Ermutigung zur Ökumene

Orientierung und Hoffnung auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag 2003

Ermutigung zur Ökumene

Orientierung und Hoffnung auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003

Zusammenfassung

Auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 legt das ZdK ein Wort zur Ökumene als Selbstvergewisserung und Ermutigung vor. Das einleitende erste Kapitel beleuchtet schlaglichtartig die Ausgangssituation der Erklärung vor dem ersten ÖKT zwischen Hoffnung und Skepsis und ordnet das Ereignis in den Gesamtprozess wachsender ökumenischer Bemühungen der katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Kownzil ein.

Auf der Grundlage des katholischen Ökumene- und Einheitsverständnisses und der im Ökumenismusdekret des II. Vatikanums gewiesenen Schritte zur Verwirklichung des ökumenischen Anliegens gibt das zweite Kapitel einen gerafften Überblick über das in knapp vier Jahrzehnten erreichte hohe Maß an ökumenischer Verständigung auf den drei Ebenen ökumenischen Handelns (Ökumene am Ort, Kirchenleitungen, Theologie). Als leitende Prinzipien aus katholischer Sicht, die diese positive ökumenische Entwicklung ermöglicht und gefördert haben, treten dabei die Zielvorstellung von der Einheit der Christen als "Einheit in der Vielfalt" ebenso deutlich hervor wie das Verständnis vom ökumenischen Weg als Mehrungsprozess wechselseitigen Anteilgebens und Anteilnehmens an den Reichtümern der einzelnen konfessionellen Traditionen.

Das dritte Kapitel skizziert die in der Ökumene vor uns liegenden konkreten Aufgaben: die gemeinsame Verkündigung des Evangeliums in einer für den suchenden und fragenden Menschen heute verständlichen und existenziell ansprechenden Weise (Plädoyer für eine missionarische Ökumene), die Fortsetzung des theologischen Dialogs über die noch offenen Fragen (Plädoyer für eine wahrhaftige Ökumene), die Vertiefung der geistlichen Gemeinschaft in Gebet und Gottesdienst auf dem Weg zur ersehnten Mahlgemeinschaft (Plädoyer für die Vertiefung ökumenischer Spiritualität) und die Intensivierung gemeinsamen Handelns von Christinnen und Christen in der Sorge um die Gestaltung einer menschlichen Welt von morgen (Plädoyer für eine diakonische und weltzugewandte Ökumene). Die gemeinsame Verpflichtung der Kirchen, die sichtbare Einheit zu suchen, besteht – wie das vierte Kapitel beschreibt – somit in der doppelten Aufgabe, einerseits die Bemühungen um eine wachsende Gemeinschaft zwischen den Kirchen zu intensivieren, um dadurch andererseits durch gemeinsames Handeln in Zeugnis und Dienst Verantwortung für die vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu übernehmen, vor denen Menschen heute stehen. Das abschließende fünfte Kapitel bietet dann konkrete Anregungen, wie Christen in den Gemeinden sich auf den Weg zum ÖKT begeben können, indem sie das ökumenische Engagement in den verschiedenen Bereichen gemeindlicher Zusammenarbeit verstärken.

I. Vor dem ersten Ökumenischen Kirchentag

Vom 28. Mai bis 1. Juni 2003 findet in Berlin erstmals in der langen Geschichte der Katholikentage und der evangelischen Kirchentage in Deutschland ein Ökumenischer Kirchentag statt [ 1)]. Er steht unter dem Leitwort "Ihr sollt ein Segen sein". Viele Christinnen und Christen in unseren Kirchen verbinden damit den Wunsch und die Hoffnung, dass sie durch Begegnung, Gespräch, geistlichen Austausch und Gebet sowie gemeinsames Handeln in ihrer Überzeugung gestärkt werden, dass das, was Christinnen und Christen schon verbindet, viel stärker ist als das, was sie noch trennt. Sie wollen zugleich zu Beginn des neuen Jahrtausends ein deutliches öffentliches Zeichen für ihren Willen setzen, sich den vielfältigen Fragen und Nöten der Menschen in unserer Gesellschaft als Christinnen und Christen noch intensiver als bisher durch gemeinsames Zeugnis und gemeinsamen Dienst in der Welt zu stellen. Andere betrachten das Vorhaben mit Skepsis. Sie befürchten, dass ein solches ökumenisches Großereignis übertriebene Erwartungen vor allem hinsichtlich des gemeinsamen Abendmahls weckt, die bei nüchterner und realistischer Betrachtungsweise nicht erfüllbar sind, so dass am Ende Enttäuschung und Resignation übrig bleiben.

Deshalb wird es bei dem vor uns liegenden Weg der Vorbereitung auf Berlin vor allem darauf ankommen, dass er als ein geistlicher Prozess der Umkehr und Erneuerung der Kirchen, aber auch der  einzelnen Christinnen und Christen verstanden und gestaltet wird.

Das Zweite Vatikanische Konzil umschreibt in seinem Ökumenismusdekret die ökumenische Gesinnung mit folgenden Worten: "Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit" (Unitatis redintegratio 7). [ 2)]

Auf diesem Weg nach Berlin legt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ein Wort zur Ökumene als Selbstvergewisserung und Ermutigung vor. Da in Deutschland, dem Land der Reformation, viele Menschen von der Spaltung zwischen evangelischer und katholischer Christenheit betroffen sind, steht dieses Verhältnis im Vordergrund unserer Überlegungen. Wir wissen, dass die christliche Ökumene in Deutschland alle Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) umfasst und im Gespräch mit orthodoxen und freikirchlichen Christinnen und Christen weitere Aspekte zu beachten sind. Unsere grundlegenden Ausführungen zur Ökumene sind jedoch in der Begegnung mit allen Konfessionsgemeinschaften wesentlich.

Wir sind uns durchaus der zunehmenden Bedeutung des Gespräches der Religionen bewusst, aber aus gegebenem Anlass konzentrieren wir uns in dieser Erklärung auf den innerchristlichen Dialog.

Das 20. Jahrhundert wird zu Recht das "Jahrhundert der Ökumene" genannt. Nach den Spaltungen, die zu scharfen Abgrenzungen zwischen den einzelnen christlichen Kirchen und Gemeinschaften geführt hatten, ereignete sich spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg langsam ein Wandel von der Abgrenzung zur Annäherung, von der Trennung zur Einheit auch über alte konfessionelle Grenzen hinweg. Für die katholische Kirche brachte das Zweite Vatikanische Konzil die ökumenische Öffnung. Es verankert zutiefst den ökumenischen Geist im Wesen des Katholizismus. Katholisch sein bedeutet immer auch ökumenisch sein. Diese Grundüberzeugung zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Dokumente des Konzils und gipfelt im Ökumenismusdekret, das bis heute nichts an Gültigkeit eingebüßt hat. Ökumene ist demnach keine neue, zusätzlich hinzugekommene Aufgabe, sondern ein Wesensmerkmal der Kirche, ohne welches das ganze Leben und Dasein der katholischen Kirche nicht denkbar ist. Ökumene ist nicht mehr ausschließlich Sache einzelner Spezialisten, sondern eine Aufgabe, die alle Glieder der Kirche in die Pflicht nimmt. Ökumene ist nicht ein Luxus, den wir uns heute im Zeitalter der Toleranz als Zeichen unserer Großzügigkeit leisten, sondern sie ist Verwirklichung der Katholizität.

In der am 22. April 2001 unterzeichneten Charta Oecumenica verpflichten sich die europäischen Bischofskonferenzen zu Beginn des neuen Jahrhunderts zusammen mit den nichtkatholischen Kirchen Europas dazu, "in der Kraft des Heiligen Geistes auf die sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi in dem einen Glauben hinzuwirken, die ihren Ausdruck in der gegenseitig anerkannten Taufe und in der eucharistischen Gemeinschaft findet sowie im gemeinsamen Zeugnis und Dienst" (Charta I.1). Vor dem Hintergrund dieser und weiterer Selbstverpflichtungen der Charta Oecumenica betont das Zentralkomitee der deutschen Katholiken den hohen Stellenwert der Ökumene gerade im konfessionell gespaltenen Deutschland.

II. Unsere Grundlagen

1. Was verstehen wir unter Ökumene?

Ökumene als Bemühung um die sichtbare Einheit der Kirchen gründet im Auftrag Jesu selbst: "Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast" (Joh 17,21).

Die unterschiedlichen Vorstellungen und Konzepte von Ökumene in den christlichen Kirchen hängen mit dem jeweiligen Kirchenverständnis bzw. mit den Vorstellungen von der Einheit der Kirchen zusammen. Nach katholischem Verständnis schließt die Einheit im Glauben die Einheit in den Sakramenten und im Amt ein.

Die Bemühungen um die Einheit im Glauben sind jedoch kein rein innerkirchlicher Selbstzweck, sondern sind ausgerichtet auf das glaubwürdige christliche Zeugnis vor der Welt. Im ökumenischen Geschehen geben wir uns nicht nur gegenseitig etwas, sondern wir geben auch den Nichtglaubenden das, was wir ihnen schuldig sind: das gemeinsame, ungespaltene und darum glaubwürdige Zeugnis von Jesus Christus.

Mit diesem Verständnis von Ökumene hat das Zweite Vatikanische Konzil eindeutige Akzente gesetzt und Aufgaben benannt, bei deren Umsetzung in der Vergangenheit freilich auch Verkürzungen und Einseitigkeiten deutlich geworden sind. Als Fehlformen der Ökumene haben sich zum Beispiel sowohl der Versuch erwiesen, alles abzuschleifen, was den anderen stört, als auch die Instrumentalisierung der Ökumene nur zur Schaffung kulanter Regelungen bei zwischenkirchlichen Schwierigkeiten und Konflikten. In der ökumenischen Entwicklung ist vielmehr die Einsicht gewachsen: Die Suche nach der Einheit kann kein Reduktionsprozess, sondern muss vielmehr ein Mehrungsprozess sein. In der Ökumene suchen wir die Einheit im Glauben, aber nicht indem wir uns gegenseitig den Glauben mindern, sondern  indem wir uns im Glauben gegenseitig bereichern und bestärken. In der Ökumene haben wir uns gegenseitig etwas zu geben und nicht zu nehmen. Allerdings kann auch der Verzicht auf liebgewordene Sicherheiten zu einem Gewinn werden. Die ökumenische Bewegung ermöglicht es allen Kirchen, die reiche Vielfalt konfessioneller Traditionen (z. B. liturgische Zeichen, symbolische Handlungen, Gebete, Lieder) zu entdecken und einander daran Anteil zu geben.

Ökumene ist nach dem Ökumenismusdekret des Konzils ein vom Geist Gottes angeregter und getragener Prozess der Umkehr und Suche nach der durch Sünde und Versagen verlorenen Einheit. Dieser Prozesscharakter der Ökumene wird u.a. an folgenden Schritten deutlich, die nach dem Ökumenismusdekret auf dem Weg zur Einheit zu gehen sind.

2. Welche Schritte gehen wir in der Ökumene?

-> Einander begegnen, kennen und verstehen lernen

Gleichgültigkeit und Unkenntnis, Vorurteile und Misstrauen trennen die Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen mindestens so stark wie tatsächliche Unterschiede des Glaubens und der kirchlichen Praxis. Deshalb ist die erste ökumenische Pflicht, die anderen Christinnen und Christen so kennen zu lernen, wie sie wirklich sind und wie sie selbst ihren Glauben, ihre Kirche und ihr Leben als Christinnen und Christen verstehen. Daher müssen Begegnungen am Anfang stehen. Das Ökumenismusdekret (Unitatis redintegratio 9) fordert uns dazu auf, sie "auf der Ebene der Gleichheit" geschehen zu lassen. Fruchtbare Begegnungen setzen Vertrauen voraus. Zu oft war gerade in den letzten Jahrzehnten zu beobachten, wie der Geist des Misstrauens das echte Zueinanderkommen verhindert hat. Vertrauen kann aufgebaut werden und wachsen durch die gegenseitige Vergewisserung, dass keiner dem anderen etwas nehmen will, sondern vielmehr den Glauben des Partners in seiner Fremdheit und Andersartigkeit respektiert. Echte Begegnungen verwandeln. Menschen lernen sich darin besser und tiefer verstehen.

-> Einander Anteil geben am Reichtum der eigenen konfessionellen Tradition

In seiner Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" geht Papst Johannes Paul II. noch einen Schritt weiter, indem er das gegenseitige Lernen und Helfen postuliert: "Durch den offenen Dialog helfen sich die Gemeinschaften, sich gemeinsam im Lichte der apostolischen Überlieferung zu betrachten. Das veranlasst sie sich zu fragen, ob sie wirklich in angemessener Weise all das zum Ausdruck bringen, was der Heilige Geist durch die Apostel weitergegeben hat" (Nr. 16).

Der ökumenische Prozess ist also im Sinne des Papstes ausdrücklich als ein Mehrungsprozess wechselseitigen Gebens und Nehmens und nicht als ein Reduktionsprozess zu verstehen und zu vollziehen. Wenn der Papst in diesem Zusammenhang von "unerwarteten Entdeckungen" (Nr. 38) und von "gegenseitiger Bereicherung" (Nr. 87) spricht, dann geht es sicher nicht nur um die Mitteilung bestehender Erfahrungen, sondern um einen Prozess, in dem jeder gibt und annimmt. Damit ist deutlich, dass das Ziel der ökumenischen Bemühungen nicht Einheit im Sinne von Einheitlichkeit und Deckungsgleichheit ist, sondern Einheit in der Vielfalt, in der die kirchentrennenden Unterschiede im Glauben überwunden werden, aber die Vielfalt der verschiedenen konfessionellen Traditionen als legitimer Reichtum eingebracht wird. Wir wollen eine Einheit in "versöhnter Verschiedenheit".

Das Ökumenismusdekret nennt als weitere Schritte auf dem Weg zur Einheit die Gemeinschaft in Gebet und Gottesdienst sowie in Zeugnis und Dienst (s.u. Kap. III)

3. Was haben wir bisher erreicht?

Im gesamtkirchlichen Prozess der Ökumene unterscheiden wir im Wesentlichen drei Ebenen:

– die Ebene des gelebten Glaubens vor Ort,
– die Ebene der Kirchenleitungen und
– die Ebene der Theologie.

Diese drei Ebenen bestehen nicht einfach nebeneinander, sondern sind wechselseitig aufeinander bezogen, auch wenn dieses Miteinander in der Praxis nicht immer leicht zu verwirklichen ist.

Darüber hinaus gibt es weitere ökumenische Handlungsfelder, die zwar zum diakonischen Auftrag der Gemeinde gehören, aber sich als Folge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung zu eigenständigen Einrichtungen entwickelt haben: pastorale Arbeitsfelder in Kliniken, Gefängnissen, in der Militär- und Telefonseelsorge, dem schulischen Religionsunterricht, der Fort- und Weiterbildung etc.

In diesem Zusammenhang ist dankbar hinzuweisen auf die vielfältigen Beispiele gelungener ökumenischer Zusammenarbeit in kirchlichen Verbänden und Organisationen sowie in den geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen. Hier wird oft auch schon durch Mitgliedschaften evangelischer Ehepartner und nichtkatholischer Mitglieder Ökumene ganz selbstverständlich gelebt. Deshalb tragen diese Gruppen auch eine besondere Verantwortung für das Zusammenleben und Verständnis untereinander.

Ökumene auf der Ebene des gelebten Glaubens vor Ort

Vielfach kommen die eigentlichen ökumenischen Impulse aus den Gemeinden und kirchlichen Gruppen vor Ort. Viele erfahren dort wie auch in Verbänden und geistlichen Gemeinschaften die bereits bestehende Verbundenheit in gottesdienstlichen Feiern, im sozialdiakonischen Handeln und im bekennenden Zeugnis als ökumenische Ermutigung. So gehören ökumenische Gottesdienste, die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, der Weltgebetstag der Frauen, der Ökumenische Kreuzweg der Jugend, ökumenische Gesprächskreise über der aufgeschlagenen Bibel und über Glaubensfragen sowie ökumenische Kontakte von Verbänden zum festen Bestandteil vieler Gemeinden. Darüber hinaus gibt es vielerorts eine intensive Zusammenarbeit in Zeugnis und Dienst (Sozialeinrichtungen, Ausländerarbeit, Betreuung von Asylbewerberinnen und -bewerbern, Eine-Welt-Gruppen etc.). Es gibt aber auch Schwierigkeiten in der Ökumene am Ort. So hängt z.B. das ökumenische Engagement in nicht geringem Maße davon ab, ob die hauptamtlich Tätigen "miteinander können". Hinzu kommt, dass das ökumenische Anliegen oftmals nur von einer kleinen Gruppe in der Gemeinde aktiv und dauerhaft mitgetragen wird, statt zur Herzensangelegenheit aller Christinnen und Christen am Ort zu werden. Es ist zudem nicht leicht, auf Gemeindeebene den Stellenwert der theologischen Dialoge zwischen den Kirchen und die Differenziertheit ihrer Ergebnisse in ihrer Bedeutung für die ökumenische Praxis verständlich zu machen. In dieser Situation kommt es entscheidend darauf an, die Begegnung von Christinnen und Christen, das miteinander Sprechen, das miteinander Handeln und das miteinander Beten zu pflegen.

Wir müssen feststellen, dass gerade junge Menschen die konfessionelle Trennung immer weniger als solche empfinden. Für viele von ihnen ist die Frage nach der Konfession deutlich hinter die  grundsätzlichen Fragen nach dem christlichen Glauben in den Hintergrund getreten. Junge Menschen sind dabei ein deutlicher Seismograph für die weitere Entwicklung.

Der Schmerz der Trennung wird besonders in den konfessionsverschiedenen bzw. -verbindenden Ehen spürbar. Sie können und sollten zu einer Keimzelle der ökumenischen Verbundenheit zwischen den Gemeinden werden. Der Förderung einer solchen Verbundenheit zwischen Christinnen und Christen dient auch die ökumenische Bildung auf der Gemeindeebene, damit deutlich wird, wie vielfältig die Möglichkeiten ökumenischer Begegnung und Zusammenarbeit bereits sind und welche Hindernisse noch überwunden werden müssen, bis die Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft möglich wird.

Ökumene auf der Ebene der Kirchenleitungen

Den Kirchenleitungen obliegt die wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe einer verbindlichen Prüfung und Umsetzung der in den ökumenischen Gesprächen erreichten Verständigung. Sie können durch die von ihnen gelebte Ökumene (offizielle Begegnungen, gemeinsame liturgische Feiern, öffentliche Gesten der Versöhnung, Anteilnahme an den Freuden und Nöten der anderen Kirchen) den Gemeinden Mut machen auf dem Weg zu größerer sichtbarer Gemeinschaft. Papst Johannes Paul II. setzt diesbezüglich bedeutsame Zeichen in der Öffentlichkeit. Sein ökumenisches Engagement ist unbestritten. In seiner Enzyklika "Ut unum sint" sagt er: "Ich fordere daher meine Brüder im Bischofsamt auf, diesem Einsatz (für die Einheit) jede nur erdenkliche Aufmerksamkeit zu schenken ... Das gehört zum bischöflichen Auftrag und ist eine Verpflichtung, die sich direkt aus der Treue zu Christus, dem Hirten der Kirche, ergibt" (Nr. 101).

Ökumene auf der Ebene der Theologie

Im theologischen Dialog ging es in einer ersten Phase um die Wiederentdeckung der trotz Spaltungen weiterhin gegebenen tiefreichenden Gemeinsamkeiten im Glauben und Leben der Christinnen und Christen. Diese vollzog sich als gegenseitiger Lernprozess. So wurde beispielsweise auf katholischer Seite die zentrale Bedeutung der Heiligen Schrift für alle Bereiche und Dimensionen christlichen Lebens wiederentdeckt, wie es umgekehrt auf evangelisch-lutherischer Seite zur stärkeren Berücksichtigung der sakramentalen Dimension des christlichen Glaubens kam, insbesondere hinsichtlich der Häufigkeit der Feier des Abendmahles. Von großer gesamtökumenischer Bedeutung ist zudem die gemeinsame Rückbesinnung auf das große Glaubensbekenntnis von 381. In diesem Taufbekenntnis kommt der gemeinsame Glaube an den dreieinen Gott als Grundlage für alle ökumenischen Bemühungen zum Ausdruck. Auch in den Fragen, in denen seit der Reformationszeit kirchentrennende Lehrunterschiede entstanden sind, haben die geführten Dialoge zu weitreichenden Übereinstimmungen geführt. So wurde, um nur ein Beispiel aus jüngster Zeit zu nennen, als Frucht jahrzehntelanger Studien und Dialoge in dem zentralen Streitpunkt des 16. Jahrhunderts, der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben, in der 1999 unterzeichneten "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von der katholischen Kirche und den Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes offiziell festgestellt, dass eine Übereinstimmung in zentralen Wahrheiten dieser Lehre heute besteht und die damals  ausgesprochenen gegenseitigen Lehrverurteilungen den heutigen Partner nicht mehr treffen. In der Tat stellt diese offizielle Feststellung einen Meilenstein auf dem Weg zur Einheit der getrennten Kirchen dar.

Zu vielen aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen konnte auf dieser Grundlage gemeinsam gesprochen werden. Dies zeigen die gemeinsamen Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die in den letzten Jahren entstanden sind und die über den kirchlichen Raum hinaus hohe Anerkennung gefunden haben. Besondere Beachtung hat in jüngster Zeit das gemeinsame Dokument "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" aus dem Jahr 1997 gefunden.

Alle Kirchen sind vom Evangelium her aufgefordert, sich den Zeichen der Zeit zu stellen (vgl. Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils "Gaudium et spes" 4). Wie können die Lebensgrundlagen für alle gesichert werden? Wie ist es möglich, Versöhnung und Frieden unter den Völkern zu erreichen? Warum gelingt es nicht, die Arbeit gerecht zu verteilen? Wer stillt den Hunger und Durst der Bedürftigen? In welcher Weise lassen sich die Verstrickungen lösen, die viele Menschen im Blick auf ihr Leben in Beziehungen empfinden?

Auf allen drei Ebenen – der Theologie, der Kirchenleitungen und insbesondere des gelebten Glaubens vor Ort – ist in den letzten Jahrzehnten eine neue ökumenische Situation entstanden: Christinnen und  Christen verschiedener Kirchen sind von einem konkurrierenden Neben- oder gar Gegeneinander zu einem echten Miteinander gekommen. Wir haben in der Beziehung zwischen den Kirchen in den letzten vierzig Jahren seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ökumenisch mehr erreicht als in den vierhundert Jahren zuvor. Das ist ein Grund zu großer Freude und Dankbarkeit. Zugleich wächst daraus die Verpflichtung zu einem dauerhaften ökumenischen Engagement.

III. Die konkreten Aufgaben

Unseren Auftrag als Christinnen und Christen in dieser Welt können wir nur gemeinsam angemessen erfüllen. Wir stehen vor der Aufgabe, die Grunddimensionen unseres Christseins in ökumenischer Gemeinschaft so zu leben, dass die Menschen unserer Zeit zum Glauben an Christus finden können (vgl. Joh17,21).

1. Das gemeinsame Zeugnis

Das große Geschenk der ökumenischen Bewegung des letzten Jahrhunderts besteht in der freudigen Gewissheit, dass alle Christinnen und Christen im Zentrum ihres Glaubens an Jesus Christus schon miteinander verbunden sind. Die dringliche Aufgabe, die vor uns liegt, besteht darin, diese tiefgreifende Gemeinschaft im Glauben an Jesus Christus und seine Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes allen Menschen gegenüber gemeinsam zu verkünden und glaubwürdig zu bezeugen. Gemeinsam Zeugnis geben beginnt damit, dass Christinnen und Christen vor Ort durch intensive Auseinandersetzung mit ihrem Glauben selbst immer mehr Kompetenz in Glaubensfragen und eine neue Sprachfähigkeit entwickeln, um die christliche Botschaft suchenden und fragenden Menschen heute verständlich zu machen und existentiell nahe zu bringen.

Erfahrungsgemäß ist es gar nicht so einfach, miteinander über den Glauben zu sprechen. Im ökumenischen Glaubensgespräch unter Christinnen und Christen kommt es darauf an, den Glauben der Gesprächspartner als Möglichkeit des eigenen Glaubens zu entdecken. Gleichzeitig geht es darum, den eigenen Glauben so verständlich, offen und nachvollziehbar zur Sprache zu bringen, dass er von anderen auch als Möglichkeit, Ergänzung, Korrektur oder Herausforderung ihres Glaubens aufgenommen werden kann.

Um ein gemeinsames Zeugnis geben zu können, ist das Gespräch über den gemeinsamen Glauben eine der wesentlichen Aufgaben von Christinnen und Christen. Von besonderer Bedeutung hierfür ist die bereits erwähnte "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Ihr Gehalt muss so erläutert und erschlossen werden, dass seine Lebensrelevanz für die Menschen erfahrungsnah erkennbar wird. So kann Ökumene in gutem Sinne missionarisch wirken.

Die gemeinsame Verkündigung des Evangeliums vom Sieg Gottes über Sünde und Tod vermag Menschen bereits hier und heute innerlich zu verwandeln. Vom Evangelium ergriffene Menschen können beständiger und getroster in der Hoffnung leben, zu der sie berufen sind: frei von der Sorge, durch eigenes Verschulden noch herausfallen zu können aus der Geborgenheit bei Gott. Wer erfährt, dass auch Menschen, die einer anderen Konfessionsgemeinschaft angehören, jener Antwort, die sie selbst auf die gemeinsamen Lebensfragen gefunden haben, in glaubwürdiger und ansprechender Weise Ausdruck verleihen können, der wird dauerhafte, beständige Gemeinschaft mit ihnen suchen.

Es ist eine elementare Wahrheit: Der Glaube lebt nicht zuletzt auch vom Glauben der anderen. Dies muss künftig viel stärker über die Konfessionen hinweg Wirklichkeit werden, damit unser Glaube zur Verkündigung wird. Die Herausforderung der Verkündigung des Evangeliums in der heutigen gesellschaftlichen Situation kann nur gemeinsam angenommen und bewältigt werden. Schritte auf diesem Weg können beispielsweise missionarische Projekte, gemeinsam veranstaltete Glaubensseminare oder auch ein kooperativ gestalteter Religionsunterricht in Schulen sein. In vielen Bundesländern gibt es inzwischen Lehrpläne, die ein hohes Maß an ökumenischer Kooperation vorsehen. Auch wenn die Kirchen der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichtes einen hohen Stellenwert beimessen, um eine Beheimatung der Schülerinnen und Schüler im gemeinschaftlich gelebten Glauben zu fördern, so gibt es doch für die Zukunft gute Gründe für eine größtmögliche ökumenische Offenheit. Diese Überlegungen müssen sich auch auf die Ausbildung der künftigen Lehrerinnen und Lehrer, Katecheten, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und - referenten sowie der Pfarrer auswirken.

2. Gebet und Gottesdienst

In seiner Enzyklika "Ut unum sint" schreibt Papst Johannes Paul II.: "Der Vorrang auf dem ökumenischen Weg zur Einheit gebührt sicherlich dem gemeinsamen Gebet, der Verbundenheit all derer im Gebet, die sich um Christus selbst zusammenschließen. Wenn es die Christinnen und Christen ungeachtet ihrer Spaltungen fertigbringen, sich immer mehr im gemeinsamen Gebet um Christus zu vereinen, wird ihr Bewusstsein dafür wachsen, dass das, was sie trennt, im Vergleich zu dem, was sie verbindet, gering ist. Wenn sie sich immer öfter und eifriger vor Christus im Gebet begegnen, werden sie Mut schöpfen können, um der ganzen schmerzlichen menschlichen Realität der Spaltungen entgegentreten zu können, und sie werden sich miteinander in jener Gemeinschaft der Kirche wiederfinden, die Christus trotz aller menschlichen Schwachheiten und Begrenztheiten unaufhörlich im Heiligen Geist aufbaut" (Nr. 22).

Ökumenische Spiritualität ist in der Tat die Mitte, das Herz, der Nährboden aller ökumenischen Überlegungen und Initiativen. Ohne diese Mitte droht die Ökumene einem oberflächlichen Aktionismus zu verfallen, der letztlich leer läuft. Es wäre allerdings auch zu wenig, wenn sich die ökumenischen Aktivitäten einer Gemeinde lediglich auf ökumenische Gebetsinitiativen während der Weltgebetswoche im Januar beschränkten. Gemeinsame Gottesdienste werden reicher, wenn sie aus dem gemeinsamen Leben der getrennten Christen herauswachsen. Das ökumenische Anliegen sollte in Gebet und Gottesdienst der Gemeinde seinen festen Platz haben, sowohl in den eigenen Gottesdiensten der Pfarrgemeinden als auch in gemeinsamen, ökumenisch gestalteten Gottesdiensten oder Gebeten. So kann zum Beispiel die regelmäßige öffentliche Fürbitte für die Partnergemeinde im sonntäglichen Gottesdienst, in der wir füreinander vor Gott eintreten, zu einem selbstverständlichen Zeichen geistlicher Gemeinschaft zwischen Christinnen und Christen am Ort werden. Zudem gibt es in den verschiedenen Kirchen spezifische Gottesdienstformen, an denen Christinnen und Christen anderer Bekenntnisse mit großem Gewinn teilnehmen (zum Beispiel Andachten, Tagzeitengebete) und so wirklich den spirituellen Reichtum der anderen Kirchen kennen lernen. Einen besonderen Stellenwert haben hier die Taufgedächtnisgottesdienste, deren gemeinschaftliche Feier zu den Wurzeln der Gemeinsamkeit führen. Es gibt darüber hinaus konfessionsspezi-fische Ausdrucksformen von Spiritualität in der Kirchenmusik, bei Prozessionen, auf Pilgerwegen, an denen wir uns gegenseitig Anteil geben können. Darüber hinaus sollten andere liturgische Formen (Versöhnungsgottesdienste, Gebetsnächte, Stundengebet, Taizé-Gebet, ökumenische Marienfeiern oder Gospelmessen, Heilungs- und Segnungsfeiern) weiterentwickelt und gepflegt werden. Das Jahr der Bibel 2003 kann dabei vielfältige Gelegenheiten geben, sich der gemeinsamen Wurzeln im Wort Gottes zu vergewissern [ 3)].

Der umfassende sakramentale und lebensmäßige Zusammenhang der Taufe bietet sich an, zum Erfahrungsfeld ökumenischer Spiritualität zu werden. Um sowohl die mit der einen Taufe bereits gegebene Verbundenheit zwischen allen Christen und Kirchen in den Gemeinden lebendig erfahrbar werden zu lassen als auch die Verpflichtung zur Vertiefung dieser Gemeinschaft bewusst zu machen, bietet sich in regelmäßigen Abständen die Feier eines ökumenischen Taufgedächtnisgottesdienstes zwischen den benachbarten Gemeinden an.

So lange wir die Eucharistie noch nicht gemeinsam feiern, ist es umso wichtiger, alle Möglichkeiten zu nutzen, die mit der gegenseitigen Anerkennung des anderen Hauptsakramentes, der Taufe, schon eröffnet sind.

Das Ziel unserer Bemühungen auf dem Weg zu größerer gottesdienstlicher Gemeinschaft ist die gemeinsame Feier der Eucharistie. Es schmerzt uns, dass dieses Ziel bislang noch nicht erreicht werden konnte. Wir vertrauen aber auf den Heiligen Geist, dass er uns auch hier Einheit schenkt und die Wunden heilt. Auf jeden Fall darf die noch nicht vollzogene Tischgemeinschaft beim Ökumenischen Kirchentag nicht als Festhalten an der Spaltung missverstanden und überbewertet werden. Vielmehr zeigt diese Trennung auch die noch bestehenden Unterschiede und mahnt uns, sie zu verändern. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um eine Einheit am Tisch des Herrn zu erreichen.

Wenn eucharistische Gemeinschaft und Kirchengemeinschaft innerlich zusammengehören, dann ist noch mancher Schritt zu gehen, bei dem wir uns allerdings gegenseitig mehr zumuten können und müssen als bislang. Es gibt evangelische Anfragen an uns, die vor allem die Gewichtung der Eucharistiefeier gegenüber anderen Gottesdienstformen wie z. B. Wortgottesdienste und Andachten, die Vereinbarkeit bestimmter Formulierungen in katholischen Eucharistiegebeten mit neueren theologischen und ökumenischen Einsichten und die volle Teilhabe der Gläubigen an den eucharistischen Gaben von Brot und Wein betreffen. Umgekehrt bestehen auch katholische Anfragen an die evangelische Seite. Es geht dabei vor allem um Fragen nach dem Verständnis von Kirche und von der Vollmacht des ordinierten Amtes in bischöflicher Sukzession in ihrer inneren Beziehung zur Eucharistie. Diese Anfragen stellen keine Forderungen dar, sondern sind ökumenisch-konfessionelle Anliegen, die zum einen noch bestehende Grenzen ehrlich artikulieren wollen und zum anderen die offene Bereitschaft zum gegenseitigen Lernen beinhalten.

Gerade in dieser brisanten Situation des ökumenischen Weges möchte das ZdK an das bereits gemeinsam Erreichte erinnern. Die seit der Reformation strittigen Fragen nach der Gegenwartsweise Jesu Christi in der Eucharistie, ihrem Opfercharakter, aber auch nach dem richtigen Verständnis der Rechtfertigungslehre konnten zumindest im katholisch/lutherischen Dialog weitgehend aufgearbeitet werden (Das Herrenmahl, 1978; Taufe, Eucharistie und Amt, 1982; Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament, 1984; Lehrverurteilungen - kirchentrennend?, 31988 ; Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 1999 u. a. m.).

Gleichzeitig möchten wir aber auch an die Ausnahmemöglichkeiten erinnern, die auf der Feststellung des Zweiten Vatikanischen Konzils beruhen, dass zwar "... die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen an(zu)sehen (ist)... die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen" (Unitatis redintegratio 8). Daran anknüpfend bittet die Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland von 1975 zu prüfen, "ob es nicht auch 'ausreichende Gründe' für die Zulassung evangelischer Christen geben kann ... Solche Gründe könnten sich zum Beispiel aus der Sorge um die Glaubensgemeinschaft der Familie in der konfessionsverschiedenen Ehe ergeben" (Beschlusstext Gottesdienst 5.4.2). Ähnliche Argumente vertritt die Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz in einem Schreiben vom 11.2.1997: "In pastoralen Notsituationen können in konfessionsverschiedener Ehe lebende Ehepartner unter bestimmten Voraussetzungen zum Kommunionempfang in der katholischen Kirche zugelassen werden."

Unabhängig davon machen viele evangelische Christinnen oder Christen, die aufgrund ihrer persönlichen Gewissensentscheidung zur Kommunion bei einer katholischen Messfeier gehen, die Erfahrung, dass  die nicht zurückgewiesen werden, sondern dass ihre Entscheidung respektiert wird.

Im genannten "Beschlusstext Gottesdienst" lehnte die Gemeinsame Synode zwar eine generelle Zulassung katholischer Christen zum evangelischen Abendmahl aufgrund des unterschiedlichen Amtsund Weiheverständnisses ab, doch hob sie zugleich hervor: "Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass ein katholischer Christ – seinem persönlichen Gewissensspruch folgend – in seiner besonderen Lage Gründe zu erkennen glaubt, die ihm seine Teilnahme am Abendmahl innerlich notwendig erscheinen lassen" (5.5).

So zeigt sich, dass es vielfältige Ansätze gibt, aus pastoraler Motivation im Blick auf einzelne Menschen Perspektiven für eine eucharistische Gemeinschaft zu eröffnen.

Die schon getroffene Feststellung, dass die volle Kirchengemeinschaft von der Überwindung der noch trennenden unterschiedlichen Kirchen- und Amtsverständnisse abhängt, veranlasst uns die auch in diesem Bereich bereits erzielten Fortschritte in Erinnerung zu rufen: Die entscheidende theologische Grundlage für eine solche Überwindung bildet dabei das erzielte Grundverständnis der Rechtfertigungslehre. In Bezug auf die Kirchen- und Amtsfrage fand ein solches gemeinsames Rechtfertigungsverständnis im internationalen katholisch/lutherischen Dialogbericht "Kirche und Rechtfertigung" (1994) als "unverzichtbares Kriterium" seine Anwendung. Aber auch schon zuvor konnten entscheidende Konvergenzen in der Amtsfrage – besonders hinsichtlich der christologischen Begründung, des Verständnisses der Ordination und der spezifischen Aufgaben des Amtes – im katholisch/lutherischen Dialogbericht "Das geistliche Amt in der Kirche" (1981) festgestellt werden.

In diesem Zusammenhang möchte das ZdK deshalb auch auf die bedeutenden Gesprächsergebnisse hinweisen, die in jüngster Zeit von der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) im Jahr 2000 vorgelegt wurden ("Communio Sanctorum"). Diese Gespräche behandelten u. a. das geistliche Amt im Allgemeinen und die Frage eines universalen Amtes der Einheit im Besonderen.

Mit diesen Ergebnissen ist eine theologisch solide Grundlage geschaffen, die Mut macht für eine konkrete Umsetzung in die Praxis der Kirchen.

3. Diakonie und Weltverantwortung

Vieles im Bereich von Caritas und Diakonie wurde in den letzten Jahrzehnten schon im Geist der Ökumene zusammengeführt. Es ist jetzt aber an der Zeit, entschieden und tatkräftig das in die Wirklichkeit umzusetzen, was schon 1952 im "Wort an die Kirchen" der Dritten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Lund angesprochen wurde: Die Kirchen müssten sich fragen, "... ob sie nicht in allen Dingen gemeinsam handeln müssten, abgesehen von solchen, in denen tiefe Unterschiede sie zwingen, für sich allein zu handeln". Danach muss nicht das gemeinsame Handeln begründet und gerechtfertigt werden, sondern das getrennte.

Die ethischen Prinzipien und Werte, auf denen unsere westlichen Gesellschaftssysteme beruhen, können wir nur gemeinsam wirkungsvoll vertreten. Mit den bereits erwähnten gemeinsamen Texten von EKD  und DBK aus den letzten Jahren ist hier ein guter Anfang gesetzt worden. Inhaltlich geht es darum, das christliche Verständnis des Menschen als Ebenbild Gottes, vom Schöpfer ausgestattet mit Würde und unveräußerlichen Rechten, in allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Handelns zur Geltung zu bringen. "Gerade weil wir nicht mehr damit rechnen können, dass christliche Werte und Wahrheiten zu den Selbstverständlichkeiten des gesellschaftlichen Bewusstseins gehören ... , ist es geboten, klar zu sagen, warum wir als Christen in bioethischen, in sozialethischen und in friedensethischen Fragen bestimmte Wertpositionen vertreten" (Hans Joachim Meyer, Als Christen gemeinsam handeln). Zu ihrer Vermittlung benötigen wir dringend gemeinsame ökumenische Räume: vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Erwachsenenbildung.

Ein weiterer wichtiger Bereich ökumenischer Zusammenarbeit ist der "Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung". Er wurde von der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1983 in Vancouver angestoßen und von den großen ökumenischen Versammlungen der achtziger und neunziger Jahre (Dresden, Stuttgart, Basel, Graz) fortgeführt. In dieser Tradition steht die Erlassjahrkampagne der Jahrtausendwende in der Bundesrepublik Deutschland, die auf dem Kölner G 7-Gipfel im Juni 1999 einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Erde gefordert und ansatzweise mit auf den Weg gebracht hat. Seit Anfang 2001 konzentriert sich das ökumenische Bemühen um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auf die "Dekade zur Überwindung von Gewalt", die es sich zur Aufgabe gemacht hat, bis zum Ende des Jahrzehnts persönliche und strukturelle Formen von Gewalt im kirchlichen und politischen Bereich aufzudecken und nach Möglichkeit zu überwinden. Hier wird es zukünftig darauf ankommen, in enger Kooperation von katholischer Kirche und den im Ökumenischen Rat zusammengeschlossenen Kirchen ein Modell von weltweiter geschwisterlicher Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln. Unsere Welt braucht das weltweite christliche Beispiel von Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden, damit Gewalt überwunden und dadurch die Würde des menschlichen Lebens vor Gott gewahrt werden kann.

IV. Unsere gemeinsame Verpflichtung

Die biblischen Schriften legen davon Zeugnis ab, dass die Einheit der Kirche eine Gabe Gottes ist, die der Mensch alleine nicht herbeiführen kann. Der eine Geist Gottes bewirkt die Einheit der Kirchen: "Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt" (1 Kor 12,13; vgl. Gal 3,28). Wenn wir in Zukunft unseren Glauben wieder neu zur Sprache bringen wollen, wird es darauf ankommen, dass Menschen unterschiedlicher Geistbegabung in den christlichen Gemeinden ihre Kräfte ganz in den Dienst der Verkündigung des einen Evangeliums stellen und so die Menschen erfahren lassen, was wir an Großartigem einander und der Welt zu geben haben.

Dabei geht es einerseits um das klare und offene Gespräch, in dem der Respekt vor der Glaubensüberzeugung des anderen und die geschärfte Sensibilität für die gewachsenen konfessionellen Prägungen die notwendige Grundhaltung bilden. Andererseits müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir in diesen Gesprächen Glaubenswirklichkeiten berühren, die uns weithin nicht zur Disposition stehen. Wir betreten hier ein Feld, auf dem jeder Schritt nicht nur bedacht, sondern auch vor Gott und den Mitchristen verantwortet werden muss. Es geht um nicht weniger als um die Frage, welches Christentum wir für morgen, d. h. für die nachfolgenden Generationen hinterlassen.

Der Ökumenische Kirchentag bietet die Möglichkeit, "uns selbst und der Gesellschaft deutlich zu machen, wie bedeutsam und solide die Gemeinsamkeit der Christen aller Konfessionen ist. In einer Zeit wachsender Glaubens- und Kirchenferne ist es umso wichtiger, uns selbst wie auch den uns Fernstehenden eine lebendige Anschauung davon zu geben, wie die Bibel als die allen Christen gemeinsame Glaubensquelle und die uns verbindenden altkirchlichen Bekenntnisse das Leben der Christen, aber auch das geschichtlich gewachsene Gesicht unserer Gesellschaft und ihres geistigen Lebens bis heute prägen" (Hans Joachim Meyer, Als Christen gemeinsam handeln). Wir Christinnen und Christen sind dazu eingeladen, den Reichtum der mittlerweile gewachsenen, vielfältigen Formen und Möglichkeiten ökumenischer Geschwisterlichkeit zu entdecken und ihn in konkrete ökumenische Handlungsfelder zu übersetzen.

Wir dürfen aber bei dieser Intensivierung der ökumenischen Bemühungen um die wachsende Gemeinschaft der Christinnen und Christen nicht stehenbleiben. Vielmehr wird der Ökumenische Kirchentag seinem christlichen Anspruch nur dann gerecht, wenn es Veranstalter und Teilnehmende als ihr ureigenes Interesse betrachten, die erfahrene Gemeinschaft im Glauben als Auftrag zur gemeinsamen Verantwortung für die vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verstehen.

"Die Leute werden uns nicht verstehen, wenn wir allein unsere konfessionellen Besonderheiten verteidigen. Aber sie werden uns dann ihre Ohren und Herzen öffnen, wenn wir uns als Bundesgenossen in der Sorge um eine menschliche Welt von morgen zu erkennen geben" (Bischof Joachim Wanke, Erwartungen an die Ökumene).

Das Bekenntnis zum erlösenden Handeln des dreieinen Gottes, das uns in der Taufe geschenkt wurde und das uns im Wort der Verkündigung immer wieder neu zugesprochen wird, ist und bleibt die Basis für all unsere ökumenischen Bemühungen.

V. Auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag regen wir an:

Das ökumenische Engagement zu intensivieren, neue Zeichen der Gemeinschaft zu setzen und dabei Erfahrungen anderer aufzugreifen [ 4)]:

Veranstaltung gemeindlicher Ökumene-Tage, örtlicher bzw. regionaler

- Ökumenischer Kirchentage im Jahr 2002, die sich bewusst unter das Leitwort des ÖKT stellen, um deutlich zu machen: Wir wollen als Christinnen und Christen unsere am Ort praktizierten, aber noch keineswegs überall bekannten und selbstverständlichen Modelle gelebter Ökumene zum Kirchentag nach Berlin mitbringen als Anregung für andere und im Austausch mit anderen.

- Partnerschaftsvereinbarungen* zwischen zwei oder mehreren christlichen Nachbargemeinden am Ort zu schließen als Schritt zu mehr Verbindlichkeit im ökumenischen Miteinander.

- Ab 2002 den Pfingstmontag als "Tag der Einheit der Kirche" jährlich zu begehen. Durch die Gemeinschaft in Gebet und Gottesdienst, durch gemeinsame Angebote zu Begegnung und Austausch (z. B. Nacht der geöffneten Kirchen), durch gemeinsame diakonische Initiativen könnte der Pfingstmontag zukünftig zu einem deutlichen öffentlichen Zeichen für eine wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst von Christinnen und Christen in Deutschland, Europa und darüber hinaus werden.

- Einander im ökumenischen Gespräch sowohl auf gemeindlicher Ebene, aber auch auf der Ebene von Diözesanräten, Verbänden und Einrichtungen die bereits gegebene, fundamentale Gemeinsamkeit in der Mitte unseres Glaubens entdecken zu helfen, um gemeinsam wieder sprachfähig zu werden für die Verkündigung der Frohbotschaft in der heutigen Welt. Neben dem vielfach praktizierten Gespräch über der aufgeschlagenen Bibel bietet sich dafür eine Beschäftigung mit zentralen Aussagen des – Ost- und Westkirchen bis heute verbindenden – Ökumenischen Glaubensbekenntnisses von 381* an. Ebenso wichtig ist es, sich vor dem Hintergrund der ökumenisch bedeutsamen Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (31.10.1999) in den Gemeinden gemeinsam darum zu bemühen, die Botschaft von der Rechtfertigung/Erlösung* in ihrer existentiellen Bedeutung für Menschen heute neu verständlich zu machen.

- Gemeinsame Sitzungen der Synoden und Katholiken- bzw. Diözesanräte in der Vorbereitung auf den ÖKT zu planen.

- Dass auf allen Ebenen der Dialog über die Frage des gemeinsamen Abendmahls fortgeführt und intensiviert wird, um glaubwürdig damit auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 umgehen zu können und das Ziel der gemeinsamen Feier der Eucharistie nicht aus den Augen zu verlieren.

- Ökumenische Taufgedächtnisgottesdienste* in den Gemeinden verstärkt zu feiern, um die mit der einen Taufe bereits geschenkte, sakramentale Verbundenheit zwischen allen Christen und Kirchen lebendig erfahrbar werden zu lassen und zugleich die Verpflichtung zur Vertiefung dieser Gemeinschaft bewusst zu machen.

- Im sonntäglichen Fürbittgebet der Anliegen der christlichen Nachbargemeinden wechselseitig zu gedenken und bei zukünftig stattfindenden konfessionellen und ökumenischen Gottesdiensten ein Gebet um die Gabe des Heiligen Geistes für den gemeinsamen Weg zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 zu sprechen, damit er als geistlicher Prozess der Umkehr und Erneuerung gegangen wird, der Voraussetzung für sein Gelingen ist.

Beschlossen von der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 24. November 2001

 

 

1) Der ÖKT ist im Internet zu finden unter www.oekumenischer-kirchentag.de

2) Die im Text mit Kurztitel erwähnten Dokumen te werden in der angefügten Literaturliste vollständig aufgeführt.

3) Das Jahr der Bibel ist im Internet zu finden unter www.2003dasjahrderbibel.de

4) Die mit * gekennzeichneten Anregungen werden in den im Literaturverzeichnis genannten Arbe itshilfen näher vorgestellt un d in der praktische n Umsetz ung erläutert.

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