Einführende Bemerkungen zum Entwurf einer Erklärung des ZdK zur Arbeit des Europäischen Konvents: Für eine wertgebundene europäische Verfassungsordnung

Rede von Dr. Thomas Jansen, Sprecher des Sachbereichs “Europäische Zusammenarbeit”, im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)- es gilt das gesprochene Wort.

Der Entwurf, der Ihnen vorliegt, wurde aus verschiedenen Quellen gespeist. Die Arbeitsgruppe, die sich in zwei Sitzungen damit befasste, konnte von einem Text ausgehen, der im Rahmen des Sachbereichs „Politische Grundfragen“ entstanden war. Mehrere Mitglieder der Vollversammlung haben der Arbeitsgruppe wichtige Anregungen gegeben, indem sie auf diesen Vor-Entwurf kritisch reagierten. Schliesslich haben sich Präsidium und Hauptausschuss eingehend mit dem Text befasst und entscheidende Impulse für die Schlussredaktion gegeben.

Wir wollen mit dieser Erklärung dreierlei:

  • Erstens wollen wir einen Beitrag zur Selbstvergewisserung des ZdK und des deutschen Katholizismus im Hinblick auf die aktuelle historisch-politische Situation Europas leisten.
  • Zweitens wollen wir unsere programmatischen Grundlagen im Hinblick sowohl auf das Gespräch mit unseren evangelischen Partnern im oekumenischen Dialog wie auch auf die sich entwickelnde Zusammenarbeit mit den Laien-Initiativen anderer europäischer Länder erweitern.
  • Drittens wollen wir insbesondere mit den in Teil V dargelegten Vorschlägen und Forderungen im Gespräch mit den Mitgliedern des Europäischen Konvents die anstehenden Entscheidungen über die Verfassungsordnung der Europäischen Union beeinflussen.


Ministerpräsident Erwin Teufel hat in seinem Grundsatzreferat dargelegt, in welchem politischen Kontext die Europäische Union um ihre Verfassung ringt, und wie weit die Arbeit des Konvents, der den Konsens für diese Verfassung herstellen soll, gediehen ist. Deshalb kann ich mich darauf beschränken, Sie in Gliederung und Gedankengang der Erklärung einzuführen.

In einer kurzen Einleitung erinnern wir an die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung und skizzieren die aktuelle Herausforderung durch die Notwendigkeit, gleichzeitig die Geografie der Union zu erweitern und ihr politisches System zu vertiefen.

Im zweiten Teil erklären wir, warum die Europäische Union eine Verfassung braucht und was wir meinen, wenn wir in diesem Zusammenhang von ‚Verfassung’ sprechen. Wir tun dies vor dem Hintergrund anhaltender Skepsis in der Bevölkerung, die durchweg nicht ausreichend informiert ist über den tatsächlichen Stand des unübersichtlichen Integrationsprozesses, und der deshalb auch das Verständnis für bestimmte Entwicklungen fehlt, besonders wenn es –wie das zur Zeit angesichts der erwähnten Herausforderungen der Fall ist - zu einer Beschleunigung der Entwicklung kommt. Auch mit einer in politischen wie in wissenschaftlichen Kreisen verbreiteten Skepsis, die mit dem Einwand daherkommt, dass eigentlich nur ein Staat eine Verfassung haben und dass nur ein Volk sich eine solche Verfassung auf der Grundlage seines kulturellen und gesellschaftlichen Konsenses geben könne, setzen wir uns argumentativ auseinander, indem wir u.a. darauf hinweisen, dass es sich bei der europäischen Integration von Anfang an um einen Prozess gehandelt hat, in dem sich europäisches Gemeinwesen und europäische Identität immer wieder wechselseitig befruchten. Die historisch und kulturell geprägte europäische Identität ermöglichte die Entstehung der Europäischen Union; ihre Entwicklung hat nach und nach eine politisch und sozial geprägte europäische Identität begründet.

Im dritten Teil sagen wir, dass die Verfassung, die wir wollen, wertgebunden sein muss. Der Prozess der Verfassungsgebung, dessen Zeugen wir sind, und in den wir uns als politisch engagierte katholische Christen und als Bürger der Union aktiv einbringen, muss – wenn das Werk Bestand haben soll - zu einer neuen Verständigung über das Ethos und die moralischen Grundlagen des europäischen Gemeinwesens führen.

Im vierten Teil benennen wir die Ziele der europäischen Verfassung. Das sind - vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung Europas – der Frieden, die Freiheit und die Gerechtigkeit, deren Verwirklichung und Sicherung das Gemeinwohl ausmacht. Friede, Freiheit und Gerechtigkeit stellen aber auch die Werte dar, von denen sich die Prinzipien ableiten, die für politisches Handeln und Gestalten gerade im Kontext der europäischen Einigung maßgebend sind: Solidarität und Subsidiarität, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit, Pluralismus und Zusammenhalt, Dialog und Demokratie. Ihre Festschreibung in der Verfassung bedeutet eine Verpflichtung für die Ausrichtung der Politik, für die Wahrnehmung der Interessen, für die Regelung der Konflikte und für die Lösung der Probleme.

Im fünften Teil formulieren und begründen wir unsere Forderungen und Vorschläge zu einzelnen Punkten, die uns katholischen Christen und Bürgern der Europäischen Union für die inhaltliche Füllung der Verfassung besonders wichtig sind:

Wir fordern die Aufnahme der für die Union konstitutiven Werte in die Präambel der Verfassung, wobei der Vorrang der Würde des Menschen gilt.

Wir fordern, dass in die Präambel auch ein Bekenntnis zum religiösen und kulturellen Erbe und damit u.a. auch zur christlichen Prägung Europas aufgenommen wird. Dabei geht es nicht um eine Festlegung, die Nicht-Christen ausschließlich soll, sondern um die Erinnerung an einen historischen Tatbestand, der für die Identität Europas wichtig ist.

Wir fordern die Aufnahme eines ausdrücklichen Transzendenzbezugs durch den Hinweis auf die Verantwortung vor Gott, und schlagen hierzu eine Anlehnung an die Präambel der polnischen Verfassung von 1997 vor: dort sind "alle Staatsbürger der Republik" angesprochen, "sowohl diejenigen, die an Gott als Quelle der Wahrheit, Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen glauben, als auch diejenigen, die diesen Glauben nicht teilen, sondern diese universellen Werte aus anderen Quellen ableiten“; sie geben sich gemeinsam "im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und vor dem eigenen Gewissen" die Verfassung der Republik Polen.

Wir fordern, dass die Europäische Charta der Grundrechte in die Verfassung übernommen und dadurch rechtsverbindlich wird.

Wir fordern, dass durch die Verfassung Ehe und Familie wirksam geschützt werden, nicht nur durch die Bestätigung entsprechender Grundrechte, sondern auch durch die Verpflichtung auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen.

Wir fordern, dass die Verfassung dem demokratischen und föderalen Gemeinwesen ‚Europäische Union’ eine institutionelle Ordnung gibt, die seinen Prinzipien und Werten entspricht.

Wir fordern unter Bezugnahme auf das Prinzip der Subsidiarität,
 

  • dass einerseits die Achtung der nationalen Identitäten auch die Rücksicht auf den jeweiligen innerstaatlichen Aufbau, die Kompetenzordnung, die regionale Gliederung, die kommunale Selbstverwaltung und die rechtliche Stellung der Kirchen in den Mitgliedsstaaten umfasst,
  • und dass andererseits die Autonomie und Wirkungsmöglichkeit der Organisationen und Einrichtungen, Vereinigungen und Verbände der Zivilgesellschaft garantiert wird.
     

Wir fordern, dass durch die Verfassung sicher gestellt wird, dass die institutionellen Rechte der Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie sie in den Mitgliedstaaten bestehen, durch die Politiken oder Maßnahmen der Union nicht geschmälert oder infrage gestellt werden.

Wir fordern eine Garantie dafür, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union und ihrer Mitgliedstaaten der Sozialen Marktwirtschaft entspricht; das Gebot der Sozialen Marktwirtschaft muss im Zeitalter der Globalisierung auch im Hinblick auf die Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung gelten.

Wir fordern schließlich eine verfassungsrechtliche Festlegung der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf das Gebot, zur internationalen Zusammenarbeit und zur Schaffung einer friedlichen Weltordnung beizutragen.

Im sechsten und abschließenden Teil befassen wir uns mit der Notwendigkeit, in der Bevölkerung ein lebendiges europäisches Bewusstsein entstehen zu lassen, damit die Verfassung der Union, die wir brauchen und die wir wollen, von den Menschen, für die sie gemacht wird, auch angenommen und getragen wird. Voraussetzung ist eine breite Debatte und eine demokratische Beschlussfassung, möglicherweise durch eine Volksabstimmung am gleichen Tag in allen Mitgliedstaaten; die Verfassung müsste in diesem Falle inkraft treten, wenn ihr eine Mehrheit in der Mehrheit der Mitgliedstaaten sowie auch die Mehrheit der abstimmenden Bürgerinnen und Bürger in der gesamten Union zustimmen.

Diese Erklärung steht in der Tradition der Texte, die vom ZdK im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer wieder anlässlich wichtiger europapolitischer Ereignisse und Weichenstellungen, diskutiert und verabschiedet wurden. Wie jene früheren Stellungnahmen geht auch diese Erklärung davon aus, dass es sich bei der europäischen Einigung grundsätzlich um einen segensreichen Prozess handelt, der jedoch im Sinne der Demokratie und des Föderalismus gestaltet werden muss, damit im Interesse der betroffenen Menschen und Völker auf Dauer ein Raum des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit entsteht. Die Erarbeitung und Verabschiedung einer Verfassung für die Europäische Union durch den Konvent kann ein entscheidender Schritt auf diesem Wege sein.

Dr. Thomas Jansen, Sprecher des Sachbereichs “Europäische Zusammenarbeit”

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