Gewalt zurückdrängen: Kleinwaffen wirksam kontrollieren!
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
1. Entgrenzung kriegerischer Auseinandersetzungen
Jährlich sterben mehr Menschen durch sog. Kleinwaffen als durch die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945, wie Friedensnobelpreisträger und UN-Generalsekretär Kofi Annan beim Milleniums-Gipfel der Vereinten Nationen feststellte. Für uns hat heute - nach den Angriffen des 11. September und ihren Folgen - der Terror neue brutale Aktualität erhalten. Für viele Menschen in anderen Regionen der Erde ist Terror schon lange alltägliche Erfahrung. Die "neuen Kriege" werden nur ausnahmsweise von militärischen Kampfverbänden geführt, sondern meist von Gruppierungen und Netzwerken von Kämpfern, die nicht klar identifizierbar sind. Meistens werden Kriege und Terror neuen Typs mit Kleinwaffen ausgetragen. Das Sturmgewehr Kalaschnikow ist dabei ein Emblem für die Kriege von heute geworden. Die Existenz von Kleinwaffen verstärkt einen Teufelskreis von Unterentwicklung, Konflikt und Gewalt. Kleinwaffen und Unterentwicklung erhöhen die Wahrscheinlichkeit, die Intensität und die Dauer bewaffneter Konflikte; und dauerhafte Konflikte wiederum untergraben eine dauerhafte soziale und wirtschaftliche Entwicklung und schaffen darum wiederum Nachfrage nach Kleinwaffen.
Diese Entstaatlichung der Gewalt ist in vielen Konfliktgebieten nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation offen zutage getreten. Bedingt durch den Wegfall des bipolaren Systems (und des dadurch entfallenen Sponsorings) hat sich die ökonomische Basis der (lokalen und regionalen) militärischen Konflikte verschoben. Die nichtstaatlichen Akteure sichern sich heute insbesondere durch den Zugriff auf wertvolle Rohstoffreserven, durch Entführungen oder durch den Handel mit Drogen ihre finanzielle Basis. So erfolgt eine verhängnisvolle Verquickung von ideologischen, ethnischen, religiösen oder beschaffungskriminellen Antriebskräften. Vielerorts kontrollieren heute unter einem "Warlord" plündernde Banden größere Territorien oder Teile der nationalen Wirtschaft. Die legitimierte staatliche Macht kann dagegen oft ihr Gewaltmonopol nicht mehr wahrnehmen und Sicherheit gewährleisten; auch andere staatliche Grundaufgaben ( wie Bildung und Gesundheit ) werden immer weniger erfüllt.
2. Leichte Verfügbarkeit von Kleinwaffen
Nach UN-Definition zählen zu Kleinwaffen alle Waffen, die von einer oder zwei Personen getragen, transportiert und bedient werden können. Es sind Waffen, die meist wenig kosten (ein Gewehr z.B. in Angola kostet einen Sack Reis) die langlebig, leicht zu transportieren, zu bedienen und zu verstecken sind und unmittelbar Macht verleihen. Derzeit sind weltweit ca. 500 Mio. Kleinwaffen im Umlauf.
Im direkten Zusammenhang mit der massiven Verbreitung von Kleinwaffen steht auch die Problematik der sog. Kindersoldaten. Da Kleinwaffen leicht zu bedienen sind, ermöglichen sie es Kindern und Jugendlichen, sich aktiv an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Derzeit werden weltweit etwa 300.000 Kinder vor allem in Bürgerkriegen als Kindersoldaten instrumentalisiert. Viele von ihnen wurden zwangsrekrutiert. Die meisten Rekruten werden mit 15 bis 18 Jahren eingezogen, jedoch belegen die aktuellen Zahlen, dass immer mehr Heranwachsende unter 15 Jahren und sogar Kinder unter 10 Jahren zum Dienst mit der Waffe gezwungen werden. Daher ist die Kontrolle und Begrenzung von Kleinwaffen auch eine notwendige Maßnahme, um Kinderrechte wirksam zu schützen.
Wir stellen fest, dass ca. 85 % dieser Waffen von den fünf Ländern produziert werden, die ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat sind. Da ein Großteil der Kleinwaffen in der Ersten Welt hergestellt werden und der Hauptteil der Empfänger in der Dritten Welt lebt, hat das Problem eine Nord-Süd-Dimension. Und es liegt zuallererst in der Art und Weise, wie der legale Kleinwaffenhandel getätigt wird: 56 Prozent der Kleinwaffen gehören weltweit Zivilpersonen; zusammen mit Beständen aus dem Kalten Krieg und Altwaffen der Armeen gelangen solche Waffen nach mehrfachem Wechsel der Besitzer auf den Schwarzmarkt und in die Hände von Guerillagruppen, Terrorbanden und diktatorischen Regimen. Hier wandern sie oft von einem Konflikt zum nächsten.
3. Verhinderung von Entwicklung
Kriege , Gewalt und hohe Ausgaben für Waffenkäufe zerstören Entwicklungserfolge. Mangelnde Kleinwaffenkontrolle verhindert die Durchführung von Projekten der Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit, da mit Hilfe von Kleinwaffen ganze Bevölkerungsgruppen eingeschüchtert und drangsaliert werden.
Die Bewaffnung von staatlichen Sicherheitskräften (Polizei und Militär) zur Aufrechterhaltung der inner- und zwischenstaatlichen Ordnung wird als legitim angesehen. Es ist daher nicht eine generelle Abschaffung von Kleinwaffen zu fordern, sondern es muss um deren weltweite strikte Regulierung gehen.
Dabei kommt der Kontrolle der Waffenlieferung und der Registrierung der Waffen sowohl auf Lieferseite als auch auf Empfängerseite eine besondere Bedeutung zu. Häufig fehlen den Entwicklungsländern die Mittel (vor allem ausreichende und effiziente Polizei-, Zoll- und Justizkapazitäten), um das Hereinkommen von Waffen über die Grenzen wirksam zu kontrollieren. Es fehlen die Kapazitäten, Waffen zu registrieren und eine sichere Lagerhaltung zu gewährleisten. Hier ist die Kooperation und vor allem Unterstützung im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit unbedingt erforderlich.
Wenn Friedensbemühungen und Entwicklungsarbeit eine Chance haben sollen, ist die Kontrolle und Eindämmung der Kleinwaffen von zentraler Bedeutung. Deshalb muss mit allen Kräften national und international die legale Verfügung über Kleinwaffen restriktiv gehandhabt werden, damit die illegale Verfügbarkeit zurückgedrängt werden kann.
4. Nationale und internationale Ansätze
Angesichts der schrecklichen Auswirkungen des Kleinwaffen- Missbrauchs begrüßt die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
- dass verschiedene Staaten bereits im Vorfeld der UN-Kleinwaffenkonferenz 2001 in New York eine Reihe wichtiger internationaler Initiativen zur Eingrenzung des Waffenexports nach Afrika eingeleitet haben
- dass die internationale Völkergemeinschaft sich mit der ersten internationalen Kleinwaffen-Konferenz vom 9. - 20. Juli 2001 in New York auf höchster Ebene mit diesen Waffen und ihren verheerenden Auswirkungen insbesondere auf die Zivilbevölkerung befasst hat.
- dass bei dieser Konferenz ein erster Aktionsplan sowie eine Folgekonferenz für das Jahr 2006 vereinbart wurden.
- dass die neuen Richtlinien sowohl der Bundesregierung als auch der Europäischen Union die Kriterien der Beachtung der Menschenrechte und der nachhaltigen Entwicklung bei Rüstungsexporten verankert haben.
- dass das Bundesverteidigungsministerium in Deutschland in den vergangenen Jahren Kleinwaffen in großer Zahl verschrottet hat und ankündigte , die jetzt zur Ausmusterung vorgesehenen G 3-Gewehre ebenfalls zu verschrotten.
- dass die Bundesregierung sich in ihrem jüngst verabschiedeten "Aktionsprogramm 2015. Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut" mit Nachdruck dafür einsetzt, die Verfügbarkeit von Kleinwaffen einzudämmen und den Partnerländern Unterstützung zusagt, um Kleinwaffen besser kontrollieren und zerstören zu können.
5. Forderungen
Um den Missbrauch von Kleinwaffen wirkungsvoll einzudämmen, sind weitere Initiativen erforderlich:
- Mit großer Besorgnis nehmen wir zur Kenntnis, dass auch Deutschland durch die Produktion und den Export militärisch verwendbarer Kleinwaffen, vor allem von Munition, insbesondere aber durch den Verkauf von Lizenzen, Konstruktionsunterlagen, Werkzeugmaschinen, sowie ganzer Waffenfabriken zur Verschärfung des Kleinwaffenproblems beiträgt. Deshalb fordern wir - national wie international - verbindliche Mechanismen, die eine Kontrolle der Wanderung von Waffen ermöglichen. Dies muss auch für Waffen in Privatbesitz gelten.
- Wir setzen uns dafür ein, dass in internationaler Zusammenarbeit Einsammel- und Aufkaufaktionen von Kleinwaffen in Gebieten gewaltsamer Konflikte durchgeführt werden. Erfahrungen wie in Bosnien-Herzegowina und jüngst in Mazedonien zeigen, dass sich Chancen dafür gerade in Post-Konflikt- Situationen ergeben. Um so mehr bedarf es hier des Zusammengehens von Entwicklungszusammenarbeit und Entwaffnungsprojekten.
- Ferner sollten die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten endlich praktische Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses des Rates der EU-Entwicklungsminister vom Mai 1999 ergreifen, der eine Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Kontrolle und Beseitigung von Kleinwaffen vorsieht.
- Wir setzen uns dafür ein, dass Überschussbestände an legalen Kleinwaffen nicht an private Händler oder außerhalb des Landes weiter verkauft werden, sondern dass sie vernichtet werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, grundsätzlich auf den Verkauf von Überschüssen zu verzichten und damit das notwendige politische Signal auf dem Weg zur UN-Folge-konferenz 2006 zu setzen. Darüber hinaus muss die EU auch bei den Beitrittsverhandlungen im Zuge der EU-Osterweiterung sicherstellen, dass einem Transfer von Kleinwaffen aus den beitrittswilligen Ländern Mittel- und Osteuropas ein Riegel vorgeschoben wird.
- Wir setzen uns dafür ein, auch bei Munition eine genaue Kontrolle und Vernichtung sicherzustellen, statt durch Weiterverkauf von Überproduktionen und Altbeständen das Problem weiter zu verschärfen.
- Viele Gewaltakteure finanzieren ihren Krieg über den Handel mit bestimmten Produkten (z.B. Diamanten, Rauschgift). Wir fordern, dass die Bundesregierung zusammen mit den EU-Partnern in derartigen Fällen wirtschaftspolitische Maßnahmen durchsetzt, die Kriegsgewinne und damit die Fortsetzung bewaffneter Konflikte nicht mehr attraktiv erscheinen lassen. Dazu gehört auch eine Veröffentlichung hierzu vorliegender Erkenntnisse, auch der Handelsorte und -partner, damit solche Geschäfte wirksam unterbunden werden können. Wir rufen zur Beteiligung an Kampagnen auf, die die Finanzierung von Bürgerkriegen zu verhindern suchen.
6. Entwicklung braucht Frieden - Frieden braucht Gerechtigkeit
Die Verfügbarkeit und der Gebrauch von Kleinwaffen hat inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass ihr Missbrauch inzwischen die Auswirkungen von Massenvernichtungswaffen angenommen hat.
Wo sie als Mittel willkürlicher Gewalt zu Terrorisierung der Bevölkerung eingesetzt werden, wird Entwicklung unmöglich gemacht. Deshalb rufen wir die katholischen Organisationen und Räte auf, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen, den Austausch mit Partnern in Übersee und anderen gesellschaftlichen Kräften bei uns zu suchen und somit dazu beizutragen, dass die notwendigen Initiativen zur Bewältigung dieser Aufgabe auf der politischen Agenda bleiben.
Unverzichtbar sind jetzt Initiativen der kirchlichen Hilfswerke zur Umsetzung des Hirtenwortes "Gerechter Friede" unter Einbeziehung der Kleinwaffenproblematik. Im Gespräch mit den Kirchen des Südens müssen wir erkunden, was von uns als Kirchen des Nordens erwartet wird und was wir effektiv zur Eindämmung der Kleinwaffenplage beitragen können. Dabei sollen Initiativen vor Ort, vor allem der Kirchen beachtet und unterstützt werden. Das Zentralkomitee fordert die kirchlichen Hilfswerke auf, dies in ihrer Arbeit entsprechend zu berücksichtigen.
Geleitet wird unser Einsatz von der Vision eines gerechten Friedens. "Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig.Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Daraus folgt positiv: "Gerechtigkeit schafft Frieden." " (Gerechter Friede, 59).
Beschlossen von der Vollversammlung am 23. November 2001