zu Fragen der biomedizinischen Entwicklung und ihrer ethischen Bewertung

Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 4./5. Mai

Im Anschluss an den Diskussionsanstoß "Der biomedizinische Fortschritt als Herausforderung für das christliche Menschenbild" des kulturpolitischen Arbeitskreises des ZdK und an das Hirtenwort der Deutschen Bischofskonferenz unter dem Titel "Der Mensch: sein eigener Schöpfer?" fasst die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken folgenden Beschluss:

1. Gentechnik, Biomedizin und Neurobiologie werden unser Leben fundamental verändern und unsere religiösen, kulturellen und humanen Auffassungen und Einstellungen herausfordern. Dieser Herausforderung wollen und müssen wir uns als Christen stellen. Um eine menschenwürdige Zukunft zu gestalten, wollen und müssen wir uns einbringen in den Dialog von Gesellschaft, Kultur und Politik und mit dazu beitragen, dass die notwendige Kooperation von Natur- und Geisteswissenschaften gelingt. Dabei wird es darauf ankommen, einen Diskurs zu führen, bei dem die Begründungen für die jeweils eingenommenen Positionen offen dargelegt werden. Es gibt keine voraussetzungslose Position in diesen Fragen.

Das ZdK bekennt sich zur grundgesetzlich verbürgten Forschungsfreiheit und hält medizinische Forschung, die darauf zielt, Krankheiten zu heilen für geboten. Zugleich erinnert das ZdK an die Würde eines jeden Menschen, die im Zentrum des christlichen Menschenverständnisses steht und zugleich Grundlage unserer Verfassung ist. Die Menschenwürde begrenzt die Forschungsfreiheit, damit diese nicht zu unmenschlichen Konsequenzen führt.

2. Das menschliche Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zur befruchteten Eizelle mit doppeltem Chromosomensatz . Ab diesem Moment entwickelt sich menschliches Leben nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Jeder Versuch, eine andere Grenze für den Beginn des menschlichen Lebens und damit für die Schutzwürdigkeit des Menschen zu ziehen, ist willkürlich. Dies hält auch das geltende Embryonenschutzgesetz fest und liegt in der Konsequenz einschlägiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Das ZdK tritt für die Erarbeitung eines umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetzes ein, welches den neuen biomedizinischen Entwicklungen Rechnung trägt und nicht unter das Schutzniveau des geltenden Embryonenschutzgesetzes von 1990 zurückgeht. Dies gilt insbesondere für den im geltenden Embryonenschutzgesetz festgehaltenen Ausschluss von Forschung an Embryonen und von anderen Verwendungen, die nicht dem Wohl des Embryos selbst dienen.

3. Das ZdK lehnt die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland ab. Unter Präimplantationsdiagnostik wird die Untersuchung am Erbmaterial eines Embryos in vitro vor dem Transfer zur Einnistung in die Gebärmutter auf Krankheitsdispositionen verstanden. Es ist selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Embryonen, bei denen eine genetisch bedingte Erkrankung prognostiziert wird, vernichtet werden.

Eine große Gefahr sieht das ZdK darin, dass mit der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik - entgegen der erklärten Absicht der Befürworter einer solchen Zulassung - faktisch Tendenzen zur Selektion menschlichen Lebens Vorschub geleistet wird. Die Praxis in Ländern, in denen die Präimplantationsdiagnostik zugelassen ist, zeigt, dass es äußerst schwierig ist, eine Eingrenzung auf wenige Indikationen durchzuhalten.

Das ZdK sieht eine zusätzliche Gefahr darin, dass durch die mit der Präimplantationsdiagnostik verbundene Absicht, individuelles Leid zu vermindern bzw. zu verhindern (hier: dem Kinderwunsch von genetisch vorbelasteten Eltern möglichst zu entsprechen), Veränderungen eintreten würden, die über die individuelle Situation weit hinausreichen. Sie verdrängt insbesondere den Sachverhalt, dass der abwehrende und abwertende Umgang mit körperlichen oder seelischen Gebrechen die Behinderungen und das Leiden der Betroffenen erheblich verstärkt, ja oftmals erst verursacht. Damit wäre einer generellen Entwicklung der Weg geebnet, die rasch zu einer fundamentalen Veränderung der Einstellung zur Würde eines menschlichen Lebens mit Behinderung und Krankheit und damit auf die Einstellung zu kranken und behinderten Menschen überhaupt führen würde.

4. Dass in Deutschland sog. Spätabtreibungen, d.h. Schwangerschaftsabbrüche bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes bis unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Geburt erfolgen, ist ein Skandal. Deshalb fordert die Vollversammlung entsprechend der ZdK-Erklärung vom 16. Februar 1999 politische Initiativen zur Vermeidung sog. Spätabtreibungen. Es geht dabei insbesondere um eine verbesserte Beratung mit dem Ziel des Lebensschutzes vor pränataler Diagnostik sowie nach Diagnose einer nicht behebbaren Krankheit oder Entwicklungsstörung des nicht geborenen Kindes. Ferner ist eine rechtliche Klärung des Anwendungsbereiches der medizinischen Indikation (§ 218 a Abs. 2 StGB) dringend geboten. Denn es darf nicht mehr erlaubt sein, einen Schwangerschaftsabbruch bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes stillschweigend unter die medizinische Indikation zu subsumieren und damit zu legalisieren. Ist diese Klärung anders nicht zu erreichen, muss der Gesetzgeber eine Novellierung des § 218 a Abs. 2 StGB vornehmen.

Das Arzthaftungsrecht muss zudem so ausgestaltet werden, dass Ärztinnen und Ärzte nicht davon abgehalten werden, Eltern zu ermutigen, sich auch in Zweifelsfällen für ein - möglicherweise behindertes - Kind zu entscheiden.

5. Kein Mensch darf im Bereich der Gentechnik zur Diagnose gezwungen werden. In der Erklärung "Prädiktive Gentests. Eckpunkte für eine ethische und rechtliche Orientierung" hat der Ethikbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit wichtige Vorschläge für die Anwendung sog. prädiktiver genetischer Tests vorgelegt. Darin wird festgehalten, dass die sog. prädiktiven genetischen Tests legitimen Interessen der Gesundheitsvorsorge und der Lebensplanung dienen können. Ergebnisse der genetischen Diagnostik können jedoch so einschneidende Konsequenzen für die Betroffenen haben, dass eine solche Diagnose nur nach Einwilligung erfolgen darf und es das Recht geben muss, solche Untersuchungen abzulehnen. Anknüpfend an diese Argumente fordert das ZdK wegen der Gefahr des Missbrauchs beim Abschluss von Versicherungen bzw. vor Abschluss eines Arbeitsvertrages entsprechende rechtliche Regelungen.

6. Das ZdK hält das Verbot der Klonierung von menschlichen Embryonen für unerlässlich, weil die Erzeugung von Embryonen durch Klonierung fundamental gegen die individuelle und allgemeine Würde des Menschen verstößt. Genetisch identische Embryonen dürfen weder mit dem Ziel hergestellt werden ein geklontes Kind zur Welt zu bringen (sog. reproduktives Klonen) noch dürfen sie erzeugt werden, um embryonale Stammzellen zu gewinnen (sog. therapeutisches Klonen). Denn weder ein sozialer noch ein medizinischer Nutzen können ein Verfahren rechtfertigen, das die unantastbare Würde menschlicher Lebewesen verletzt. Im Fall des sog. therapeutischen Klonierens ist es zudem wissenschaftlich zunehmend umstritten, ob das Klonieren menschlicher Embryonen sowohl notwendig wie auch überhaupt geeignet ist, um die anvisierten therapeutischen Ziele zu erreichen.

Die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung zeigen, dass das Klonieren von Embryonen mit methodenbedingten unwägbaren und unverantwortbaren Risiken für das entstehende Lebewesen verbunden ist. Das ZdK stellt fest, dass die von den Befürwortern des sog. therapeutischen Klonens herausgestellte Unterscheidung zwischen reproduktivem und therapeutischen Klonieren auf Dauer nicht tragfähig ist. Das ZdK hält es in Anerkennung der verfolgten therapeutischen Ziele für richtig, die ethisch unbedenklichen Alternativen, z.B. die Forschung mit adulten Stammzellen zu forcieren.

7. Das ZdK fordert alle Gemeinden und katholischen Organisationen auf, sich intensiv mit den hier anstehenden Fragen zu beschäftigen. Denn es bereitet große Sorge, dass die Vorstellungen vom perfekten, vitalen, stets jugendlichen und gesunden Menschen zunehmend Haltungen und Handlungen in unserer Gesellschaft bestimmen. Für die Akzeptanz von tatsächlichem Leid und Behinderungen, von unvermeidbaren Krankheiten und Begrenzungen des Menschen hätte dies dramatische Konsequenzen. Deshalb gehören die Fragen, was den Menschen zum Menschen macht, wie er mit seiner Endlichkeit umgehen kann, von welchen Visionen er sein Handeln leiten läßt und welche Begrenzungen seines Tuns um der Humanität willen vorgenommen werden müssen, unabdingbar mit in den Diskurs.


Bonn-Bad Godesberg, den 4. Mai 2001

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