Geistliches Wort zum Ökumenischen Kirchentag Berlin 2003

von Dr. Detlef Stäps, Rektor des ZdK, im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Schwestern und Brüder, als ich gefragt wurde, ob ich gegen Ende der Vollversammlung ein "geistliches Wort" zum Ökumenischen Kirchentag sprechen würde, sozusagen ein Aufbruchsignal für unsere Reise nach Berlin, war mir sofort klar, dass dies ein persönliches Wort werden würde, das meine Erfahrung mit der Vorbereitung des Ökumenischen Kirchentages widerspiegelt. Und als ich bei der Vorbereitung über die derzeitige Situation der Ökumene nachdachte, kam mir eine Bibelstelle in den Sinn, bei der es mir aber offen gestanden vor allem auf ein Wort ankommt:
"Um diese Zeit fand in Jerusalem das Tempelweihfest statt. Es war Winter, und Jesus ging im Tempel in der Halle Salomos auf und ab. Da umringten ihn die Juden und fragten ihn: Wie lange noch willst du uns hinhalten? Wenn du der Messias bist, sag es uns offen!" (Joh 10,22ff)
Schon lange bevor der Karfreitag in den Blick kommt, wird das Klima frostig zwischen Jesus und den "Juden", wobei es uns an dieser Stelle egal sein kann, wen der Evangelist Johannes eigentlich mit diesem Sammelbegriff meint. Es war Winter und man musste kein Wetterprophet sein um vorauszusagen, dass es ein harter Winter werden würde, mit eisiger Spannung und klirrender Kälte. Es war ein Winter, der einem das Leben kosten würde. Er starb, doch mit seiner Auferstehung begann der Frühling der Menschheitsgeschichte.

Schon vor einigen Jahrzehnten, liebe Schwestern und Brüder, sprach Karl Rahner von der winterlichen Kirche - und ich fürchte, wir sind seitdem dem Sommer nicht viel näher gekommen. Und auch wenn Rahner natürlich unsere Kirche im Blick hatte, fürchte ich, dass sein Bild auch für die Ökumene gilt. Nach dem frühlingshaften Aufbruch der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" 1999 sind nun beide Seiten deutlich darauf bedacht, das eigene Profil zu schärfen, die eigene Identität zu stärken. Der notwendige nächste Schritt, nämlich eine gemeinsame Erklärung zum Abendmahl, welche die erreichten Fortschritte im theologischen Dialog zu Realpräsenz und Opfercharakter kirchlich rezipieren würde, wird leider nicht getan, auch wenn klar ist, dass dies noch keine Abendmahlsgemeinschaft bedeuten könnte, da die Amtsfrage weiterhin ungeklärt ist. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich ist der Winter notwendig und gut. Ich will keinem Frühlingsromantizismus das Wort reden, natürlich braucht es auch eine Zeit des Ruhens und des Kräftesammelns, eine Zeit des Zu-sich-selbst-Kommens, um von diesem Standpunkt aus wieder neu aufeinander zuzugehen. Aber es wäre auch nicht sinnvoll, wollten wir ständig im Winter verharren: Irgendwann muss es auch wieder Frühling werden, irgendwann dürfen die Eisblöcke auch wieder abschmelzen und miteinander in einen gemeinsamen Fluss fließen. Und wir alle haben doch Sehnsucht nach dem Frühling, freuen uns auf die Wärme und das Licht.

Der Ökumenische Kirchentag, liebe Schwestern und Brüder, ist für mich ein echter Frühlingsbote, der mir zeigt, dass der Frühling nicht mehr weit entfernt sein kann. Und wie alle frühen Frühlingsboten hat er selbst noch arg zu kämpfen mit Frost und Schnee.
Aber wie ein erstes Schneeglöckchen kämpft er sich durch und blüht allen Umständen zum Trotz genau dort, wo eigentlich nichts blühen zu können scheint. Und das Schöne daran: Genau wie die ersten Schneeglöckchen und Krokusse nicht nur für sich blühen, sondern uns alle anstecken und in der Gewissheit stärken, dass der Frühling nicht mehr fern ist, so wird auch der ÖKT, davon bin ich jedenfalls fest überzeugt, nicht ohne Konsequenzen bleiben, sondern eine neue Hoffnungsflamme entzünden, die um sich greifen und der Ökumene neue Impulse geben wird. Wenn weit mehr als 150.000 Christinnen und Christen fünf Tage lang miteinander beten und singen, diskutieren und nachdenken, hören und lachen, dann können sie nicht unverändert wieder nach Hause fahren, dann werden sie etwas von dem, was sie in Berlin erlebt und erfahren, gelernt und erkannt haben, mit nach Hause nehmen in ihre Gemeinden und Diözesen. Und sie werden wie ein Sauerteig sein, der unsere Kirche wieder neu mit positiven Botschaften durchtränkt. Mit der Botschaft, dass es Freude macht, miteinander zu glauben und miteinander unterwegs zu sein, auch wenn das Ziel vielleicht noch nicht in greifbarer Nähe liegt.

Aber dabei erhebt sich die Frage, was das Ziel denn überhaupt ist. Und vielleicht macht gerade das den ökumenischen Weg so schwierig, dass wir keine klaren Vorstellungen haben von unserem eigentlichen gemeinsamen Ziel. In der "Charta Oecumenica", die auf dem ÖKT von mehr als 15 hochrangigen Vertretern aller christlichen Konfessionen in Deutschland unterzeichnet werden wird, verpflichten sich die Kirchen, "in der Kraft des Heiligen Geistes auf die sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi in dem einen Glauben hinzuwirken" (Charta 1.1). In der Erklärung "Ermutigung zur Ökumene" präzisierte die Vollversammlung des ZdK im November 2001 den Begriff Einheit als "Einheit in Vielfalt", als "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" (S. 10). Aber wer von uns vermag zu sagen, wie diese sichtbare Einheit der Kirchen konkret aussehen sollte? Es gibt so viele Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen, dass es schwer fällt, das große gemeinsame Ziel der Ökumene konkret zu benennen. Wir stecken uns Etappenziele, aber wir brauchen Visionen.

Doch gerade deshalb ist das ökumenische Gespräch, oder sagen wir besser: der ökumenische Dialog so wichtig. Immer wieder die Karten auf den Tisch zu legen und miteinander abzugleichen, was jeder auf der Hand hält und was er daraus machen möchte. Aber auch zuzugeben, wenn wir nichts mehr drauflegen können. Bluffen gilt nicht. Unterschiedliche Vorstellungen sind kein Hindernis für einen gemeinsamen Weg. Es kommt nur darauf an,
wie man zusammen damit umgeht. Ich habe gerade durch die gemeinsame Vorbereitung des Ökumenischen Kirchentags mich und meine Kirche besser verstehen gelernt. Ich habe meine Kirche sogar noch mehr lieben gelernt - und ich weiß, dass es vielen evangelischen Christinnen und Christen genauso geht. Das ist für mich nicht ein Zeichen dafür, dass wir noch nicht reif sind für das Gemeinsame, sondern gerade umgekehrt: Weil wir unsere Kirche lieben, sind wir frei, auf andere zuzugehen und sie mit ihren Überzeugungen und Ansichten gelten zu lassen. Missionsdrang unter Christen wäre für mich eher ein Zeichen, dass ich eine andere Auffassung nicht ertragen kann, weil sie mich und meine Position in Frage stellt. Auf der anderen Seite heißt das dann auch nicht, dass mir der oder die andere eigentlich egal ist: Durch mein Interesse an dem, was andere denken, fühlen und glauben, komme ich mehr zu mir und zu dem, was meinen Glauben ausmacht.

Unehrlichkeit und mangelnde Offenheit - so meine ich - sind die wirklich gefährlichen Stolpersteine auf dem ökumenischen Weg. Fallgruben, die sich auf diesem Weg manchmal auftun, sind aber auch die Ängste, von der anderen Seite vereinnahmt zu werden, zu kurz zu kommen im pseudo-ökumenischen Verteilungskampf. Doch sind das Fallgruben, in die ich nur selbst hineinfallen kann; deshalb ist es besser, sie früh genug zu erkennen und weiträumig zu umgehen. Wer sich auf Machtkämpfe einlässt, der hat das eigentliche Spiel schon verloren. Aus spiritueller Perspektive muss ich klar sagen: Bevor ich anfange zu kämpfen, verliere ich lieber.

Liebe Schwestern und Brüder, als Kind konnte ich es nie verstehen, wenn mir die Erwachsenen auf meine bohrenden Fragen, wo denn die Seele im Menschen sei, sagten, man könne die Seele nicht sehen und deshalb wisse man nicht, wo sie im Menschen zu finden sei. Ich dachte mir, wenn man sie nicht sehen könne, so müsse man ihren Platz doch daran erkennen, dass irgendwo in der Anatomie des Menschen die übrigen Organe einen Platz frei ließen - und dabei stellte ich mir ein Gebilde vor, ungefähr so geformt wie der italienische Stiefel auf der Landkarte. Nun, wenn wir nach der "Seele" des ÖKT fragen, so werden wir diese nicht finden, indem wir danach suchen, wo Platz dafür gelassen wurde. Die "Seele" des ÖKT ist das, was alles durchdringt und allem erst die Form verleiht und den Charakter, was in jeder einzelnen Veranstaltung vorhanden ist. Es wird sich im Kleinen und im Alltäglichen zeigen, nicht nur in den spektakulären Großveranstaltungen. "Spiritualität" könnte diese Seele des ÖKT heißen, egal, ob wir sie evangelisch, katholisch oder ökumenisch nennen, und sie drückt sich nicht nur im geistlichen Angebot aus, in Bibelarbeiten, Gottesdiensten und dem Geistlichen Zentrum. Nicht nur - aber auch! Diese Seele könnte auch ganz einfach Begegnung heißen: Begegnung zwischen Evangelischen und Katholiken, zwischen Männern und Frauen, zwischen Bischöfen und Laien, zwischen Alten und Jungen - zwischen Gott und Mensch. Wo Menschen miteinander reden, ja auch streiten, aber auch beten und tanzen, schweigen und gehen, da geschieht Begegnung, da verändert sich etwas, da wird Ökumene lebendig. Und Gott schaut nicht nur zu.

"Es war Winter", so charakterisiert der Evangelist Johannes die Zeit vor der Hinrichtung Jesu. "Wie lange noch willst du uns hinhalten?" so fragten die Menschen ihn. Der Ökumenische Kirchentag steht unmittelbar vor der Tür. Der Winter ist offenbar vorbei. Vom Eise befreit sind Ströme und Bäche und der Frühling lässt sein blaues Band und so fort. Wenn wir IHN fragen würden, wie lange er uns noch hinhalten wolle, so würde er uns vielleicht antworten, dass wir es selbst viel mehr in der Hand haben als wir ahnen. Wir alle haben an der Vorbereitung des Ökumenischen Kirchentags mitgearbeitet, wir haben viel Zeit und Ideen, Geduld und Überzeugungskraft investiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das alles gelohnt hat und dass der Ökumenische Kirchentag ein historisches Ereignis werden wird. Wir werden später froh sein, dass wir dabei gewesen sind!!

Aber die Arbeit ist noch nicht ganz getan. Für viele Menschen, liebe Schwestern und Brüder, verbinden sich mit dem Ökumenischen Kirchentag große Hoffnungen. Die Menschen sehnen sich nach neuen Impulsen, sie brauchen Ziele, um darauf hinzuarbeiten.
Bis in die kleinsten Ökumenekreise in den Gemeinden hinein sind die Menschen angewiesen auf neue ökumenische Visionen, auf Ideen, wie sie unter Einbeziehung aller Realitäten weitere Schritte auf dem Weg der Ökumene gehen können. Der Ökumenische Kirchentag braucht deshalb mehr als unsere physische Präsenz. Er braucht das lebendige Zeugnis des Laienengagements in unserer Kirche. Er braucht die vielen guten Erfahrungen, dass katholische Kirche gerade in den Räten, den Verbänden, den geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen lebendig ist. Er braucht den gelebten Glauben, der in unseren Laiengremien gebündelt wird. Ja, er braucht uns, Menschen, welche die Hoffnung leben, dass die Ökumene neu erblühen kann.

Wir wollen, dass der ökumenische Frühling überall in unserem Land einzieht und einzelne Gläubige und ganze Familien, Gemeinden, Diözesen und Landeskirchen zum Blühen bringt. Und wir wissen, dass dies besser gemeinsam funktioniert. Deshalb fahren wir mit Freude nach Berlin, dem Frühling entgegen.

Dr. Detlef Stäps, Rektor des ZdK

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