Was heißt hier nachhaltig? Stellenwert einer nachhaltigen Landwirtschaft aus der Sicht eines Landwirtes

Rede von Heinrich Kruse, Katholische Landvolkbewegung Deutschlands (KLB) im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

I. Einleitung

Es gilt das gesprochene Wort!

Mancher von Ihnen wird beim Blick auf die heutige Tagesordnung gedacht haben: Johannesburg+10-Prozess ist sicher ein Thema – aber muss man in dem Zusammenhang unbedingt das Thema Landwirtschaft in den Mittelpunkt stellen?
Ich glaube man muss! Viel zu selten hat man sich in den Industrieländern, in den Ländern des Wohlstands, auch bei uns in Deutschland dieses Themas angenommen. Vereinfachend kann man sagen: Je größer der Wohlstand, desto geringer das Interesse.
Das tägliche Sattwerden ist kein Thema – für uns. Im "Vater Unser" beten wir an zentraler Stelle „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Möglicherweise nicht ganz bewusst, denn wir leiden doch eher unter den Überschüssen – bei uns in Europa. Wenn in der Öffentlichkeit und in den Medien über Landwirtschaft berichtet wird, dann - wie unlängst - ausschließlich über Skandale, über Negatives wie BSE, über Maul- und Klauenseuche und den unmöglichen Umgang mit derselben in England, über die hohen Subventionen der EU usw.


II. Situation der Landwirtschaft

Um es von vornherein zu sagen, ich bin kein Verbandsvertreter, ich spreche auch nicht als Politiker, sondern als praktischer Landwirt. Über alternative oder konventionelle Landwirtschaft wird leider häufig sehr ideologisch diskutiert. Das ist nicht meine Sache. Denn ich spreche lieber über nachprüfbare Fakten.
Es geht weder um Schönfärberei oder ein Schwarzmalen der Situation, sondern um die Beschäftigung mit der wirklichen Situation.
Tatsache ist, dass in den vergangenen 50 Jahren zwei von drei Landwirten ihren Hof aufgegeben haben, weil die Existenz ihrer Familien nicht mehr gesichert werden konnte. Tatsache ist ferner, dass die Zahl der Höfe pro Jahr um rund drei Prozent abnimmt und dass in diesem Jahr Tausende von Ausbildungsstellen in der Landwirtschaft nicht besetzt werden können.
Wahr ist auch, dass sich dadurch das Leben im ländlichen Bereich, in den Dörfern, welches besonders stark von der Landwirtschaft geprägt ist, verändert und nicht ganz nebenbei: Die Zahl der in kirchlichen Gremien und Organisationen engagierten Laien aus diesem Berufsstand war bisher überproportional hoch und hier insbesondere der Frauen, die neben ihrer schweren Arbeit in Familie, Haus und Hof Verantwortung für die Gemeinschaft übernahmen. Auch hier ist Nachhaltigkeit eine Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit.


III. Aus der Vergangenheit lernen – ein Blick zurück

Das Wort „Nachhaltigkeit“ erlebt in jüngster Zeit einen großen Aufschwung. Es wird sogar so oft gebraucht, dass man Angst vor einer Inflation, vor einer Entwertung haben muss. Dabei ist Nachhaltigkeit ein alter Begriff, der in der deutschen Waldwirtschaft bereits im 19. Jahrhundert entwickelt worden ist. Es ist sozusagen altes bäuerliches Denken und entspricht alter Erfahrung, nämlich: Der Natur nicht mehr zu entnehmen, als ihr ständig zurückgegeben wird, oder anders: Dem Boden das zuzufügen an Nährstoffen und Humus, was ihm durch die Ernte entzogen wird. Es heißt, die Ökonomie, die Ökologie und die sozialen Belange gleichwertig zu berücksichtigen. Denken in Generationen, langfristig die Produktionsgrundlage verbessern und den Hof in gutem Zustand weitergeben: Das ist traditionelles bäuerliches Gedankengut.

Entspricht diese Aussage nicht etwa einem verklärten Blick in die Vergangenheit?
Ich glaube nein!

An meinem eigenen, überhaupt nicht untypischen Beispiel, will ich dies kurz erörtern. Mit 14 Jahren wurde ich als ältestes von fünf Kindern aus der Volksschule entlassen. Eine weiterführende Schule oder sogar ein Studium waren nicht möglich, da meine Arbeitskraft auf dem elterlichen Hof dringend gebraucht wurde. Ich wäre alles geworden – nur freiwillig nicht Landwirt. Die freie Berufswahl gab es insofern für den Ältesten nicht, da in Westfalen seit langer Zeit der Älteste den Hof übernimmt. Also landwirtschaftliche Lehre bis zur Meisterprüfung. Mit 19 Jahren musste ich den elterlichen Hof, der seit vielen Jahrhunderten bewirtschaftet wurde, und der - auch das ist nichts Ungewöhnliches - von den Vorfahren in Generationen urbar gemacht wurde, übernehmen. Der leichte Sandboden gehörte zu den weniger Ertragreichen. Also war es mein Ziel, den Boden fruchtbarer zu machen:

  • durch eine abwechslungsreiche Fruchtfolge;
  • durch standortgerechte Sorten und den Einsatz von Neuzüchtungen;
  • durch den Anbau von Zwischenfrüchten, die Erosion und Grundwasserbelastung verhindern;
  • durch regelmäßige Bodenproben, um eine optimale Düngung durchführen zu können;
  • durch eine allgemeine Humuszuführung, die die lebende Schicht des Bodens, die Ackerkrume, vergrößerte und damit das Wasserspeichervermögen vergrößert;
  • durch schonende Bodenbearbeitung, die für die Durchwurzelung der Pflanzen wichtig ist.


Für mich bedeutete nachhaltige Landwirtschaft eine umweltgerechte Intensivierung. Mit den Erträgen zur Zeit meines Vaters hätte ich die Existenz nicht sichern können, da die Preise für unsere Produkte in unvorstellbarer Weise zurückgingen. So werden z. B. für Brotroggen oder -weizen bester Qualität derzeit etwa 8,5 bis 10 Euro für 100 Kilogramm gezahlt. Für die gleiche Ware bekam ich vor 20 Jahren noch 25 Euro. In der gleichen Zeit ist der Anteil des Getreides am Frühstücksbrötchen welches 30 Cent kostet, auf unter ein Cent gerutscht. Im Übrigen: Muss uns nicht nachdenklich stimmen, dass für wertvolles Brotgetreide bei uns nur unwesentlich mehr gezahlt wird als für Futtergetreide?

Ich sage: Von einem fairen Preis kann hier nicht mehr die Rede sein!

Die Kosten für die Erzeugung können schon seit Jahren nur noch mit Hilfe der sogenannten Flächenprämie, die von der EU gezahlt wird, gedeckt werden. Dies sollte jeder bedenken, der pauschal vom dringend notwendigen Abbau der Subventionen spricht.


IV. Verantwortungsvolles Handeln zahlt sich aus

Es ist also ein riesiger wirtschaftlicher Druck, der auf den Urproduzenten Landwirt ausgeübt wird und der automatisch zu einer Intensivierung führte. Dies muss aber nicht bedeuten, dass nicht mehr nachhaltig gewirtschaftet wird.
Voraussetzung ist hier das Wissen um die Zusammenhänge – natürlich ist die Landbewirtschaftung ein Eingriff in die Natur – wie jedes Handeln.
Entscheidend ist, dass die negativen Auswirkungen so gering wie möglich sind. Dafür ist ein profundes Wissen, welches in kaum einem anderen Beruf so umfänglich ist, notwendig. Hier können wir gottlob feststellen, dass sich die Qualifikation des landwirtschaftlichen Berufsstandes schon seit Jahrzehnten ständig verbessert hat, und ein außerordentlich hoher Prozentsatz z. B. den Abschluss des staatlich geprüften oder des Landwirtschaftsmeisters hat.
Sehr wesentlich ist auch, dass bei uns nach wir vor eine bäuerliche Mentalität, auch bei jüngeren Leuten, verbreitet ist. Wer irgendeinen Job sucht, für den ist der Beruf des Landwirts nicht der Passende. Die Verwurzelung mit dem Hof der Vorfahren und natürlich auch mit dem Boden ist eine wichtige Voraussetzung für den verantwortungsbewussten Umgang mit beidem. Deshalb ist eine breite Streuung des Eigentums an Grund und Boden, wie wir ihn bei uns haben, ein hohes Gut.
Der durch den Strukturwandel gestiegene Pachtlandanteil ist insofern nicht unproblematisch, da der Bezug des Pächters zum Boden fehlt – gemildert wird dies allerdings durch größtenteils langfristige Pachtverträge, die im Gegensatz zu Jahrespachtverträgen ein anderes Verhältnis zum Landwirt schaffen.
Was die staatlicherseits durchgeführte Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden bezüglich der Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung angeht, kann ich ihnen anhand eines Beispiels, diesmal allerdings völlig untypisch, darstellen. Der vorhin angesprochene Hof, den ich in jungen Jahren übernahm, wurde vor 7 Jahren überplant – die Flächen wurden für Straßen und Gewerbeansiedlungen dringend gebraucht.
An dieser Stelle weise ich auf den Umstand hin, dass übrigens weltweit in aller Regel fruchtbare Böden bebaut und der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden und frage: Ist das immer nachhaltig?
Fest steht: An manchen Stellen wurde und wird zu großzügig mit dem Boden umgegangen. Für mich persönlich war es aber Faktum. Eine Aufgabe der Landwirtschaft kam für mich überhaupt nicht in Frage, da ich, obschon zunächst unfreiwillig, nach wenigen Jahren große Freude entwickelte an diesem naturnahen und auch selbständigen Beruf. Ich wagte einen Neubeginn mit dem Aufbau eines Hofes, an einer Stelle, wo 40 Jahre lang niemand persönliche Verantwortung für die Felder getragen hatte, weil es ja Volkseigentum war. Wo durch eine jahrzehntelange, einseitige Fruchtfolge, durch einen humuszehrenden Raubbau und eine außergewöhnliche Bodenverdichtung die Ertragskraft der Äcker zum Teil so stark zurückgegangen war, dass sich eine Bewirtschaftung teilweise schon seit vielen Jahren nicht mehr lohnte. Hier wird nun seit 7 Jahren, und es waren sehr magere Jahre, denen nicht sofort sieben fette Jahre folgen werden, das Land bewirtschaftet.

Was hat mich dieser Schritt gelehrt?
An diesem Beispiel wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht etwa Ergebnis kurzfristigen Handelns ist, und dass man den Mutterboden, wie die lebende, ca. 30 Zentimeter tiefe Ackerkrume genannt wird, auch entsprechend behandeln muss.


V. Was heißt also Nachhaltigkeit?

  • Nachhaltiges Wirtschaften heißt, die Wechselwirkung von Klima und Vegetation auf den Boden einschätzen zu können und die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft in die Praxis umzusetzen.
  • Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet auch, die Vorteile moderner Technik einzusetzen, um Pflanzen, bedarfs- und umweltgerecht Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel einzusetzen.
  • Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist auch gewahrt, wenn alle Möglichkeiten des Energiesparens ausgeschöpft werden, und auch die Möglichkeiten, regenerative Energie zu erzeugen, genutzt werden.
  • Nachhaltige Landwirtschaft betreibt, wer daran denkt, dass die Erzeugung von Lebensmitteln eine besondere Qualität hat und die Verantwortung besonders groß ist.<(li>
  • Nachhaltig handelt der Landwirt, der im Tier das Mitgeschöpf sieht.
  • Nachhaltigkeit ist Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des Bauernhofes, dabei ist es unerheblich, ob alternativ oder konventionell gewirtschaftet wird.



VI. Fair geht vor

Politiker, die diese bäuerliche Landwirtschaft wollen, müssen dringend den politischen Rahmen dafür schaffen und z. B. Wettbewerbsverzerrungen beseitigen. Denn nur eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft kann nachhaltig handeln und nur wer nachhaltig handelt, ist zukunftsfähig.

Verbraucher können diese Art der Landwirtschaft beim Einkauf berücksichtigen, indem sie nicht die Sonderangebote der Discounter nutzen, durch die ja gerade der vorhin angesprochene Preisdruck auf die Landwirte entstanden ist, sondern stattdessen auf Produkte aus der Region und das Q+S-Zeichen achten, welches für Qualität und Sicherheit steht.
Nachhaltig, langfristig, also verantwortungsbewusst handeln, ist Aufgabe aller, des Erzeugers ebenso wie die des Verbrauchers.

Schließen möchte ich mit einer Schriftstelle aus Mt 13, 1 – 23 enden:

Auf felsigen Boden ist der Same bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt; doch es fasst in seinem Herzen nicht Wurzel, denn er ist unbeständig, und wenn er bedrängt oder um des Wortes willen verfolgt wird, kommt er sofort zu Fall. In die Dornen ist der Same bei dem gesät, der das Wort zwar hört, aber dann ersticken es die Sorgen dieser Welt und die Gier nach Reichtum, und es bringt keine Frucht. Auf guten Boden ist der Same bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; es bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach.

Heinrich Kruse, Katholische Landvolkbewegung Deutschlands (KLB)

Diesen Artikel teilen: