Auswertung des Ökumenischen Kirchentags Berlin 2003

von Heinz-Wilhelm Brockmann im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Der Ökumenische Kirchentag in Berlin hat das große Thema „Einheit der Christen“ auf der Tagesordnung der Kirchen weit nach vorne gerückt. Dass der Wunsch nach Einheit die Christen in allen Kirchen sehr entschieden bewegt, haben die 200.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ebenso wie viele interessierte Zuschauer deutlich gemacht. Und sie verbinden ihre Hoffnung auf Fortschritte zur Einheit mit den Laienorganisationen ihrer Kirchen, besonders dem DEKT und dem ZdK. In der Ökumene zu drängen, praktische Fortschritte zu fordern und was möglich ist selbst zu tun, wird in Zukunft ein besonderes Merkmal des ZdK sein. Dazu verpflichtet uns auch der Erfolg des Kirchentages.

Die ökumenische Dimension der Kirche ist nicht ein Merkmal unter anderen. Sie ist ein zentrales Kriterium von christlicher Kirche. Dass die Kirchen sich immer um Einheit bemühen müssen, weil die Trennung unter ihnen, wie das Johannes Evangelium es sagt, anderen den Zugang zum Glauben versperrt, dass darum ökumenisch denken und handeln Selbstbesinnung der Kirchen bedeutet, eigene Umkehr und Reform, das durchzieht die Theologie vom Epheser Brief bis zum Ökumenismus Dekret des Konzils. Wir katholischen Laien wollen diese Seite unserer Kirche stärker machen.

Denn in unserer Zeit und Gesellschaft können die Christen nur noch gemeinsam überzeugen. Aber gemeinsam können sie es. Auch das hat der Kirchentag von Berlin gezeigt. Dieser Kirchentag hat für alle christlichen Kirchen eine sonst kaum gekannte Präsenz in der Öffentlichkeit bedeutet, eine sonst viel zu wenig erlebte Freude aneinander und eine sympathische, vitale Gegenwart vom Christentum in unserer Umgebung. Darum war dieser Kirchentag ein großer Erfolg und ein gutes Bild von Kirche in unserer Zeit.

Ich sehe die Bedeutung des ökumenischen Kirchentages vor allem in folgenden Punkten:

  1. Die Handelnden haben über Krisen zu einer guten Gemeinsamkeit gefunden. Der Weg zum Kirchentag war nicht nur planerisch lang, er war auch gelegentlich schwierig. Die Großorganisationen DEKT und ZdK, aber auch die in der ACK vereinten übrigen christlichen Kirchen haben ihre Geschichte und ihre Eigenarten mitgebracht, aber auch ihre Fehleinschätzungen der jeweils anderen. Sie bleiben auch in Zukunft eigene Organisationen mit eigenen Gesetzen. Wir alle brauchten einige Zeit, bis wir gemeinsam begriffen, dass dieser Kirchentag etwas Neues, ein Drittes ist, weder ein Katholikentag mit vielen evangelischen Gästen, noch ein evangelischer Kirchentag mit solchen katholischen.
    Am Ende war die Zusammenarbeit vertrauensvoll und behutsam rücksichtsvoll. Wir haben sie als bereichernd und effektiv erlebt. Diese Zusammenarbeit hat zwischen DEKT und ZdK eine bewährte und belastbare Gemeinsamkeit geschaffen, und sie verlangt, dass wir in Zukunft mehr zusammen tun.
     
  2. In Berlin waren die Christen gemeinsam nach außen überzeugend wie jede einzelne Kirche von ihnen allein seit langem nicht mehr. Mit offenen Armen wurden wir überall in Berlin aufgenommen. „Willkommen, Ihr Christen, in der Stadt der Ungläubigen!“ begann der Leitartikel des Tagesspiegels am ersten Tag des Kirchentags. Dieser Kirchentag fand nicht nur im Berliner Blätterwald auf den ersten Seiten der nichtkirchlichen Presse statt. Und diese Presse hat nicht nur kommentiert, der Kirchentag sei bunt, sympathisch, offen, diskussionsfreudig und lebendig gewesen. Sie hat auch berichtet, dass auf ihm politisch qualifiziert diskutiert und gerungen wurde. Sie hat verstanden, dass das christliche Bild des Menschen im Mittelpunkt der Erörterung stand. Sie hat, gelegentlich mehr oder weniger kompetent, berichtet vom theologischen Ringen und Abwägen um Fragen der Einheit, des Glaubens und der Religion in unserer Zeit. Und sie hat schließlich berichtet, dass die Christen sich in großen Scharen zu Gottesdiensten zusammenfanden. Gerade diese Gottesdienste, Meditationen und Bibelarbeiten hätten den größten Zulauf gehabt.
    Wenige kirchliche Ereignisse der letzten Jahrzehnte habe es geschafft, so oft und so positiv in der Öffentlichkeit anzukommen, wie unser gemeinsamer Kirchentag. Dieser Kirchentag hat für alle Beobachter und Gäste auch ein Zeugnis des Glaubens in säkularer Öffentlichkeit gegeben, und dies ist registriert worden. Zu diesem Zeugnis gehört die Qualität vieler Veranstaltungen ebenso wie die große Zahl der Teilnehmenden und der Mitwirkenden. Dazu gehört die Teilnahme und aktive Mitarbeit der Mehrheit der Bischöfe der verantwortlichen Spitzen aus den Kirchen, und es gehört dazu die Botschaft des Papstes am Beginn des Kirchentages. Dagegen ist die Kritik von 2 Kardinälen, die nicht dabei waren, in der Sache absolut unbegründet, im Stil beckmesserisch und, was die Zeugen angeht, auf die sich einer beruft, eher dubios.
     
  3. Der Kirchentag war auch eine Demonstration der Teilnehmenden: So nahe beieinander wollen wir unsere Kirchen. Natürlich ist die Teilnahme von 200.000 Männern und Frauen jeden Alters eine Abstimmung mit den Füßen. Dazu kommen 39.000 Tagesgäste. 41.000 vollaktive Mitwirkende. Wer diese Menschen erlebt und gesprochen hat, versteht, dass Ökumene ein Teil ihres Kirchentraums ist. Sie wünschen sich eine Kirche, die es schafft, Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen, Gemeinsamkeiten zu finden und sich gegenseitig zu stärken. Durch diese ökumenische Dimension finden Menschen zurück zu ihrer Kirche, die bisher eher am Rand stehen. Es zeigte sich auch in Berlin: Ökumenisch zu handeln, das stärkt jede Kirche.
     
  4. Der Ökumenische Kirchentag hat jede der mitwirkenden Kirchen auch ein bisschen verändert. Die Verantwortlichen und die große Teilnehmerschaft haben gespürt, wie bereichernd es ist, voneinander zu lernen. Wie sehr die Bibel ein Buch zum Lesen und zum Leben sein kann, das können katholische Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der großen Bedeutung der Bibelarbeit ermessen, die dieser Kirchentag in Anlehnung an evangelische Traditionen übernommen hat. Dass nach katholischem Verständnis zur Kirche auch die Bischöfe als die Nachfolger der Apostel in ihrem Leitungsamt gehören, und dass es nicht nur theologisch richtig, sondern auch kirchenpolitisch klug ist, sie bei einem Kirchentag einzubinden, das haben evangelische Christen nach Aussagen vieler auch im DEKT in Berlin von uns neu verstanden. Das sind nur zwei Beispiele von Lernerfahrungen, die nachhaltig bleiben werden.
    Wir haben auch gelernt, dass wir uns in der Ökumene umeinander bemühen müssen. Die evangelischen Partner haben insgesamt der Versuchung widerstanden, uns Katholiken die Position zu gemeinsamen Abendmahl und Eucharistie als rückschrittlich und fern der Erwartung der Teilnehmerschaft vorzuwerfen. Wir katholischen Partner haben uns darauf eingelassen, dass ein Kirchentag in der Vielfalt und Buntheit seine eigenen Gesetze hat, aber wir haben dafür gekämpft, dass unser Profil, das der Christen, alle großen Bereiche des Kirchentages prägen muss. Insofern sind wir einem Wort des inzwischen alt gewordenen lutherischen Bischofs von Oldenburg, Hans Heinrich Harms, gefolgt, der als jahrelanger Beauftragter der EKD für Ökumene sagte: „Ökumene ist die Seelsorge der einen Kirche an der anderen“.
     
  5. Der Ökumenische Kirchentag hat deutlich gemacht, dass die Einheit der christlichen Kirchen drei starke Säulen braucht: Es ist ein gewaltiger Fortschritt, wenn die Theologen Lehrstreitigkeiten in bestimmen Fragen überwinden können. Wenn darüber hinaus kirchenamtlich, etwa in der Rechtfertigungslehre festgestellt wird, die beiden großen christlichen Kirchen seien in zentralen Fragen ihres Glaubens nicht mehr getrennt, Verurteilungen früherer Zeit gegenstandslos, so ist das eine neue Verbindung zwischen uns. Doch es braucht ein Drittes.
    Es muss die Gemeinsamkeit des Lebens, des Glaubens und des Glaubensvollzugs der Menschen daraus werden. Das Christenvolk, die Menschen in den Gemeinden selbst müssen in ihrem konkreten christlichen Alltag diese Einheit vollziehen. Sie müssen lernen, das „typisch katholisch“ oder „typisch evangelisch“ vom Kern ihres christlichen Glaubens zu unterscheiden. Jetzt kommt es darauf an, dass die Christen in allen Kirchen schon vorhandene Gemeinsamkeiten entdecken und verstärken, soviel wie möglich miteinander tun, eine verlässliche Gemeinschaft herstellen und letztlich alle davon überzeugen, dass wir die Einheit wollen. Bei dieser Aufgabe, die selbstverständliche Gemeinschaft des Volkes Gottes auszubilden, kommt den Laienorganisationen in ihren Kirchen eine zentrale Aufgabe zu.
     
  6. Dieser Ökumenische Kirchentag von Berlin war ein Anfang eines längeren Weges. Noch gibt es verschiedene christliche Kirchen, darum muss jeder von uns in seiner Kirche wirken. Der DEKT ist existenziell daran interessiert, dass es weiter evangelische Kirchentage gibt. Das ZDK braucht auch in Zukunft Katholikentage, um seine Visionen von der Erneuerung der katholischen Kirche einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Doch die Menschen in unseren Kirchen erwarten von uns, dass wir die Triebkräfte des ökumenischen Fortschritts in unseren Kirchen bleiben.
    Dabei müssen wir unseren Kirchen auch die Frage zumuten, wieviel Einheit sie eigentlich wollen. Auch diese Frage zur grundsätzlichen Selbstbesinnung ist jetzt nötig. Sie ist ähnlich der Frage, die Jesus nach der Erzählung des Johannes Evangeliums am Teich beim Schaftor in Jerusalem dem Lahmen stellte, der dort 38 Jahre lang am Teich lag und klagend feststellte, er habe niemanden, der ihn zur rechten Zeit in das neu aufwallende Wasser trage. Bekanntlich fragt Jesus diesen langjährigen Kranken: „Willst Du gesund werden?“ Diese Frage geht auch an uns: Wollt Ihr eins werden? Seid ihr wirklich bereit, Ökumene zu verstehen als Selbstbesinnung, als Umkehr und wenn nötig als Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten, die wir alle allzu leicht zur notwendigen Sozialisation, zur wichtigen Form unserer eigenen Identität erklärt haben. Wollen wir, wie der Kirchentag das neue Gemeinsame schaffen, das jeden von uns nicht ganz, aber uns gemeinsam als Christen meint?
    Um diesen Prozess weiter zu führen, braucht es in einigen Jahren einen neuen Ökumenischen Kirchentag. Wann dieser sein wird, müssen wir zwischen DEKT und uns besprechen. Und vor allem müssen wir bald anfangen zu überlegen, welches sein großes Thema sein wird. Vielleicht müssen wir uns bei einem neuen Kirchentag um unsere eigentliche Identität kümmern. Um das, was im Kern katholisch und evangelisch ist, und das, was wir gemeinsam sind. Das ist nicht nur eine theologische und historische Aufarbeitung, sondern es ist die gemeinsame Beschreibung vom Kern unserer bewussten gemeinsam formulierten christlichen Identität.

Heinz-Wilhelm Brockmann, Vizepräsident des ZdK

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