Ausblick auf den 95. Deutschen Katholikentag 2004
von Dr. Annette Schavan im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Auf den 1. Ökumenischen Kirchentag folgt der 95. Deutsche Katholikentag, den wir, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, in der Zeit vom 16. - 20. Juni des kommenden Jahres gemeinsam mit dem Bistum Rottenburg-Stuttgart in der Stadt Ulm ausrichten werden.
Lassen Sie mich in dieser Vollversammlung einen Blick auf das Ereignis werfen, mit dem wir bereits ein knappes Jahr nach dem gelungenen Ökumenischen Kirchentag von Berlin die Reihe der Katholikentage fortsetzen und anknüpfen an eine lange gute Tradition des deutschen Katholizismus. Mag es unter dem unmittelbaren Eindruck des gemeinsamen großen Festes im letzten Mai und angesichts des überschwänglichen Lobes, dass uns dafür unisono von allen Seiten gezollt wurde, auch manchen und manche zunächst überrascht haben: Der deutsche Evangelische Kirchentag und das ZdK haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass Kirchen- und Katholikentage durch keinen noch so gelungenen Ökumenischen Kirchentag ersetzt werden können, sondern dass diese Veranstaltungen ihren ureigenen Stellenwert für das Leben der beiden großen christlichen Konfessionen in unserem Land haben und über den ÖKT hinaus behalten werden. Darum waren wir uns in der Vorbereitung des ÖKT darin einig, dass unser gemeinsames ökumenisches Großprojekt, wenn es denn erfolgreich verlaufen würde, vielleicht eine neue Tradition begründen könnte – aber dann zusätzlich und nicht an Stelle der Tradition von Kirchen- und Katholikentagen. Deshalb standen bereits lange vor dem ÖKT die nächsten Daten fest: Katholikentage in den Jahren 2004 und 2006, Evangelische Kirchentage in 2005 und 2007. Als erste sind also wir an der Reihe.
„Leben aus Gottes Kraft“ - so lautet das Leitwort, unter das wir diesen Katholikentag dieses Mal stellen. „Leben aus Gottes Kraft“ – damit bringen wir klar zum Ausdruck, wer und was für uns Ursprung und Quelle unseres Daseins ist. „Leben aus Gottes Kraft“ – das ist ein kraftvolles Bekenntnis zu Gott, der unser Schöpfer und unsere Lebensquelle ist. Er verleiht uns die Kraft des Lebens und die Kraft zum Leben. Er befähigt uns, unser Leben zu gestalten, aber es auch anzunehmen, so wie es uns geschenkt ist. Wir haben Verantwortung für dieses Leben, für unser eigenes und das anderer, und diese Verantwortung ist groß. Aber wir kennen auch die Maßstäbe und die durch sie aufgezeigten Grenzen. Und wir bekennen uns auch dazu. „Leben aus Gottes Kraft“ - das ist der positive Gegenentwurf zu der Vorstellung, wir Menschen müssten alles, aber auch alles aus eigener Kraft leisten und verwirklichen können. Und wenn wir es nicht können, dann versagen wir – als Individuen und als Gesellschaft. Im 2. Korintherbrief stellt uns der Apostel Paulus Christus selbst vor Augen, wenn er schreibt: „Zwar wurde er in seiner Schwachheit gekreuzigt, aber er lebt aus Gottes Kraft.“ Und weiter heißt es: „Auch wir sind schwach in ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben.“ (2 Kor 13,4)
Dieses Leitwort und das, was wir als Christen damit zum Ausdruck bringen, ist die Antithese zu unserer menschlichen Hybris und gegen jeden flachen Vitalismus. Ein Leben aus Gottes Kraft ist eben mehr, als das, was wir in den Labors der Medizin oder Pharmazie oder in Fitnessstudios und Schönheitsfarmen zu „optimieren“ versuchen. Damit kein Missverständnis entsteht: Wir werden uns davor hüten, in Ulm einem dumpfen Wissenschaftsskeptizismus zu huldigen. Wissenschaftlicher Fortschritt ist nicht per se gut oder schlecht – auch nicht, wenn es um die sensiblen Bereiche der so genannten Lebenswissenschaften geht. Unsere Welt lässt sich nun einmal nicht in Schwarz-weiß-Darstellungen abbilden, eine Erkenntnis, die manche nicht wahr haben wollen, die uns als ZdK aber geradezu wesenseigen ist. Die Stadt Ulm und ihre Region sind führend auf dem Gebiet der biotechnischen Forschung. Dies betrachten wir als eine besondere Chance, die wir nutzen wollen und die deshalb im Programm des kommenden Katholikentages einen besonderen Stellenwert haben wird. Wir werden in Ulm den Dialog gerade mit diesem Zweig von Wissenschaft und Forschung suchen, weil wir davon überzeugt sind, dass beide, die Kirche ebenso wie die Wissenschaft, auf diesen Dialog angewiesen sind und dass beide davon profitieren.
Die in unserem Leitwort zum Ausdruck gebrachte Gewissheit, dass wir nicht auf uns selbst zurück geworfen sind, dass eben nicht „jeder seines Glückes Schmied“ ist, kann unseren Blick über den Tellerrand des eigenen individuellen Daseins hinaus weiten. Gottes Kraft stärkt, Gottes Kraft setzt Kräfte frei. Sie befähigt uns, Dinge in Bewegung zu setzen und zu verändern. Doch die Befähigung hierzu alleine reicht nicht aus. Um Veränderung zu bewirken und Dinge zu gestalten, muss man auch verändern und gestalten wollen. Ich komme noch einmal zurück auf die spezifischen Traditionen des deutschen Katholizismus. Es gehört zu den Besonderheiten der katholischen Kirche in unserem Land, dass sie – bedingt durch die Herausforderungen unserer Geschichte – vielfältige Formen und Instrumente eines ausgeprägten, relativ eigenständigen, Laienkatholizismus entwickelt hat. Das waren und sind nun schon seit eineinhalb Jahrhunderten die katholischen Vereine und Verbände, die aus dem Geist des Evangeliums heraus mit bauen an einer gerechten, menschenfreundlichen Welt. Hinzu kamen in Folge des 2. Vatikanums die Laienräte als Ausdruck eines gewandelten Kirchenverständnisses und der vollen Teilhabe der Laien an Gestalt und Gestaltung der Kirche. Und auch viele der neueren Geistlichen Bewegungen lassen sich – zumindest in Teilen ihres Selbstverständnisses – hier anführen. Sie waren und sind das Salz, das unserer Kirche in Deutschland Geschmack verleiht. Vor mehr als 150 Jahren haben die kath. Organisationen die deutschen Katholikentage erfunden, die es bis heute in dieser Art sonst nirgends gibt. Natürlich haben sich die Katholikentage im Laufe der Geschichte vielfältig verändert und weiter entwickelt. Sie haben neue, wichtige Funktionen hinzu gewonnen, und immer wieder ein anderes Gesicht bekommen. Heute sind Katholikentage Orte der Begegnung, wo sich die Kirche selbst in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit und zweifellos auch von einer ihrer schönsten Seiten zeigt. Warum sonst kamen in den letzten 25 Jahren regelmäßig so viele junge Menschen zu den Katholikentagen? Weil sie hier etwas finden, was sie so andernorts eben nicht immer finden. Weil sie erleben, dass ihre Kirche modern, lebensbejahend, weltoffen und weltumspannend ist, dass sie Interesse zeigt an ihren Fragen, dass Kirchen doch dialog- und erneuerungsfähig ist.
Das alles ist Katholikentag, ja - aber es ist noch nicht alles. Zum Kerngeschäft von Katholikentagen gehört wesentlich noch etwas anderes. Katholikentage sind nach wie vor ein politisches Instrument, vielleicht das politische Instrument des deutschen Laienkatholizismus. Seien wir ehrlich: nicht jede unserer Erklärungen wird von der Öffentlichkeit so wahr genommen, wie wir uns dies wünschten, und nicht immer gelingt es uns, im tagespolitischen Geschäft mit unseren Positionen Gehör zu finden. (Dies hat sicher viele Gründe und denen, die wir beeinflussen können, sollten wir nachgehen.) Auch hatten wir nie den falschen Ehrgeiz, zu allem und jedem uns zu äußern. Aber wir haben alle zwei Jahre die Gelegenheit, das auf die Agenda zu setzen, was für uns von vorrangiger Bedeutung ist. Bei den Katholikentagen bestimmen wir selbst die Themen und formulieren die Fragen und wir Katholikinnen und Katholiken in Räten und Verbänden tun dies sehr selbstbewusst als katholische Laien. Hier stellen wir unsere Positionen in den öffentlichen Diskurs, hier setzen wir uns mit den Positionen aus Politik und Gesellschaft auseinander – und umgekehrt - und zwar vor einer so breiten Öffentlichkeit, wie nur wenige andere Ereignisse sie herstellen können. Wir müssen auch in Zukunft mit dem Pfund der Katholikentage wuchern, sonst verhalten wir uns wie der dumme Verwalter im Gleichnis, der das ihm anvertraute Kapital im Acker vergräbt, statt es zu mehren. Deshalb ist für mich völlig unverständlich, warum immer wieder einmal in manchen Verbänden oder auch Räten die Frage aufkommt, ob man denn regelmäßig beim Katholikentag dabei sein müsse, oder ob man Katholikentage nicht in anderen Rhythmen veranstalten sollte – oder ob man sie nicht ganz durch Ökumenische Kirchentage ersetzen könnte. Das bekannte Diktum von Hans Maier „Wenn es Katholikentage nicht gäbe – man müsste sie erfinden“ gilt nach wie vor. Nicht von ungefähr beneiden uns viele unserer ausländischen Gesprächspartner um die Katholikentage.
Bereits ein Jahr nach dem ÖKT einen Katholikentag zu veranstalten ist – ich gebe es zu – für viele sicher ein harter Angang. Deshalb sei hier auch mit Dank und mit hoher Anerkennung erwähnt, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der im ZdK zusammengeschlossen Organisationen und Räte in Ulm auf die eine oder andere Weise dabei sein wird, sei es durch Mitgestaltung des Programms der Arbeitskreise, sei es mit eigenen Veranstaltungen, sei es mit einem Stand im Rahmen der Orte der Begegnung.
Bewusst hat die Katholikentagsleitung das Programm so strukturiert, dass es solche Möglichkeiten der Mitgestaltung bietet. Das Programm des Ulmer Katholikentags soll in drei Themenbereiche gegliedert werden. Im Themenbereich 1 „Den Grund des Lebens erfahren“ geht es um Fragen des Glaubens und der christlichen Theologie, um die Gestalt unserer Kirche, um das ökumenische Gespräch und den interreligiösen Dialog mit Juden und Muslimen. Der Themenbereich 2 mit der Überschrift „Das Geschenk des Lebens bewahren“ wird jene Themen aufgreifen, die das menschliche Leben unmittelbar betreffen, sei es als Chance, sei es als Bedrohung. Hierzu zählt nicht nur die Auseinandersetzung um bio- und medizinethische Fragen, sondern es geht auch um die Gefährdung menschlichen Lebens durch Krieg, Unterdrückung und Ungerechtigkeit oder den Raubbau an der Schöpfung. „Das Zusammenleben gestalten“ haben wir den dritten Themenbereich überschrieben. Er umfasst die Felder des gesellschaftlichen Zusammenlebens im nationalen, europäischen und im globalen Zusammenhang.
Gerne möchte ich Sie noch einmal herzlich nach Ulm einladen und ebenso herzlich darum bitten, dass Sie andere nach Ulm einladen. Die alte, protestantisch geprägte Reichsstadt mit ihrem oberschwäbisch-katholischen Hinterland, die einst im Mittelalter blühende Handelsstadt an der Donau, die bis heute beste Beziehungen zu den südosteuropäischen Nachbarländern unterhält, ist ganz gewiss eine Reise wert. Tradition und Moderne stehen hier beispielgebend beieinander, und beispielgebend ist auch die ökumenische Zusammenarbeit, die hier zwischen den evangelischen und katholischen Christen seit vielen Jahren gepflegt wird. Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, auch viele Evangelische in unsere Arbeitskreise zur Mitarbeit einzuladen. Und mit großer Dankbarkeit haben wir die Einladung der protestantischen Münstergemeinde angenommen, ihre weltberühmte Kirche für Gottesdienste, Konzerte und Gespräche zu nutzen. Ulm ist keine Metropole, aber zusammen mit dem bayerischen Neu-Ulm, das uns ebenfalls große Unterstützung zugesagt hat, bietet es uns alle Voraussetzungen für einen „ausgewachsenen“ Katholikentag in der Größenordnung etwa des Mainzer Katholikentags von 1998.
In diesen Tagen erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer früherer Katholikentage und des ÖKT eine Einladung nach Ulm. Anmeldungen können ab dann – auch via Internet – vorgenommen werden. Nach Weihnachten werden zusätzlich alle Pfarrämter bundesweit mit Einladungsprospekten und Werbematerial versorgt werden. Erfahrungsgemäß reicht jedoch beides nicht aus, um alle Interessenten zu erreichen. Bitte nutzen Sie deshalb auch die Ihnen verfügbaren Informationswege, Ihre Mitgliederversände und Verbandsorgane, und tragen Sie so mit Sorge dafür, dass wir in Ulm gemeinsam einen gelingenden Katholikentag erleben werden, in Ulm und um Ulm und um Ulm herum.
Dr. Annette Schavan, Vizepräsidentin des ZdK