realisieren.

Trotz aller Probleme sind wir froh darüber, dass wir uns auf dem Weg von einer „Solidaritätsaktion“ zu einer „Solidaritätsgemeinschaft“ so Kardinal Meisner befinden. Diesen wollen wir als Renovabis fortsetzen und uns dabei auch als kirchliche Fachstelle für Osteuropafragen weiter profilieren.

Pater Dietger Demuth CSsR, Geschäftsführer von Renovabis

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