Lumen Gentium - Stiftung deutscher Katholiken
Rede von Dr. Annette Schavan im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)- es gilt das gesprochene Wort!
Im Juli 2002 wurde eine Stiftung deutscher Katholiken gegründet. Sie trägt den Namen "Lumen Gentium". Die Stiftung hat den Zweck, "das Wirken katholischer Christen in Gesellschaft, Staat und Kirche zu unterstützen, insbesondere durch die Stärkung des demokratischen und freiheitlichen Staatswesen, der Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, der Völkerverständigung, der Entwicklungshilfe und Bewahrung der Schöpfung sowie das Laienapostolat der katholischen Kirche in Deutschland und seine Eigenständigkeit zu stärken" (§ 2 der Satzung).
Ich möchte Ihnen im Rahmen dieser Vollversammlung den Kontext und die Motive dieser Stiftungsgründung vorstellen.
Zum Kontext gehört zuförderst die Erinnerung daran, dass das im vergangenen Monat vor 40 Jahren eröffnete Zweite Vatikanische Konzil den Christen und Christinnen auf neue Weise den Dialog und die christliche Zeitgenossenschaft in ihrer Zeit und Kultur erschlossen und zur Aufgabe gemacht hat. Dafür stehen viele Passagen in Konzilstexten. Dafür steht in herausgehobener Weise der programmatische Auftakt der Pastoralkonstitution des Konzils, wonach wir als Christen "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten" (Gaudium et spes, I) teilen. Das Konzil hat die Kirche auf ein Selbstverständnis verpflichtet, das die Auseinandersetzung mit dem Zeitgenössischen wagt und darin eine Wachheit zeigt, durch die sie sich selbst verändern lässt.
Christliche Zeitgenossenschaft meint nicht die Anpassung an den jeweiligen Trend - weder innerkirchlich noch in gesellschaftlichen Kontexten.
Christliche Zeitgenossenschaft muss kritisch sein, bisweilen auch unbequem und unangepasst. Sie braucht Widerständigkeit ebenso wie Selbstkritik, die vor einer Flucht vor neuen Entwicklungen und Realitäten bewahrt. Letzteres, die Selbstkritik gegenüber dem Stillstand kirchlicher Wahrnehmung kann auch zu innerkirchlichen Spannungen führen. Man muss sie nicht fürchten, so lange jenes Wort beachtet wird, das Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam 1964 gesagt hat: Die Kirche muss bereit sein, "den Dialog mit allen Menschen guten Willens innerhalb und außerhalb ihres eigenen Bereiches zu führen. Niemand ist ihrem Herzen fremd. Niemanden betrachtet sie, als hätte er mit ihrer Aufgabe nichts zu tun. Niemand ist ihr Feind, der es nicht selbst sein will. Nicht umsonst nennt sie sich katholisch, nicht vergebens ist sie beauftragt, in der Welt Einheit, Liebe und Frieden zu fördern". Es war seine erste Enzyklika, die er als Wegweisung am Beginn seines Pontifikates verstand. Sein Wort meint wohl auch, dass, wo in der Kirche engagierte Laien Erfahrungen artikulieren, die der Kirche bislang fremd sind, dies nicht automatisch als Glaubensschwäche oder Glaubensverlust zu werten ist. Das wird an anderer Stelle der Enzyklika deutlich: "Die Welt wird nicht von außen gerettet... Man muss, wie das menschgewordene Wort Gottes, gewissermaßen mit den Lebensformen derjenigen eins werden, denen man die Botschaft Christi bringen will, man muss, ohne Rücksichten und Privilegien und ohne die Trennungswand einer unverständlichen Sprache, die allgemeine Lebensform der anderen annehmen, wenn sie nur menschenwürdig und lauter ist." Damit ist ganz gewiss nicht schlichte Anpassung gemeint, wohl aber die Voraussetzung für christliche Zeitgenossenschaft: die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu deuten im Licht des Evangeliums und mit der Grundhaltung wirklich ehrlichen Bemühens. Also vielleicht auch nicht so rasch anzunehmen, dem anderen zur Mühe werden zu müssen, bevor es richtig fromm zugeht, sondern selbst Mühe auf sich zu nehmen, um zu verstehen und Zeugnis zu geben.
Solches Verstehen und die damit verbundene Bereitschaft zur eigenen Entwicklung und ggf. auch Veränderung bisheriger Praxis sind zentral bedeutsam für Traditionsbildung heute. Wo alles Neue, das im Tradierungsprozess entsteht, primär als Störfaktor registriert wird, wo der Eindruck entsteht, als sei eigentlich Kirche in all ihren Facetten und Entwicklungsmöglichkeiten bereits Realität, da entsteht die Gefahr des Traditionsbruchs. Darauf hat nicht zuletzt Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsrede des Konzils hingewiesen. Karl Gabriel fasst es im Rahmen seiner Ausführungen über Traditionsbildung in Institutionen in die Aussage: "Wenn es zu den Prämissen einer Institution gehört, dass dies (das Neue) nicht Ergebnis des Tradierungsprozesses sein darf, dann ist die Tradierungskrise unausweichlich" (Tradition im Kontext enttraditionalisierter Gesellschaft. In: Wiederkehr, Dietrich (Hrsg.): Wie geschieht Tradition? Überlieferung im Lebensprozess der Kirche. Freiburg 1991, S. 83).
Christliche Zeitgenossenschaft meint schließlich die Einsicht, dass das Geschick der Welt sich nicht trennen lässt vom Geschick der Kirche, das Geschick der Kirchen ebenso wenig vom Geschick der Welt. Das ist die Grundlage für die Aufforderung an die Christen und Christinnen, ihre Pflichten in der Welt wahrzunehmen. Das gilt für Einzelne und für die Kirche insgesamt: "Man darf keinen künstlichen Gegensatz zwischen beruflicher und gesellschaftlicher Tätigkeit auf der einen Seite und im religiösen Leben auf der anderen konstruieren. Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott selbst und bringt sein ewiges Heil in Gefahr" (GS 43). Das war der Abschied von der Vorstellung der Kirche als Gegenwelt. Das Konzil hat in seiner Lehre die Spaltung zwischen Profanität und Sakralität in der Person des Christen und der Christin überwunden. Elmar Klinger hat es in das schöne Bild gebracht: "Der Christ und die Christin sind Menschen, die an den Himmel glauben und die Erde lieben. In ihrer Existenz durchdringen sich Himmel und Erde. Ihre Liebe zur Welt ist ein Glaube an Gott und ihre Liebe zu Gott ist ein Glaube an die Welt. Er ist ein Standpunkt, der die Welt verändert" (Armut. Eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und der Befreiung der Menschen. Zürich 1990, S. 107). Damit ist die Grundlage geschaffen für das Selbstverständnis des Christen und der Christin in Kirche und Gesellschaft. Geistliche und weltliche Existenz sind die beiden Pole der einen Berufung. Sie lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Sie sind keine Alternativen. Sie lassen sich aber ebenso wenig feinsäuberlich trennen. Das Konzil hat damit eine Neubewertung des innerkirchlichen Stellenwerts des Laien vorgenommen.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sieht sich in seinem Selbstverständnis diesem skizzierten Auftrag des Konzils verpflichtet. Unsere Arbeit ist geprägt von dem ständig neuen Bemühen um eine überzeugende christliche Zeitgenossenschaft. Es ist das Bemühen um rechtes Verstehen der Zeichen der Zeit und ihre Deutung. Es ist das Bemühen um den Dialog, der Zeitgenössisches in Kirche und Kultur deuten hilft und zugleich Zeugnis ablegt von der erlösenden Botschaft Jesu Christi. Christliche Zeitgenossenschaft war zu keiner Zeit spannungsfrei. Aber alle Spannung darf nicht dazu führen, die vom Konzil vorgenommene neue Beschreibung der Aufgaben der Laien in Kirche und Welt wieder rückgängig zu machen. Spannungen dürfen weder zur Resignation noch zum Kulturpessimismus führen. Der Geist Gottes kapituliert vor keiner Zeit. Spannungen dürfen vor allem nicht dazu führen, Neues und den Ruf nach Weiterentwicklung vorrangig als Ausdruck von Glaubensschwäche und Glaubensverlust zu deuten. Das entbindet selbstverständlich niemanden von uns davor, auch die Frage nach der Stärke und Überzeugungskraft des eigenen Glaubens selbstkritisch zu stellen. Das gilt im übrigen nicht nur für Laien.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach intensiv mit den Konsequenzen der vom Konzil festgestellten neuen Rolle der Laien beschäftigt. Dazu zählt die Arbeit der Würzburger Synode, in der viele unserer Mitglieder maßgeblich mitgewirkt haben. Dazu zählt auch jener Prozess in den 90er Jahren, der zu dem Papier Dialog statt Dialogverweigerung. Impulse für eine zukunftsfähige Kirche geführt hat. Unsere Mitglieder nehmen ihre Aufgaben in Kirche und Gesellschaft ernst. Sie wirken in Kultur und Wissenschaft und in diakonischen Diensten, in Bildung und Erziehung, in Politik und Wirtschaft. Viele Entwicklungen der letzten fünf Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland sind wesentlich mitgeprägt durch Impulse engagierter katholischer Christen und Christinnen. Diese Arbeit gilt es weiterzuentwickeln und zu stärken. Das ist Sinn der Stiftung. Sie ist benannt nach der dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" des Konzils. Im vierten Kapitel heißt es, dass die Laien gemeinsam mit den Priestern und Ordensleuten das "Volk Gottes" bilden und sie "des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes auf ihre Weise teilhaftig" (LG 31) sind. Den Laien wird ein spezifischer Anteil an der "Erias des Heiligen, des Lehrens und Leitens" definitiv zuerkannt. Vor jedem hierarchischen Unterschied wird der Primat der Gleichheit der Glaubenden betont, abgeleitet von der Vorstellung des allgemeinen Priestertums (LG 32). "Der Apostolat der Laien ist Teilhabe an der Heilssendung der Kirche selbst" (LG 33). In Artikel 37 über das Verhältnis der Laien zu den Amtsträgern wird den Laien die Möglichkeit und "bisweilen" sogar die Pflicht zugesprochen, sich in kirchlichen Fragen zu äußern. Die Hirten werden an ihre Pflichten den Laien gegenüber erinnert: "Die geweihten Hirten sollen die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern. Sie sollen gern deren klugen Rat benutzen, ihnen vertrauensvoll Aufgaben im Dienst der Kirche übertragen und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus Eigeninitiative Werke in Angriff zu nehmen." Dies findet noch einmal eine Bestätigung, wenn es heißt: "Sie (die Hirten) können mit Hilfe der Erfahrung der Laien in geistlichen und weltlichen Dingen genauer und besser beurteilen" (LH 33). Mit anderen Worten: Es ist nicht allein die Erfahrung der Laien in weltlichen Dingen, die für die Hirten wichtig ist, sondern auch die in geistlichen Dingen. Es ist in manchen heutigen Auseinandersetzungen gut, sich an diese Worte des Konzils zu erinnern. Danach ist ein Wort der Laien in geistlichen Angelegenheiten eben nicht schon Anmaßung, sondern gehört - im Sinne des Konzils - "bisweilen" zu den Pflichten der Laien. Beide Konstitutionen "Gaudium et spes" und "Lumen Gentium" geben uns also wichtige Hinweise zu unseren Aufgaben und Pflichten als Laien in Kirche und Welt. Deshalb wäre der eine wie der andere Name für diese Stiftung geeignet gewesen. Für den jetzigen Namen haben wir uns entschieden, weil "Gaudium et spes" bereits belegt war. Aber nur zusammengenommen ist beschrieben, worin im letzten die Neubewertung der Rolle der Laien in der Kirche besteht. Und genau das ist der Kontext, aus dem heraus die neue Stiftung entstanden ist.
Die Motive für die Stiftung haben auch - wie dies in diesen Tagen oft der Fall ist - mit Geld zu tun. Die Finanzierung der Laienarbeit und damit auch ggf. damit verbundene neue Schwerpunkte und Initiativen bedürfen einer dauerhaften finanziellen Stärkung. Andererseits soll auch jenen in unserer Gesellschaft, die unsere Arbeit unterstützen möchten, hierzu eine zusätzliche Gelegenheit gegeben werden. Es sind all diejenigen gemeint, die mit uns davon überzeugt sind, dass Religion keine Privatsache ist und der beschriebene Auftrag katholischer Christen und Christinnen im Kontext einer christlichen Zeitgenossenschaft zur Gestaltung des Öffentlichen beiträgt. Es sollen jene angesprochen werden, die mit uns davon überzeugt sind, dass diese christliche Zeitgenossenschaft und die damit verbundene Gestaltung des Öffentlichen zur freiheitlichen Gestaltung unseres Gemeinwesens gehört.
Das Stiftungsvermögen besteht zunächst aus einer Erstausstattung in Höhe 180.000 €.
Christliche Werte sollen auch in Zukunft Wegweiser in unserer Gesellschaft sein.
Christinnen und Christen wollen die Zukunft erkennbar in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur prägen.
Christinnen und Christen wollen ihren Glauben gemeinsam leben, weltweit - das sind Ziele, die bei den Projekten im Vordergrund stehen, die von der Stiftung gefördert werden. Dazu gehören bestimmte Projekte bei den Katholikentagen, dazu gehören Studientage, dazu gehören Netzwerke europäischer Katholiken, die helfen, der Stimme der Christen in Europa Gehör zu verschaffen. Dazu gehören Begegnungen und Dialog zwischen Katholiken aus den Staaten und Regionen Europas. Dazu gehören Projekte im Bereich der Jugendarbeit und nicht zuletzt auch das Netzwerk katholischer Politikerinnen und Politiker wie weiterer Christen und Christinnen im öffentlichen Leben.
Die Stiftung "Lumen Gentium" soll den Dialog, die Begegnung und die Herausbildung neuer Netzwerke befördern und stärken - die in dem Kontext stehen, den Bischof Klaus Hemmerle so formuliert hat: "Es muss das Interesse des Christen sein, nicht nur mit Seinesgleichen, sondern mit allen, die Verantwortung für die Welt tragen, die Gestaltung einer menschlichen Welt voranzutreiben."
Dr. Annette Schavan