Einführung in die Erklärung "Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaft werden"

von Christa Nickels im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Plädoyer für eine nachhaltige Landwirtschaft

Am 12. Juni 2002 hat das Präsidium des ZdK aus Anlass des bevorstehenden Weltgipfels in Johannesburg beschlossen, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe im Sachbereich 8 "Umwelt und Technik" einzurichten. Unter meinem Vorsitz sollten zwölf sachkundige Mitglieder eine kritische Bilanz des "Rio+10-Prozesses" und Möglichkeiten einer weiteren Behandlung der Nachhaltigkeitsthematik erarbeiten. Aus diesem ursprünglichen Ziel ist weit mehr geworden, nämlich eine Erklärung, die exemplarisch am Beispiel „Landwirtschaft“ versucht, die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung zu verdeutlichen und ins Bewusstsein zu rufen.

Unser Ziel war nicht allein, ein gutes Grundsatzpapier zu erarbeiten, sondern zugleich einen Prozess innerhalb der Kirche anzustoßen. Der Weg bis hierin war nicht einfach und viele Fragen waren zu Beginn des Prozesses noch offen: Wie kann es gelingen, das Thema Nachhaltigkeit wieder ins Bewusstsein zu rufen, ohne sich in theoretischen Erörterungen und gut gemeinten ethischen Sonntagsreden zu verlieren? Wie kann es gelingen, an das vielfältige Engagement von Räten und Verbänden im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) anzuknüpfen und einem Johannesburg Nachfolgeprozess neuen Schwung zu geben? Angesichts derartiger Fragen waren wir uns in der Arbeitsgruppe sehr schnell einig, dass das Thema „Landwirtschaft“ ein hervorragendes Beispiel dafür ist, wie ein gesellschaftlicher Kernbereich nachhaltig umgestaltet werden muss, um zukunftsfähig zu bleiben und ein gerechtes Zusammenleben der Menschen weltweit zu ermöglichen.

Wir alle kennen die wirklich brennenden Probleme, die mit dem Thema Landwirtschaft eng zusammenhängen: die regelmäßig wiederkehrenden Berichte aus dem südlichen Afrika, wo Millionen von Menschen von Hunger bedroht werden; der mangelnde Zugang zu sauberem Trinkwasser für Millionen von Menschen wie auch der Raubbau an lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, der die Existenz der Menschheit weltweit bedroht.

Viele Menschen sind aber angesichts dieser Flut von Katastrophenmeldungen wie gelähmt und schauen deshalb lieber weg, als sich von ihrer Hilflosigkeit überwältigen zu lassen. Als Christen sind wir deshalb ganz besonders dazu verpflichtet, diesem Teufelskreis aus Hilflosigkeit und Ignoranz entgegen zu wirken und konkrete Handlungsoptionen zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen weltweit zu entwickeln.

Der Erklärungsentwurf „Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden“, den wir Ihnen heute zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen, versucht, im Sinne der Nachhaltigkeit die Verantwortung für eine globale und generationenübergreifende Gerechtigkeit zu umreißen, ohne die legitimen Belange der heimischen Bäuerinnen und Bauern zu vernachlässigen. Natürlich können auch wir heute nicht den Stein der Weisen präsentieren, aber es ist uns gelungen, wichtige Richtungsentscheidungen zu treffen, Leitlinien aufzuzeigen und konkrete Handlungsimpulse zu geben.

Nun will ich einige zentrale inhaltliche Punkte der Erklärung vorstellen:

Die Gestaltung einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik darf nicht als sektorales, abgeschottetes Politikfeld begriffen werden, sondern muss als Querschnittaufgabe wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden. Dabei müssen wir die Erfahrungen der Landwirtinnen und Landwirte in ganz besonderer Weise mit einbeziehen.

In der Landwirtschaft gibt es mittlerweile Symptome für eine existenzielle Krise, die für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Die ökonomische Situation vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist bedenklich. So wurden seit dem Jahr 1960 mehr als zwei Drittel aller Betriebe in Deutschland aufgegeben. Derartige ökonomische Schwierigkeiten führen in der Landwirtschaft zu enormen sozialen Problemen. Eine aus Verbrauchersicht oftmals als positiv empfundene Verbilligung von landwirtschaftlichen Produkten führt für viele Landwirte zu finanziellen Härten. Aber auch eine weltweite ökologische Krise bahnt sich an: Fast 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Erde, der größte Teil davon in Entwicklungsländern, sind heute durch Erosion, Versalzung oder gar Wüstenbildung stark geschädigt. Derartige Umweltbelastungen machen deutlich, dass auf lange Sicht nationale Alleingänge, auch im Bereich der Landwirtschaft, keine Erfolge bringen.

Nachhaltigkeit verlangt von uns, den Blick über den eigenen lokalen und nationalen Tellerrand zu richten auf die Belange der gesamten Menschheit und der folgenden Generationen.

Der Gipfel der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Jahr 2002 und die Erfahrungen aus dem Rio+10-Prozess haben deutlich gemacht, dass die Bekämpfung von Hunger und Armut sowie der vorsorgende Schutz der Natur zwei unlösbar zusammenhängende und nur global zu bewältigende Aufgaben sind. Der Gestaltung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft kommt mit Blick auf die Bekämpfung von Hunger und Armut unserer
Überzeugung nach einer Schlüsselrolle zu. Nur wenn es gelingt, eine verantwortliche gemeinsame Agrarpolitik auch über die Grenzen Europas hinaus zu gestalten, werden die Menschen in den Ländern der südlichen Erdhalbkugel eine Chance haben, dass sich ihre Lebensbedingungen nachhaltig verbessern. Das haben uns die Verhandlungen in Cancún ohne jeden Zweifel gezeigt. Die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa ist dazu sicher ein erster wichtiger Schritt, der jedoch noch nicht ausreicht.

Ursprünglich hatten wir nicht geplant, ein eigenes Kapitel zur Grünen Gentechnik ins Papier aufzunehmen. Es hat sich aber gezeigt, dass ohne ein solches Kapitel keine Klarheit für das Zentralkomitee in dieser entscheidenden Frage zu schaffen gewesen wäre. Die Weiterentwicklung der Gentechnik muss sozial und ökologisch verantwortbar sein; deshalb müssen klare, gesellschaftlich vereinbarte Grenzen gesetzt werden. Menschenwürde, Ethik, Freiheit der Wahl und Entscheidung sowie der Schutz des Naturerbes für kommende Generationen sind dabei prioritär. Die Voraussetzungen dafür werden im Gentechnik-Kapitel deutlich benannt.

Die Nagelprobe für unsere Glaubwürdigkeit als Kirche wird sein, dass wir selbst mit gutem Beispiel auch im Bereich der Nachhaltigkeit voran gehen. Im Bereich von Landwirtschaft und Verbraucherverhalten bieten sich unzählige Möglichkeiten dafür an. Konkrete und beeindruckende Beispiele haben wir bei unserer letzten Herbstvollversammlung vorgestellt. Weiterführende Handlungsmöglichkeiten stellen wir in unserem Papier vor.

Grundlegend ist, dass wir uns als Verbraucher wieder eine neue Haltung im Umgang mit unserem täglichen Brot und damit auch einen neuen Lebensstil aneignen. Wir müssen als Christen bereit sein, exemplarisch Alternativen zu den Konsum fixierten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte vorzuleben. Denn letztlich steuern wir als Verbraucher durch unser eigenes Kaufverhalten einen Großteil der Entwicklung unserer und der weltweiten Landwirtschaft. Darum ist eine angemessene Wertschätzung von Lebensmitteln eine notwendige Bedingung für eine nachhaltige Landwirtschaft.

Die Wirtschaft ist aber heutzutage global vernetzt, was uns vor besondere Herausforderungen stellt. Oft sind es scheinbar nur kleine Schritte, die aber - konsequent gegangen - ein wichtiger Beitrag dazu sind, die Welt ein wenig gerechter, ein wenig nachhaltiger zu gestalten.

Der Entstehungsprozess dieses Papiers war zugleich ein Selbstverständigungsprozess zwischen den Akteuren und Verbandsvertretern im Zentralkomitee der Katholiken. Wir haben uns auf Grundaussagen und Handlungsoptionen verständigt, die zu völlig neuem Handeln motivieren und neue Initiativen ins Leben rufen können. Dieser Prozess wird nicht etwa mit dem Beschluss über die Erklärung heute enden: Schon jetzt ist geplant, dass es in Trägerschaft des ZdK im kommenden Frühjahr eine zweitägige Tagung in Osnabrück geben wird, die sich mit kirchlichen Beiträgen zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beschäftigt und zu der namhafte Referenten eingeladen sind.

Außerdem wird das ZdK gemeinsam mit der Katholischen Landvolkbewegung, der Katholischen Landjugendbewegung und anderen ein Arbeitsbuch für Schule und Erwachsenenbildung zum Thema „Landwirtschaft“ herausgeben.

Mein Resümee: Kein einfacher Prozess, der auch oft an den Nerven aller Beteiligten gezerrt und hohe Anforderungen an die Verständigungsbereitschaft gestellt hat, aber auch ein Prozess, der keine Eintagsfliege bleiben wird. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die sich in den vergangenen beiden Jahren den Mühen dieser Arbeit ausgesetzt haben.

Nun bitte ich Sie um eine lebhafte Debatte und um Zustimmung zu dieser Erklärung.

Christa Nickels, Sprecherin des Sachbereichs Technik und Umwelt

 

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