11. Oktober 1962 - Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils - Abstract

Rede von Schwester Aurelia Spendel OP im Rahmen des Hauptausschusses des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Was wäre, wenn der 11. Oktober 1962 “nur” ein Tag wie andere gewesen wäre in Bombay und Madrid, Paris und Manila, Königswusterhausen oder Erkelenz, Rio de Janeiro oder Bonn? Ein Tag ohne das II. Vatikanische Konzil? Gut vorstellbar für einen Großteil der Menschheit - für uns unvorstellbar.

Das II. Vatikanische Konzil hat das Deutungsrepertoir der katholischen Kirche aufgesprengt. Der Ansatz zum Selbst-Verständnis dieser Kirche ist grundlegend anders geworden.

Damit es soweit kommen konnte, brauchte es tiefgründende Wurzeln. Sie sind in der historischen Rückschau zu finden: Papst Johannes XXIII kündigte das Konzil schon am 25. Januar 1959 an. Seine Pläne reichen zurück bis zu den Überlegungen der Vorgänger, ein Konzil einzuberufen. Die Liturgische Bewegung, die Bibelbewegung, die ökumenischen Bestrebungen, - sie und andere Aufbrüche und Aufbruchssignale gehören zu den geistigen Müttern des Konzils.

Seine Wurzeln sind aber auch zu finden individuell-biografischen Tiefen. Wie lange muss eine Idee in einem Menschen reifen, bis sie zum Vorhaben wird? Wie lange schon war das Konzil für Johannes XXIII. Herzensangelegenheit und Lebensaufgabe bevor es ihm klar wurde, was anstehen würde?

40 Jahre Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils - hat dieser Anfang und Aufbruch gehalten, was er versprach? Die Antwort muss ohne Wenn und Aber heißen: Nein, er hat nicht gehalten was er versprach: Noch nicht! Das II. Vatikanische Konzil hat mehr gebracht, als in vier Jahrzehnten zu verstehen und umzusetzen ist.

Es war als erstes Konzil ein pastorales Konzil, keines, das Lehrverurteilungen aussprach, dogmatische Fragen klärte, Ketzer aus der Kriche ausschloss. Es war das erste Konzil von 21 solcher Versammlungen, das die Kirche zum Thema machte.

Diese Kirche bestimmt sich seit 1962 anders, als in den 2000 Jahren zuvor. Sie bestimmt sich von zwei Polen her, die sie nicht selbst ist: Von dem her, aus dem sie stammt - Jesus Christus - und von denen her, für die sei das ist - von den Menschen her. Diese Selbstdefinition von Kirche durch Fremdsicht ist grundlegend neu für die Kirche.

Sie fomuliert damit sich selbst im II. Vatikanischen Konzil als christologisches Bekenntnis - Gott und Mensch sind ihr ungetrennt miteinander verwoben und unvermischt einander begegnend.

Gleichzeitig schreibt die Kirche einen neuen Text für das Kirche-Welt-Verhältnis; ein neues Verwobensein mit der Welt gehört nun zu ihren grundliegenden Merkmalen. Kirche und Welt sind miteinander verwoben wie Kettfaden und Schussfaden eines Textils - und das in sakramentaler Bestimmung! Kirche ist Sakrament des Heils für die Welt; Welt ist Ort der Zeichen der Zeit, die die Kirche entziffern lernt als Signale der Gegenwart Gottes in der Geschichte der Menschen.


Das sakramentale Verhältnis von Kirche und Welt als Glaubensaussage ist das eine Element der theologischen Handschrift des II. Vatikanischen Konzils - Kommunikation ist das andere. In der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute “Gaudium et spes” ist die Rede vom “Widerhall”, den alles wahrhaft Menschliche im Herzen der Kirche findet. Ruf und Echo gehören zusammen. Im widerständigen Aufstand der Konzilsväter gegen eine diktatorische Geschäftsordnung, in der Formulierung der communio als Strukturprinzip der kirchlichen Hierarchie, in der nachkonziliaren Erneuerung der Kirche ist dieses Element der Kommunikation sichtbar.

Die Lebensfähigkeit der Kirche in der Welt von heute hängt davon ab, ihre Lebendigkeit wird davon gemessen, ob und wie sie lernt auf Gott zu hoffen, Christus als erlösbares Wort des Vaters zu verkünden und ihre Existenz in der Differenz zwischen Religionsgemeinschaft und Glaubensgemeinschaft, staatskirchenrechtlich gestützter Sesshaftigkeit und prophetischem Normadentum, zwischen Machtgeschichte und Ohnmachtserfahrung geisterfüllt anzunehmen und zu gestalten.

40 Jahre sind eine kurze Zeit in der Geschichte der Kirche, 40 Jahre sind Zeit zum Reifen. 40 Jahre seit der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzil sind die Zeit, in der die Gottesgeschichte “Kirche” die feste Burg “Kirche” abgelöst hat, damit der Himmel anders ansichtig werden kann.

Schwester Aurelia Spendel OP

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