"Gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa - Verantwortung katholischer Laien"
Statement von András Máté-Tóth im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Die theologischen und organisatorischen Rahmen bestimmen oder prägen auch die Bilder der Laien in der Reformregion Ost-Mittel-Europa. Wie die Kirchenbilder das theologische und pastorale Denken der Kirche einfärben, so sind die Bilder der Laien auch allgegenwärtig wirkmächtig. Diese Bilder sind vor allem in der Praxis der Pastoralfelder vorzufinden und weniger in der ohnedies sparsamen pastoraltheologischen Literatur. Sie werden nicht nur von den Klerikern getragen, sondern kennzeichnen oft die Identität der Laien selber. Die meisten Länder in dieser Region sind in erster Stelle nicht von einer Kleriker-Laien-Spannung oder Spaltung charakterisiert, sondern eher von einer Einheit der im Folgenden beschriebenen Laienbilder. Es mangelt nicht an Konflikten zwischen den zwei „Ständen“ der Kirche, aber diese sind eher latent. Wo sie in die kirchliche Öffentlichkeit einbrechen, handelt es sich meistens um Extremfälle, die von der allgemeinen kirchlichen Meinung viel mehr mit Skepsis als mit Laiensolidarität empfunden werden.
Frommer Messbesucher
Das Idealbild des Laien ist ein frommer Messbesucher. Die religiöse Praxis der praktizierenden Alltagskatholiken war selbst in der „kommunistischen Verfolgungszeit“ vor allem oder manchmal ausschließlich durch den regelmäßigen Messbesuch verwirklicht. Die „Kirche in der Sakristei“ traf die Laien in der eucharistischen Liturgie; lange Zeit, in einigen Ländern sogar bis zu der politischen Wende, passierte die kirchliche Kommunikation beinahe ausschließlich in diesem heiligen Raum unter der aufmerksam schweigenden Beteiligung der Messbesucher. In vielen Fällen ist das Kriterium der Christlichkeit identisch mit dem Messbesuch; die Entwicklungen in der Kirche werden nicht selten daran gemessen, wie viele Laien zur Sonntagsmesse kommen. Bei dieser Bedeutung des Messbesuchs als Hauptmerkmal der Laienexistenz wird hier von der religiösen Bedeutung und kirchlichen Lehre der Eucharistie abgesehen. Es geht hier nur darum, die praktischen Merkmale eines Laien in Ost(Mittel)Europa zu beschreiben.
So wie die meisten Priester den Messbesuch der Laien hoch bewerten, identifizieren sich auch viele engagierte Laien mit der Rolle des frommen Messbesuchers. Durch biographische Interviews wurde klar, welche identitätsstiftende Bedeutung diesem Messbesuch von den Laien beigemessen wird. Viele – vor allem weniger gebildete Menschen in weniger modernisierten Gebieten – betrachten den Messbesuch als Hauptkriterium für die Treue zum Christentum und zur Kirche.
Gehorsamer Ausführer
Der zentralen und exklusiven Rolle des Pfarrers in den Gemeinden mit oft gar keinen pastoralen Gremien (wie z. B. Pfarrgemeinderat) entspricht auf der Laienseite eine Ausführerrolle. Die Ausbildung der Priester geschieht in vielen Priesterseminaren noch in der vorkonziliaren Auffassung, wonach die Priester für alles in der Gemeinden nicht nur letzte, sondern alle Verantwortungen tragen. Wenn sie delegieren, dann nur die Arbeit und nicht die Verantwortung und die dazu nötige Handlungsfreiheit. Im Grunde genommen sind die Laien passiv, ihre Aktivität wird vom Pfarrer erst durch die Erteilung von Aufträgen freigesetzt. Da meistens nur die Pfarrer über genügende Informationen bezüglich der pastoralen Erfordernisse verfügen, geben sie diese Information nicht weiter, um sie mit fachkundigen Laien zu besprechen und um zu gemeinsam getragenen Entscheidungen zu kommen, sondern sie verteilen Aufgaben und erwarten eine präzise Ausführung.
Unter den Laien ist demgemäß mehr eine abwartende Grundeinstellung verbreitet: Sie warten auf die Zuweisung von Aufgaben; Eigeninitiativen sind eher in größeren Stadtpfarreien mit mehr höher gebildeten Laien anzutreffen. Neben der mangelnden Bereitschaft zur Initiative mangelt es noch mehr an Informationen darüber, was zu tun und zu lösen wäre.
Selbstloser und fleißiger Diener
Die ersten zwei Merkmale der Laien waren vor allem von deren Passivität gekennzeichnet. Die Kirchen in diesen Ländern sind aber voll von selbstlosen und fleißigen Dienern (Männern und noch mehr Frauen), die ihr Christsein vor allem darin verwirklichen, dass sie sich (meistens gratis) zur Verfügung stellen. Diese Ehrenamtlichkeit ist im Grunde keine freie Wahl der Betroffenen, sondern eher ein aus der Religiosität und aus dem Kirchenbild erwachsendes Pflichtgefühl des Dienen-Müssens. Die stärkste Generation sind dabei die älteren Menschen, die vor der Kriegszeit eingeübt haben, dass für die Kirche etwas zu tun ist; das gehört einfach zu einem anständigen Katholiken. Damals war die Kirche reich an (Laien-)Personal. Nach dem Krieg verlor die Kirche nahezu ihr ganzes Laienpersonal und hatte weder das Recht noch die Finanzen, um Laienangestellte zu beschäftigen. Aber das Pflichtgefühl blieb erhalten, obgleich die Chancen für eine Anstellung aussichtslos blieben.
Viele im Kreis der Laiendiener stammen aus den Erneuerungsbewegungen. Es gibt zwar darüber keine richtige Statistik, aber es ist vielleicht nicht ganz unrecht zu behaupten, dass die meisten aktiven Laien aus diesen Bewegungen kommen und ihre Aktivität für die Kirche engstens mit ihrer Bewegungsspiritualität zusammenhängt. Diese Ansichten fanden auch manchmal in den Abschlussdokumenten der Diözesansynoden einen Niederschlag. Dadurch entsteht eine Spezialität in der Auffassung der Laien. Die selbstlosen Diener werden nicht selten Laien im eigentlichen Sinne des Wortes genannt, wogegen die Messbesucher und Ausführer einfach nur als „Gläubige“ gelten. Der aus dem Konzil kommende Ausdruck „Laie“ wird hier in einem speziellen Sinne des Wortes verwendet, was auch ekklesiologische Probleme mit sich bringt. Nach der Lehre des Konzils, des Kirchenrechtes und aller kirchlichen Dokumente hängt der Laienstatus nicht mit der Tätigkeit oder Einstellung zusammen, sondern mit der Taufe, mit der göttlichen Berufung und mit der fundamentalen Partizipation am dreifachen Amt Jesu Christi. In dieser Hinsicht ist also „Laie“ ein Programmwort für eine Kirche, wo alle nach ihren speziellen Charismen an der Arbeit im Weinberg des Herrn teilnehmen. Wer dort nicht arbeitet, der lässt sich nur von einem kirchlichen Service bedienen.
Ein wichtiges Moment spielt dabei die Finanzierung. In den meisten Ländern Ost(Mittel)Europas gibt es im Verhältnis zu Westeuropa nur sehr wenige kirchliche Angestellte. Die erste Begründung dafür ist der Mangel an Finanzierungsmitteln. Das Problem ist aber weniger wirtschaftlich als theologisch. Viele Fallanalysen haben gezeigt, dass im Notfall die Finanzierungsfrage hätte gelöst werden können, wenn kein kognitives Hindernis im Wege stünde. Diese ekklesiologische Einstellung heißt: Dienen in der Kirche ist eine Auszeichnung für die Laien, ein Opfer, das man Gott darbringt. Ein Pfarrer sagte in einem Interview: „Wenn ein Laie Geld für seine Arbeit in der Kirche fordert, ist er schon verdächtig.“
Mit diesen Aussagen sollte die Problematik der Finanzierung nicht gemildert werden. Auch die mannigfachen Lösungsversuche sollen nicht unterschätzt werden, die eine angemessene Einstellungsmöglichkeit für Laienmitarbeiter anzielen. Es geht hier nur darum, auf einen Aspekt der Auffassung über die Laien und ihrer eigenen Selbstdefinition hinzuweisen.
Politischer Fürsprecher
Die Wende brachte erneut die Möglichkeit, dass Christen oder Menschen, die die europäischen jüdisch-christlichen Traditionen der Politik für wertvoll gehalten haben, eine aktive politische Tätigkeit, vor allem als Abgeordnete auf Landes- oder Kommunalebene übernehmen. Die Kirchenleitung erblickt in dieser Laienrolle eine Chance für die Erweiterung ihrer pastoralen (und auch politischen) Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Laien sind für die Kirche politische Fürsprecher, sie werden bei vielen konkreten kirchlichen Angelegenheiten aufgesucht, in kirchlichen Kreisen gern gesehen und von kirchlich positiv gestimmten Wählern auch gewählt. Dabei kann davon abgesehen werden, was für christliche Qualität und Programme diese neuen Politiker vertreten und wie ihre enge Zusammenarbeit mit bestimmten kirchlichen Gruppen und Persönlichkeiten sich auf das Image der Kirche auswirken. Grundlegend aber für das Bild der Laien in Ost(Mittel)Europa ist dieses Merkmal des politischen Fürsprechers, der sich dann auch verpflichtet fühlt, sozusagen neben seiner politischen Arbeit für das Gemeinwohl zusätzlich auch für die Kirche Lobbyarbeit zu machen. Die Berichte und Interviews solcher Politiker deuten auf eine gegenseitige Legitimierung hin: Die katholische Kirchenleitung legitimiert den christlichen Politiker und umgekehrt legitimiert der Politiker diverse kirchliche Vorhaben.
Pastoraltheologische Ermutigungen
Die Theologie, vor allem die Praktische Theologie, hat die Aufgabe, durch seriöse wissenschaftliche Arbeit und durch sprachliche Klarheit die wandernde Kirche als Institution und die wandernden Christen zu einer kontextgerechten und engagierten Nachfolge zu ermutigen. Eine Theologie ohne Dynamik des Geistes und der Lebensräume ist eigentlich keine Rede über Gott. Eine Theologie ohne seriöse Wissenschaftlichkeit, wozu im Falle der Praktischen Theologie insbesondere auch die Gesellschaftsanalyse gehört, ist keine wissenschaftliche Rede über Gott. Ohne Kulturregionen schematisieren zu wollen, kann man doch ungeschützt den Eindruck referieren, dass die Theologie in den freien Gesellschaften eher der Versuchung ausgeliefert ist, mehr die Wissenschaftlichkeit als die Mystik in der theologischen Arbeit in den Vordergrund zu stellen, und in den Kirchen der neugewonnenen Freiheit ist es eher umgekehrt. Vielleicht aber kann man gerade in der Praktischen Theologie der letzten zwei Jahrzehnte eine wiedergewonnene Lebensnähe beobachten. Man denke nur an die vermehrte Bedeutung der Kontextualität oder der Biographieforschung im Westen. In Osten ist die Aufgabe der Vertiefung der Wissenschaftlichkeit, die vor allem in der Aufnahme der Methodendiskussion und in der Wahrnehmung der Rolle der Sozialwissenschaften bestünde, noch weitgehend ungelöst.
Im Folgenden sollen pastoraltheologische Ermutigungen gegeben werden, wobei es vor allem um die Laien in der „Welt“, also in der Gesellschaft gehen soll. Der eine Grund ist kontextuell. Die Mitarbeit der Laien im direkt pastoralen Dienst des Priesters ist ein viel diskutiertes Thema, welches viele Empfindlichkeiten berührt und viele Emotionen weckt. In der Kirche der Reformländer ist diese Dimension dermaßen im Vordergrund, dass die Arbeit der Laien in der Gesellschaft nahezu nie vorkommt, obgleich diese die deutlich betonte Seite der Lehre des Konzils und auch von „Christifideles laici“ ist. Anscheinend betont das Lehramt auch mehr die Grenze der Mitarbeit der Laien und weniger die breiten Felder ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten, die kirchenrechtlich im neuen Kodex gesichert sind. Hier entstanden Barrieren, die wahrscheinlich nicht schnell abgebaut werden können. Eine Theologie auf der Basis der Erfahrungen der Gesellschaften Ost(Mittel)Europas ist nicht dazu berufen, diese Diskussion zu meistern.
Würde der Jünger
Die wichtigste Quelle der christlichen Identität ist die Bibel. Die religiösen Menschen – mindestens in den Großreligionen – haben ein „Kreaturgefühl“ gegenüber einem Gott, der „mysterium tremendum et fascinosum“ zugleich ist. Die Evangelien, basierend auf der Volk-Gottes Auffassung des ersten Bundes, sprechen über die Gemeinschaft aller Nachfolger Jesu als Volk Gottes. Die Mitglieder dieses Volkes sind Kinder Gottes, sind Jünger Jesu, sind die, für die Jesus sein Leben hingegeben, denen er seinen Geist gesandt hat. Dadurch wurden sie zu einem priesterlichen Volk. Die Identität der Christen beruht auf dieser Erwählung. Die Jünger Jesu damals und auch heute gewinnen ihre Identität durch die Nachfolge, durch das starke religiöse Bewusstsein, dass Gott sie liebt und ihnen alle Perspektiven öffnet über Unglück und Tod hinaus.
Der springende Punkt der theologischen Ermutigung ist die regelmäßige Kundgabe dieser Botschaft von einem liebenden Gott, der kein totalitärer Herrscher ist, der nicht willkürlich entscheidet, der sich in Jesus als der Schwächste unter den Schwachen gezeigt hat. Die Würde der Jünger und heute aller Christen, da sie alle unterschiedslos und gleichrangig zum Volk Gottes gehören, speist sich nicht von Strukturen, nicht von der Hierarchie, nicht von ihren Arbeitsverhältnissen in der Kirche und auch nicht von ihrem Schicksal in der Gesellschaft, sondern grundsätzlich aus der religiös erfassten, von Gott initiierten und aufrechtgehaltenen Nähe zu ihm in Christus durch den Heiligen Geist.
Die Laienfrage mag in der Theologie ein großes Problem sein, da sich die Theologie als Wissenschaft um die Klarheit der Begriffe kümmert, und diese Begriffe haben in der Kirche nicht nur eine intellektuelle, sondern auch immer eine politische Geschichte.
In einer solchen Situation der Kirche in den Reformländern hat die Erinnerung an die Botschaft über das Volk Gottes und die daraus resultierende Identität und Würde aller Christen eine besondere Bedeutung, da die Kirche nach vielen Jahren der Verfolgung zu sehr auf die Wiederherstellung von Strukturen konzentriert ist, Inhalte des Glaubens aber in den Hintergrund zu treten in Gefahr sind. Nach zehn Jahren Freiheit ist aber die Zeit reif, uns erneut und voller Engagement auf die Inhalte der christlichen Botschaft zu konzentrieren und dabei die Frische des Geistes des Konzils allen im Originalton zugänglich zu machen.
Spiritualität der Weltgestaltung
Die ganze Kirche ist missionarisch. Wenn sie diese Sendung zur Welt, die Aufgabe der (modellhaften) Neugestaltung dieser Gesellschaft nicht erfüllt, dann ist sie nun mehr eine Hülle, aber keine lebendige religiöse Organisation mehr. Im Grunde genommen ist es für Christen unhaltbar, die Erfahrung des Geistes Gottes nicht weitergeben zu wollen. Alle biblischen Erzählungen beweisen, dass der Geist Gottes zur Martyria drängt. Eine nichtmissionarische Kirche hat ihr Problem nicht vor allem mit den Missionsinstituten, sondern mit ihrem Glauben, mit der Lebendigkeit ihrer Frömmigkeit.
In einer Zeit, in der die klerikale Seite der Kirche – verursacht durch die vielen äußeren und inneren Probleme der heutigen Zeit – schwach ist, stehen die Laien, die mündigen Bürger der Kirche Gottes, vor einer großen Herausforderung: die Verantwortung für die Weitergabe des Wortes Gottes voll wahrzunehmen und danach zu handeln. Nicht die Bischöfe und die Pfarrer sind die Träger des missionarischen Auftrags, sondern der Geist Gottes selbst. Im Bewusstsein dieses Auftrags sind die Laien, die zivilen Menschen, dort wo sie leben und arbeiten, Boten Gottes. Die Menschen um uns herum fragen nicht danach, wie es mit der „missio canonica“ rechtlich aussieht, sondern danach, wie glaubwürdig und alternativ die Praxis und das Denken eines jeden ist. Jeder Laie verwirklicht seine religiöse Lebensaufgabe durch sein christliches Dasein in der Welt. Wo Laien für mehr Gerechtigkeit, mehr Solidarität, mehr Liebe, mehr Ehrlichkeit, mehr Wahrheit in ihrem zivilen Lebensbereich auftreten, dort wird die göttliche Botschaft des Evangeliums präsent.
In diesem Sinne, über alle korrekten theologischen Korrekturen hinaus, wirkt es eindeutig befreiend, wenn auf den Weltcharakter des Laiendienstes hingewiesen wird. Die Laien sind in der kirchlichen Verkündigung nicht deshalb wichtig, weil sie etwas mehr Spielraum innerhalb der Kirche erreichen können oder des Priestermangels wegen vorübergehend auch sollen, sondern weil ohne Laien Gott und das Evangelium in der Welt nicht in vielfältigster Weise präsent sind. Ohne Laien gibt es keine Kirche in der Welt. Auch der Weltdienst der Laien ist somit ein geistlicher Dienst, insofern nämlich „ein geistlicher Mensch sein“ heißt: aus dem Heiligen Geist Gottes heraus zu leben.
Kirche für die zivile Gesellschaft in Ost(Mittel)Europa
In der kirchlichen Öffentlichkeit der Reformländer wird seit der Wende weit und breit erzählt, wie die Kirche in ihrer Struktur, in ihrer gesellschaftlichen Stellung und in ihren Mitgliedern verfolgt und verhindert wurde. Dabei wird oft wenig wahrgenommen, dass die kommunistische Diktatur die ganze Gesellschaft stark umstrukturiert hat. Die kirchlichen Mikrostrukturen wurden als Teil der Zivilgesellschaft vernichtet oder unter Totalkontrolle gestellt. Wenn nach der wiedergewonnenen Freiheit die Kirche sich auch strukturell erholen will, dann soll sie dies auch als Beitrag zur Revitalisierung der ganzen Zivilgesellschaft verstehen. Auf diesem Feld hat die Kirche sogar eine spezielle Sendung in diesen Ländern. Der Glaube und der Vertrauensvorschuss unter den Gläubigen, die soziale Dimension der christlichen Botschaft drängen die Christen dazu, lebendige Mikrostrukturen aufzubauen oder zu revitalisieren. Wenn Christen aus ihrer Fachkenntnis und aus ihrem politischen Interesse heraus Vereine und ähnliche Mikroinstitutionen gründen und am Leben halten, dann ist diese Tätigkeit zugleich eine Heilung der im Kommunismus strukturell verarmten Gesellschaft. Dazu brauchen Laien wiederum nur begrenzt kirchenamtliche Genehmigungen. Es soll dabei vielmehr eine politische Eigenständigkeit in Anspruch genommen werden. Solche Initiativen dürfen nicht von der Gutwilligkeit von Amtsträgern abhängig gemacht werden, da diese im Allgemeinen weniger über diese neuen gesetzlichen Möglichkeiten Kenntnis haben. Die christlichen Inhalte und Lösungen dieser kleinen Gesellschaften machen sie zu einem Moment des kirchlichen Lebens. Nur für einen eventuellen offiziellen kirchlichen Status brauchen sie eine Anerkennung der zuständigen kirchlichen Behörden.
Im Oktober 1998 hat Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache an die kroatischen Bischöfe den engen Zusammenhang zwischen dem Aufbau der Kirche und jenem der zivilen Gesellschaft am Beispiel der Familienpastoral unterstrichen. „Die pastorale Begleitung der Familien, vor allem wenn dabei auch junge Leute involviert werden, ist ein klarer Weg für die Zukunft der Kirche und der zivilen Gesellschaft.“ Selbst also die direkten pastoralen Tätigkeiten haben eine gesellschaftliche Relevanz, manchmal viel mehr als Tätigkeiten, die direkt gesellschaftliche Bereiche zum Ziel haben.
Suche von geeigneten Formen der Rückendeckung
Es gehört zur pastoralen Ermutigung, auch die Schwierigkeiten rund um die Laienarbeit wahrzunehmen und zu betrachten. Sie entstehen am meisten durch Diskrepanzen theologischer, organisatorischer und persönlicher Art. Die kirchliche Lehre und auch die kirchenrechtlichen Regelungen gelten als theoretische Richtlinien in der Gestaltung der Laienarbeit. Oft aber sind sie wenig bekannt und noch weniger hinsichtlich ihrer Praxisrelevanz in der kirchlichen Öffentlichkeit ausdiskutiert. Für die Laienarbeit sollen daher Prioritäten gesetzt werden, die den internationalen kirchlichen Richtlinien und der organisatorischen Kapazität der konkreten ortskirchlichen Verhältnisse entsprechen.
Es sollen vor allem solche Laientätigkeiten gefördert werden, die möglichst wenige kirchenamtliche Beziehungen haben. Aus dem gesunden Laienbewusstsein heraus sollen ruhig christliche Initiativen starten und arbeiten in dem Bewusstsein ihrer Bedeutung für die Heiligung der Personen und der Welt. Diese sollen mit einer aufgeschlossenen Ruhe ihre Tätigkeit ausüben und innere Freiheit und subsidiäres Bewusstsein ständig in Erinnerung halten. In dieser Hinsicht ist der so genannte Weltcharakter der Laien eine befreiende Botschaft, die besagt, dass nicht nur von den Amtsträgern geförderte Laientätigkeiten kirchlich und Wege der Heiligkeit sind. Die Amtsträger sollen auch befreit werden von einem umfassenden Kompetenzzwang, über alles Bescheid wissen zu wollen und alles kontrollieren zu müssen. Je mehr Laien als Partner und nicht als Untertanen mit Klerikern verhandeln, desto mehr werden auch die Kleriker eine partnerschaftliche Kommunikationsart einüben können. Hier haben Laien mehr Verantwortung, da die Kleriker in die hierarchischen Traditionen der Kirche mehr eingebunden sind und solche Partnerschaftlichkeiten auch oftmals als strukturfremd empfinden.
Es ist weiterhin von Bedeutung, landesweite Laiennetze aufzubauen: für regelmäßige Konsultationen, für gemeinsame Projekte und Bewerbungen und nicht zuletzt für Weiterbildungen. Wenn solche Netze viele Christen mobilisieren können, dann werden sie auch die Gutwilligkeit der Kirchenleitung leichter gewinnen können, da sie an die tief im amtlichen Denken verankerten volkskirchlichen Traditionen erinnern werden. Diese Initiativen werden vielleicht bereits in der Aufbauphase vorsichtige Anweisungen von den Hierarchen bekommen, die aber nicht entmutigend wirken dürfen. Die Tätigkeit dieser Netzwerke gilt im traditionellen, vorkonziliaren Sinne des Wortes nicht als kirchliche Tätigkeit, sondern als „weltliche“.
Es ist also keine dogmatische, sondern eine kommunikative Problematik, die auch auf dieser Ebene behandelt werden soll. Bei solchen Konfliktfällen dogmatische Elemente in die Diskussion einzubeziehen, ist dogmatisch unrichtig und pastoral schädlich. Ein typischer Fall ist, wenn bei solchen Initiativen die Kirchenleitung die Kirchlichkeit anzweifelt. Hier sollen selbstbewusste und gut ausgebildete Laien eine beruhigende Antwort geben, die sich mehr auf die persönliche und institutionelle Situation der Amtsträger denn auf die von ihnen inkorrekt zu Wort gebrachten dogmatische Vorwürfe konzentriert. Plakativ ausgedrückt: autonom arbeiten und die Rückendeckung möglichst nicht verlieren.
Wort ergreifen
In den Zeiten der politischen Blockierung der kirchlichen Verkündigung hat die christliche Tat, die christliche Praxis eine besondere Bedeutung bekommen. Man pflegte zu sagen: Die Taten sollen Christus verkündigen. Aber selbst in diesen behinderten Zeiten wusste die Kirche und wussten die Christen, dass keine gesellschaftliche Situation die Kirche und sie selbst vom Verkündigungsauftrag lossprechen kann. Doch die Grundsituation der „schweigenden Kirche“ hat heute noch Nachwirkungen darin, dass die Christen und die kirchlichen Institutionen sich mit der Öffentlichkeitsarbeit schwer tun. Die Kirche in diesen Ländern ist immer noch eher eine „schweigsame Kirche“, wenn man von direkten politischen und kulturpolitischen Äußerungen einzelner Bischöfe absieht. Diese Stellungnahmen werden zwar von den Medien immer aufgegriffen und die innere marktorientierte Logik der Medien vermittelt sie, wodurch der Anschein erweckt werden kann, die Kirche schweige nicht. Wenn man aber bedenkt, wie viele Öffentlichkeitsimpulse von Institutionen (mit gleich viel Gewicht wie die Kirche) täglich ausgehen müssen, um die Interessierten wenigstens mit den Grundbotschaften bekannt zu machen, dann ist das Bild der schweigenden Kirche nicht ungerecht.
Wenn die Verantwortlichen der Kirche nicht an die Öffentlichkeit treten oder wenn ihre Stellungnahmen nicht den Forderungen der heutigen medialen Kommunikationskultur entsprechen, dann darf das nicht bedeuten, dass Laien schweigen sollen oder dürfen. Die ganze Kirche ist missionarisch, das ganze Gottesvolk soll die Botschaft der Liebe in die Welt bringen: also auch die Laien. Wenn die heutige Öffentlichkeit zu wenig und nur durch Kleriker informiert ist, dann auch aufgrund einer Unterlassung der Laien. Das stimmt auch dann noch, wenn man aus vielen Untersuchungen erfährt, dass die Medien selber es vorziehen, die institutionelle und dadurch die klerikale Seite der Kirche zu Wort zu bringen. Dies hindert aber die Laien nicht, ihre Sicht in die mediale Öffentlichkeit zu bringen. Es geht nicht darum, vor allem über kirchliche Verhältnisse und auch nicht im Namen der Kirche zu sprechen. Es geht vielmehr darum, die christliche Sicht der weltlichen Dinge souverän und klar in die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu bringen. Dazu braucht man keine kirchliche Erlaubnis, aber man braucht Fachkräfte, die in den heutigen Medien zu Hause sind.
Um das Wort ergreifen zu können, um authentisch und kompetent reden zu können ist Bildung erforderlich. Eine der größten Aufgaben, aber auch Chancen der Laien ist, wenn sie gut ausgebildet sind. Eine der wichtigsten Aufgaben der (internationalen) Kirche ist, die Bildung (ihrer Mitglieder) zu stärken. Wenn Laien gut ausgebildet sich zu Wort zu melden, dann wird ihr erstrangiger Gesprächspartner, die Gesellschaft, ihnen auch Gehör schenken.
Dienste in der Kirche
Die Diskussionen über die Laien nach „Christifideles laici“, aber noch mehr anlässlich der Instruktion konzentrierten sich auf die Rechte und Tragweite der pastoralen Mitbeteiligung und der Entscheidungsgewalt der Laien innerhalb der Kirche. Vor allem in solchen Ortskirchen ist dies ein drängendes Problem, die entweder grundsätzlich Missionsgebiete sind oder wo die kirchliche Struktur noch sehr unterentwickelt ist oder dort, wo dieselbe Struktur so gut (wie in der Schweiz) ausgebaut ist, dass die amtlichen Mitglieder dieser Struktur mehrheitlich Laien sind.
n Ost(Mittel)Europa ist es eine wichtige Aufgabe, die theologische Tiefe und die praktische Tragweite der Laiendienste in der Pastoraltätigkeit überhaupt erst bekannt zu machen. Es kann befreiend wirken, dass diesbezüglich die verpflichtenden Dokumente des Lehramtes aus der Perspektive dieser Region gesehen progressiv und provokativ sind. Theologische oder kirchenrechtliche Bedenken können die Amtsträger der ortskirchlichen Hierarchie nicht gegen eine weitgehend erweiterungsbedürftige pastorale Mitbeteiligung der Laien bringen. Vielleicht anders als nach der westeuropäischen Grunderfahrung können Laien hierzulande sagen, „der Papst steht hinter uns“, wenn wir mehr Laien in pastoralen Aufgabenfeldern haben möchten.
Eine weitere Aufgabe ist, aufgrund der inneren Sicherheit bezüglich der zugesagten Rechte der pastoralen Mitwirkung mit einer gelassenen Ruhe die Hierarchie an diese Rechte zu erinnern. Ruhe und innere Gelassenheit sind deshalb hier von besonderer Bedeutung, da die allgemeine gesellschaftliche und kirchliche Umstellung auf die neue Situation nach der Wende ohnedies schon so viel Hektik mit sich bringt, dass mit einer unruhigen Forderung auch allgemeine Abwehrmechanismen hervorgerufen werden können. Dass man diese Situation versteht, darf aber nicht von der Aufgabe befreien, die Rechte einzufordern.
Literatur
Aniè, Rebeka, Peter Mišèik (2001): Laien, Frauen, Jugend. In: Máté-Tóth, András / Miklušèák, Pavel (Hg.), Kirche im Aufbruch. Zur pastoralen Entwicklung in Ost(Mittel)Europa: eine qualitative Studie, Ostfildern: Schwabenverlag. 131-172. [Zulehner, Paul M. u.a. (Hg.): Gott nach dem Kommunismus Bd. 6]
Máté-Tóth, András (2002): Zur Theologie in Ost(Mittel)Europa. Ostfildern: Schwabeverlag. Besonders 211-239.
Podgorelec, Jerko (2002): Pfarrgemeinderäte in Kroatien. Diplomarbeit, Wien.
András Máté-Tóth