Biomedizinische Entwicklungen und ihre ethische Bewertung

Vortrag von Bischof Dr. Gebhard Fürst im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wer gegenwärtig auf die öffentlichen Debatten zu Fragen der biomedizinischen Entwicklungen, ihrer ethischen Bewertung und die biopolitischen Entscheidungen der letzten Jahre blickt, der kann folgendes unschwer feststellen: Die anfänglich sehr einseitig und verkürzt geführte Diskussion hat eine erstaunliche Breite und in der Regel auch ein hohes Niveau erreicht. Die Entwicklungen der Biologie haben noch nie zuvor in der Geschichte ein solches Interesse, eine derartige Aufmerksamkeit sowie soviel Bemühen um verständliche Informationen auf sich gezogen. Auch wenn ich in zentralen Fragen eigene, kirchliche Überzeugungen reklamiere, will ich zunächst feststellen, dass ich diese Debatte in Deutschland ausgesprochen respektabel finde. Sie zeugt von einer lernwilligen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die es in diesen essentiellen Fragen des Lebens unternimmt, die brisanten Entscheidungen nicht zu delegieren, sondern selbst aktiv an der Bildung von ethischen Überzeugungen mitwirkt, die dann in die parlamentarisch repräsentativen Entscheidungen einfließen.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich gleich zu Beginn betonen, wie dankbar ich daher auch für das vielfache Engagement des ZdK bin im Blick auf die biomedizinischen Entwicklungen, ihre ethische Bewertung und die politisch notwendigen Entscheidungen. Als Christen sind wir in diesen Fragen zur Wachheit aufgerufen, wir müssen uns präzise informieren und unsere Überzeugungen in die öffentlichen Debatten einbringen. Denn ethische Fragen sind letztlich nicht delegierbar. Der Mensch ist ein freies und verantwortliches Wesen. Die Verantwortung des Menschen für sein Handeln kann ihm niemand abnehmen: Alle Beteiligten müssen sich zu konkreten Sachfragen ein eigenes Urteil bilden. Dabei muss der in der ZdK-Erklärung vom Mai 2001 formulierte Grundsatz gelten: Eine Ethik, die an den Einsichten der Naturwissenschaften vorbeigeht, ist nicht dienlich. Die Aktivitäten von Pfarrgemeinden und katholischen Verbänden und Organisationen sind gefragt. Ich bin z. B. sicher, dass die Übergabe von 400.000 Unterschriften der Aktion von Katholischer Frauengemeinschaft und Kolpingwerk mit Blick auf die Stammzellgesetzgebung in Berlin gehörigen Eindruck hinterlassen hat. Und es kam nicht von ungefähr, dass die Mitglieder des ZdK, die auch dem Deutschen Bundestag angehören, Mitinitiatoren des Antrages im Bundestags zum Verbot des Stammzellimportes waren.

Der Beschluss des ZdK von der Frühjahresvollversammlung 2001 "Entwicklungen in der Biomedizin und ihre ethische Bewertung" gibt eine wichtige und hilfreiche Orientierung. Dass dieser Beschluss damals zeitlich parallel zum Hirtenwort der Deutschen Bischofskonferenz unter dem Titel "Der Mensch - sein eigener Schöpfer?" erschien, zeigt wie wichtig es ist, von Seiten des Amtes und von Seiten des Laienkatholizismus inhaltlich gemeinsam an einem Strang zu ziehen und zugleich unterschiedliche Aussageweisen zu nutzen.

Auch deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass das Präsidium mich eingeladen hat vor der heutigen Vollversammlung über die Erfahrungen meiner Forschungsreise in die USA zu berichten und die Gelegenheit zu nutzen, einige grundsätzliche Anmerkungen zu anstehenden politischen Entscheidungen in Sachen Biomedizin vortragen zu können. Vom 08. bis 13. Februar 2003 habe ich, begleitet u.a. von Prof. Dr. Johannes Reiter aus Mainz, Fortpflanzungskliniken, Technologieinstitute und private Biotechnologiefirmen in den USA besucht. Gestatten Sie mir, dass ich meine Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse dieser Reise in etwas geraffter Form im folgenden zunächst darstelle und dann auch werte.

Es gehört zu den Allgemeinplätzen der bioethischen Diskussion, dass die USA nicht nur in der Forschung und Anwendung der Gentechnik und der Biomedizin, sondern auch in der ethischen Beratschlagung und Urteilsbildung führend sind. Man spricht in diesem Zusammenhang zuweilen auch von der amerikanischen gentechnischen Fortschrittskultur. Da in Anbetracht der Universalität der Biomedizin und der Internationalität der Bioethik sich die amerikanischen Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad weltweit wiederholen, erschien es mir angebracht, diese Entwicklungen und den Wandel vor Ort zu studieren und daraus mögliche Folgerungen für die deutsche Situation zu ziehen.

I. Station: Ethische und moraltheologische Aspekte und Positionen

Am 9. Februar 2003 trafen wir in Boston mit Prof. Dr. James F. Keenan SJ zusammen. Keenan lehrt an der Weston Jesuit School of Theology. Er gilt als einer der bekanntesten amerikanischen Moraltheologen und ist überdies in bioethischen Fragen bestens ausgewiesen.
Prof. Keenan referierte, dass die bioethische Diskussion auf drei Ebenen anzusiedeln ist:

Ebene 1: Bundesstaatliche Diskussions und Regelungsebene

Hier wurde deutlich, dass in den USA der Bund nur die öffentliche Forschung regelt. Was im Bereich der privaten Forschung geschieht, bleibe der Öffentlichkeit weithin verborgen. In diesem Bereich spielen ethische Überlegungen, wenn überhaupt, nur eine geringe Rolle, da die Forscher mehrheitlich, zum Teil aus Naivität heraus, keine ethische Einmischung wünschten.

Ebene 2:´Ethikräte und Ethikkommissionen

Solche Räte beziehungsweise Kommissionen sind sowohl auf Bundesebene (zum Beispiel National Bioethics Advisory Commission, President’s Council on Bioethics) als auch auf der Landesebene (Ebene der einzelnen Bundesstaaten) angesiedelt, und sie werden auch ad hoc zur Bearbeitung spezifischer Themen eingesetzt (zum Beispiel California Advisory Committee on Human Cloning),. In diesen Räten sind neben den einzelnen Religions- und Glaubensgemeinschaften auch gut organisierte Lobbygruppen vertreten (zum Beispiel Parkinson- und Alzheimer-Vertreter), die starken Einfluss ausübten.

Ebene 3: Diskussion in Medien und Fachzirkeln

Das Interesse der breiten Öffentlichkeit an der in Frage stehenden Thematik ist gering; eine ernsthafte und argumentative Diskussion wird von der Durchschnittsbevölkerung so gut wie gar nicht geführt.

Anders ist die Diskussionslage in den Fachzirkeln und Fachmedien. Hier wird die Diskussion auf hohem Niveau geführt und ist von internationaler Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass in den USA die Wiege der Bioethik steht und dass die Bioethik fester Bestandteil des Kernkurrikulums im medizinischen Studiengang ist.

Keenan selbst vertritt in der bioethischen Diskussion einen eher liberalen Standpunkt. Bei der Stammzellforschung etwa argumentiert er teleologisch, d.h. mit der Frage: Woraufhin zielt das Handeln, was soll erreicht werden?

II. Station: Stammzellforschung und Klonen

Am Vormittag des 10. Februars traf meine Delegation in Cambridge zu einem Informationsgespräch mit Prof. Rudolf Jaenisch zusammen. Jaenisch ist Professor für Biologie am Massachusetts Institute of Technology und Mitglied des Whitehead Instituts. Er gilt weltweit als einer der angesehensten Stammzellforscher. Jaenisch gibt den embryonalen Stammzellen den eindeutigen Vorzug gegenüber adulten Stammzellen. Von embryonalen Stammzellen würden wir das therapeutische Potenzial kennen, von adulten Stammzellen – mit Ausnahme von Knochenmarksstammzellen – hingegen nicht. Daher müsse man beide Stammzellarten beforschen. Eine mögliche Therapie auf der Grundlage von Stammzellen sieht Jaenisch allerdings frühestens in 10, vielleicht erst in 20 Jahren gegeben.

Das Klonieren von Lebewesen sieht Jaenisch unter rein naturwissenschaftlichen Aspekten: „Durch Klonen entsteht kein neues Leben, es handelt sich dabei lediglich um die ‚Propagierung’ von bestehendem Leben.“ „Wirklich neues Leben dagegen beginnt mit der Befruchtung.“

Auch Jaenisch hält dabei den Personstatus für ein wichtiges Argument in der bioethischen Debatte. Da aber in einer pluralistischen Gesellschaft in dieser Frage kein Konsens zu erzielen sei, verwies er wiederum auf die pragmatische Haltung, was dem Menschen jeweils nütze.

III. Station: Fortpflanzungsmedizin

Am gleichen Tag, dem 10. Februar, besuchten wir eine Klinik für Fortpflanzungsmedizin, das Infertility Center of Boston IVF Beth Israel Deaconess Boston IVF mit ihrem Leiter Prof. Douglas Powers. Beim Boston Center handelt es sich um die größte Klinik zur Behandlung von Unfruchtbarkeit in den USA, sie kooperiert mit der Harvard Universität. In ihr werden jährlich 3.000 Zyklen behandelt, wobei alle etablierten Techniken zur Anwendung kommen: In-Vitro-Fertilisationen, Eizellspende, PID, Leihmutterschaft.

Die Fortpflanzungsmedizin gilt in den USA als normaler medizinischer Zweig und wird weitestgehend von der Gesellschaft akzeptiert. Wie und in welchem Maße eine vorhandene Technik jedoch das menschliche Verhalten bestimmt, lässt sich an der Fortpflanzungsmedizin besonders deutlich illustrieren: Weil es die IVF gibt, warten Frauen besonders lange, bevor sie sich für ein Kind entscheiden. Und gerade das hohe Alter ist wiederum der Hauptgrund für die Kinderlosigkeit.

Die Fortpflanzungsmedizin, dies wurde deutlich, ist in den USA im Wesentlichen eine „Medizin“ für Reiche. Sie wird gänzlich privat oder durch private Krankenkassen finanziert. Weniger bemittelte oder mittellose Menschen können an der Fortpflanzungsmedizin nur über Charity-Programme der Kliniken oder über Testprogramme der Pharmafirmen partizipieren. Den Preis, der für die einzelnen Methoden zu entrichten ist, bestimmt der Markt nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. So erhalte beispielsweise eine Eizellspenderin mindestens 3.000 $. Nach oben gibt es kaum Grenzen. So habe kürzlich ein Paar über eine Zeitungsannonce eine Eizellspenderin mit den Merkmalen: blond, sportlich, gute Schulabschlüsse... gesucht und dafür 50.000 $ geboten. In der besuchten Klinik spendeten die Frauen in der Regel 6 bis 7 Mal ihre Eizellen. Bei den Spenderinnen handele es sich oft um junge Mütter. Der Handel mit Ei- und Samenzellen verläuft im Wesentlichen über (zum Teil unseriöse) Internetagenturen.

Eine Adoption koste rd. 60.000 $ und gelte somit für die meisten Interessenten schon aus Kostengründen nicht als Alternative zur IVF. Bezüglich der Embryonenadoption stellt man eine mangelnde Bereitschaft von Seiten der Eltern fest. Es besteht offensichtlich eine größere Bereitschaft, den Embryo zu Forschungszwecken freizugeben als zur Adoption. In den USA unterliegen die Eltern nicht der Pflicht, ihren heterolog gezeugten Kindern Auskunft über ihre Herkunft zu geben.

Sowohl bei den Beanspruchern als auch bei den Anbietern der Fortpflanzungsmedizin stößt man auf Aufklärungsdefizite, insbesondere im Hinblick auf die mit den einzelnen Methoden verbundenen Probleme. Auch auf diesem Feld vermisst man die öffentliche Debatte.

Die Präimplantationsdiagnostik wird im Boston Center nur in geringem Maße nachgefragt. Es existiert ein Katalog mit rund 100 Krankheiten, bei denen im Verdachtsfall die PID eingesetzt wird.

Anschließend konnten wir im Rahmen einer von Prof. Powers im Boston College durchgeführten Seminarübung mit Biologie- und Medizinstudenten über Stammzellforschung, Klonen und Fortpflanzungsmedizin diskutieren. Bei den Studenten war erfreulicherweise eine hohe ethische Sensibilität festzustellen. Sie waren insbesondere an den deutschen Regelungen interessiert und bedauerten zum einen den Ausfall der Problematisierung der Thematik und ihre Diskussion in den USA und zum anderen das Fehlen von rechtlichen Regelungen.

IV. Station: Industrielle Forschung und Produktion

Anschließend führten wir ein Informationsgespräch mit den beiden Inhabern der privaten Biotechnologiefirma CyThera, Dr. Lutz Giebel und Mike Ross. Sie konzentrieren sich auf die Entwicklung von Zellersatztherapien zur Behandlung von chronischen Erkrankungen mit Hilfe von embryonalen Stammzellen. Die embryonalen Stammzellen werden aus überzähligen Embryonen gewonnen, die von IVF-Kliniken zur Verfügung gestellt werden. Geforscht wird mit Risikokapital, das zum Großteil der Staat Kalifornien aus seinem Rentenfond (!) zur Verfügung stellt. Therapieansätze erwartet man frühestens im Jahr 2007. Dies allerdings nur bei der Insulinerzeugung.

V. Station: Die rechtliche Dimension

In San Francisco führten wir abschließend am 11. Februar ein Gespräch mit der Rechtsprofessorin vom Hastings College of the Law der University of California, Radhika Rao. Prof. Rao ist auch Mitglied der zwölfköpfigen Bioethikkommission des Landes Kalifornien.

Im Wesentlichen bestätigte Prof. Rao schon gewonnene Einsichten. Für die Bereiche der Gentechnik und Biomedizin gibt es kaum rechtliche Regelungen. Dies gilt sowohl auf bundesstaatlicher Ebene als auch auf der Ebene der Einzelstaaten, wie etwa Kalifornien. Lediglich jene Forschungsarbeiten, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, unterliegen bestimmten Regeln.

Die Fruchtbarkeitsindustrie, die bereits in Boston sichtbar war, scheint in Kalifornien geradezu zu blühen. Nach Raos Beobachtungen habe sich hier ein überaus potenter Markt aufgetan für Agenturen für Models, Samen-, Eizell- und Embryonenbanken, aber auch für Juristen, die die entsprechenden Verträge ausfertigten. Auch hier seien die Angebote im Internet abrufbar. Einschränkungen, wie sie noch die Boston-Klinik für sich vorgenommen hat (keine Geschlechtsselektion und keine Embryonenspende für Leihmütter), gibt es in Kalifornien nicht.

Die bioethischen Vorstellungen und Äußerungen von Präsident Bush seien zum Teil widersprüchlich. Er trete zwar für ein totales Klonverbot ein, unternehme aber nichts gegen die Fruchtbarkeitsindustrie. Regelungen im Bereich der Fruchtbarkeitsindustrie würden allerdings in Amerika von vielen als Eingriff in die persönliche Freiheit verstanden. „Denn was kann man gegen Menschen sagen, die gerne Kinder hätten“, so die Rechtsprofessorin. Interessant scheint an diesem Argument, dass nur von den Wünschen der zukünftigen Eltern her argumentiert wird, und nicht – wie in Deutschland – vom Kindeswohl.

Was Prof. Keenan bereits im Hinblick auf die unterschiedlichen Diskussionsebenen ausführte, wurde von Prof. Rao bestätigt: Viele aus der Bevölkerung verstehen die zum Teil komplexe Problematik nicht, andere wiederum interessierten sich erst gar nicht dafür.

VI. Zusammenfassung der Reiseeindrücke

1. In den Gesprächen sowohl mit den Einzelpersönlichkeiten (Prof. Keenan und Rao) als auch den Gruppen wurde deutlich, dass die gentechnischen und biomedizinischen Herausforderungen in den USA auf eine Gesellschaft treffen, die ethnisch, moralisch und sozial sehr heterogen ist. Für die Bioethik bedeutet dies, dass man den biotechnologisch bedingten Herausforderungen an die traditionellen Werte ohne den Rückhalt eines moralischen Konsenses gegenüber steht.

Die amerikanische Bioethik wählt, um zu konsensorientierten, vertretbaren Entscheidungen zu kommen, vornehmlich eine analytische Verfahrensweise. Bei der Lösung der bioethischen Probleme stehen Falldiskussionen in Verbindung mit Güterabwägungen im Vordergrund. In Amerika ist die Bioethik weitgehend pragmatisch ausgerichtet. Die religiösen und theologischen Quellen der Moral sind relativ schwächer entwickelt und weniger einflussreich als in anderen Ländern.

2. Der Blick auf die amerikanische Biotechnik- und Biomedizinszene zeigt für uns, dass es wichtig ist, möglichst frühzeitig klare Positionen zu beziehen. Weil die Fragen der Gentechnik und Biomedizin eng mit dem menschlichen Welt- und Selbstverständnis verbunden sind, haben die Kirchen in der öffentlichen Diskussion einen wichtigen Part zu übernehmen. Darüber hinaus scheint es mir sehr wichtig, dass die Kirchen auch in politischen Gremien und Ethikräten bzw. Kommissionen vertreten sind. Denn wer den Diskurs nicht dort sucht, wo er geführt wird, hat die Chance vertan, ihn zu beeinflussen. Und wer an der gesellschaftlichen Kontrolle nicht teilnimmt, wird auch Fehlentwicklungen nicht verhindern können. Die Gefahr, am Ende des Meinungsbildungsprozesses für fragwürdige Positionen vereinnahmt zu werden, bleibt allerdings bestehen. Dem gilt es so weit als irgend möglich zu entgegenzuwirken. Mit anderen Worten, wir müssen mit den Mechanismen der Entstehung öffentlicher Meinung und der Beeinflussung parlamentarischer Meinungsbildungs- und Gesetzgebungsprozesse kompetent und souverän umgehen bzw. umzugehen lernen.

3. Was die Stammzellforschung anbelangt, scheint man in den USA in den gleichen Kinderschuhen zu stecken wie in Deutschland. Was man feststellt, ist ein großer Forscherdrang, der bis zu einem Machbarkeitswahn reichen kann. Die Motive sind subjektiv durchaus edel. Immer wieder wird auf die Heilungsmöglichkeiten abgehoben. Man will Heilung – gleich welcher Preis dafür zu zahlen ist. In der Diskussion begegnet man zum Teil einem religiös überhöhten Gesundheitsbegriff, der darin besteht, dass jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens als Behinderung von Glück, als Einschränkung sinnvollen Lebens und deshalb ausschließlich negativ bewertet wird. Ein entgrenztes Gesundheitsverständnis bestärkt eine Anspruchshaltung, nach der Gesundheit in einem umfassenden Sinn letztlich nicht Gnade und Segen, sondern ein einklagbares Recht ist. In Deutschland wird eine solche „Ethik des Heilens“ nicht zuletzt aufgrund der Beiträge der Christen inzwischen zunehmend hinterfragt.

4. Bei der Diskussion um das Klonen, wie wir sie vor allem in San Francisco geführt haben, erscheint es wichtig, dass das Klonverbot nicht durch eine künstliche Differenzierung zwischen (unerlaubtem) reproduktiven und (erlaubtem) therapeutischen Klonen unterlaufen wird. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Methoden des Klonens, sondern um zwei verschiedene Anwendungsbereiche desselben Verfahrens. In beiden Fällen wird ein menschlicher Klon hergestellt, der bei Einsetzung in den Uterus einer Frau zu einem Menschen heranwachsen könnte. Auch ein Klonen, das therapeutische Ziele verfolgt, führt zur Tötung von menschlichen Embryonen.

5. Auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin werden in den USA alle denkbaren Möglichkeiten verwirklicht. Solchen Entwicklungen kann man wohl am effizientesten mit einer restriktiven Gesetzgebung begegnen, wie wir es in Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz tun. Allerdings weist auch das deutsche Embryonenschutzgesetz im Hinblick auf die künstliche Befruchtung noch Lücken auf, die bei der eventuellen Schaffung eines in Rede stehenden Fortpflanzungsmedizingesetzes zu schließen sind, zum Beispiel die Regelungen bei der heterologen Insemination, der Umgang mit überzähligen Embryonen und Vorkernstadien, die Dokumentation und Qualitätssicherung des Verfahrens.

6. Wichtig erscheinen auch auf diesem Feld die Information, die Beratung und Aufklärung, die nach dem einhelligen Urteil meiner Delegation in den USA nicht genügend vorgenommen werden. Hier sind aber auch in Deutschland Defizite zu beklagen. Die Öffentlichkeit sollte vermehrt über die vielfältigen Ursachen von Fertilitätsstörungen aufgeklärt werden. Die betroffenen Paare sollten umfassend und unabhängig über die Risiken, die Alternativen und die geringen Erfolgsaussichten der Fortpflanzungsmedizin aufgeklärt werden. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer schwierigen und für den Körper der Frau sich schwerwiegend auswirkenden Methode der IVF-Behandlung ein Kind zu haben (sogenannte "Baby-take-home-rate") liegt derzeit in Deutschland bei lediglich 13-15%.

Schlussbemerkungen und Ausblick

1. Christliches Verständnis von Krankheit und Leid

In einem ersten Punkt meines Schlusskapitels möchte ich noch einige Anmerkungen zum christlichen Verständnis von Krankheit und Leid machen.

Wie in kaum einer anderen Religion oder Weltanschauung steht das Heilen im Mittelpunkt des Christlichen. Das Wirken Jesu ist ohne die vielfältigen Heilungsgeschichten, wie sie im Neuen Testament überliefert sind, gar nicht zu denken. Ja die Heilungen Jesu bringen seine befreiende Botschaft exemplarisch auf den Punkt. Es ist deshalb absurd, wenn in den gegenwärtigen Diskussionen der Vorwurf erhoben wird, dass Christentum sei zu wenig an der Heilung aus Krankheit und Leid interessiert und deshalb gegenüber den Biotechnologien zu kritisch oder gar fortschrittsfeindlich eingestellt. Christen sind nicht fortschrittsfeindlich, aber wir sind zutiefst lebensfreundlich! Die Krankenfürsorge gehörte schon von allem Anfang an –ganz im Unterschied zur antiken Umwelt! - als wesentliches Element zum christlichen Glauben und Leben. Der lebensfreundliche Grundimpuls des Christentums muss gerade deshalb lebensfeindliche Tendenzen, die es im Zusammenhang moderner Technologien gibt, aufdecken und der Kritik unterziehen.

Zwei Präzisierungen sind allerdings noch hinzuzufügen. Im Neuen Testament steht das Heilen immer im engen Zusammenhang mit einer tieferen
Wirklichkeit.

Die Nähe zu den Menschen – besonders zu den bedrohten, verletzten, leidenden und kranken Menschen – gehört ganz in der Spur Jesu zum Grundbestand christlicher Caritas, christlicher Liebe zum Menschen, in der sich die Liebe Gottes zu uns spiegelt. In der Solidarität mit den Bedrohten, der Heilung der Verwundeten und der Befreiung von Krankheit und Leid ereignet sich anfanghaft schon das, was uns allen verheißen ist, das Nahekommen des Reiches Gottes. Anders ausgedrückt, wer Solidarität erfährt, wem das Geschenk der Gesundheit und die Befreiung aus Krankheit und Leiden zuteil wird, der erfährt schon heute im jetzigen Leben die Dimension des wahren, des ewigen Lebens. Die Überwindung von Krankheit und Leid erhält somit eine eschatologische Dignität. Sie ist Unterpfand künftiger Herrlichkeit.

Und eine zweite Präzisierung: Die Bibel verkennt andrerseits nicht, dass Leid, Leiden und Krankheit zur menschlichen Realität mit dazu gehören. Wer den Himmel auf Erden für jetzt verspricht, wird von der Bibel als Illusionär und Irrealist entlarvt. In unserer auf ewige Jugendlichkeit und immerwährende Fitness ausgerichteten Zeit ist es hilfreich, ja wahrhaft human, sich dieser biblischen Weisheiten, die anthropologische Grundkonstanten zum Ausdruck bringen, zu erinnern.

Die moderne Medizin hat ungeahnte Wege zur Heilung eröffnet. Gott sei Dank! Die Kirchen begrüßen das ausdrücklich. Heilen ist ein christlicher Grundauftrag. Christen widersprechen aber deutlich, wenn einerseits von Therapie und therapeutischem Verfahren geredet und dabei andererseits menschliches Leben getötet wird. Der christliche Glaube fordert immer dann Einspruch und Widerspruch, wenn bei der Gestaltung der Welt die Würde des Menschen zwar vielfach zitiert, diese in Wirklichkeit aber bedroht oder zerstört wird. Die Argumente klingen stets wohlmeinend, vielfach wird vom Leid und vom Mitleid, von Freiheit und Fortschritt gesprochen, manchmal aber auch offen von zu hohen Kosten und zu geringem wissenschaftlichem Nutzen.

Immer häufiger wird die Würde eines Menschen verwechselt mit dem, was man dann als Wert oder Unwert eines Lebens bezeichnet. Würde dagegen eignet einem Menschen als Menschen. Die Chancen und Grenzen des Fortschritts messen sich am Maßstab der Menschenwürde.

In der derzeitigen Diskussion spielt die Frage nach der Forschungsfreiheit eine wichtige Rolle. Dazu sei wiederholt, dass die Forschungsfreiheit ein hohes rechtsstaatliches und deshalb grundgesetzlich geschütztes Gut ist. Entsprechend ist medizinische Forschung, die darauf zielt, Krankheiten zu heilen, geboten. Zugleich muss an die Würde eines jeden Menschen erinnert werden, die im Zentrum des christlichen Menschenverständnisses steht und auch Grundlage unserer Verfassung ist. Die Menschenwürde begrenzt die Forschungsfreiheit, damit diese nicht zu unmenschlichen Konsequenzen führt.

2. Konkretionen zu anstehenden politischen Entscheidungen

a) Menschenwürde von Beginn an

Die erste Konkretion beschäftigt sich mit der Frage, wann die grundgesetzlich verbürgte Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens beginnt.

Aus der Biologie gewinnen wir die Erkenntnis, dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zur befruchteten Eizelle mit doppelten Chromosomensatz beginnt. Ab diesem Moment entwickelt sich menschliches Leben nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Mit der Befruchtung ist ein Mensch im Werden da. Die Biologie liefert keine überzeugende andere Grenzziehung für den Beginn des menschlichen Lebens. Jeder Versuch, eine andere Grenze für den Beginn des menschlichen Lebens und damit für die Schutzwürdigkeit des Menschen zu ziehen, ist damit willkürlich und in der Konsequenz ungerecht.

b) PID darf in Deutschland nicht zugelassen werden

Eine weitere Konkretion ist die Frage nach der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Unter PID wird die Untersuchung am Erbmaterial eines Embyros invitro vor dem Transfer zur Einnistung in die Gebärmutter auf Krankheitsdispositionen verstanden. Es ist selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Embryonen, bei denen eine genetisch bedingte Erkrankung prognostiziert wird, vernichtet, d.h. getötet werden. Eine große Gefahr bei einer begrenzten Zulassung der PID bestünde darin, dass - entgegen der erklärten Absicht der Befürworter einer solchen begrenzten Zulassung - faktisch Tendenzen zur Selektion menschlichen Lebens Vorschub geleistet wird. Die Praxis in anderen Ländern, in denen die PID zugelassen ist, zeigt, dass es unrealistisch ist, eine Eingrenzung auf wenige Indikationen durchzuhalten. Bezeichnend ist deshalb auch, dass die Befürworter einer bedingten Zulassung der PID nicht definieren, was unter schwerwiegenden genetischen Belastungen der Eltern zu verstehen ist. Dies deutet schon die Unmöglichkeit einer strikten Begrenzung von Fällen für die Zulassung zur PID an und signalisiert, dass die Praxis eine erhebliche Ausweitung mit sich bringen würde. Ich hoffe deshalb sehr darauf, dass ein etwaiger Antrag zur begrenzten Zulassung der PID in Deutschland im Deutschen Bundestag keine Mehrheit erlangen würde.

c) Für ein umfassendes und einstufiges Klonverbot

Eine weitere Konkretion betrifft das umfassende und einstufige Klonverbot. Ich bin sehr dankbar, dass der fraktionsübergreifende Antrag zu einem umfassenden und einstufigen Klonverbot im Deutschen Bundestag eine große Mehrheit gefunden hat. Dieser Beschluss bindet die Bundesregierung, nun auch in Europa und im Rahmen der Vereinten Nationen für dieses einstufige Klonverbot einzutreten. Die vorgenommene Unterscheidung zwischen reproduktivem Klonen und sog. therapeutischem Klonen ist nicht haltbar. Ich verstehe die ungeheure Faszination, die für Forscher vom Klonverfahren ausgeht, denn sie verspricht ein Heilungsverfahren durch Implantate ohne Abstoßungsreaktionen des Körpers. Allerdings ist das Klonverfahren als solches ein derartiger Eingriff in das menschliche Selbstverständnis und nicht zuletzt in die Menschenwürde, dass es abgelehnt werden muss und alle Anstrengungen unternommen werden müssen, das Verbot international durchzusetzen.

Noch ein Satz zu einer in der öffentlichen Diskussion völlig vernachlässigten Facette des Klonens. Ist das Klonen von Tieren, gar ihre serielle Reproduktion, ethisch so unbedenklich, dass es keiner öffentlichen Diskussion bedarf? Sind Tiere wie Maschinen, die beliebig reproduziert werden dürfen? Tiere sind Geschöpfe Gottes! Außerdem sind alle Tierklone – das ist eine klare Aussage von Prof. Jaenisch! – ausnahmslos geschädigt. Endet hier etwa die ethische Verantwortung des Menschen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir alle sind aufgerufen: Jeder Bürger und jede Bürgerin, (insbesondere) alle die für unser Gemeinwesen und für die Kultur, insbesondere die politische Kultur und die Rechtskultur Europas Verantwortung tragen, dass wir uns zu diesen entscheidenden bioethischen Fragen ein verantwortliches Urteil bilden.

Ethik lässt sich nicht an wissenschaftliche Ethikzentren und nationale Ethikräte oder Ethikkomitees in Krankenhäuser oder sonst wohin delegieren. In der ethischen Verantwortung kann man sich nicht vertreten lassen.

Das Potenzial der Gentechnik verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung, beides sind falsche Extreme: Es gilt, in dieser Zeit in hohem Masse Sensibilität und moralische Kompetenz fortzuentwickeln. Ethisch richtige Ziele und Methoden in der Gentechnik dürfen und müssen unterstützt werden, falsche Zielsetzungen der Gentechnik allerdings gilt es zu durchschauen und weder alles zu glauben, was sie verspricht, noch alles zu tun, was sie ermöglicht. Insbesondere gilt es, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte zu achten und so einer Kultur des Lebens aus christlicher Sicht einer Zivilisation der Liebe zum Durchbruch zu verhelfen.

Eine solche Kultur des Lebens erfordert konkret geradezu einen kategorischen Imperativ, stets die menschendienliche Perspektive im Auge zu behalten. Im Blick auf die Forscher heißt das etwa, die Chancen und Risiken eines Forschungsgegenstandes verantwortungsbewusst zu überprüfen, einer sorgsamen Folgenabschätzung zu unterziehen und über das Tun gewissenhaft Rechenschaft abzulegen. Das Parlament ist gefordert, durch entsprechende Gesetze der Komplexität, den Risikodimensionen, den Zukunftswirkungen und den ethischen Implikationen der Gentechnik Rechnung zu tragen.

Alle, die in Kirche und Gesellschaft Sorge tragen für eine bessere Erfassung der angesprochenen Probleme, sind dazu aufgerufen, den Fortschritt der Lebenswissenschaften und der durch sie ermöglichten Biotechnologien mit Verantwortung, Sensibilität und kritisch-konstruktivem Engagement zu begleiten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Bischof Dr. Gebhard Fürst, Geistlicher Assistent des ZdK, Mitglied des Nationalen Ethikrates

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